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Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise

15.02.2009: Ursachen und Schlussfolgerungen

  
 

Forum Wissenschaft 1/2009; Foto: Manfred Vollmer

Was haben sich WirtschaftsjournalistInnen alles an verbalen Leerverkäufen abgerungen über das Desaster, das ihr Erstaunen erregte - im Spätsommer vergangenen Jahres, reichlich spät also; Tenor: Die gemeine menschliche Gier war's, weg also mit den Boni für Bankchefs. Kai Eicker-Wolf und Markus Hofmann blicken weiter zurück, auf ökonomische und wirtschaftspolitische Strukturen und nach vorn: auf künftige Krisen-Risiken.

Die aktuelle Finanzkrise hat sich seit ihrem Ausbruch im vergangenen Jahr zum größten ökonomischen Desaster seit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre entwickelt. Ihr Ausgangspunkt liegt in den USA. Aufgrund des weltweiten Handels spezifischer Wertpapiere und wegen der engen Vernetzung des Weltfinanzsystems hat die Krise die ganze Welt erfasst. In der nächsten Zeit wird es in vielen Ländern zu einem drastischen Konjunktureinbruch kommen; in den USA ist dies schon der Fall. Die internationale Finanzmarktkrise und ihre Folgen sind keine zufälligen Ereignisse. Ihnen liegen vielmehr Ursachen zu Grunde, die auf ein Politikversagen hinweisen. Aus diesen Ursachen können Schlussfolgerungen gezogen werden, um solche Krisen künftig zu verhindern. Das setzt aber den Willen zu starken Regulierungen des internationalen Finanzmarktgeschehens voraus.

Vor-Gänge: Immobilien-Boom

Der Immobilien-Boom in den USA begann in den späten 1990er Jahren und hat insbesondere ab dem Jahr 2003 an Fahrt aufgenommen.1 Die Hypothekenzinsen sanken Anfang der 1990er Jahre auf einstellige Werte, Kredite zur Finanzierung eines Hauskaufs waren zu immer günstigeren Konditionen erhältlich. Zudem stiegen die Häuserpreise kontinuierlich an, so dass der kreditfinanzierte Erwerb einer Immobilie als sichere Investition anzusehen war: Da sich der Preis eines durchschnittlichen Eigenheims schon in der Vergangenheit permanent erhöht hatte, waren auch in Zukunft weitere Wertsteigerungen zu erwarten. Der Kauf eines Hauses erschien, selbst wenn er zu 100 Prozent fremdfinanziert war, aus Sicht der KäuferInnen als lukratives und risikoloses Geschäft. Aufgrund der starken Nachfrage nach Häusern zog auch die Bautätigkeit deutlich an.

Einen wesentlichen Beitrag zum Immobilien-Boom leisteten die US-Banken durch ihre sehr freigiebige Kreditvergabepraxis. Sie boten Kredite zu verschiedenen Konditionen an; besonders beliebt waren Kredite mit variabler Verzinsung (engl. Adjustable Rate Mortgage, kurz ARM): Im Falle von ARM werden die Zinssätze jeweils nach einer bestimmten Frist an einen festgelegten Geld- oder Kapitalmarktzins angepasst. Da die Immobilienpreise laufend stiegen, sahen auch die Kreditinstitute Immobilienkredite als verlockende und sichere Geschäfte an - die mit den Krediten erworbenen Häuser schienen ausreichend Sicherheit zu bieten. Vergeben wurden auch in immer größerem Umfang Kredite im Subprime-Segment, das heißt an Haushalte, die eigentlich kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen als Sicherheit für einen Kredit vorweisen konnten.

