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Klaus Holzkamp

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Forum Wissenschaft

Ministerium für Wissenschaftlichen Konkurs

15.12.2003: Akademischer Aderlass in Niedersachsen

  
 

Forum Wissenschaft 4/2003; Titelbild: E. Schmidt

In den letzten zwei Legislaturperioden trugen die Hochschulen in Niedersachen bereits die Hauptlast der angestrebten Konsolidierung des Landeshaushaltes. Dafür schrieb der sog. Innovationspakt II fest, dass die niedersächsischen Hochschulen bis 2006 von Kürzungen ausgenommen werden sollten. Das allerdings kümmert die neue CDU/FDP-Landesregierung wenig: Sie kündigte kurzerhand den Pakt und geht nun zügig daran, nicht nur weiter zu kürzen, sondern auch Fächer und FH-Standorte zu schließen. Man könnte auf die Idee kommen, anstatt um "Innovation" und "Zukunft" ginge es schlicht um Wählerstimmen, berichtet Sabine Kiel.

Kaum war die neue CDU-FDP-Regierung in Niedersachsen in Amt und Würden, beschloss sie ein milliardenschweres Kürzungsprogramm (1,45 Mrd. Euro), um die Neuverschuldung im Jahr 2004 zu senken. Neben dem Sozial- ist vor allem das Wissenschaftsministerium stark betroffen. So bekommen die Hochschulen im nächsten Jahr 41 Mio. Euro, die Studentenwerke über 5 Mio. Euro weniger; insgesamt muss das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) 68 Mio. Euro, also fast die Hälfte der gesamten Einsparungen, für die Haushaltskonsolidierungen 2004 aufbringen. Zu diesem Zweck sollen 10% der bestehenden Stellen eingespart bzw. freiwerdende Stellen ab 2004 solange unbesetzt bleiben, bis das Sparkonzept greift. Als wenn dies noch nicht genug wäre, vereinbarte die Landesregierung im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung, dass die Hochschulen weitere 10 Mio. Euro jährlich kürzen müssen.

Den i-Tupf setzte jedoch der Minister Lutz Stratmann (CDU) mit seinem Hochschuloptimierungskonzept (HOK) - er möchte, wie er häufiger betont, "Stärken stärken und Schwache beseitigen". So sollen Hochschulen fusionieren (Universität Lüneburg und Fachhochschule Nordostniedersachsen), Hochschulen bzw. Standorte geschlossen (Buxtehude, Nienburg) und Fachbereiche bzw. Studiengänge geschlossen oder verlegt werden (Teile der Lehramtsausbildung von Hannover nach Hildesheim, Schließung der Romanistik in Hannover). Selbst betriebsbedingte Kündigungen, vornehmlich in der Verwaltung, hält der Wissenschaftsminister für möglich und als langfristiges Ziel schwebt ihm eine "Universität Niedersachsen" vor. Für Ende Oktober wurden weitere grundsätzliche Strukturentscheidungen seitens der Landesregierung bezüglich der Hochschulen angekündigt.

Sparbüchse des Landes

Das letzte positive Signal erlebten Niedersachsens Hochschulen Anfang der 1990er Jahre durch das Hochschulentwicklungsprogramm (HEP) der rot-grünen Landesregierung, beispielsweise durch die Schaffung von 15.000 neuen Studienplätze vor allem in strukturschwachen Regionen und schwerpunktmäßig im Fachhochschulbereich. In den vergangenen zwei Legislaturperioden jedoch wurden die Hochschulen von der SPD-Alleinregierung hauptsächlich als Sparbüchse für die Landeshaushalte benutzt. So verfügte bereits kurz nach der Landtagswahl 1994 die SPD-Landesregierung drastische Kürzungen im Landeshaushalt, zum Ausgleich der Steuermindereinnahmen auf Grund der Neuordnung des Länderfinanzausgleiches ab 1995: Dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) wurde dabei ein Einsparvolumen von rund 100 Mio. DM auferlegt, wovon auf den Hochschulbereich (ohne außeruniversitäre Forschung) etwa 57% entfielen, so dass sich der Gesamtetat aller Hochschulen um 2,5% reduzierte. Die Sparsumme wurde nur durch eine sofortige Wiederbesetzungssperre bei studentischen Hilfskräften, im Mittelbau und bei den ProfessorInnen - Dauerstellen blieben 6 Monate unbesetzt, Zeitstellen 2 Monate - aufgebracht.1 Ausnahmen von diesen Sperrvorgaben konnte sich die parteilose Wissenschaftsministerin Helga Schuchard nur vorstellen, "wenn die jeweilige Hochschule diesen Betrag an anderer Stelle erwirtschaftet".2

