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Klaus Holzkamp

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Forum Wissenschaft

Die Lücke in der Schlange

15.09.2006: Tücken der Selbsterkenntnis in der Täter-Rolle

  
 

Forum Wissenschaft 3/2006; Titelbild: Thomas Plaßmann

Dass Menschen ihr Klima in einen für sie selbst unwirtlichen Zustand zu versetzen in der Lage sind, ist heute eine Einsicht, die ‚durch‘ ist. Darüber vergisst man leicht, wie schwierig es war, dass diese Einsicht ‚durch‘-ging. Hans-Jochen Luhmann beschreibt ihr Zustandekommen und ihr ‚Durch-Gehen‘.

Eine Schwierigkeit dabei: Es handelt sich schließlich um eine selbstbezügliche und somit um eine moralische Aussage. Es geht um eine mögliche Selbstbezichtigung, und die ist so kränkend und folglich so schwer nur anzunehmen wie die Entdeckungen Kopernikus’, Darwins und Freuds.

Entscheidend für den Durchbruch war die Messung des Gehalts des Treibhausgases Kohlendioxid, die David Keeling im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957 konzipierte. Er wählte einen möglichst abgelegenen Ort, um das Paradox zu meistern, mit nur einer einzigen Messstelle die durchschnittliche Konzentration in der Atmosphäre bestimmen zu können – mehr Geld gab es eben nicht für Keeling. Deshalb wurde sein Gasanalysator im März 1958 mitten im Pazifik installiert, an einem Hang des verloschenen Vulkans Mauna Loa auf Hawai.

Nach genau einem Jahr, im März 1959, war Keeling klar, was er sah: Keine erratische Linie, sondern eine Wellenlinie. Sie zeigt den Atem der Biosphäre: Im Frühjahr und Sommer, wenn es grünt, sinkt die Konzentration, da die Kohlendioxid-Produktion abnimmt – die Zeit der Photosynthese mit einem Höhepunkt im Juni. In der dunklen Jahreszeit dagegen, wenn das Laub welkt und verfault, steigt der Kohlendioxid-Gehalt – die Zeit der Respiration, des Ausatmens.

Ein Jahr später wurde das Entscheidende offenbar: Die Welle wiederholte sich auf einem höheren Niveau, ihre Linie wies eine Steigung auf – damit war der Einfluss des Menschen entdeckt. Eigentlich. Die Entdeckung, soll sie kommuniziert und damit unser aller Einsicht werden, erfordert die selbstbezügliche Formulierung eines Tatbestands, von dem wir zugleich wissen können, dass wir ihn doch lieber nicht wissen wollen. Dieses untergründige (Nicht-Wissen-)Wollen setzt sich natürlich um, und zwar in demjenigen politischen Raum, in dem über das ‚Wissen-Wollen‘ entschieden wird: in der Forschungspolitik. Wie ‚sich‘ (subjektlos!) solche Ambivalenz umsetzt, davon zeugt eine Lücke in dem Keelingschen Schlangenbild.

Die bekannte ‚Ikone‘ des drohenden Klimawandels, die Keelingsche CO2-Konzentrationskurve von Mauna Loa, weist, wenn man sie unter ein Brennglas hält, tatsächlich eine Lücke auf: Einige Monate des Frühjahrs 1964 fehlen. Der Grund: Der US-Kongress hatte beschlossen, Forschungsgelder auf vermeintliche Kernfragen zu ‚fokussieren‘ – und die Frage nach der möglichen Anthropogenität eines möglichen zukünftigen Klimawandels erschien ihm, bei seinem ‚gegebenen‘ Fragehorizont, als keine ‚Kernfrage‘. Er wollte die Forschung allein auf Fragen fokussiert sehen, die direkt relevant für das Ziel der Wettervorhersage zu sein erschienen. Es entstand eine Finanzierungslücke, und um ein Haar wäre die Produktion des zentralen Belegs für die aufkommende Gefahr damit; gekippt‘ worden.

Bild wie Erläuterung dieser vielsagenden Episode finden sich in einem kleinen Essay (Money for Keeling) auf einer bemerkenswerten Website (www.aip.org/history/climate). Eingerichtet hat sie der US-Wissenschaftshistoriker Spencer R. Weart, Autor der autoritativen Geschichte der Entdeckung des drohenden anthropogenen Klimawandels.


Dr. Hans-Jochen Luhmann arbeitet in der Forschungsgruppe Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt u. Energie, vor allem zu Klima-, Steuer- und Wahrnehmungspolitik, verantwortlich für Grundsatzfragen.

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