Banken erzielen ihren Gewinn vor allem durch die bei ihren Geschäften anfallenden Gebühren. Die Möglichkeit, Kredite zu vergeben, ist für jede Bank durch ihr Eigenkapital begrenzt, also durch jene Mittel, die die Eigentümer in ein Unternehmen einbringen. Um diese Beschränkung zu umgehen, verkauften die Geschäftsbanken ihre Kredite an Investmentbanken, die aus diesen Krediten durch Verbriefungen marktfähige Anlagen machten. Verbriefungen (engl. Securitization) sind Wertpapiere, die auf Forderungen und Eigentumsrechten basieren und gehandelt werden können. Eine Verbriefung, die als Wertpapier eine Vielzahl von Hypothekenkrediten als Basis hat, firmiert unter dem Namen Mortgage Backed Securities (MBS). Im Rahmen der aktuellen Finanzkrise spielt eine besondere Form der Verbriefung von Hypothekenkrediten, die so genannten Collateralized Debt Obligations (kurz CDO), eine wesentliche Rolle.2 CDOs ermöglichen es, auf der Grundlage eines Bündels gut und schlecht besicherter Kredite mittels Strukturierung Wertpapiere bester Bonität zu machen. Dabei wird eine größere Anzahl von Krediten in drei Teile zerlegt: Der erste Teil, die Equity-Tranche, erzielt den höchsten Zinsertrag. Kommt es zu Zahlungsausfällen im Kredit-Bündel, sind hiervon zunächst die Besitzer der Equity-Tranche betroffen. Einen geringeren Zinsertrag erhalten die Besitzer des zweiten Teils, der Mezzanine-Tranche, die erst dann Ausfälle tragen müssen, wenn die Verluste bzw. Ausfälle über das Volumen der Equity-Tranchen hinausgehen. Den geringsten Zins im Wertpapier-Bündel erhalten schließlich die Senior-Tranchen, die allerdings auch erst nach den Equity- und Mezzanine-Tranchen Verluste übernehmen müssen. Durch die beschriebene Strukturierung wurde aus einem Teil der Subprime-Kredite, nämlich in Form von Equity-Tranchen und Mezzanine-Tranchen, eine vermeintlich sichere Geldanlage, welche die Rating-Agenturen entsprechend gut bewerteten.

Die Verbriefung, den Kauf und Verkauf der MBSs und CDOs, aber auch anderer forderungsbesicherter handelbarer Wertpapiere (engl. Asset Backed Securities, kurz ABS), wickelten häufig Zweckgesellschaften ab (engl. Special Purpose Vehicles, kurz SPV). SPVs gehören Banken oder anderen Finanzinstitutionen und operieren außerhalb der Bilanzen, d.h. sie unterliegen keinen Eigenkapitalvorschriften und - genau wie Hedgefonds, die auch im Verbriefungsgeschäft aktiv sind - keinen bankenrechtlichen Regulierungen.

