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"Man muss es sich leisten können..."

15.12.2005: Arbeitsbedingungen studentischer Hilfskräfte

  
 

Forum Wissenschaft 4/2005; Titelbild: Hermine Oberück

Sie halten Lehrveranstaltungen, vergeben Bibliothekssignaturen, entwerfen und korrigieren Klausuren, schreiben an Lehrbüchern, bearbeiten Bewerbungsunterlagen, administrieren Netzwerke, analysieren Bodenproben oder betreuen Patienten. Und ja, viele von ihnen kopieren auch, suchen Literatur und trinken Kaffee. Motive, Beschäftigungssituation und -perspektiven sowie die rechtliche Lage von Studierenden, die als Hilfskräfte arbeiten, stellt Andreas Staets am Marburger Beispiel dar.

Studierende, die zwischen den Lehrveranstaltungen an der Hochschule arbeiten, übernehmen eine enorme Bandbreite an Aufgaben in Forschung, Lehre, Hochschulverwaltung und Krankenversorgung. Dies ist ein Ergebnis einer Studie von Ada-Charlotte Regelmann, die am Beispiel der Universität Marburg bundesweit erstmals studentische Hilfskräfte sozialwissenschaftlich untersuchte.1

Ein achtseitiger Fragebogen wurde im Sommer 2004 an alle gut 750 studentischen Hilfskräfte an der Marburger Philipps-Universität geschickt. Ein Rücklauf von gut 20% der Fragebögen erlaubt der Studie, die im Marburger GEW-Büro für Hochschule und Forschung vorbereitet und betreut wurde, verlässliche Rückschlüsse zu Tätigkeiten, sozialer Zusammensetzung, Arbeitsbedingungen sowie Motivation und Zufriedenheit von studentischen Beschäftigten2 an der Marburger Universität. Auch wenn die Ergebnisse, bundesweit gesehen, einen Einzelfall beschreiben könnten, verdienen einige alarmierende Befunde doch überregionale Aufmerksamkeit und Überprüfung. Das gilt umso mehr, als sich die Literatur zu studentischen Beschäftigten bisher meist auf rechtliche und politische Fragestellungen beschränkt.3

Selektive Rekrutierung

In ihrer Zusammensetzung unterscheiden sich die studentischen Beschäftigten in Marburg in vielen Kategorien wie Altersverteilung, Geschlecht und Migrationshintergrund kaum vom Durchschnitt der Studierenden in Deutschland, wie ihn die 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks beschreibt.4 Das gilt jedoch nicht für ihren familiären Hintergrund und ihre Einkommenssituation.

Die studentischen Beschäftigten kommen zu einem großen Teil aus Akademikerhaushalten: Über 46% der Mütter und 66,1% der Väter haben Abitur oder einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss. Das sind bei den Müttern 7 und bei den Vätern 10,2 Prozentpunkte mehr als beim Durchschnitt der Marburger Studierenden.5 Dem höheren Bildungsniveau entsprechend hebt sich auch die Tätigkeit der Eltern von Hilfskräften vom Durchschnitt ab. So sind nur 3,9 Prozent ihrer Väter (Marburger Studierende: 14,3 Prozent) und 4,6 Prozent ihrer Mütter (im Vergleich zu 8,8 Prozent) als ArbeiterIn tätig. Kinder von ArbeiterInnen sind also unter den Marburger Hilfskräften deutlich unterrepräsentiert.

Die Analyse des Einkommens der studentischen Beschäftigten legt nahe, dass diese sich relativ weniger Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen müssen. Nur etwa 14% der studentischen Beschäftigten beziehen BAföG. Dagegen nehmen in Marburg gut 22% und bundesweit ca. 27% der Studierenden Leistungen nach dem BAföG in Anspruch. "Nur etwas mehr als ein Zehntel der studentischen Beschäftigten Marburgs gehört also zu der Gruppe der Studierenden, die laut DSW die geringsten Einkommen hat - zu den Studierenden, die elternabhängig BAföG bekommen", folgert Regelmann. Soziale Herkunft und Bildungshintergrund der studentischen Hilfskräfte legt nahe, dass sie in den Begriffen Pierre Bourdieus bereits vor Beginn ihrer Tätigkeit ein höheres ökonomisches und kulturelles Kapital besitzen als der Durchschnitt der Studierenden. Die weiteren Ergebnisse der Studie bieten hierfür zwei Erklärungsansätze.

