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Klaus Holzkamp

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Eliten statt Massen

15.10.2010: Zum neuen Nationalen Stipendienprogramm

  
 

Forum Wissenschaft 3/2010

Bereits im schwarzgelben Koalitionsvertrag war vereinbart worden, in der Studienfinanzierung das Stipendienwesen auszubauen. Als schließlich ein Nationales Stipendienprogramm als Entwurf vorlag, war zunächst niemand daran interessiert. Torsten Bultmann verdeutlicht, wie und warum ein ungeliebtes Konstrukt zu einem zentralen bildungspolitischen Symbolthema wird.

Am 9. Juli diesen Jahres fasste der Bundesrat einen ,Doppelbeschluss' von bedeutender bildungspolitischer Symbolik. Eine vom Bundestag beantragte BAföG-Erhöhung von 2% wurde nicht verabschiedet,1 ein sog. Nationales Stipendienprogramm wurde hingegen beschlossen, obwohl die Medien unisono zuvor auch dessen Ablehnung prognostiziert hatten: Schließlich hatte der Finanzausschuss des Bundesrates im Mai u.a. auf Betreiben des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch die Ablehnung beider Gesetzesanträge empfohlen.

Die Bundesbildungsministerin Annette Schavan war am 9. Juli persönlich erschienen, um das Stipendienprogramm ,durchzubringen', und hatte zuvor die Ministerpräsidenten auch einzeln bearbeitet. Dass sie sich mit gleicher Leidenschaft für die BAföG-Erhöhung eingesetzt hätte, obwohl Regierung und Bundestag diese beantragt hatten und sie die zuständige Ressortministerin ist: Dafür gibt es keine Hinweise. Warum sollte sie auch? Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie von sozialer Studienfinanzierung nicht viel hält, von ,Begabungsförderung' hingegen umso mehr. Am 5.4.2005 teilte sie etwa, damals noch in ihrer Funktion als Kultusministerin von Baden-Württemberg, der Welt in einem Interview mit, dass sie sich im Falle eines Wahlsieges der Union bei den Bundestagswahlen für die Abschaffung des BAföG einsetzen würde. Die Studienfinanzierung solle künftig über einen "attraktiven Markt" an Studienkrediten und Stipendien realisiert werden.

Historisches Relikt

Der Zeitpunkt dieser Ankündigung war allerdings ungünstig. Auf Betreiben der CDU-Granden musste damals das Dementi auf den Fuß folgen. Jürgen Rüttgers befand sich gerade als Oppositionsführer im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen und konnte als ,Sozialschauspieler' (Hannelore Kraft) mit der Ankündigung einer Abschaffung sozialer Leistungsgesetze nun wirklich nichts anfangen.2 In der Großen Koalition ab Ende 2005 auf Bundesebene konnte die BAföG-Liquidation gegen die SPD nicht durchgesetzt werden, und nach dem Antritt von Schwarz-Gelb 2009 stand bekanntlich im Mai 2010 in NRW der nächste Landtagswahlkampf bevor. Deswegen gibt es das BAföG vermutlich noch immer. Es erscheint jedoch zunehmend als historische Reminiszenz der Hochschulexpansionsphase und ungeliebtes Relikt. Seine Bedeutung im Gesamtsystem der Studienfinanzierung wird abgewertet. Die symbolische Bedeutung des Bundesratsbeschlusses vom 9. Juli liegt folglich darin, die real verfolgte, wenn auch noch nicht komplett realisierte Absicht zu dokumentieren, ein System der sozialen Studienfinanzierung mit Rechtsanspruch auf Förderung durch ein (teil-)privatisiertes System der Top-down-Elitenauswahl zu ersetzen.