Die Subprime-Krise brach zu Beginn des Jahres 2007 aus. Im Februar 2007 berichteten Zeitungen in den USA, immer mehr Hypothekenkreditinstitute verzeichneten steigende Kreditausfälle. Aufgrund des Baubooms war es zu einem Anstieg des Immobilienangebots gekommen und die Erhöhung der Leitzinsen durch die US-Notenbank zwischen Juni 2004 und Juni 2005, in mehreren kleinen Schritten von 1% auf 5,25%, hatte die Zinsen von Hypothekenkrediten mit variabler Verzinsung steigen lassen und zu Zahlungsausfällen geführt. Die Bautätigkeit in den USA stürzte regelrecht ab, und im Laufe der Jahre 2007 und 2008 hat sich die Krise immer weiter zugespitzt. Allein bis zum Sommer 2008 haben Finanzinstitutionen nach Angaben des IWF Abschreibungen in Höhe von 500 Milliarden Dollar vornehmen müssen. Sowohl im vergangenen als auch im laufenden Jahr ist es in den USA, aber auch in anderen Ländern, immer wieder zu Problemen bei einzelnen Banken und infolge dessen zu Übernahmen und Stützungsaktionen durch die öffentliche Hand gekommen. Außerdem nahm die Bereitschaft der Banken ab, sich gegenseitig Geld zu leihen, was erstmals im Sommer des vergangenen Jahres einen erheblichen Liquiditätsmangel am Interbankenmarkt zur Folge hatte (zwischenzeitlich ist der Interbankenhandel vollständig ausgetrocknet). In den USA wurden die fünf größten Investmentbanken von anderen Institutionen übernommen (Bear Stearns, Merrill Lynch), gingen pleite (Lehman Brothers) bzw. wandelten sich in Geschäftsbanken um (Morgan Stanley, Goldman Sachs). Die Aktienmärkte brachen weltweit mehrmals ein; außerdem waren starke Wechselkursausschläge (vor allem beim Yen) als mittelbare Folge der Krise zu verzeichnen. Im Herbst 2008 mündete die Subprime-Krise nach der Lehman-Pleite schließlich in eine weltweite Systemkrise. Die Zentralbanken reagierten auf die Austrocknung des Interbankenmarktes mit einer massiven Bereitstellung von Liquidität; zudem wurden die Leitzinsen gesenkt - wobei die Europäische Zentralbank in offensichtlich völliger Verkennung der Lage noch im Juli 2008 die Leitzinsen erhöht hatte, um sie dann Anfang Oktober in einer konzertierten Aktion mit anderen Zentralbanken zu verringern. Im Herbst 2008 schließlich stellten zahlreiche Länder Rettungspakete in Höhe von zum Teil mehreren hundert Milliarden Euro zur Verfügung. Dies diente der Bereitstellung zusätzlichen Eigenkapitals für den Bankensektor, dem Aufkauf fauler Wertpapiere und der Absicherung neu entwickelter Finanzierungsinstrumente.

Finanzkrisen-Strukturen

Als Ursache für die internationale Finanzmarktkrise lassen sich fünf Punkte benennen:3 (1) Die Liberalisierung des internationalen Finanzsystems und neue Finanzmarktakteure, (2) Instabilität statt Gleichgewicht, (3) die Verbriefung von Forderungen, (4) das Agieren der Rating-Agenturen und (5) die Intransparenz der Finanzinnovationen. Auf diese Punkte und auf die daraus abzuleitenden Reformschritte gehen wir nun absatzweise ein.

(1) Zunächst einmal muss man sich vergegenwärtigen, dass sich das internationale Finanzsystem im Vergleich etwa zu den ersten beiden Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg durch einen relativen freien internationalen Kapitalverkehr auszeichnet, der den weltweiten Handel von allen möglichen Finanzmarktprodukten und weltweite Kreditketten überhaupt erst entstehen ließ, und dass sehr viele Länder nach dem Zusammenbruch des Festkurssystems von Bretton Woods im Jahr 1973 ihre Wechselkurse frei schwanken lassen.

(2) Die gegenwärtigen Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten beruhen, wenn die handelnden Akteure und ihre Motivation in den Fokus genommen werden, ganz offensichtlich darauf, dass die Erwartungsbildung der handelnden Personen einen prozyklischen Charakter aufweist. In Zeiten steigender Vermögenswertpreise gehen Investoren immer riskantere, häufig kreditfinanzierte Geschäfte ein, und in Zeiten fallender Vermögenswerte werden Kredite beschnitten und Vermögenswerte wie Aktien oder Immobilien verkauft, was den Preisverfall weiter anheizt. Der 1996 verstorbene amerikanische Ökonom Hyman P. Minsky, der die Mainstream-Ökonomie und ihre Methodik ablehnt und mit seinen Arbeiten in der Tradition von John Maynard Keynes steht, hat die Bedeutung und Gefahr kreditfinanzierter Investitions- und Spekulationsprozesse herausgearbeitet: Im Rahmen längerfristig positiver wirtschaftlicher Entwicklungen, so Minsky, werden Vermögenswerte in steigendem Maße spekulativ und durch Kredite finanziert, wodurch die Gefahr von Dominoeffekten aufgrund reißender Kreditketten im Falle eines wirtschaftlichen Einbruchs steigt.4