Wie kommen eigentlich spätere studentische Hilfskräfte an ihren zukünftigen Job? In Marburg wurde fast die Hälfte der späteren Hilfskräfte durch ihre Professorin bzw. ihren Professor, also durch den zukünftigen Chef angesprochen, in den Geisteswissenschaften sogar zwei Drittel. Dazu kommen gut 20% studentischer Beschäftigter, die durch "Mundpropaganda" von einer offenen Stelle erfahren hatten. Nur 21,4% der studentischen Beschäftigten hatten sich auf eine ausgeschriebene Stelle beworben. Es kann deshalb vermutet werden, dass bei der persönlichen Werbung von Studierenden für Hilfskraftstellen deren Habitus als unausgesprochenes Auslesekriterium funktioniert. Die ausgleichend und objektivierend wirkenden Verfahren öffentlicher Ausschreibung, strukturierter Auswahlgespräche und eine Beteiligung der Personalvertretung bei Hilfskraftstellen spielen jedenfalls in Marburg keine große Rolle.

Eine zweite Erklärung für die soziale Schieflage bei der Besetzung von Hilfskraftstellen bieten die Arbeitsbedingungen, die oft nur für Studierende attraktiv sind, deren Lebensunterhalt schon anderweitig gesichert ist. Pointiert ausgedrückt: Studierende, die Geld für ihren Lebensunterhalt brauchen, können sich die Hilfskraftstellen oft nicht leisten.

Statt sicherer und planbarer Beschäftigung finden Hilfskräfte in Marburg meist Befristungsketten vor, die ihnen längerfristiges Planen erschweren und finanzielle Risiken aufbürden. Mehr als die Hälfte der Verträge läuft über maximal 4 Monate. Über 70 von hundert Befragten geben an, schon vorher an der Hochschule beschäftigt gewesen zu sein, davon fast 90% auf der gleichen Stelle. Von den für die Sozialerhebung befragten Marburger Studierenden arbeiten während der Vorlesungszeit 27,2% als studentische Hilfskraft. In den Semesterferien sind es mit 14,9% jedoch deutlich weniger. Ein Grund für die kurz befristeten Verträge scheint also zu sein, dass die Universität ihre Hilfskräfte über die Semesterferien oft in unbezahlten Urlaub mit ungewisser Wiederkehr schickt. Allerdings gibt es vor allem wegen der Einstellungspraxis in den Naturwissenschaften auch nennenswerte Anteile von Verträgen, die auf zwei bis drei Monate (18,8%), ein bis zwei (10,4%) oder bis zu einem Monat (2%) befristet sind. Auf die Wünsche der Hilfskräfte selbst scheinen die kurzen Vertragslaufzeiten jedenfalls nicht zurückzugehen. Gut zwei Drittel von ihnen geben an, nach Auslaufen ihres Vertrages weiter Hilfskraft bleiben zu wollen. Die Marburger Studie zeichnet ein typisches Bild von Hilfskräften, die in jeweils kurz befristeten Beschäftigungsverhältnissen und mit vielen Unterbrechungen ihrem Arbeitgeber längerfristig zur Verfügung stehen. So waren denn 2004 auch fast 40% der Hilfskräfte bereits in ihrem zweiten Beschäftigungsjahr, 25,5% waren bereits zwei Jahre zuvor (also im Jahr 2002), 14,4% drei Jahre und 4% sogar vier oder mehr Jahre zuvor erstmals als Hilfskraft beschäftigt gewesen.