Als im Herbst 1994 der Doppelhaushalt für die Jahre 1995/1996 vorbereitet wurde, sollten die durch vorübergehende Stellensperrung verminderten Ausgaben des Jahres 1993 auf die Dauer festgeschrieben und damit eine reale Kürzung der verfügbaren Mittel um 8 bis 9% vorgenommen werden.3 Zur Konsolidierung des Landeshaushaltes musste im Hochschulbereich zusätzlich eine Mittelabschöpfung von 131 Mio. DM jährlich erfolgen, wobei gut 100 Mio. DM durch die sofortige Sperrung und mittelfristige Einsparung (bis 1998) von insgesamt 1.300 Stellen erwirtschaftet werden sollte, und zwar vornehmlich an den Universitäten, die somit etwa 10% ihres gesamten Stellenbestandes verloren hätten.4

Beschlossen wurde dann im Folgejahr nach Vorlage durch das MWK ein auf vier Jahre angelegtes so genannte <>Hochschulstrukturkonzept zur Konsolidierung des Landeshaushaltes (HSK). Danach wurde für den Hochschulbereich erstmalig ab 1995 und anschließend dauerhaft ein Sparvolumen von 47 Mio. DM festgeschrieben. Das bedeutete keine Sachmittelsteigerung über den gesamten Haushalt sowie eine jährliche zweiprozentige Stelleneinsparung. Gerechnet wurde in Stellenäquivalenten à 60.000 DM, eine höherwertige Professur entsprach zwei Stellenäquivalenten; insgesamt mussten in vier Jahren 1.116 Stellen im Wert von je 60.000 DM eingespart werden. Die Wiederbesetzungssperren für Dauerstellen wurden auf 10 Monate erhöht, für Zeitstellen auf 4 Monate. Das MWK machte den Hochschulen den Vorschlag, einzelne Institute, einzelne Fachbereiche und/oder ganze Studiengänge zu schließen; auch Standortschließungen (Vechta, Hildesheim und Lüneburg) standen zur Diskussion5, wurden aber seitens der Landesregierung und des Landesparlaments nicht weiter diskutiert.

Um "frisches" Geld für die Hochschulen zu bekommen, unterzeichneten die SPD-Landesregierung und die Landeshochschulkonferenz (LHK) in einer "Gemeinsamen Erklärung über eine Innovationsoffensive an den niedersächsischen Hochschulen" vom 17.09.1997 den "Innovationspakt I" (IP I). Dieser führte zur gemeinsamen Bildung eines Finanzpools von 54 Mio. DM, der die Umstrukturierung in den Hochschulen beschleunigen und sie wettbewerbsfähiger machen sollte. Die Hochschulen haben es auf sich genommen, zur Finanzierung neuer zukunftsorientierter Projekte weitere Stellen abzubauen: nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes verringerte sich die Zahl der Stellen in Niedersachsen von 1998 bis 2000 um 1.534 bei einem Nichtbesetzungsanteil von 7,0% im Jahr 1998, von 14,6% im Jahr 1999 und von 6,2% im Jahr 2000.6 Der "Innovationspakt I" wurde durch den am 17.05.2000 besiegelten "Innovationspakt II" (IP II) abgelöst, der die Hochschulen bis zum Jahr 2006 von weiteren Haushaltskürzungen ausnahm, nachdem sie einen einmaligen Konsolidierungsbeitrag von 50 Mio. DM zum Haushalt 2001 geleistet und sich zu weiteren hochschulinternen und hochschulübergreifenden Umschichtungen im Umfang von mindestens 30 Mio. DM zu Gunsten von Innovationen in Lehre und Forschung sowie zum Ausbau zukunftsträchtiger Schwerpunkte verpflichtet hatten. Das Land hatte sein Zuführungsvolumen vom Jahr 2002 an um 50 Mio. DM zuzüglich einer jährlichen Summe von 10 Mio. DM für innovative Maßnahmen erhöht und dessen Fortschreibung bis 2006 vertraglich garantiert. Früher getroffene Einsparungs- sowie Umstellungsverpflichtungen blieben bestehen.7 Darüber hinaus bemühte sich der damalige Wissenschaftsminister Thomas Oppermann um eine grundsätzliche Reform der Hochschulen. Er verschlankte das Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG), indem die Kompetenzen der Hochschulleitung gestärkt wurden. Ferner wurden Stiftungshochschulen gegründet. Darüber hinaus führte die SPD Gebühren in Höhe von 500 Euro für sog. Langzeitstudierende nach Überschreiten der Regelstudienzeit um mehr als vier Semestern ein.

