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Klaus Holzkamp

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Bewegung oder Stagnation?

15.09.2006: Feministischer Blick auf Hartz IV

  
 

Forum Wissenschaft 3/2006; Titelbild: Thomas Plaßmann

Die Hartz-Politik, derzeit an allen Ecken und Enden als Lohndumpings- und Prekarisierungs-Instrument weiter entwickelt, wirkt sich vor dem Hintergrund der bestehenden Geschlechterverhältnisse und speziell der Lage von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in besonderer Weise auf sie aus. Clarissa Rudolph analysiert Tendenzen und stößt auf jede Menge offener Fragen.

Die aktuellen familienpolitischen Debatten über „Vätermonate“ suggerieren, es wäre Bewegung in starre Geschlechtsidentitäten und Rollenverteilungen gekommen. Dies wird durch den vermeintlichen Bedeutungsverlust des „Ernährermodells“ verstärkt, das lange Zeit die Struktur des Arbeitsmarkts und die Arbeitsmarktpolitik bestimmte. Gleichwohl waren die Debatten vor der Einführung des SGB II von der These bestimmt, insbesondere Frauen seien die Verliererinnen der arbeitsmarktpolitischen Reformen1. Die Bedarfsgemeinschaften manifestierten patriarchale Familienstrukturen und förderten nicht eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit. Allerdings wurde gleichzeitig die Befürchtung formuliert, dass die Prekarisierung von Erwerbsarbeit, die den Hartz-Gesetzen insgesamt zugrunde liegt, die Existenzsicherung von Familien gefährdet – und damit Arbeit als Sicherung des Familieneinkommens ihre Bedeutung verliert.

Neue und alte Ambivalenzen

Die arbeitsmarkt- wie auch die familienpolitischen Debatten und die daraus resultierenden Regelungen sind symptomatisch für neue (und alte) Ambivalenzen im Geschlechterverhältnis, wie sie sich auch in der Struktur der Erwerbs- und Familienarbeit ausdrücken: So ist bspw. die Erwerbstätigenquote von Frauen zwischen 1997 und 2004 von 55,2% auf 58,4% gestiegen, während die der Männer von 71,9% auf 70,1% gesunken ist. Nominell hat Deutschland damit das vom Europäischen Rat formulierte Ziel von 57% Frauenerwerbstätigenquote schon übertroffen; allerdings wird in diesen Zahlen nicht sichtbar, dass sich die Erhöhung fast ausschließlich dem Anstieg von Teilzeitarbeitsplätzen verdankt. Umgerechnet in Vollzeitäquivalente2 ist lediglich ein Anstieg um 1,5% zu verzeichnen3. Die hohe Teilzeitquote von Frauen ist wiederum der Grund für zahlreiche Problemlagen: Niedriges Einkommen von Frauen, schlechte Aufstiegsmöglichkeiten, geringe Rentenzahlungen und Altersarmut. Bestätigt hat sich auch trotz der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen die geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation, bei der Frauen bspw. deutlich den Dienstleistungssektor dominieren (mit einem Anteil von 69%), während Männer andererseits mit 87% maßgeblich den Bausektor bestimmen. Auch die Arbeitsteilung in der Familie hat sich trotz aller familienpolitischen Diskussionen erhalten. So beträgt der Anteil von Männern an der Erziehungszeit immer noch weniger als 3%4. Während Frauen sich neue Lebensräume und Gestaltungsoptionen eröffnet haben, scheinen Männer in vertrauten Bahnen zu verharren.

Das Geschlechterverhältnis und seine Wandlungen bestimmen sich durch traditionelle Rollenverständnisse, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und geschlechtshierarchische Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die sich in den unterschiedlichsten Politikfeldern ausdrücken und aufs Engste miteinander verwoben sind. Veränderungen in der Renten-, Familien-, Frauen-, Bildungs- und Sozialpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte haben somit die Stellung der Frau in der Gesellschaft und die Geschlechterverhältnisse maßgeblich beeinflusst. Arbeitsmarktpolitik hat nicht nur wegen ihrer punktuellen Fördermaßnahmen zur stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen eine zentrale Bedeutung, sondern auch weil sich Geschlechter- und Arbeitsverhältnisse gegenseitig bestimmen.