Neben den kurzen Vertragslaufzeiten und oft sehr kurzfristigen Entscheidungen über Anschlussverträge, die periodisch größere Löcher in die Haushaltskasse zu reißen drohen, begrenzt der meist geringe Beschäftigungsumfang die Attraktivität von Hilfskraftstellen für Studierende, die auf Erwerbsarbeit angewiesen sind. Die monatliche Stundenzahl ist für 43% der studentischen Beschäftigten kleiner als 26 Stunden. Nur knapp 10% arbeiten mehr als 40 Stunden im Monat. Und auch diese führen bei einem Bruttostundenlohn von 8,02 Euro nur zu 320,8 Euro Monatsverdienst, wovon ein Lebensunterhalt kaum zu bestreiten ist. So gaben denn auch über 30% der Hilfskräfte an, nebenher zu jobben. 63% finanzieren sich "zum Teil" über ihre Hilfskraftstelle, nur 7,8% "zum großen Teil oder voll".

Für gut 90% der Marburger Hilfskräfte spielt der Verdienst aus ihrer Tätigkeit eine große oder sehr große Rolle. Damit stellt der Lohn in Marburg die wichtigste Motivation für die Aufnahme einer studentischen Beschäftigung dar. Da die Zufriedenheit mit der Bezahlung jedoch mit 63% nur auf dem vorletzten Platz der Zufriedenheitsskala rangiert, soll im folgenden der Lohn auch in seinem Spannungsverhältnis zu potentiellen immateriellen Vorteilen und Entgelten diskutiert werden.

Stundenlöhne zwischen 7 und 9 Euro sind bei Marburger Studierenden nach der 17. Sozialerhebung mit 39% im Semester und 33,7% in der vorlesungsfreien Zeit am häufigsten. Sie stellen damit auch dank der Hilfskraftstellen den Scheitelpunkt einer in Richtung höherer Verdienste allerdings weit auslaufenden Normalverteilungskurve dar. Während im Semester 33% und in den Semesterferien 38,3% der jobbenden Studierenden mehr als 9 Euro netto verdienen, bekommen jeweils 28% weniger als 7 Euro. Im Bund wie in Marburg verdienen Studierende laut Sozialerhebung durchschnittlich etwa 10 Euro netto je Stunde.

Weiterbildung als Lohnersatz?

Der also selbst für das industriearme Marburg im Vergleich eher geringe Lohn für studentische Beschäftigte wird allgemein mit dem wissenschaftlichen Weiterbildungseffekt legitimiert, der mit dieser Tätigkeit verbunden sei. So sieht auch das Hessische Hochschulgesetz in Paragraf 87 (2) vor: "Studentische Hilfskräfte sollen in ihrem Studium soweit fortgeschritten sein, dass die ihnen übertragenen Arbeiten zugleich der eigenen wissenschaftlichen Weiterbildung dienen können". Für Marburg lässt sich überprüfen, in wie weit der Anspruch nach wissenschaftlicher Weiterbildung tatsächlich eingelöst wird.

Über 40% der studentischen Beschäftigten sind nach eigener Angabe vorrangig in der Forschung tätig und ca. 37% in der Lehre. 21% üben vor allem Verwaltungstätigkeiten aus oder übernehmen Aufsichten bzw. Überwachungen. Diese 21% werden durch ihre Arbeit wohl kaum wissenschaftliche Weiterbildung erfahren. Studentische Beschäftigte, die vorwiegend nichtwissenschaftliche Tätigkeiten ausführen, sind nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte keine studentischen Hilfskräfte im Sinne des Gesetzes und seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes auch nicht wie diese aus dem Geltungsbereich des BAT ausgenommen. Damit haben sie oft einen Anspruch auf bessere tarifliche Bezahlung. Ihn für Gewerkschaftsmitglieder durchzusetzen ist eine klassische Aufgabe des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes.

Wie ist es um die wissenschaftliche Weiterbildung für die "echten" Hilfskräfte bestellt? Die von den studentischen Beschäftigten genannten Tätigkeiten sind, wie angedeutet und im Anhang der Marburger Studie ausführlich nachzulesen, sehr weit gefächert, so dass generalisierende Aussagen schwierig sind.