Zwei Dinge dürften für die Zustimmung zum Nationalen Stipendienprogramm (NatStip) den Ausschlag gegeben haben. Im ursprünglichen Gesetzentwurf sollte der staatliche Anteil der Stipendiensummen je zur Hälfte von Bund und Ländern aufgebracht werden. Anlässlich der entscheidenden Bundesratssitzung sagte Frau Schavan die komplette Kostenübernahme durch den Bund zu - zunächst 80 Mill. Euro für 2011. Zweitens stehen Bund und Länder, bekräftigt durch zahlreiche ,Bildungsgipfel', im Wort, bis 2015 den BIP-Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10% zu erhöhen (2008: 8,6%). Bisher war dies jedoch ein leeres Versprechen: Verbindliche Finanzierungszusagen gibt es bisher nicht und die Hochschulen etwa ächzen weiter unter der ,Überlast'. Der 10%-Beschluss lässt allerdings offen, aus welchen Quellen die Mehrausgaben für Bildung finanziert werden. Das NatStip nun schafft zumindest einen Anreiz, durch eine Ko-Finanzierung der Stipendien aus privaten Quellen einen politischen Pfad zu begünstigen, der es ermöglicht, durch eine stärkere Privatisierung der Bildungskosten dem 10%-Ziel zumindest näher zu kommen.

Das politisch verkündete Ziel ist, mittel- und langfristig 8% der ,leistungsstärksten' Studierenden eines Jahrgangs in die Förderung zu bekommen. Nimmt man die Stipendiaten der Begabungsförderungswerke hinzu, würden dann 10% aller Immatrikulierten ein Stipendium erhalten. Dabei ist das NatStip die fast Eins-zu-Eins-Übernahme eines Stipendienmodells, das auf Betreiben des damaligen FDP-Wissenschaftsministers Pinkwart seit dem Wintersemester 2009/2010 in NRW praktiziert wird. Die Fördersystematik stellt sich wie folgt dar: Die monatliche Stipendienhöhe beträgt 300 Euro für eine Mindestbewilligungszeit von 2 Semestern. Die monatliche Summe setzt sich so zusammen, dass der Staat 150 Euro zufinanziert, wenn die jeweilige Hochschule für die andere Hälfte des Betrages einen privaten Sponsor auftreibt. Antragsberechtigt sind Studierende oder Studienberechtigte. Die Auswahlentscheidung wird von der Hochschule getroffen. Es handelt sich aber nur dem Anschein nach um eine 1:1-Kostenteilung zwischen Staat und Privaten. Gehen wir von einer jährlichen Stipendiensumme von 3.600 Euro pro Person aus, dann kann deren privater Anteil von 1.800 Euro zusätzlich steuerlich abgesetzt werden und reduziert sich so etwa auf eine effektiv eingesetzte Summe von 1.000 Euro. Zwei Drittel der Kosten trägt also direkt oder indirekt der Staat, der allerdings auf eine dieser Summe entsprechende politische Einflussnahme ausdrücklich ,verzichtet'. Im Gesetz (§ 11,3) ist festgelegt, dass die privaten Mittelgeber sogar für zwei Drittel der Stipendien eine "Zweckbindung" festlegen können, indem sie sich etwa für von ihnen favorisierte Studienfächer entscheiden.3 In einem Werbeflyer zu seinem Stipendienprogramm bewarb das ehemalige NRW-Wissenschaftsministerium auf seiner Internet-Seite das Stipendienprogramm etwa mit dem Spruch: "Private Geldgeber entscheiden mit, welche Studiengänge sie fördern möchten."4

Private schlägt public

Es beweist sich wieder einmal das, was wir bei allen private-public-partnership-Modellen dieser Art beobachten können: Der steuernde Einfluss der Privaten geht weit über die von ihnen mobilisierten Beträge hinaus. Er erstreckt sich wie im konkreten Fall beschrieben auch auf die interessengeleitete Allokation öffentlicher Bildungsfinanzen aus Steuergeldern, die im gleichen Verhältnis der politischen Entscheidung, Begründung und Verhandlung entzogen sind.

Annette Schavan wirbt damit, dass sie selbst mit gutem Beispiel vorangeht und sich an der Finanzierung von zwei Stipendien beteiligt. Von den 1.400 Stipendien, die im vergangenen Wintersemester in NRW für weniger als 0,5% der dortigen Studierenden vergeben wurden, sind solche persönlichen oder altruistischen Fördermotive allerdings die Ausnahme. Die Mehrheit der Stipendien wird von der gewerblichen Wirtschaft vergeben, deren Interessen sich wiederum in den fachlichen Profilen widerspiegeln: 33,1% der Stipendien gehen etwa in die Ingenieurwissenschaften, 20,2% in Mathematik und Naturwissenschaften und lediglich 13,3% in die Sprach- und Kulturwissenschaften (Spiegel online, 9.1.2010). Sollten einmal tatsächlich 8% der Studierenden auf diese Weise gesponsert werden, was derzeit nicht absehbar ist, hätte dies, völlig losgelöst von (gesamt-)bildungspolitischen Erwägungen und Entscheidungen, einen erheblichen Einfluss auf die Fächerprofile der Hochschulen. Die Sponsoren werden übrigens auf den Homepages der jeweiligen Hochschulen, die auf diese Weise immer mehr Litfasssäulen ähneln, mit ihrem Firmenlogo dargestellt.