Hartz-Politik, genderkompetent befragt

Mit den vier Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sog. Hartz I-IV) hat Arbeitsmarktpolitik insgesamt einen neuen systematischen Ansatz und eine neue politische Stoßrichtung erhalten. Die Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe in eine Grundsicherung für Arbeitssuchende im SGB II führt von teilweise abgaben- und teilweise steuerfinanzierten Transferleistungen zu einem rein steuerfinanzierten System, deren Höhe sich nicht mehr am früheren Einkommen orientiert, sondern nunmehr bedarfsabhängig ist. Politisch hat die Hinwendung von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik schon Ende der 90er Jahre begonnen, erfährt aber in den Hartz IV-Gesetzen ihre Zuspitzung. Konzeption, Formulierung und Begründung des Gesetzes gehen von einer individuellen Verantwortung des/der Langzeitarbeitslosen für die Arbeitslosigkeit aus, die mithilfe eines stärkeren Eigenengagements, einer effektiveren Vermittlung und dem Abbau individueller Vermittlungshemmnisse beendet werden könne. Während auf der Seite der Arbeitslosen eine Reihe von Maßnahmen eingesetzt werden, die das Engagement erhöhen sollen (Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien, Sanktionen), bietet die andere Seite zwar eine Erhöhung der Vermittlungsbemühungen und -unterstützungen an (insbesondere das Fallmanagement), aber keine wahrnehmbaren Aktivitäten zum Ausbau von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig zu diesen Individualisierungstendenzen findet eine gesellschaftliche Entsolidarisierung statt, die durch eine Stärkung familialer Solidarität ersetzt wird5. So suggeriert z.B. die Agenda 2010, Erwerbslose nutzten ihre Arbeitslosigkeit auf Kosten der Arbeitenden: „Niemand darf sich zu Lasten der Gemeinschaft zurücklehnen und andere die Arbeit machen lassen, aus der der Sozialstaat finanziert wird“. Aus diesem Grund müssten die Leistungen des Sozialsystems zurückgefahren werden, die Unterstützung solle in zunehmendem Maße durch die Partner und die Familien erfolgen. Dieser Logik folgen das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaften und die nochmals verstärkte Anrechnung des Einkommens und des Vermögens der Partnerin oder des Partners. Dieser Ansatz stellt das Gegenteil der grundlegenden Forderung feministischer Arbeitsforschung nach einer eigenständigen Existenzsicherung für alle dar.

Darüber hinaus stellt sich aus der Perspektive der feministischen Arbeitsforschung im Hinblick auf Hartz IV die Frage, inwieweit die Konzeption und die Umsetzung von Hartz IV die oben nur angedeuteten Ambivalenzen im Hinblick auf die Transformationen der Arbeits- und Geschlechterverhältnisse aufnimmt und welche Folgen aus genderkompetenter Sicht deutlich werden. „Mit dem Begriff der Genderkompetenz bezeichnen wir eine Forschungsperspektive, die das Geschlechterverhältnis als integralen Bestandteil der Analyse, Bewertung und Gestaltung von Arbeit begreift und normativ auf die Überwindung von hierarchischen Geschlechterkonstruktionen ausgerichtet ist. Dabei geht es zum einen um eine gleichgewichtige Berücksichtigung geschlechtstypischer Problemkonstellationen und Handlungsoptionen im aktuellen Wandel der Arbeit; zum anderen geht es um eine angemessene Reflexion und Bearbeitung der Verschränkung der Geschlechterproblematik mit anderen Dimensionen und Komponenten der sozialen Organisation, Verteilung und Bewertung von Arbeit“6. Es geht also bei der Entwicklung von Forschungsperspektiven auf Hartz IV darum,