Allerdings wurden die studentischen Beschäftigten in Marburg auch zum Stellenwert der wissenschaftlichen Arbeit für ihre Motivation und Zufriedenheit befragt. Der erstaunliche Befund: Weder zählt diese zu den wichtigsten Gründen für die Übernahme einer Hilfskraftstelle noch sind die Hilfskräfte mit den gebotenen Möglichkeiten dazu besonders zufrieden. Für 43,5% von ihnen ist die Möglichkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten "nicht besonders wichtig" bis "unwichtig" bzw. irrelevant. Mit der Möglichkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten war nur etwa die Hälfte der Befragten zufrieden. Damit erreichte die Möglichkeit des wissenschaftlichen Arbeitens unter den abgefragten Items die geringste Zufriedenheitsquote. Sowohl die Motivation als auch die Zufriedenheit betreffend rangiert der wissenschaftliche Weiterbildungseffekt damit u.a. deutlich hinter der Vermittlung von anderen Fertigkeiten. Wissenschaftliche Weiterbildung spielt also nur bei der Hälfte der Marburger Hilfskraftstellen eine mehr oder weniger große Rolle und kann schon deshalb prekäre Beschäftigung und schlechte Bezahlung nicht legitimieren.

Qualifizierungsmotive

Während wissenschaftliche Qualifikation ein Alleinstellungsmerkmal studentischer Beschäftigung an wissenschaftlichen Einrichtungen ist, ordnet sich die durch sie zu erwerbende berufliche Qualifikation in einen weiteren Rahmen ein. Schlüsselqualifikationen und Fertigkeiten, die für das Berufsleben qualifizieren, soll nicht zuletzt das Studium vermitteln. Und neben Hilfskraftstellen treten Studentenjobs und Praktika bei Unternehmen und Institutionen als mögliche Vermittler beruflicher Erfahrungen und Qualifikationen.

Solche erwarten in Form vermittelter Fertigkeiten 81,2% der in Marburg Befragten von ihrer Hilfskraftstelle. Damit stellen sie nach dem Lohn die zweitwichtigste Motivation für Hilfskräfte dar. Auf Platz drei folgt die verwandte Erwartung, dass sich die Tätigkeit als Hilfskraft positiv auf den Lebenslauf auswirken werde, die für 67% der Hilfskräfte eine große Rolle spielt.

Die Wichtigkeit, die studentische Hilfskräfte der zu gewinnenden Berufserfahrung zumessen, ist auch als Reaktion auf die Entwertung beruflicher Qualifikation in Folge der Massenarbeitslosigkeit zu sehen. Um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen, so das Kalkül, ist nicht die absolute Qualifikation, sondern die Qualifikation im Vergleich zu den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern um eine Stelle entscheidend. Haben diese etwa Praktika vorzuweisen, ist es nützlich, mindestens dasselbe in die eigene Bewerbung schreiben zu können. Die Folge ist ein Qualifizierungswettlauf, eine Qualifizierungsspirale, die sich potentiell bis zum Lebensende dreht. Entscheidend für die Durchsetzung dieser Logik und des damit einhergehenden Qualifizierungsdrucks ist neben der realen Lage auf dem Arbeitsmarkt, die für Akademikerinnen und Akademiker immer noch vergleichsweise gut ist, sicher der vorherrschende neoliberale Diskurs in Politik und Medien, der hier und da Züge von Panikmache annimmt und der als Lösungen für das kollektive Problem der Arbeitslosigkeit nur individuelle Anpassung an die Wünsche der Arbeitgeber kennt: ständige Qualifizierung und (Lohn-) Verzicht.

Wie auch immer er zustande kommt: Der Qualifizierungseifer der jungen Generation wird oft genug von Firmen ausgenutzt: Praktika erweisen sich nicht als strukturierte Lernprogramme, sondern schlicht als Arbeit ohne oder mit geringem Lohn. Die berufliche Qualifikation fällt nur als Brosamen, als zufälliges Nebenprodukt schlecht oder nicht entlohnter beruflicher Tätigkeit ab.6 An die Stelle von Lohn tritt die Hoffnung, mit einem guten Arbeitsplatz später für die Mühen der Qualifizierung entlohnt zu werden. Statt Qualifikation für sie zu vermitteln, ersetzen und vernichten Praktika in manchen Branchen begehrte Arbeitsplätze.

