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Klaus Holzkamp

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Neuer Marburger Uni-Star

15.09.2006: Politik-Posse um Dr. h.c. Helmut Schmidt

  
 

Forum Wissenschaft 3/2006; Titelbild: Thomas Plaßmann

Ein seit einem Vierteljahrhundert ausgeschiedener Politiker wurde im Juli nun doch noch mal Dr. h. c. Am 21. Juni 2006 hatte der Fachbereichsrat Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg zu diesem Tagesordnungspunkt zunächst keinen Beschluss gefasst. Eine Erweiterung „der erlauchten Reihe der Ehrendoktoren der Marburger Philosophie“ um Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde angezielt, damit sich das Institut für Philosophie „auch ein wenig selber ehren“ könne. Axel Gehrings Details zur Sache lassen die Ehre als wenig rühmlich erscheinen.

Den Selbstehrungszweck hatte Peter Janich formuliert, Professor der Philosophie, der zu Schmidts Ehrung im Fachbereichsrat (FBR) die Initiative ergriffen hatte. Die Vorbereitung einer öffentlichen Ehrenpromotion sahen die Initiatoren als vertrauliche Personalangelegenheit (!) an. Daraus wurde ein Verfahren, dessen formale Merkwürdigkeiten seinen inhaltlichen nicht nachstehen.

Ein halbes Jahr zuvor, im Januar d. J., hatte der FBR unter dem Tagesordnungspunkt „Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens zur Verleihung des Grades eines Doktors ehrenhalber (Philosophie)“ in öffentlicher Sitzung die Einleitung dieses Verfahrens beschlossen, dem Wunsch des Instituts für Philosophie folgend; der Promotionsausschuss hatte es schon im Dezember 2005 eilfertig befürwortet. Im FBR-Protokoll fand sich keine Spur einer inhaltlichen Begründung. Wohl aber hatte Professor Janich in der Sitzung die Auseinandersetzung des Altbundeskanzlers mit Poppers kritischem Rationalismus und seine Bezugnahme auf Kants kategorischen Imperativ mündlich positiv gewertet. Das hatte gereicht für die Verfahrenseinleitung. Der damalige Dekan, Professor von Bredow, hatte vor der Januar-Abstimmung im FBR die Entscheidung zur Verfahrenseröffnung unmissverständlich als de-facto-Zustimmung zur schließlichen Ehrenpromotion gewertet; das Verfahren könne nun nur noch um den Preis öffentlicher Blamage gestoppt werden.

Politische „Personalie“

In den folgenden Monaten behandelte der Promotionsausschuss die „Personalangelegenheit“ vertraulich; sie fand sich weder auf den Tagesordnungen der Institutsdirektorien des Fachbereichs noch gab es öffentliche Auseinandersetzungen. Das Institut für Politikwissenschaft bereitete derweil den Festakt zu Ehren des 100. Geburtstages seines Gründers Wolfgang Abendroth am 2. Mai vor. Eine Gruppe Studierender nutzte die Feier zum Sturm aufs Podium und interpretierte die Verleihung des Ehrendoktorgrades an Schmidt als symbolische Distanzierung von der kritischen Tradition des Institutes für Politikwissenschaft: „ […] Zahlreiche der hier Anwesenden haben den Tod der Marburger Schule beschlossen und feiern heute den Geburtstag ihres Gründers Wolfgang Abendroth. Manche von Ihnen haben ihre Karriere als Linke oder Linksliberale begonnen und sind hier inzwischen nach rechts geschwenkt. Aber zum Geburtstag sind Sie alle gekommen. Manche von Ihnen wären auf der Geburtstagsfeier eines Ernst Forsthoff oder eines Helmut Schmidt […] besser aufgehoben. Wird man aber zum Geburtstag eines Helmut Schmidt nicht eingeladen, so lädt man ihn einfach nach Marburg ein und ehrt [ihn] für seine Immanuel-Kant-Verballhornung […]“. Den Rahmen, in dem sie das Verfahren sahen, spannten sie gleich mit auf. In einer durchaus polemischen Erklärung übten sie scharfe Kritik an der jüngsten Berufungspraxis des Instituts für Politikwissenschaft. Das Promotionsvorhaben war damit erstmals vor größerer Öffentlichkeit thematisiert. Lokale Medien berichteten freundlich über die Aktion, dann verschwand das Thema Helmut Schmidt für ein paar Wochen wieder aus der öffentlichen Diskussion.