  • die Problemdefinition so zu gestalten, dass strukturelle und subjektive Aspekte der spezifischen Problemlagen deutlich werden;
  • in der Analyse der Ausgangslage gleichermaßen geschlechtsspezifisch differenzierte Wirkungen und Folgen von Hartz IV auf Männer und Frauen zu identifizieren, wie auch Konstanten und Wandlungsprozesse im Geschlechterverhältnis sichtbar zu machen;
  • in der Kritik an Konzeption und Erklärungsmustern sozial- und arbeitsmarktpolitischer Prozesse Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit mit einzubeziehen;
  • bei der Entwicklung von Alternativkonzepten und Zukunftsentwürfen mehrdimensionale Perspektiven aufzunehmen, die feministische Emanzipationsprozesse integrieren und
  • bei der Konzeption von Handlungsoptionen und Problemlösungen sich an gleichstellungspolitischen Prozessen und Wechselwirkungen zur (Neu-)Gestaltung von Geschlechterverhältnissen zu orientieren.
  • Mit einem solch konzipierten Forschungsprozess soll es möglich sein, aktuelle geschlechtsspezifische Ungleichheitslagen zu identifizieren, ohne sie als „geschlechtstypisch“, als Bestandteil einer festgelegten Geschlechtsidentität festzuschreiben. Darüber hinaus soll die praxis- und handlungsorientierte Perspektive dazu beitragen, konkrete Alternativen bei einer defizitären Praxis bzw. Weiterentwicklungen bei gelungener Praxis in einem emanzipatorischen Sinn zu konzipieren7.

Im Folgenden skizziere ich einige Aspekte und Entwicklungen im Hinblick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und ihre Bewältigung; anschließend zeige ich Problembereiche und offene Fragen auf8.

Arbeitsmarkt-Tendenzen

Einigermaßen verlässliche Daten zur Arbeitslosigkeit sind derzeit nur ansatzweise erhältlich, da sich die Zusammenführung der von der Bundesagentur für Arbeit (BA) einerseits und von den kommunalen Trägern andererseits erhobenen Daten als außerordentlich schwierig gestaltet. Hier zeigt sich nur beispielhaft der politisch gewollte Konflikt zwischen BA und optierenden Kommunen in Bezug auf die Umsetzung des SGB II und die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit. Die beiden Tabellen zeigen gleichwohl Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt und den Umfang arbeitsmarktpolitischer Instrumente auf.

Der vergleichsweise hohe Anstieg der Arbeitslosenzahlen zwischen 2004 und 2005 ist auf die Einführung des SGB II und die Neudefinition von Erwerbsfähigkeit und Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Schon lange wurde moniert, dass die sog. Stille Reserve (also diejenigen, die arbeitslos sind, sich aber aus unterschiedlichen Motiven nicht arbeitslos melden), in den offiziellen Statistiken nicht sichtbar wird. Dies hat sich mit dem SGB II teilweise verändert und wird z.B. in den geschlechtsdifferenzierten Arbeitslosenzahlen deutlich: Da Frauen einen Großteil der Stillen Reserve ausmachten, steigt ihre Arbeitslosenquote 2005 überproportional an. Damit wird ein Erfolg des SGB II deutlich, nämlich eine Annäherung an reale Zahlen zur Arbeitslosigkeit und die Eröffnung des Zugangs von Personengruppen zur Betreuung und Maßnahmen der Vermittlung in den Arbeitsmarkt.

Im SGB III, also bei Arbeitslosigkeit mit abgabenfinanziertem Arbeitslosengeld und Betreuung durch die Agentur für Arbeit, gilt, dass Frauen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosenzahlen an den Instrumenten und Maßnahmen teilhaben sollen. Der Anteil von Frauen an der Arbeitslosigkeit des Rechtskreises SGB III beträgt für den Juli 2005 50,6%. Im SGB II beträgt ihr Anteil 43,9%. Die Verwirklichung des Anspruchs auf anteilige Beteiligung gelingt nur teilweise – im SGB III besser als im SGB II. Damit erfüllt ein wichtiger Bestandteil des „Fördern und Fordern“, nämlich das Fördern durch arbeitsmarktpolitische Instrumente, nicht den Anspruch einer geschlechtergerechten Arbeitsmarktpolitik.