Bei Marburger Hilfskräften reicht die Zufriedenheit mit den vermittelten Fertigkeiten nicht an die Erwartungen heran. Allerdings sind angesichts der allgemeinen Lage immer noch 70% von ihnen damit zufrieden, was in der Rangfolge der Zufriedenheit einem Mittelplatz entspricht. Es zeigt sich aber, dass die Universität Marburg bereits an der Vermittlung von Fertigkeiten spart. So wurde dort die hochschuldidaktische Ausbildung von Tutorinnen und Tutoren Ende 2003 abgeschafft.

Die Länder bzw. Hochschulen als Arbeitgeber von studentischen Beschäftigten profitieren vom Qualifizierungswettlauf und der Entsolidarisierung der Studierenden. Sie können vielerorts prekäre Beschäftigung anbieten, Qualifizierungsmöglichkeiten studentischer Beschäftigter einschränken und Löhne nicht erhöhen oder gar kürzen.

Die tatsächlichen oder "gefühlten" Vorteile studentischer Beschäftigung gewinnen besonders vor dem Hintergrund der sozialen Auswahl Bedeutung. Wenn sich die Erwartung der Hilfskräfte bewahrheiten sollte, dass ihre Tätigkeit sie für das Berufsleben qualifiziert, ihnen über den Lebenslauf und Kontakte zu "wichtigen Leuten" bessere Chancen im Berufsleben öffnet, geht es mit der Verteilung von Hilfskraftstellen auch um die Verteilung von Chancen. Lebenschancen sollten nicht freihändig vergeben werden. Für den Bereich der Wissenschaft beginnt mit der Auswahl der Hilfskräfte zudem die Selbstrekrutierung. Nach der Erwartung der Befragten jedenfalls sind Hilfskraftstellen auch ein Einstieg in die Wissenschaft. Immerhin 37,4% der befragten Hilfskräfte möchten mit ihrer Arbeit die Aussichten auf eine spätere Universitätskarriere verbessern, was angesichts des Hochschularbeitsmarktes bemerkenswert ist.

Information über eigene Rechte

Die Marburger Hilfskräfte fühlten sich überwiegend nicht über ihre Arbeitsbedingungen und Rechte informiert und ließen in ihrem Antwortverhalten entsprechend einige Wissenslücken erkennen. So war z.B. eine studentische Beschäftigte damit unzufrieden, dass es "kein ‚Krankengeld’" gebe und "Stunden […] nachgearbeitet werden [müssen], wenn man krank war". Hochschulen, die ihre Hilfskräfte wie die Marburger Universität nicht systematisch über ihre gesetzlichen Rechte, etwa Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, informieren, setzen sich dem Verdacht aus, Hilfskräfte vor allem als möglichst billige Arbeitskräfte einsetzen zu wollen und ihre Situation als Berufseinsteiger auszunutzen.

Die Marburger Studie bestätigt einerseits Probleme wie kurze Vertragslaufzeiten, Kettenverträge und Ausgrenzung aus Personalvertretung und Tarifvertrag, über die auch von anderen Hochschulen berichtet wird. Bei einigen Ergebnissen könnte es sich um Marburger Besonderheiten handeln. So bezahlen andere Hochschulen studentische Beschäftigte, die nichtwissenschaftliche Tätigkeiten übernehmen, selbstverständlich nach Tarif. Spannend wäre es zu klären, ob die herausgearbeitete soziale Selektion bei der Stellenbesetzung ein allgemeines Phänomen ist und ob es etwa an Fachhochschulen oder im Osten der Republik eigene Besonderheiten und Probleme gibt. Erste Antworten zur Frage der sozialen Zusammensetzung und ihrer Ursachen könnte ein Vergleich mit einer der tarifgebundenen Berliner Hochschulen liefern. Auch eine entsprechende Auswertung der Daten der Sozialerhebung könnte aufschlussreich sein.

Was bedeuten die Ergebnisse der Marburger Studie für die Arbeit von Gewerkschaften, Studierendenvertretung und Hilfskräfte-Initiativen? Gemeinsam mit studentischen Beschäftigten und Hochschulen sollten vor Ort Lösungen für die dort lösbaren Probleme gefunden werden. Hier geht es um transparente Einstellungsverfahren, um Mindestvertragslaufzeiten, um bessere Information, um verbesserte Qualifikationsmöglichkeiten und darum, eine Verdrängung von Hilfskraftstellen durch Ein-Euro-Jobs zu verhindern.