Am 9. Juni führte der Bundestagswissenschaftsausschuss ein Expertenhearing zum NatStip durch, auf welchem weitere Ungereimtheiten und Widersprüche dieses Modells deutlich wurden.5 Ein zentrales Argument für das NatStip und das Pilotmodell in NRW lautete, auf diesem Wege könnten Anreize für die Aufnahme eines Studiums gerade in dem Personenkreis, welcher die damit verbundenen finanziellen Risiken scheut, geschaffen werden. O-Ton Andreas Pinkwart: "Die Verfügbarkeit einer wachsenden Anzahl von Stipendien soll Studieninteressierten, die aus ökonomischen Gründen zögern, ein Studium aufzunehmen, die Entscheidung für eine Hochschulausbildung erleichtern."6 Wenn das wirklich seine ernste Sorge ist, hätte er Studiengebühren gar nicht erst einführen dürfen. Es ist in der Bildungsforschung bekannt, dass Studienverzicht, der überproportional bei Studienberechtigten aus ,bildungsfernen' Schichten vorkommt, primär von finanziellen Sorgen bestimmt ist. Folglich wäre es näher liegend, finanzielle Hürden (Studiengebühren) abzuschaffen. Die durch das NatStip eröffnete abstrakte juristische Chance, zu den ,Leistungsstärksten' eines Jahrganges zu gehören, um ein vorher nicht einplanbares Stipendium zu ergattern, welches lediglich ein Drittel der durchschnittlichen monatlichen Lebenshaltungskosten abdeckt, dürfte keinen zweifelnden Studienberechtigten zusätzlich an eine Hochschule bringen. Das Argument, mit dem NatStip könnten neue Bildungsreserven erschlossen werden, wurde daher auf dieser Anhörung unisono als komplett abwegig charakterisiert.

Gleichzeitig wurde unterstrichen, dass den Hochschulen die finanziellen und personellen Ressourcen für die Realisierung des Programms schlicht fehlen. Im Gesetzentwurf werden die Verwaltungskosten auf rund 5% der Stipendieneinnahmen geschätzt.7 Die auf der Anhörung anwesenden Rektoren gehen allerdings aus ihren Erfahrungen von 20-25% aus. Vor allen Dingen gäbe es kein Personal für den zusätzlichen Aufwand an Antragsbearbeitung, Sponsorenanwerbung sowie Betreuung von Förderern und Geförderten (Begleitangebote).8 In diesem Zusammenhang machte die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, auf ein weiteres Paradoxon aufmerksam: Der vorherrschende hochschulrechtliche Trend beschert den Hochschulen eine erweiterte formelle ,Autonomie'. Aus Sicht der Regierungen ist dies offenbar damit verbunden, den Hochschulen immer mehr - zunehmend auch wissenschaftsfremde - Aufgaben zu übertragen, neuerdings eben auch Aufgaben der Studienfinanzierung, für die eigentlich der Staat zuständig ist, ohne dass die Hochschulen die dafür erforderlichen Personalressourcen bekommen.

Noch ein Wettbewerb

Das NatStip bringt offenbar ein neuartiges, die traditionellen Indikatoren ergänzendes Element des Wettbewerbs in das Hochschulsystem hinein. Schließlich soll die Zahl der Stipendien an einer Hochschule ein zusätzlicher Beweis für deren ,Qualität' sein. So zirkulieren in NRW bereits Rankinglisten mit Stipendienzahlen. Zentrale Zielsetzung des NatStip dürfte es daher sein, die Bildung von Unterschieden zwischen den Hochschulen und weniger die Studienfinanzierung von Personen zu fördern. Letzteres erfolgt zwar auch, aber eben zweitrangig. Anders ist es nicht zu erklären, wenn das Gesetz ausdrücklich festlegt, dass im Falle eines Hochschulwechsels - allen offiziellen Predigten von ,mehr Mobilität' zum Trotz - das Stipendium verfällt (§ 6,3), da dieses offenbar erstrangig der Hochschule ,gehört'.