Darüber hinaus liegen kaum Angaben zu geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Hartz IV vor. Insbesondere was die materiellen Leistungen angeht, hat die BA bisher noch keine entsprechenden Daten veröffentlicht. Obwohl eine geschlechtsdifferenzierte Analyse als zwingend notwendig für jedwede Maßnahme zur Frauenförderung oder des Gender Mainstreaming erachtet wird, erfolgt eine entsprechende Auswertung nur punktuell und in keiner Weise systematisch. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für Daten der BA wie für die kommunalen Träger.

Allerdings verdeutlichen die statistischen Überblicke nur ansatzweise die oben schon angesprochenen Ambivalenzen, weshalb vielfach eine Verzahnung struktureller mit subjektiven Daten und deren Verknüpfung mit Transformationsprozessen erforderlich ist. Dann wird auch sichtbar, wie sich Arbeitsmarktpolitik einerseits traditioneller Rollenbilder bedient und sie andererseits bei Bedarf auch modernisiert.

Frauen in den Arbeitsmarktstrukturen

Der Frauenanteil an den Arbeitslosen liegt mit einem Anteil von 46,7% leicht unter ihrem Anteil an den Beschäftigten (47,1). Der Anstieg weiblicher Beschäftigter ist allerdings in erster Linie auf ihren hohen Anteil im Dienstleistungssektor zurückzuführen, der in den letzten Jahren gewachsen ist, während Männer dominierte Sektoren im Schrumpfen begriffen sind. Darüber hinaus ist die Ausweitung des Dienstleistungssektors v.a. Frauen zugute gekommen, allerdings weniger mit qualifizierten Vollzeitstellen, sondern eher mit Teilzeitbeschäftigung oder im Niedriglohnbereich. So beläuft sich bspw. der Anteil von Frauen an den 6.489.942 Mini-JobberInnen im 1. Quartal 2006 auf 63,9%, bei den geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten sogar auf 93,5%9. Eine Verlagerung von Beschäftigungsverhältnissen zu den Mini- und Midi-Jobs wird in einem Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung für Frauen und Männer sichtbar, die von 2003 bis 2004 jeweils um 1,6% sank. Somit scheint insgesamt, dass der zwischenzeitliche Anstieg weiblicher Erwerbsbeteiligung bei gleichzeitiger Stagnation bzw. dem Abbau männlicher Erwerbsbeteiligung wieder gestoppt ist bzw. ein Anstieg sich nur noch im Bereich geringfügiger Beschäftigung bzw. dem der Teilzeitarbeit verzeichnen lässt. Der Anteil von Frauen an allen Teilzeitbeschäftigten betrug 2003 80%. Während Männer zu 11% Teilzeit erwerbstätig sind (das entspricht einem Anstieg von 5% von 1996-2003), betrug der Anstieg bei den Frauen 9% und liegt nun bei fast 50% aller weiblichen Beschäftigten10.