Dauer-Tief "Lutz"

Im Frühjahr 2003 löste die CDU-FPD die SPD-Landesregierung ab. Noch bevor der neue CDU-Minister für Wissenschaft und Kultur, Lutz Stratmann, die üblichen Antrittsbesuche und Gespräche an und mit den Hochschulen absolvierte, erklärte er bei seinem ersten ausführlichen Zeitungsinterview, "dass wir im Bereich der Hochschulpolitik so weitermachen, wie Thomas Oppermann begonnen hat: möglichst viel Autonomie, möglichst viel Wettbewerb, möglichst viel Leistungsorientiertheit". Auf die Frage, welches Einsparungspotential er angesichts der dramatischen Haushaltslage in seinem Ressort sieht, sagt er weiter: "Das kann ich so pauschal noch nicht beantworten. Doch wo sehr viel Geld ausgegeben wird - wie zum Beispiel im Hochschulbereich - kann natürlich auch mehr eingespart werden."8 Dies wiederholte er im Landtagsausschuss am 24.04.2003, als er das Arbeitsprogramm des MWK für die 15. Wahlperiode unter dem "Leitwort" "Sparen durch Gestalten" vorstellte und "schmerzhafte Entscheidungen in allen Bereichen des Ressorts" angekündigte. Zugleich beteuerte der Minister: "Nicht alles, was wünschenswert ist, wird zu finanzieren sein. Aber das, was unser Land nach vorn bringt, wollen wir stärker fördern. Wir dürfen nicht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bei Forschung und Entwicklung sparen."9 Gleichzeitig machte er klar, dass das bisherige Finanzierungskonzept für die Hochschulen nicht fortgesetzt werde und so wurde der am 17.05.2000 abgeschlossene "Innovationspakt II" zwischen der vorigen Landesregierung und der LHK aufgekündigt. Er soll durch einen sog. Zukunftsvertrag für die Haushaltsjahre 2004 bis 2007 abgelöst werden. Darin soll nicht nur die Hochschulfinanzierung, sondern sollen auch Strukturentscheidungen an den einzelnen Standorten zwischen der neuen Landesregierung und den Hochschulen ohne Haushaltsvorbehalt festgeschrieben werden, damit sich für diese Planungs"sicherheit" erzielen lässt - abgesehen davon, dass jeder Vertrag durch einen entsprechenden Landtagsentscheid gekündigt werden kann, wie man sieht. Bis zur Neuaufstellung des Haushalts wurde beim wissenschaftlichen Personal an den Hochschulen eine generelle Ausnahme vom Einstellungsstopp vorgenommen, vor allem, um Berufungsverfahren weiterführen zu können. Die von der Vorgängerregierung noch im Eilverfahren neu gegründeten fünf Stiftungshochschulen mussten im Rahmen des 2. Nachtragshaushaltes 2003 keine Kürzungen vornehmen.10

Am 08.07.2003 präsentierte die Landesregierung den Landeshaushalt 2004. Minister Stratmann kommentierte das Ergebnis der Beratungen dahingehend, dass die niedersächsische Landesregierung den besonderen Stellenwert von Wissenschaft, Forschung und Kultur unterstrichen habe. "…statt der zunächst befürchteten vier Prozent beträgt die Kürzung der Ausgaben im Bereich Wissenschaft und Kultur im Haushaltsjahr 2004 nur etwa ein Prozent", in Zahlen sind das etwa 68 Mio. Euro. Davon entfallen gut 43 Mio. Euro auf die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Hochschulen (zentraler Ansatz inklusive Zuschüsse). Die Umsetzung soll "im konstruktiven Dialog insbesondere mit unseren Universitäten und Fachhochschulen" erfolgen; der Minister stellt "einen gewissen Verhandlungsrahmen" in Aussicht, statt "des derzeit noch linear vorgesehenen Gießkannenprinzips". Grundlage aller Maßnahmen sollen die Empfehlungen der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen (WKN) und der zentralen EvanluationsAgentur (ZEvA) sein.11