Am 21. Juni sollte der FBR die Ehrenpromotion des Altbundeskanzlers beschließen. Der letzte am Institut für Politikwissenschaft lehrende Abendroth-Schüler, Professor Deppe, legte allerdings einen ausführlich begründeten Ablehnungsantrag gegen die Ehrenpromotion vor.1 Inzwischen hatte sein Widerstand auch die Aufmerksamkeit überregionaler Medien erregt. Zur Eröffnung der FBR-Sitzung betonte der neue Dekan, Prof. Kaesler, zwar seine grundsätzliche Abneigung gegen alle Ehrenpromotionen, die auf nichtwissenschaftlichen Leistungen von NichtwissenschaftlerInnen beruhten; das laufende Verfahren wolle er allerdings positiv abschließen, da es von seinem Amtsvorgänger eingeleitet worden sei. Immerhin gestand er zu, er werde „in einem öffentlichen Teil der Sitzung auch Nichtmitgliedern des Fachbereichsrates die Möglichkeit zum Diskurs geben“. Die Beschlussfassung erfolge dann unmittelbar darauf mit Ausschluss der Öffentlichkeit. Die anwesende Öffentlichkeit interessierte sich allerdings sehr für Helmut Schmidts akademische und philosophische Leistungen. Der Vertreter des Philosophie-Instituts hätte ein kompetenter Ansprechpartner zur Klärung sein können. Stellvertretend verwies Professor Janich auf die Promotionsordnung, die es ermögliche, Personen auch für nichtakademische Leistungen ehrenhalber zu promovieren. Woraus das Publikum folgerte, hinreichende Leistungen dieser Art seien nicht genannt, und sich u. a. erkundigte, ob der Ex-Bundeskanzler als Politiker unter Leitung des kategorischen Imperativs gehandelt habe und das Institut für Philosophie dem FBR dafür Belege nennen könne. Diese Auskunft wurde verweigert; Professor Janich verwies statt dessen auf die Möglichkeit des Besuches seiner Lehrveranstaltungen. Kritik am Promotionsvorhaben sei überdies zugleich Kritik an den Gutachtern: „Wer ein von den Gutachtern Karl Dietrich Bracher, Julian Nida Rümelin und Jürgen Habermas unterstütztes Ehrenpromotionsvorhaben missbilligt, der stellt auch deren Kompetenz in Frage; ich bitte Sie, diese Unverschämtheit, insbesondere Herrn Habermas gegenüber, zurückzunehmen.“ Die Öffentlichkeit wartete weiter gespannt auf eine Präzisierung des intellektuellen und philosophischen Wirkens Schmidts durch die Promotions-Initiatoren. Trotz mehrmaliger Nachfragen kamen sie nicht; der akademische Diskurs habe schließlich bereits im Promotionsausschuss stattgefunden, der das Vorhaben im Mai mit drei Ja- und zwei Gegenstimmen bewilligt hatte. Von den damaligen Neinsagern Dirk Hülst und Frank Deppe erkundigte sich der erste nochmals freundlich nach den akademisch-intellektuellen Leistungen des Bundeskanzlers a. D., die ihm bislang unbekannt und auch im Ausschuss nicht klar geworden seien. Zwei Schriftstücken sprach er den Gutachten-Charakter ab: Sie seien seines Erachtens im Fall einer entsprechenden Aufforderung gerade mal als Bereitschaftserklärung zur Anfertigung eines tatsächlichen Gutachtens zu verstehen. Frank Deppe berichtete anonymisiert aus den vorliegenden: Zwei seien extrem kurz, eines habe nur zwei Absätze mit jeweils wenigen Zeilen, das dritte würdige ausschließlich den Politiker Schmidt ohne Bezug zum akademischen Gegenstand der Ehrenpromotion. Wofür Schmidt nun geehrt werden solle, darüber kam das Publikum zu keiner Klarheit. Nach dem nichtöffentlichen Teil der FBR-Sitzung wurde die Beschlussfassung auf den 19. Juli vertagt. Dann sollte – wieder nichtöffentlich – endgültig über die Ehrenpromotion entschieden werden.