In einer Studie zur Umsetzung von Hartz IV auf lokaler Ebene haben wir im Winter 2005/2006 Interviews mit Arbeitslosengeld (AlG) II-EmpfängerInnen, arbeitsmarktpolitischen AkteurInnen und ExpertInnen durchgeführt11. Die Betroffenen wurden auch danach befragt, welche Bedeutung „Arbeit“ für sie hat. Für alle war gleichermaßen klar, dass Arbeit in diesem Kontext Erwerbsarbeit bedeutet. Bei den befragten Männern dient Arbeit in erster Linie der Existenzsicherung: „Früher war es die Karriere, heute ist es das Geld, um zu überleben … Das Geld ist für mich heute das A und O“ (Interview I, S.5, Z. 230-232), während die Frauen auch in der Situation der Arbeitslosigkeit darüber hinaus gehende Ansprüche formulieren: „Ja, das Betriebsklima ist wichtig, also ich sage mal so, ich würde auch auf einen riesenhohen Verdienst zugunsten eines besseren Betriebsklimas verzichten“ (Interview V, S.15, Z. 712/713). Eine andere Frau formuliert, dass das Wichtigste an der Erwerbsarbeit „so die Befriedigung an der Arbeit“ ist und „dass es ‘ne Arbeit ist, die vielseitig ist, wo ich was lernen kann, und dann ist es mir auch lieb, wenn ich da mit Menschen zu tun habe“ (Interview VI, S.11, Z. 532-541). Hier zeigen sich Einstellungen zur Erwerbsarbeit, die die Grundlage des klassischen Ernährermodells bilden, bei denen der männliche Part die Ernährung der Familie übernimmt, während die Frau als Zuverdienerin es sich leisten kann, nicht nur auf das Einkommen zu achten, sondern auch auf andere Aspekte, die die Qualität von Arbeit bestimmen. Durch die Erweiterung der Bedeutung, die Arbeit für Frauen haben kann, eröffnen sich Frauen mehr Möglichkeiten bei der Arbeitsplatzsuche: Sie sind tendenziell eher bereit, schlecht bezahlte Stellen zu akzeptieren, sofern ihnen die Arbeit inhaltlich und von den sozialen Bedingungen her gefällt. Darüber hinaus ist es dann nicht unbedingt notwendig, eine Vollzeitstelle zu finden. Für jemanden, der mit seinem Einkommen eine Familie ernähren will, ist hingegen eine Vollzeitstelle unabdingbar.

Wenn dann aber keine Vollzeitstelle zu finden ist, und in der Partnerschaft die Einkommenssicherung über die Frau erfolgt, kommen Geschlechtsrollenidentitäten ins Schwanken. Dies betrifft auch einen von uns befragten Arbeitslosen, dessen Frau Vollzeit arbeitet,weshalb der Mann kein AlG II erhält: „Für mich ist die Situation schwieriger als für meine Frau. Meine Frau hat immer gearbeitet. Ich mach mich halt nützlich, zu Hause ist alles repariert, ich kümmere mich um die Autos. Ich kümmere mich um fast alles im Haushalt. Ich bin kein klassischer Hausmann, es fällt mir schwer, die Spülmaschine zu bedienen. […] Schlimm ist, dass man an Selbstwertgefühl verliert“ (Interview I, S.2, Z. 73-76; S.8, Z. 372/373). So definiert sich dieser Langzeitarbeitslose eher über seine Arbeitslosigkeit und betont, dass er kein Hausmann sei; eine Umkehr von Geschlechterrollen wird nicht akzeptiert.

Offene Fragen

Diese Befunde, die zunächst in einem explorativen Sinne zusammengetragen wurden, deuten auf mögliche Entwicklungen durch das SGB II hin, die sich insbesondere auf das Geschlechterverhältnis auswirken können.