(3) Neben der unangebrachten Markteuphorie in Bezug auf einen möglichst freien und unregulierten Finanzsektor stellen die exzessive Verbriefungspraxis und der Handel mit Krediten eine zweite wesentliche Ursache für den kreditgetriebenen Immobilienboom in den USA dar. Mittels Verbriefung verschwinden Kredite aus den Bilanzen des ursprünglichen Kreditgebers und ermöglichen so eine neue Kreditvergabe. Die Möglichkeit der Verbriefung schafft den Anreiz, das Kreditvolumen auszudehnen, denn je mehr Kredite vergeben werden, desto höher sind die Gebühreneinnahmen. Die Verbriefung von Forderungen erfolgt, wie oben erläutert, häufig durch aus der Bilanz ausgelagerte Zweckgesellschaften der Banken.

(4) Als problematisch muss ferner das Agieren der großen Rating-Agenturen im Zuge des Booms gewertet werden. Zum einen ist zu unterstellen, dass die Objektivität der Rating-Agenturen nicht besonders hoch ausfällt, denn Rating-Agenturen werden von denjenigen bezahlt, deren Produkte sie bewerten - d.h. konkret etwa von Banken bzw. Zweckgesellschaften, die die Wertpapiere emittieren. Außerdem fallen auch Ratings prozyklisch aus: Im Zuge eines Booms neigen Rating-Agenturen dazu, auch riskante Produkte gut zu bewerten.

(5) Schließlich sind Finanzinnovationen wie die durch Verbriefungen entstandenen hypothekarisch besicherten Anleihen häufig alles andere als transparent: Aufgrund ihrer hohen Komplexität muss man sie im Grunde als inhärent intransparent bezeichnen. Diese Intransparenz drückt sich jenseits der technischen Ausgestaltung der Verbriefung schon darin aus, dass ein Investor, der US-amerikanische Verbriefungen erwirbt, nicht in der Lage ist, die Bonität Tausender von Hypotheken etwa in Kalifornien einzuschätzen.

Cash, Crash, Krise

Aus den aufgeführten Gründen für die internationale Finanzmarktkrise lassen sich sinnvolle Reformmaßnahmen für das internationale Finanzsystem ableiten. Z.B. sollten hoch komplexe Finanzprodukte wie CDOs grundsätzlich verboten werden, da eine Risikoabschätzung solcher Instrumente offensichtlich nicht möglich ist. Zudem sollte die Praxis der Kreditverbriefung stark eingeschränkt werden - etwa dadurch, dass der Urheber von Verbriefungen immer einen Teil der Verbriefungen selbst behalten muss (so genannter Selbstbehalt). Dadurch würde exzessiven Kreditvergaben der Boden entzogen. Ferner wäre es sinnvoll, Banken grundsätzlich zu untersagen, Zweckgesellschaften zu gründen, die außerhalb der Bankbilanzen operieren. Rating-Agenturen sollten staatlich überwacht werden und ihre Ratings im Auftrag des Käufers von Finanzprodukten erbringen müssen. Schließlich sollte der internationale Kapitalverkehr reguliert werden bzw. gegebenenfalls auf Kapitalverkehrsregulierungen zurückgegriffen werden, um abrupte oder auch unerwünschte Kapitalflüsse zu unterbinden.5

Zwar haben sich die wirtschaftlich führenden Staaten im November 2008 im Rahmen einer Konferenz in Washington grundsätzlich auf eine strengere Kontrolle des internationalen Finanzsystems geeinigt. Konkrete Maßnahmen sollen aber erst in der nächsten Zeit beschlossen werden. Deshalb ist eine abschließende Bewertung des in Washington beschlossenen Aktionsplanes nicht möglich. Es zeichnet sich aber schon jetzt ab, dass durchgreifende Reformschritte wie die hier angesprochenen weitestgehend ausbleiben werden.