Die Hochschulleitungen reagierten eher zurückhaltend, einige wenige äußerten sich kritisch in der Öffentlichkeit, jedoch zunächst vornehmlich im eigenen Interesse. Für die Universität Göttingen etwa gaben am 08.07.2003 siebzig namhafte VertreterInnen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eine Erklärung ab: "Nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr". Am 10.07.2003 warnte der Stiftungsrat der Fachhochschule Osnabrück die Landesregierung vor Kürzungen an dieser Hochschule. Ebenfalls am 10.07.2003 nahm die Landesrektorenkonferenz (LHK) in einer Pressekonferenz zu den Sparvorschlägen der Landesregierung Stellung. Sie rechnete vor, dass die geplanten Kürzungen einen Stellenabbau im Hochschulbereich von weiteren 1.000 Stellen ausmache sowie einen Abbau von Forschungskapazitäten und einer großen Zahl von Studienplätzen zur Folge hätte. Außerdem erklärte sie, dass der geforderte Beitrag wegen der langfristigen Bindung des überwiegenden Teils der Hochschulhaushalte in Personalmittel nicht bereits 2004 in vollem Umfang aufgebracht werden kann. Abschließend wies die LHK mit Nachdruck darauf hin, "dass bei den zu erwartenden steigenden Studierendenzahlen in den nächsten Jahren statt Kürzungen zusätzliche Investitionen in Lehre und Forschung notwendig sind, um im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen zu können".12

Am 16.07.2003 gab es eine Pressekonferenz von Minister Stratmann, Staatssekretär Lange und dem LHK-Vorsitzenden Ludwig Schätzl nach einer gemeinsamen Sitzung mit allen HochschulpräsidentInnen und -rektorInnen. Darin wurden die Haushaltsaufstellung und das bislang nur für den internen Gebrauch vorliegende "Hochschuloptimierungskonzept" (HOK) erläutert. Das MWK kalkulierte, dass etwa 25 Mio. Euro des Einsparvolumens in Form pauschaler Minderausgaben linear umgelegt werden müssen und etwa 15 Mio. Euro durch die Strukturentscheidungen der einzelnen Hochschulen erwirtschaftet werden können. Der Minister betonte, dass Standortschließungen nicht geplant seien, dass jedoch die Schließung von Fakultäten/Fachbereichen, Fächern und/oder Studiengängen bzw. deren Verlagerung und Konzentration an ausgewählten Hochschulstandorten (Stichwort: Profilbildung) ernsthaft erwogen und sorgfältig geprüft werden müssten. Ferner regte das MWK an, vor allem Einsparmöglichkeiten im nichtwissenschaftlichen Bereich zu nutzen. Die letzte Entscheidung darüber habe jedoch in den einzelnen Hochschulen zu fallen, und zwar bis zur nächsten Etappe der Haushaltsberatungen Mitte September.13

"Optimieren" durch Sparen?

Während der Semesterferien fanden "Beichtstuhlgespräche" zwischen dem MWK und den HochschulpräsidentInnen statt. Öffentlich, aber auch selbst in den Hochschulgremien, wurde häufig wenig bis gar nichts über die Gespräche berichtet. Vielmehr bemühten sich die einzelnen Hochschulen bzw. Fachbereiche, die vorgegebenen Kürzungen durch Wiederbesetzungssperren und die Reduzierung von Studienangeboten aufzufangen. Nach außen wurde nur wenig Konkretes bekannt, eher viel Spekulatives geisterte vor allem durch die Medien. Auch bei der immerhin eineinhalb Stunden dauernden Beantwortung der Dringlichen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen nach den Details und den Konsequenzen des "Hochschuloptimierungskonzeptes"14 berief sich der Wissenschaftsminister Stratmann am 18. September 2003 gegenüber dem Parlament auf das Vertraulichkeitsgebot während der laufenden Verhandlungen. Jedoch betonte er, dass der "Reformdruck gerade durch die Knappheit der Mittel wachsen wird. (…) So sei dies vor einem Jahrzehnt im hoch gelobten Finnland ebenso wie in den hoch gelobten Niederlanden erfolgreich geschehen. Einsparkriterien seine im Übrigen objektivierbar und völlig unabhängig von parteipolitischen Erwägungen. Für ihn zähle nur, auf welche Weise in Zukunft effektiv und gut gearbeitet werden kann, meinte Startmann. Alles andere sei kein Maßstab. Trotz aller Proteste im Lande werde er daran festhalten, dass sich die Standorte auf ihre Stärken konzentrieren müssen, die es weiter zu entwickeln gelte; auf weniger effiziente oder nachgefragte Studiengänge müsse dann verzichtet werden bzw. sie müssten an Standorte verlagert, an denen sie erfolgreicher bestehen können. (…) Die bisherige Hochschulpolitik habe durch ihr breites Angebot an zu vielen Standorten ins Mittelmaß geführt. Mit der Profilierung einzelner Standorte könnten Niedersachsen Hochschulen wieder zurück in die Spitzengruppe der Rankinglisten in Deutschland kommen, hofft er."15