Im Widerspruch zum Wettbewerbsgedanken argumentiert die Gesetzesbegründung allerdings mit dem Gedanken der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Darüber darf man sich wundern. Ein bundesweites Programm sei deswegen erforderlich, weil "Wirtschaftseinheit und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet [...] bedroht (werden), wenn Stipendienprogramme nur in einzelnen Ländern eingeführt werden und es so zu einer Abwanderung begabter Studierender aus anderen Regionen kommt."9 Das ist eine Kritik am Vorpreschen Nordrhein-Westfalens.

Das Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse spräche jedoch vor allen Dingen für öffentliche Bildungsinvestitionen in strukturschwächeren Regionen - nicht im Geringsten hingegen für einen weiteren Wettbewerb, welcher, wie alle bisherigen wissenschaftlichen ,Wettbewerbe' auch, das regionale Gefälle durch eine Verteilung nach dem Matthäus-Prinzip weiter forciert, kurz: Ungleichheit stärkt.10 Wie die Bundesregierung folglich mit einem Instrument, das ausdrücklich darauf angelegt ist, Unterschiede zwischen den Hochschulen sichtbar zu machen und zu vertiefen, zur ,Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse' beitragen will, bleibt ein Geheimnis, das uns Annette Schavan vermutlich nie enthüllen kann.

Fazit: Das Nationale Stipendienprogramm ist eine inkonsistente und widersprüchliche bürokratische Fehlgeburt. Von daher kann die Forderung der Bundestagsopposition und der GEW, die dafür in den Haushalten vorgesehenen Finanzmittel für eine Aufstockung des BAföG einzusetzen, nur unterstützt werden.

Anmerkungen

1) Die 2% hätten ohnehin nur die Preissteigerung seit der letzten BAföG-Anpassung kompensiert und zu Mehreinnahmen der BAföG-Berechtigten von durchschnittlich 12 Euro pro Monat geführt.

2) Ungeachtet dessen ist das BAföG auch in den Kreisen der NRW-CDU positiv angesehen, hatte es doch gerade in den 70er Jahren einen spürbaren Beitrag zur Bildungsaufwärtsmobilität und zur Auffüllung der zahlreichen Hochschulneugründungen etwa im Ruhrgebiet geleistet.

3) Vgl. Deutscher Bundestag,17.Wahlperiode - Drucksache 17/1552, S.7

4) Zugriff am 17.5.2010

5) Über das Folgende kann ich als Augen- und Ohrenzeuge berichten. Die schriftlichen Stellungnahmen der ExpertInnen, einschließlich des BdWi, sind hier einsehbar: www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a18/anhoerungen/nat_stipendienprogramm_gesetz/index.html

6) Ministerium für Innovation, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen: Richtlinien für ein nordrhein-westfälisches Stipendienprogramm vom 31. März 2009

7) Deutscher Bundestag,17.Wahlperiode - Drucksache 17/1552, S.3

8) Die 5-Prozent-Schätzung der Bundesregierung orientiert sich an der Stipendienvergabe der Begabungsförderungswerke. Das ist jedoch ein falscher Maßstab, da die Stiftungen für Vergabe und Betreuung von Stipendien eigene professionelle Personalstäbe (Studienwerke) haben. Für die Hochschulen sind alle aus dem NatStip resultierenden Aufgaben zusätzliche Arbeit, die sie mit gleich bleibend schlechter Personalausstattung stemmen müssen.

9) Drs. 17/1552, S.11; und an anderer Stelle: "Ohne bundeseinheitliche Regelung würde sich die Konzentration im Bildungsbereich verstärken und damit das wirtschaftliche Potential in den finanzschwachen Ländern weiter vermindert." (S.12)

10) Es dürfte kein Zufall sein, dass die RWTH Aachen, die in der Exzellenzinitiative zur ›Eliteuniversität‹ gekürt wurde, auch die meisten (190) NRW-Stipendien eingeworben hat.


Torsten Bultmann ist Politischer Geschäftsführer des BdWi.

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