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Klaus Holzkamp

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20.05.2011: aus Wissenschafts- und Hochschulentwicklung

  
 

Forum Wissenschaft 1/2011; Foto: Thomas Bethge – fotolia.com

TU Berlin lädt Sarrazin aus

Ein Wissenschaftler der TU Berlin hatte Anfang Januar 2011 Thilo Sarrazin zu einem Gastvortrag an der Fakultät VII (Wirtschaft und Management) eingeladen - und sich offenbar eine Zusage eingehandelt. Die Fakultät selbst sagte kurz darauf die Veranstaltung ab, da deren ordnungsgemäße Durchführung nicht garantiert werden könne. Offenbar hatten studentische Gruppen protestiert. Sarrazin ließ sich daraufhin in einer großen Boulevardzeitung ausführlich als Opfer zitieren und bemühte auch historische Vergleiche in schräger Anlehnung an eine frühere Habermas-Dutschke-Debatte: "Diese Linksfaschisten verhindern die freie Meinungsäußerung an einer deutschen Universität!" und "Es ist auch eine Analogie zum Auftreten von Studenten in SA-Uniform, die Anfang der 30er Jahre vor der Machtergreifung der Nazis Andersdenkende niederbrüllten." Daraufhin sah sich der Präsident der TU, Prof. Jörg Steinbach, zu einer Intervention veranlasst: "Über diese Zitate von Herrn Sarrazin sind wir erschüttert. Derartige politische Einordnungen können wir nicht stehen lassen und verwahren uns entschieden dagegen. Wir fordern Herrn Sarrazin auf, solche Vergleiche zu unterlassen." und weiter: "Als Universitätsleitung stehen wir zu der Entscheidung der Fakultät und sprechen uns mit allen Mitteln gegen die politische Diffamierung unserer Universität und unserer Studierenden durch Herrn Sarrazin aus."

Studienorganisation und Nervous Breakdown

Einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Studentenwerkes zur Folge ist seit 2007 die Beanspruchung psychologischer Beratungsstellen der Hochschulen um etwa ein Viertel gestiegen. Die Hauptursache dafür wird in der Umstellung auf die neuen Bachelor-Studiengänge und der damit verbundenen Prüfungsverdichtung gesehen, in deren Konsequenz (fast) jede Einzelprüfung auf die Endnote angerechnet wird.

Rüstungsforschung an der Universität Bremen?

Die Universität Bremen begeht in diesem Jahr ihr 40-jähriges Gründungsjubiläum. Sie steht mittlerweile auf Platz 25 des Förderrankings der Deutschen Forschungsgemeinschaft (aus deren Förderung sie bis Ende der 1980er Jahre ausgeschlossen war) und ist zur Absicherung ihrer Grundfinanzierung - ähnlich wie alle vergleichbaren Universitäten - immer mehr auf Gelder der privaten Wirtschaft angewiesen. Derzeit kursiert ein von 60 Bremer HochschullehrerInnen initiierter Aufruf, in welchem vor einer zunehmenden Abhängigkeit von der Industrie und einer damit zusätzlich einhergehenden tendenziellen Militarisierung der Wissenschaft gewarnt wird. Konkreter Anlass des Appells ist die Neueinrichtung einer Stiftungsprofessur für Weltraumtechnologie, die für zehn Jahre von der OHB System AG finanziert wird. Die Firma verdankt ihren Aufstieg auch der Rüstungsproduktion. Aktuell tut sie sich beispielsweise mit der Produktion von Satelliten hervor, die neben zivilen Zwecken auch der militärischen Aufklärung dienen können - die berühmte Dual Use-Problematik. Die Verträge über die Einrichtung der Professur unterliegen der Geheimhaltung. Seit 1986 hat die Universität Bremen eine Zivilklausel. Diese besagt, dass "jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung" vom Akademischen Senat, dem höchsten universitären Entscheidungsgremium, abgelehnt wird. Die Klausel fordert außerdem "die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können".