Aufgrund des Übergreifens der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft wurden und werden weltweit milliardenschwere Konjunkturprogramme beschlossen und umgesetzt, die genau wie die Rettungspakete für den Finanzsektor ohne Alternative sind. Die Bundesregierung hat bekanntlich zwei Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht, deren Umfang aber deutlich zu klein ist - das erste beschlossene Konjunkturpaket hat höchstens homöopathischen Charakter,6 und auch das Konjunkturpaket II ist mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro, die sich auf zwei Jahre verteilen, zu klein dimensioniert.7 Zudem setzen fast alle Maßnahmen des Konjunkturpakets II relativ spät ein, und der geringe Anteil der Investitionen sowie der vergleichsweise hohe Anteil von Steuer- und Abgabensenkungen erzeugen einen nur moderaten Wachstumsimpuls, wodurch eine vergleichsweise geringe Beschäftigungswirkung erzielt wird. Dies ist problematisch, da sich die Kreditverknappung der Banken zu einer Kreditklemme zu entwickeln droht und weil die deutsche Konjunktur wesentlich von der Auslandsnachfrage abhängt, während von der Binnennachfrage und vor allem vom Konsum der privaten Haushalte - insbesondere aufgrund der in der jüngeren Vergangenheit schwachen Einkommensentwicklung und des stark gewachsenen Niedriglohnsektors - trotz Beschäftigungsanstiegs keine Impulse ausgingen. Die USA fungierten in den letzten Jahren als weltweite Konjunkturlokomotive; ihr hohes Leistungsbilanzdefizit bildete aus globaler Perspektive im Wesentlichen die Gegenposition zu den Leistungsbilanzüberschüssen von Staaten wie Deutschland. Da sich die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren und Dienstleistungen deutlich schwächer entwickeln wird als in den vergangenen Jahren und auch die Investitionen einbrechen, sollte die deutsche Finanzpolitik die Konjunktur mit einem defizitfinanzierten Ausgabenprogramm in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr stützen - das entspricht rund 50 Milliarden Euro. Erhöht werden sollten vor allem Ausgaben in längerfristig wachstumsrelevanten Bereichen wie Bildung und öffentliche Infrastruktur sowie im Bereich der erneuerbaren Energien. Neben einem Konjunkturprogramm in adäquater Größe wäre ein gesetzlicher Mindestlohn die richtige Maßnahme, um Lohndumping zu unterbinden und die Kaufkraft der privaten Haushalte zu stabilisieren. Sinnvoll wäre auch die Erhöhung von Sozialtransfers wie des Arbeitslosengeldes II, da die Empfänger dieser Gelder eine sehr hohe Konsumquote aufweisen, zusätzliche Mittel daher komplett verausgaben würden. Da es einige Zeit dauert, bis höhere Ausgaben der öffentlichen Hand in den Bereichen Bildung und Infrastruktur nachfragewirksam werden, wäre auch die Ausgabe von Konsumgutscheinen sinnvoll, um auf diesem Wege schon kurzfristig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stützen.

Weiterhin Blasenbildung?

Die internationale Finanzmarktkrise und ihre Folgen sind der lange Zeit vorherrschenden Theorie geschuldet, wonach deregulierte Märkte sich selbst mit "unsichtbarer Hand" am besten regulieren und wirtschaftspolitische Eingriffe in sie Krisen erst verursachen.