Konflikt-Hintergründe

Solche Sitzungen erwecken den Eindruck, als gebe es etwas zu verbergen: Vorabentscheidungen werden gleichsam auf Privatinitiative getroffen, ihr Ausgang wird als Prestigefrage festgeklopft, ein Dekan beraumt eine inhaltliche Debatte an, ein Institut versucht, ihr auszuweichen, in einer Fachbereichsrats-Sitzung entstehen Zweifel an der Gutachten-Qualität. All dies ist ohne Kenntnis der im Fachbereich vorliegenden Konfliktlinien schwer zu verstehen. Das Institut für Politikwissenschaft ist einer starken Rechts-Links-Polarisierung unterworfen; die – wie mit der Studierenden-Erklärung angedeutet – in jüngster Zeit vor allem bei Berufungsentscheidungen zu Streit geführt hat.

Die Konflikte sind exemplarisch an den Auseinandersetzungen um die Nachfolge der Abendroth-Schüler Reinhard Kühnl und Georg Fülberth nachzuvollziehen. Deren Professuren waren zu einer gemeinsamen Stelle fusioniert und als „Professur für Politische Bildung/Fachdidaktik mit dem Schwerpunkt politischer Extremismus, Rechtspopulismus und Faschismus“ ausgeschrieben worden. Am Ende eines langwierigen Verfahrens hatte sich die Kommission einstimmig auf eine Berufungsliste geeinigt, die die Gremien passierte. Nachdem Anfang 2006 die auf Position eins platzierte Person für eine Berufung nicht mehr zur Verfügung stand, hätte es der Logik entsprochen, die zweitplatzierte zu berufen. Doch Dekan von Bredow, der als vormaliger Vorsitzender der Berufungskommission noch für die Liste votiert hatte, bezweifelte gemeinsam mit dem ebenfalls in der Kommission vertretenen Zentrum für Lehrerbildung, das der Liste gleichfalls zugestimmt hatte, die fachdidaktische Qualifikation des Zweitplatzierten: Er werde gegenüber dem Universitäts-Präsidium auf die Berufung des Drittplatzierten hinwirken. Seine Antwort auf eine studentische Anfrage dazu: „Ich bitte Sie, Sie wissen doch, nicht alle auf der Liste Platzierten sind jemals ernsthaft für eine tatsächliche Berufung in Betracht gezogen worden“. Wäre das den Kommissionsmitgliedern allerdings vorher klar gewesen, hätten sie kaum das erforderliche einstimmige Votum gegeben. Die Studierenden werteten die Liste in den Gremien des Fachbereiches als „gefaked“, forderten die Einhaltung der Listenfolge, die Respektierung des Votums der am Berufungsverfahren beteiligten Gremien und die Beachtung des durch die Ignorierung der Listenfolge missachteten Frauenförderplanes. Die öffentliche Empörung über diesen Vorgang am Fachbereich war groß, aber nicht groß genug: Berufen wurde der Drittplatzierte.

BeobachterInnen am Fachbereich sehen diese Entscheidung als politisch intendiert an. Zwei der gelisteten Personen hatten den Fehler begangen, bei Abendroth-Schüler Reinhard Kühnl zu promovieren. Professor Wilfried von Bredow, Fachbereichs-Dekan bis Ende März, hatte seine Meinung im April 2005 im Direktorium Politikwissenschaft öffentlich klargestellt: Er wolle keine „erzpositivistischen Theorieansätze“ am Institut mehr. Dies sollte ausgerechnet die „Abendroth-“ alias „Marburger Schule“ bezeichnen – ein eigentümlicher Positivismusbegriff. Klargestellt war so aber, worum es ging: Ansätze, die sich als „kritisch“ einordnen lassen, sollten im Institut für Politikwissenschaft nicht mehr vertreten sein, und wer den falschen Doktorvater hat, gilt in dieser Konstellation schnell als „nicht hinreichend fachdidaktisch geeignet“. Hier schließt sich der Kreis zum Ehrendoktor Schmidt: Er soll symbolisch die Reinigung des Fachbereichs von den Ideen der Marburger Schule abschließen.