Daneben gilt es, Rahmenbedingungen zu verändern, die Hilfskräfte bisher gegenüber anderen Beschäftigten schlechter stellen. Eine Personalvertretung auch für Hilfskräfte könnte dem Informationsbedarf gerecht werden, die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zu Gunsten der Beschäftigten überwachen und durchsetzen sowie objektivierend auf Auswahlprozesse wirken. Hierfür wäre auf Landesebene die Änderung von vielen Landespersonalvertretungsgesetzen nötig, die Hilfskräfte derzeit zumeist von ihrem Geltungsbereich oder etwa über Mindestbeschäftigungszeiten oder -umfänge vom aktiven und/oder passiven Wahlrecht ausschließen. In Frage käme auch eine eigene Personalvertretung für studentische Beschäftigte, die es in Berlin bereits gibt.

Hilfskräfte gehören derzeit mit Lektoren und Lehrbeauftragten zu den Beschäftigten an den Hochschulen, die § 3 g des BAT von dessen Geltung, also von Leistungen und Schutz des Tarifvertrags ausschließt.

Deshalb gelten für studentische Beschäftigte z.B. hinsichtlich Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall außerhalb Berlins nur die gesetzlichen Mindeststandards. Daneben fehlen tarifliche Leistungen wie Urlaubsgeld, Zuschläge für Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit oder Mindestvertragslaufzeiten.

Zur Durchsetzung tarifvertraglicher Regelungen für Hilfskräfte hat sich 2002 eine bundesweite Tarifvertragsinitiative7 gegründet, die von den Gewerkschaften GEW und ver.di unterstützt wird. Mit einem Tarifvertrag könnte u.a. der Stagnation der Löhne abgeholfen, könnten Mindestbeschäftigungszeiten und -stundenumfänge vereinbart und Qualifizierung erleichtert werden. Wichtig ist, dass die von den Studierenden geschätzte Vereinbarkeit von Hilfskraftstelle und Studium erhalten bleibt. Die Lohnentwicklung bei Hilfskräften verdeutlicht die Attraktivität, die ein Tarifvertrag für Hilfskräfte entfaltet.

Entlohnung

Nach einem Jahrzehnt von Nullrunden und verweigertem Inflationsausgleich für Hilfskräfte haben einige Länder im Jahr 2004 deren Löhne um bis zu 8,4% herabgesetzt. Aufgrund der fehlenden Tarifbindung außerhalb Berlins können die Länder Löhne und Arbeitsbedingungen einseitig festlegen. Hilfskräfte haben nur die Wahl, die angebotenen Arbeitsbedingungen und damit den angebotenen Job zu akzeptieren oder nicht.

Im Jahr 1986 hatten sich die Länder auf eine Richtlinie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder geeinigt, die einzig eine maximale Lohnhöhe für Hilfskräfte festlegt. Wurden diese Maximallöhne bis 1993 automatisch an die Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst angepasst, so haben die Länder diese Löhne trotz Inflation seitdem nicht ein einziges Mal angehoben. Während die Tariflöhne seit 1993 um mehr als 15% gestiegen sind, bezahlen die Länder studentischen Beschäftigten seitdem unverändert einen Stundenlohn von maximal 5,58 Euro an Fachhochschulen bzw. 8,02 Euro an Universitäten. Neuerdings nutzen einige Länder das Fehlen von festgelegten Mindestlöhnen. So senkten die Länder Hamburg, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg im Jahr 2004 die Löhne der studentischen Beschäftigten um bis zu 8,4%. Hintergrund ist eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst einiger Länder auf bis zu 42 Stunden, die faktisch eine Senkung des Entgelts pro Arbeitsstunde bedeutet. Die studentischen Beschäftigten nahmen damit zum ersten Mal seit zehn Jahren an der - nun erstmals

negativen - Lohnentwicklung teil.