Mal wieder am BAföG gespart - floppendes Stipendienprogramm

Im Dezember 2010 verabschiedete der Bundestag ein neues BAföG-Gesetz. Darin hatte die Bundesbildungsministerin Annette Schavan eine Verschlechterung der Förderungsbedingungen untergebracht, die weder politisch begründet noch von der Öffentlichkeit zunächst bemerkt wurde. Erst im Januar 2011 enthüllte dies der Berliner Tagesspiegel. Bisher erhalten die besten 30% BAföG-BezieherInnen eines Abschlussjahrganges einen Nachlass von bis zu 25% auf die Schulden ihres Darlehensanteils. Diese Regelung entfällt nun ersatzlos bei allen Prüfungen nach dem 31.12.2012. Betroffen davon sind jährlich etwa 12.000 AbsolventInnen. Darin kommt einmal mehr zum Ausdruck, dass die Ministerin von sozialer Studienfinanzierung mit Rechtsanspruch nichts hält - und zusätzliche Finanzen eher in halb-privatisierte Elitestipendien investiert. Doch auch ihr neues "Deutschlandstipendium" (früher: nationales Stipendienprogramm: vgl. Forum Wissenschaft 3/2010) hat sich bisher als Rohrkrepierer erwiesen. Bis zu 160.000 leistungsstarke Studierende sollten damit 300 Euro monatlich von ihrer Hochschule erhalten - zur Hälfte vom Staat und zur Hälfte von der Wirtschaft finanziert. Die Länder aber weigerten sich. Schavan brachte ihr Projekt im Sommer nur durch den Bundesrat, indem sie zusicherte, dass der Bund auch den Anteil der Länder übernimmt. Doch statt 430 Mio.Euro - die der Staat jährlich zahlen müsste, wenn die Pläne wahr würden - hat das Ministerium infolge des bisherigen Desinteresses der Hochschulen lediglich 10 Mio.Euro für das nächste Jahr im Haushalt eingeplant. Das würde einer Aufnahme von 6.000 Studierenden ins Programm entsprechen, schätzt das Ministerium.

Schavan II: Neue Bundeselitenschmiede?

Für einigen Wirbel sorgte die Bundesbildungsministerin, als sie in einem Interview, das sie gemeinsam mit dem Präsidenten der Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, der Berliner Morgenpost am 13.02.2011 gab, die Idee künftiger Bundesuniversitäten ins Gespräch brachte. Das Nachdenken darüber sei eine Konsequenz des Auslaufens der Exzellenzinitiative im Jahre 2017. Dann stünde die Frage, wie man dauerhaft "exzellente Strukturen" erhalten könne: "Spätestens dann wird sich die Frage nach Standorten von Bundesuniversitäten stellen." Als erster hatte allerdings der zweite Interviewpartner Olbertz den Ball gespielt - und dies als Konsequenz der Finanzschwäche seiner eigenen Hochschule. Er hatte sich beklagt, dass die Humboldt-Uni im Kampf um die besten WissenschaftlerInnen nicht mithalten könne, sobald ein konkurrierender Ruf aus München (der Standort von zwei im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten ›Eliteuniversitäten‹) oder Stuttgart käme, trotz Berlin-Bonus. Die anderen hätten einfach mehr Geld zu bieten, nicht zuletzt infolge der Exzellenzinitiative. Olbertz' Fazit: "Die Spielräume für reiche und arme Länder sind inzwischen so unterschiedlich geworden, dass der nationale Anspruch, Wissenschaft und Lehre überall auf hohem Niveau zu garantieren, in Frage steht. Dann müssen wir über eine Bundesuniversität nachdenken." Der Hintergedanke ist natürlich, dass die Humboldt-Uni dies würde (Hauptstadt-Bonus). Ausgeplaudert wird so gleichzeitig auch - assistiert von der verantwortlichen Bundesministerin - das von Anfang an offene Geheimnis der Exzellenzinitiative: dass es bei dieser vor allem um viel Geld gegangen ist, nämlich um die Inszenierung einer Legitimationskulisse dafür, angesichts eines strukturell unterfinanzierten Hochschulsystems finanzielle Zuwächse an ganz wenigen Standorten über Verleihung des Prädikats ›Exzellenz‹ und ›Elite‹ zu konzentrieren. Die Exzellenzinitiative sollte ursprünglich die Antwort auf die Frage nach einem deutschen Harvard oder Oxford sein. Wenn dann aber nach dem Auslaufen dieser befristeten Sonderfinanzierung eine neue Sau namens ›Bundesuniversitäten‹ durchs Dorf getrieben wird, bedeutet das folglich im Kern das Scheitern der Exzellenzinitiative. Der eigentliche Grundgedanke der ›Elitenförderung‹ - bei gleichzeitiger Beibehaltung finanziell prekärer wissenschaftlicher Massenausbildung - sucht sich seine neue institutionelle Form: die Bundesuniversität.