Umso überraschender waren für einige ParlamentarierInnen wie für manche Hochschulleitung die Veröffentlichungen des MWK am 23. September 2003 zu den sog. Strukturentscheidungen bezüglich der Standorte Lüneburg (Fusion der Universität und der FH Nordostniederniedersachsen), Buxtehude und Nienburg (Schließung der FH-Standorte) sowie der Schließung bzw. Neuordnung durch Verlagerung mehrerer Studiengänge an den Universitäten Lüneburg, Hannover und Göttingen und der FH Hannover. Der Wissenschaftsminister hat dabei sowohl auf eine einzelfallbezogene Begründung verzichtet als auch darauf, die jeweils angestrebten Einspareffekte auszuweisen. Der Ministeriumssprecher ließ später in der Presse verlauten, "dass erst in den kommenden Wochen untersucht werden muss, wie viele Planstellen in welchem Zeitraum "verlegt" werden." Überdies stehen einzelne Maßnahmen in deutlichem Widerspruch zu den Empfehlungen von externen Gutachten (oder greifen ihnen vor wie im Fall des Studiengangs Soziologie an der Universität Hannover) und zum Verständnis des Steuerzahlers (etwa die Aufgabe des Fachbereichs Bildende Künste der FH Hannover auf dem eigens dafür baulich veränderten Expo-Gelände).16 Selbst der Leiter der Wissenschaftlichen Kommission und Präsident der Humboldt-Universität Berlin, Professor Jürgen Mlynek, äußerte sich zurückhaltend. "Man könne heute noch nicht sagen, ob die WK-Ergebnisse im Einklang mit den Entscheidungen des Ministers stehen werden".17

So kam manche Hochschulleitung vor Ort in Rechtfertigungsnot, zumal Hochschulen und Standorte betroffen sind, die nachweislich gute Lehre und Wissenschaft vorweisen können. Beispielsweise an der Fachhochschule Hildesheim ist es für die Studierenden und DozentInnen unverständlich, dass ihre Hochschulleitung vorschlägt, den erfolgreichen Studiengang Wirtschaft, der zur bundesdeutschen Spitze gehört, zur Fachhochschule Hannover zu verlegen, wogegen der Vorschlag, die Außenstelle Holzminden zu schließen, vom Ministerium ohne konkrete Begründung abgelehnt wurde. Interessanterweise hat dort der Innenminister seinen Wahlkreis.

Aber auch die Hochschulen, die bisher noch nicht genannt wurden, können nicht aufatmen, da Stratmann angekündigt hat, dass "Strukturentscheidungen nicht genannter Hochschulen (…) in Vorbereitung" sind.18

Weg mit den Hochschulen?

Dank der SPD-Landespolitik ist das Studienangebot in Niedersachsen seit Jahren unterfinanziert, zudem wurden die eingesetzten Mittel weder leistungs- noch nachfragegerecht verteilt. Vielmehr dominierten immer wieder ministerielle Vorlieben: Helga Schuchardt förderte Fachhochschulen und kleinere Hochschulen wie Lüneburg und Hildesheim, hingegen Thomas Oppermann nur seinen Wahlkreis, die Universität Göttingen, auf Kosten der anderen Hochschulen. Auch bei Lutz Stratmann und seinen KabinettskollegInnen scheinen bei grundsätzlichen Strukturentscheidungen die Wahlkreise Einfluss zu haben: Für den Finanzminister verschont man Hildesheim, für den Innenminister Holzminden, für den Kultusminister Vechta, Oldenburg für den Wissenschaftsminister und Osnabrück für den Ministerpräsidenten … Dass man zu dieser Erkenntnis kommen kann, muss die Landesregierung nicht verwundern, hatte sie doch noch im Sommer angekündigt, dass bei Entscheidungen über Schließung von Fächern bzw. Studiengängen die Auslastung von Studiengängen mit AbsolventInnenzahlen und Arbeitsmarktsituation sowie die Ergebnisse der Forschungsevaluationen der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen (WKN) herangezogen werden, damit sich die Hochschulen stärker "profilieren", also ihre Stärken und ihre Unterschiede zu benachbarten Hochschulen betonen und demgemäß auch Fächer bzw. Schwerpunkte schließen bzw. an andere Hochschulen abgeben.