Bei gescheiterten Tarifverhandlungen für Hilfskräfte Anfang der 1990er Jahre sowie bei den ersten Forderungen der Tarifvertragsinitiative stand der Berliner Tarifvertrag für studentische Beschäftigte Pate. In Berlin haben die studentischen Beschäftigten Anfang der 1980er Jahre gemeinsam mit den Gewerkschaften ÖTV und GEW einen eigenen Tarifvertrag erkämpft, den sie bis heute verteidigen.8 Dort erhalten studentische Beschäftigte seit dem Jahr 2003 einheitlich 10,98 Euro je Stunde. Sie haben darüber hinaus an den BAT angelehnten Anspruch auf Wochenendzuschlag, Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Allerdings wird der BAT derzeit durch einen neu gestalteten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TV ÖD) ersetzt, der für den Bereich von Bund und kommunalen Arbeitgebern zum 1. Oktober 2005 in Kraft treten soll. Wenn auch die Länder an den Verhandlungstisch zurückkehren, können tarifliche Regelungen für die Wissenschaft9 vereinbart werden, die studentische Beschäftigte einbeziehen. Ihre entsprechende Forderung hat die GEW erst im April auf ihrem Gewerkschaftstag bekräftigt. Zur Durchsetzung von Tarifvertrag und Personalvertretung müssen sich die studentischen Beschäftigten allerdings selbst engagiert einbringen - nicht zuletzt in den Gewerkschaften.


Anmerkungen

1) Die ausführliche Auswertung wurde vom GEW-Hauptvorstand als Broschüre aufgelegt. Ada-Charlotte Regelmann: "Man muss es sich leisten können…" Eine empirische Studie zu studentischen Hilfskräften an der Philipps-Universität Marburg, Frankfurt 2005. Download: www.gew.de/Tarifpolitik.html Publikationen Studentische Hilfskräfte.

2) Da wissenschaftliche Hilfskräfte ohne Abschluss bzw. studentische Hilfskräfte längst nicht mehr nur Hilfstätigkeiten ausführen, wird auch der Begriff der studentischen Beschäftigten verwendet, der in Berlin bereits in Tarifverträge Eingang gefunden hat.

3) Siehe dazu zuletzt: Carmen Ludwig, Daniel Taprogge und Ansgar Warner: Von der Tagelöhnerin zur aufgeklärten Arbeitnehmerin; Forum Wissenschaft; Nr.1/2004, S. 44-46. Weitere Verweise auf ältere Literatur finden sich in: ÖTV und GEW: Handbuch für studentische Beschäftigte, wissenschaftliche Hilfskräfte, Doktorandinnen und Doktoranden, Berlin/Frankfurt a.M./ Stuttgart 1987, und Hans-Dieter Wolf: Hilfskräfte an Hochschulen. Zu erwartende Veränderungen kommentieren, Forum Wissenschaft 3/1994, S. 40-43.

4) Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2003. 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System, hg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn 2004, Internet:www.sozialerhebung.de

5) In der Auswertung der Studie konnten die Zahlen für das Studentenwerk Marburg im Rahmen der Grundauszählung zur 17. Sozialerhebung, Auszählungsreihe Studentenwerke, noch nicht herangezogen werden.

6) Beispiele, Nachweise und Beratung unterwww.students-at-work.de/praktika

7) Weitere Informationen: www.tarifini.de

8) Siehe u.a.: Matthias Jähne: Studentische Beschäftigte sind mehr als Hilfskräfte. Über Berliner Erfahrungen mit Tutorien und einem Tarifvertrag, Hochschule Ost, Nr. 3-4/2000, S. 81-92. Der derzeit gültige Tarifvertrag ist zu finden über www.gew-berlin.de/1664.htm

9) Zur Ausgangslage siehe z.B. Anke Burkhard und Claudia Kleinwächter: Tarifrecht. In: Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Hamburg 2005, Abschnitt 8.3. Weitere und aktuelle Informationen zum Wissenschaftstarifvertrag:www.wissenschaft.gew.de arbeiten Beschäftigungsbedingungen.


Andreas Staets ist Historiker und arbeitet als Sekretär für Hochschule und Forschung bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen. Daneben beschäftigt er sich mit Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Hochschulforschung und -politik.

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