Diese Reinigung geht allerdings zugleich mit der von einem wissenschaftlichen Mindestniveau Hand in Hand. Dies belegen die dürftigen Verweise der Mehrheits-EntscheiderInnen auf Schmidts Popperianismus und vorgeblichen Kant-Bezug.2 Es muss am Fachbereich 03 nicht belegt werden, was der Dr. phil. h.c. dort eigentlich voraussetzt: „hervorragende […] und eigenständige […] geistig-schöpferische […] Leistungen“ – so entschied am 19. Juli der Fachbereichsrat in geheimer Sitzung und brachte in der Laudatio als Gründe seiner Verleihungsentscheidung vor: „Das der Aufklärung verpflichtete Fach Philosophie erkennt in Helmut Schmidt den Philosophen im Politiker. Sein Handeln zeigt eine sichere Orientierung an den Prinzipien unabhängigen Vernunftgebrauchs, moralischer Selbstverpflichtung, kritisch rationaler Situationsbeurteilung und pragmatischer Ausrichtung an der Reichweite menschlicher Vernunft und politischen Handelns. Sein unermüdliches Plädoyer für Vernunft und Verantwortung im Handeln lassen, wo die akademische Philosophie theoretisch bleibt, Philosophie für die Menschen praktisch werden.“3

Ergebnis-Interpretationen

Der Internetauftritt der Universität erweckt seit dem 20. Juli den Eindruck, als hätte ein lebhafter Diskurs stattgefunden: „In einem Fachbereich, in dem so unterschiedliche Fächer wie Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie, Religionswissenschaft, Völkerkunde und ein Zentrum für Konfliktforschung unter einem gemeinsamen organisatorischen Dach miteinander verbunden sind, musste ein Vorschlag dieser Qualität naturgemäß zu intensiven, leidenschaftlichen und darum auch kontroversen Diskussionen führen.“ Dies ist eher eine Vortäuschung, ebenso wie die Insinuation einer realen Beschlussfassungs-Beteiligung qua Stimmrecht von Studierenden, Verwaltungs- und Technikangestellten.4 Der AStA betonte dagegen,5 die Entscheidung sei gegen das ausdrückliche Votum der Studierenden gefällt worden, die freilich auch nicht stimmberechtigt gewesen waren. Das Konsens-Prinzip, das bei der Verleihung von Ehrendoktorwürden durch den Fachbereich gelten sollte, sei außer Kraft gesetzt worden. Er bedauerte, dass sich der Fachbereichsrat per Mehrheit über die Minderheitsvoten hinweg gesetzt habe. Nach AStA-Meinung sei es angemessen, diese Mehrheitsentscheidung öffentlich weiter zu debattieren und zu kritisieren. Die Universität verbreitet demgegenüber weiter ihr Interpretationsmuster: Trotz der Kontroverse habe sich „die gegenseitige Toleranz und Anerkennung der Differenzen in der Einschätzung der Lebensleistung eines deutschen Spitzenpolitikers durch[gesetzt].“ Sie sagt damit erfreulich offen: Die Ehrung Helmut Schmidts lässt sich wissenschaftlich nicht begründen. Wenigstens darüber, was geehrt wird, besteht nun Konsens. Ob einer – und gerade Schmidts – „Lebensleistung“ indes diese akademische Ehre gebührt, bleibt kontrovers. Auch das weitere Procedere scheut die Öffentlichkeit: Termin und Ort der Ehrung wurden bislang nicht bekannt gegeben. Nicht ungewöhnlich für ein ungewöhnliches Verfahren, das unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

Anmerkungen

1) Text unter www.bdwi.de/show/164166.html (Zugriff 05.08.06)

2) Vgl. das Schreiben des jetzigen Zweiten und früheren Ersten Vorsitzenden der Deutschen Kant-Gesellschaft unter www2.bdwi.de/uploads/brief_baum_deppe.pdf (Zugriff 05.08.06).

3) Vgl. Laudatio, www.uni-marburg.de/aktuelles/news/20060720 (Zugriff 05.08.06).

4) Vgl. Laudatio.

5) Pressemitteilung des AStA, 20.07.2006.


Axel Gehring studiert seit 2002 Politikwissenschaft an der Marburger Universität. Er war Vertreter der Studierenden im Direktorium Politikwissenschaft, Mitglied im Fachbereichsrat Gesellschaftswissenschaften und Philosophie und ist Mitglied der genannten Berufungskommission. Seit 2003 ist er Mitglied der Aktiven Fachschaft Politikwissenschaft, seit Anfang 2006 der Linken Fachschaft 03.

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