Genau dies scheint nicht der Maßstab für die Entscheidungen der Landesregierung gewesen zu sein, vielmehr will man um jeden Preis die Anzahl der Hochschulen bzw. der Hochschulstandorte reduzieren und das Fächerspektrum radikal ausdünnen. Anstatt die zukünftigen Strukturen mit allen Beteiligten zu diskutieren und nach Alternativen zu suchen, werden durch das HOK Vorgaben geschaffen, die unwiderrufbar sind. Anstatt grundsätzlich zu überlegen, ob Hochschulen bzw. Hochschulstandorte geschlossen werden könnten, werden durch die Haushaltskürzungen vor allem die nichtmarktgängigen Fächer bedroht und ein Studium zunehmend eindimensional ausgerichtet. Vergessen scheint zu sein, dass gerade die Fächervielfalt eine notwendige Voraussetzung für eine moderne Hochschulreform im nationalen wie internationalen Wettbewerb ist.

Mit den Kürzungen im Hochschulbereich befindet sich Niedersachsen in "guter" Gesellschaft. So müssen die Hochschulen in Hessen über 30 Mio. Euro sparen und in Berlin sind es sogar 75 Mio. Euro, die die Hochschulen zwischen 2006 und 2009 aufbringen müssen. Zwar ist die neue Landesregierung mit dem Ziel angetreten, den Bildungsbereich zu stärken und hat trotz sinkender Staatsfinanzen und den entsprechenden Haushaltsschwierigkeiten rund 2.000 neue LehrerInnenstellen geschaffen - allerdings auf Kosten von anderen Bereichen, vor allem der Hochschulen. Wie passt das mit dem Ziel zusammen, dass mehr junge Menschen studieren sollen? Bereits die SPD-Landesregierung hat es versäumt, mehr jungen Menschen einen Hochschulabschluss zu ermöglichen. Lediglich 12,3% der Erwerbstätigen verfügen über ein abgeschlossenes Studium, im ländlichen Raum liegt die Quote teilweise bei nur acht Prozent. Niedersachsen ist damit beim Bildungsniveau gesamtdeutsches Schlusslicht - und zählt nicht zuletzt aus diesem Grunde zu den strukturschwächsten Bundesländern. In Zukunft gilt dies auch für die Hochschulen.

Anmerkungen

1) vgl. Claudia Kleinwächter (in Zusammenarbeit mit Sabine Kiel und Hansjürgen Otto): Vom HEP zum HOK, oder wie sich die Geschichte wiederholt - ein Überblick über die Mittelkürzungen seit Anfang der 90 Jahre, September 2003, www.gew-nds.de/ausbildung-hochschule

2) Ministerium für Wissenschaft und Kultur: Presseinformation, 11.07.1994

3) vgl. Kleinwächter, a.a.O.

4) Landesrektorenkonferenz Niedersachsen: Pressemitteilung, 29.09.1994

5) vgl. Süddeutscher Rundfunk: Hochschulen im Sturzflug - eine Diskussionssendung, 18.01.1985, die Abschrift der Aufzeichnung wieder abgedruckt in der LAK-Depeche 2/95, S.6ff

6) Statistisches Bundesamt: Angaben des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 11, Reihe 4.4 vom 26.11.2001 in: GEW-Dok-HuF-2002/38

7) vgl. Kleinwächter, a.a.O.

8) Hannoversche Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 28.03.2003

9) Ministerium für Wissenschaft und Kultur: Arbeitsprogramm des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur für die 15. Wahlperiode, 24.04.2003

10) vgl. Kleinwächter, a.a.O.

11) Ministerium für Wissenschaft und Kultur: Pressemitteilung, Haushaltsklausur sichert wissenschaftliche Qualität, 08.07.2003

12) Landesrektorenkonferenz Niedersachsen: Pressekonferenz, 10.07.2003

13) vgl. Kleinwächter, a.a.O.

14) Drucksache 15/413.

15) Rundblick, Nr. 157, 19.09.2003

16) GEW Landesverband Niedersachsen: Stellungnahme der Landes-Delegierten-Konferenz zur gegenwärtigen Hochschulpolitik in Niedersachsen und zum Entwurf des Haushaltsbegleitgesetz 2004, 01.10.2003

17) Neue Presse Hannover, 24.09.2003

18) ebd.


Sabine Kiel arbeitet beim Studentenwerk Hannover und ist Mitglied im BdWi-Vorstand.

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