  • Eine Politik, die den Ausbau des Niedriglohnsektors forciert, könnte in einem ersten Schritt eher Frauen zugute kommen, die traditionell und auch zunehmend einen größeren Anteil in diesem Sektor innehaben. Allerdings könnte dies auch zu einem Verharren bzw. ansteigendem Abdrängen weiblicher Beschäftigter in den Bereich der geringfügig Beschäftigten führen, während der Anteil von Frauen an Vollzeitbeschäftigung weiter sinkt12.
  • Die These von der Feminisierung der Arbeit in dem Sinne, dass die Deregulierung und Dequalifizierung von Arbeit sich an den prekären Arbeitsbedingungen orientiert, die für einige Frauen schon länger Realität sind, scheint sich durch diese Ergebnisse zu bestätigen. Umso wichtiger ist eine weitere Auseinandersetzung mit der Qualität von Arbeit: So sind die von den befragten Frauen formulierten Ansprüche an Arbeit durchaus positiv zu bewerten insofern, dass eben nicht „ (fast) jede Arbeit besser als keine“ ist13, sondern dass Qualitätskriterien entwickelt werden müssen, die gleichermaßen Aspekte der Existenzsicherung, der gesellschaftlichen Teilhabe, der sozialen Sicherheit und der Geschlechtergerechtigkeit umfassen.
  • Es wird zunehmend sichtbar, dass das klassische Ernährermodell als Rollenmodell, aber bspw. auch in der aktuellen Arbeitszeitgestaltung noch stark präsent ist, gleichzeitig aber zunehmend ins Wanken gerät. Welche Dynamik sich daraus ergibt, ist bisher noch nicht absehbar, müsste aber unbedingt in den weiteren Untersuchungen zu den Auswirkungen von Hartz IV fokussiert werden. Insbesondere bedarf es valider Daten zur Struktur der Bedarfsgemeinschaften, zu den Auswirkungen der Anrechnung des Partnereinkommens und zu neuen Beschäftigungsformen. Auch das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Haus- und Familienarbeit und mögliche Veränderungen von Familienstrukturen müssen in diesem Kontext erfasst werden.
  • Es verändern sich u.U. nicht nur die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, sondern auch innerhalb der Genus-Gruppen. So ermöglichen gerade die geringfügig Beschäftigten im Privathaushalt die Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit – denn es zeigt sich, dass bei einer Erwerbstätigkeit beider PartnerInnen die anfallende Haus- und Familienarbeit nicht von den Männern anteilig übernommen, sondern extern vergeben wird. Dies führt zu neuen Gegensätzen und Hierarchisierungen zwischen Frauen, die insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung von sozial orientierten Handlungsoptionen thematisiert werden müssen.
  • Damit werden nur einige Aspekte weiterer genderkompetenter Perspektiven auf Hartz IV angerissen. Die bisherigen Evaluationsstudien vernachlässigen allerdings diese Fragestellungen weitgehend.

Perspektiven

§ 1 des SGB II formuliert: „Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist als durchgängige Prinzip zu verankern. Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass […] geschlechtsspezifischen Nachteilen von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entgegengewirkt wird. […]“. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass gleichstellungspolitische Maßnahmen bisher nicht wirklich Priorität haben, auch die Beteiligung von Frauenbeauftragten bzw. Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt an den Umgestaltungsprozessen lässt zu wünschen übrig14. Vielmehr scheint es, dass sich die aktuelle Arbeitsmarktpolitik zwar Veränderungen der Geschlechterverhältnisse durchaus zunutze macht, aber eher in dem Sinne, dass sie sie instrumentalisiert im Hinblick auf den Abbau von sozialen Standards. Als „nicht-intendierte Nebeneffekte“ kann es aber trotzdem zu Entwicklungen kommen, die sich nachhaltig auf die Arbeits- und Geschlechterverhältnisse auswirken, gerade auch angesichts neuer Herausforderungen durch den demographischen Wandel, durch weitere Globalisierungsprozesse oder durch neue Herrschaftsstrukturen. Die Aufgabe genderkompetenter Arbeitsforschung besteht dann darin, Beiträge zu einer Verknüpfung der verschiedenen Transformationsprozesse zu leisten. Diese Komplexität stellt gerade auch bei der Analyse der aktuellen Arbeitsmarktpolitik eine besondere Herausforderung dar, weil Eindeutigkeiten immer mehr in Ambivalenzen übergehen und VerliererInnen und GewinnerInnen nicht mehr klar identifizierbar sind. Die Kontextualisierung empirischer Befunde im Rahmen herrschaftskritischer Analysen und gesellschaftlicher Visionen sollte aber ermöglichen, die Diskussionen über Bewegung und Stagnation (nicht nur der Geschlechterverhältnisse) zu erweitern.

Anmerkungen

1) Vgl. z.B. Jenter, Anne/Morgenstern, Vera/Wilke, Christiane (2003): Ohne Frauen keine Reform, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2003. 44. S. 3-8.

2) Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalente bezeichnet die Höhe der Beschäftigungsquote, wenn alle Beschäftigten in Vollzeit arbeiten würden.

3) Beckmann, Petra 2004: Frauenbeschäftigung im Arbeitsraum Europa – zur Aussagekraft der EU-Beschäftigungsquote, in: Lepperhoff/Satilmis/Scheele (Hg.): Made in Europe. Geschlechterpolitische Beiträge zur Qualität von Arbeit, Münster, S.67-82.

4) Gender Datenreport – 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Waltraud Cornelißen im Auftrag des BMFSFJ, München 2005.

5) Vgl. Rudolph, Clarissa 2006: Ambivalenzen und Umdeutungen. Feministische Perspektiven auf die aktuelle Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, in: Degener, Ursula/Rosenzweig, Beate (Hg.): „Die Neuverhandlung sozialer Gerechtigkeit – feministische Analysen und Perspektiven“, Wiesbaden (i.E.)

6) GendA – Netzwerk feministische Arbeitsforschung, 2005: Memorandum zur zukunftsfähigen Arbeitsforschung. Arbeit und Geschlecht – Plädoyer für einen erweiterten Horizont der Arbeitsforschung und ihrer Förderung. Marburg. www.gendanetz.de

7) Vgl. Rudolph, Clarissa 2005: Fördern und Fordern – Hartz IV aus genderkompetenter Perspektive, in: Kurz-Scherf/Correll/Janczyk (Hg.): In Arbeit: Zukunft. Die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsforschung liegt in ihrem Wandel, Münster, S.258-275

8) Hier können nur einige wenige Tendenzen in Bezug auf das SGB II präsentiert werden, weitere wichtige geschlechterpolitische Fragestellungen und Problemlagen können in diesem Rahmen nicht erläutert werden. Auch Präzisierungen im Hinblick auf unterschiedliche regionale Strukturen (z.B. auch spezifische Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland) oder migrationspolitische Perspektiven können in die Darstellung nicht integriert werden.

9) Vgl. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft–Bahn–See / Minijob-Zentrale (Hg.) 2006: Aktuelle Entwicklungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, Essen.

10) Bundesagentur für Arbeit 2005: Die Entwicklung der Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, o.O.

11) Aktuelle lokale Arbeitsmarktpolitik: Die Umsetzung von Hartz IV und ihre Auswirkungen auf Geschlechterdemokratie und Geschlechterverhältnisse; Studie gefördert vom hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, durchgeführt von Dr. Clarissa Rudolph, unter Mitwirkung von Ortrun Brand und Julia Graf, im Rahmen von GendA – Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie, Geschlecht am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.

12) Vgl. Satilmis, Alya/Baatz, Dagmar 2005: Einfach, geringfügig, gelegentlich? – Aktuelle Arbeitsmarktpolitik und ihre geschlechterpolitischen Implikationen am Beispiel von Dienstleistungsarbeit, in Kurz-Scherf u.a. (FN 4), S.205 – 221.

13) Streek, Wolfgang/Heintze, Rolf G. 1999: Runderneuerung des deutschen Modells, in: Arlt, Hans-Jürgen/Nehls, Sabine (Hg.): Bündnis für Arbeit, Opladen, S.147-166.

14) Bareis, Ellen/Mertens, Mechthild/Reis, Claus 2005: Berücksichtung der Bedarfslage allein erziehender Frauen und anderer weiblicher Zielgruppen im Leistungsprozess der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), Frankfurt a. M.


Dr. Clarissa Rudolph ist Politikwissenschaftlerin. Sie forscht zu Arbeitsmarktpolitik, feministischer Arbeitsforschung, Frauen- und Gleichstellungspolitik, Frauenbewegung, Gender Mainstreaming. Derzeit arbeitet sie an einer Studie zur aktuellen Arbeitsmarktpolitik aus genderkompetenter Perspektive im Rahmen von GendA – Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie, Geschlecht am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.

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