Schavan III: Kein Geld, dafür mehr Begeisterung

Anlässlich der Eröffnung der didacta in Stuttgart, Europas größter Bildungsmesse, rief die Bundesbildungsministerin am 22. Februar die soundsovielte (wir haben irgendwann mal zu zählen aufgehört) "Allianz für Bildung" ins Leben. "Wir wollen ein Klima der Bildungsbegeisterung schaffen", verkündete sie. Ziel der Allianz sei es, durch ein Zusammenwirken staatlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Kräfte Kinder und Jugendliche zu stärkerer Bildungsteilhabe zu ermuntern, genauer: Die Allianz fühlt sich vor allem zur Bekämpfung der Bildungsarmut berufen. Eine Ursachenanalyse von Bildungsarmut lieferte die Ministerin gleich mit, indem sie sich von der Presse mit folgender Einschätzung zitieren ließ: das Problem sei nicht, dass es zu wenige Bildungs- und Kulturangebote gebe, sondern dass benachteiligte gesellschaftliche Gruppen nicht an ihnen teilnähmen. Das Phänomen gesellschaftlicher Benachteilung wird auf diese Weise zwar erwähnt, aber zugleich wegerklärt, indem man den Bildungsboykott der davon Betroffenen zum eigentlichen Kern des Problems erhebt. Eine solche Analyse bietet mehrere Vorteile: Über zu hohe Kita-Gebühren, selektive Schulstrukturen, zu volle Klassen und fehlende Studienplätze muss gar nicht mehr geredet werden. Als bildungspolitischer Handlungsbedarf bleibt eine begeisternde Motivationsstrategie.

Zwanzigtausend gegen den Lügenbaron

Hat vor allem ein "Aufstand der akademischen Klasse", wie der Spiegel bereits einen Tag vorher spekulierte, den Rücktritt zu Guttenbergs am 1. März erzwungen? Das wäre allerdings erstmalig in einem ansonsten nicht sehr aufstandsgeneigten sozialen Milieu. Nicht von der Hand zu weisen ist sicher die Einschätzung, dass Guttenberg "die meritokratischen Ansprüche und Stellungen des hiesigen Bildungsbürgertums elementar gefährdet" (ebd.) hat - und so auch relevante Teil der Nicht-BildzeitungsleserInnen der CDU-Basis gegen sich aufbrachte, eben die FAZ-LeserInnen. Die Bundeskanzlerin hat dies offenbar unterschätzt, als sie ihr Szenario "Guter Verteidigungsminister - Promotion nicht so wichtig - Plagiat daher nebensächlich" präsentierte. Mehr noch als empörte Presseerklärungen der einschlägig verdächtigen Gralshüter wissenschaftlicher Redlichkeit - Deutscher Hochschulverband, Hochschulrektorenkonferenz etc. - hat allerdings ein auf eine private Initiative zurück gehender Aufruf von DoktorandInnen für den wohl stärksten politischen Druck (und die höchste Medienresonanz) gesorgt: dieser wurde am 24.02. veröffentlicht und vereinigte in Windeseile über 20.000 Unterschriften, die dann am 28.02, einen Tag vor dem Rücktritt, im Bundeskanzleramt übergeben wurden. Die Kavaliersdelikt-Inszenierung der Kanzlerin sei, so heißt es im Aufruf, "eine Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen." Außerdem stünde das im augenfälligen Kontrast zum ständigen Ausrufen der "Bildungsrepublik Deutschland". Die DoktorandInnen-Initiative ist sicher legitim, und sie war politisch wirksam. Auffällig ist nur, warum man sich nicht auf die Sache selbst - wissenschaftliches Plagiat - konzentriert hat, sondern gleichzeitig reklamiert, im Namen von etwas noch Edlerem und Höherem zu handeln: wenn sich die VerfasserInnen etwa über die "persönliche Integrität" des "Amt[es] des Bundesverteidigungsministers" Sorgen machen - so als könnte das Ansehen eines oberbefehlshabenden Kriegsministers nicht schlecht genug sein -, oder sich gar selbst mit einer nationalen Mission beauftragen: "Durch die Behandlung der Causa Guttenberg als Kavaliersdelikt leiden der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als ›Land der Ideen‹." Das entschiedene Eintreten für wissenschaftliche Mindeststandards, die jedem vernünftigen Menschen sofort einleuchten, dass man etwa anderer Leute geistiges Eigentum nicht als Eigenleistung ausgeben kann, hätte auch gereicht.

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