Um geeignete längerfristige Konsequenzen aus dem gegenwärtigen ökonomischen Absturz ziehen zu können, ist die Krise in ihrer Gesamtgenese zu betrachten. Dabei hilft ein Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise und ihrer Entstehung in den 1920er Jahren. Zwar hat der frühere amerikanische Notenbankpräsident Alan Greenspan 2001 nach dem Zusammenbruch des New Economy-Booms ebenso wie der aktuelle, Ben Bernanke, richtig erkannt, dass eine große Rezession oder gar ein Kollaps der Weltwirtschaft wie 1929 mit hohen Beschäftigungs- und Wohlstandsverlusten nur durch eine ausreichende Liquiditätsversorgung der Geld- und Kapitalmärkte verhindert werden kann. Beide jedoch übersehen gleichzeitig die Ursachen des Zusammenbruchs: den vorherigen Boom.8 Auch in den Aufschwung-Jahren 1924 bis 1929, der so genannten "Coolidge Prosperity", dehnten sich Liquidität, Kredite und Hypotheken in den USA drastisch aus. Das Gleiche fand schon während des New Economy-Booms und findet jetzt im Anschluss an die Subprime-Krise erneut statt. Die Vermeidung einer ausgeprägten Rezession nach einem Platzen der Vermögensmarktblase ist nur mit der günstigen und ausreichenden Bereitstellung von Geld möglich. Das verhindert zwar einen wirtschaftlichen Kollaps, schafft aber zugleich die Bedingungen einer neuen Blasenbildung und damit einer weiteren Krise am Ende des Aufschwungs. Deren Ausmaß übertrifft gewöhnlich das der vorherigen. Ohne drastische Veränderungen der Funktionsweise - sprich: ohne Regulierung - der Finanzmärkte, ohne egalitärere Einkommensverhältnisse und ohne angemessenes Gewicht der öffentlichen Hand im Wirtschaftsgeschehen bleiben die Grundlagen für dramatische weltweite ökonomische Krisenprozesse erhalten.

Anmerkungen

1) Zum Verlauf der Krise vgl. ausführlich Wolfgang Köhler, Wall Street Panik. Banken außer Kontrolle, 1. Auflage, München 2008 und Lucas Zeise, Ende der Party. Die Explosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft, Köln 2008

2) Neben Hypothekenkrediten bildeten auch andere Kreditarten die Grundlage für CDOs (z.B. Konsumentenkredite und Kredite an Schwellenländer); vgl. Hansjörg Herr / Rainer Stachuletz, Deregulierung, Finanzmarktdesaster und Reformoptionen: Die Hoffnung stirbt zuletzt, in: Internationale Politik und Gesellschaft 3/2008: 13

3) Vgl. zu den Ursachen der Krise auch Herr / Stachuletz, a.a.O. und James Crotty, Structural Causes of the Global Financial Crisis: A Critical Assessment of the ,New Financial Architecture', Working Paper 2008-14, University of Massachusetts, Department of Economics, Amherst, www.umass.edu/economics/publications/2008-14.pdf

4) Vgl. Hyman P. Minsky, Stabilizing an unstable Economy, New Haven / London, Yale University Press, 1986 und ders., John Maynard Keynes, Marburg 1990

5) Zu diesen und weiteren sinnvollen Reformvorschlägen vgl. Herr / Stachuletz, a.a.O., S.20 ff., Zeise a.a.O., S.154 ff. und James Crotty / Gerald Epstein, Proposals for Effectively Regulating the U.S. Financial System to Avoid Yet Another Meltdown, Working Paper 2008-14, University of Massachusetts, Department of Economics, Amherst, www.umass.edu/economics/publications/2008-15.pdf

6) Zur Bewertung des (ersten) Konjunkturprogramms vgl. Achim Truger / Dieter Vesper, Öffentliche Haushalte 2008/2009: Spielräume für ein Konjunkturprogramm unzureichend genutzt, IMK Report 33/2008.

7) Zur Bewertung des Konjunkturpakets II vgl. ausführlich Gustav Horn/Peter Hohlfeld/Achim Truger/Rudolf Zwiener, Höheres Tempo erforderlich - zu den Wirkungen des Konjunkturpakets II, IMK Policy Brief Januar 2009.

8) Vgl. hierzu Michael Mah-Hui Lim, Old Wine in a New Bottle: Subprime Mortgage Crisis - Causes and Consequences, The Levy Economics Institue of Bard College, Working Paper No. 532, April 2008, www.levy.org/pubs/wp_532.pdf.


Dr. Kai Eicker-Wolf arbeitet in der Abteilung Wirtschafts- und Strukturpolitik beim DGB-Bezirk Hessen-Thüringen, Frankfurt. - Markus Hofmann studiert Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim, lebt in Stuttgart und absolviert derzeit ein Praktikum in der genannten Abteilung des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen.

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