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Klaus Holzkamp

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Stromer-Planungen

15.05.2008: Klima-Fehlsteuerung à la Energiewirtschaft

  
 

Forum Wissenschaft 2/2008; Manfred Vollmer

Anspruchsvolle klimapolitische Ziele hat sich die Bundesregierung aufgeschrieben. Die Energiekonzerne denken, planen und handeln anders; v.a. in Sachen fossiler Energie. Einige Instrumente - den Konzernen eigentlich der Klimasteuerung wegen angedient, aber allzu marktförmig ausgefallen - tun ein Übriges, ihnen auch das Profit-Handwerk leicht zu machen. Benjamin-Immanuel Hoff schaut ihnen auf die Finger.

Trotz zunehmend kürzerer Intervalle zwischen dem Auftreten größerer und kleinerer Koalitionskrisen hat sich die schwarz-rote Koalition im Bund auf der Kabinettsklausur in Meseberg auf ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm1 verständigt. Die Meseberger Beschlüsse konsolidieren die Grundsatzentscheidung der Bundesregierung, bis 2020 eine Minderung der deutschen Treibhausgasemissionen um 40% gegenüber 2020 zu erreichen. Die Erreichung des deutschen CO2-Reduktionsziels ist wiederum zwingende Voraussetzung für die Erreichung des europäischen Ziels der Treibhausgasminderung um 30% bis 2020.

Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm enthält knapp 30 konkrete Einzelmaßnahmen mit folgenden Schwerpunkten:

  • Ausbau des Anteils der Erneuerbaren Energien (Ausbauziel Strom 25-30% bis 2020, Wärmebedarf 14%) durch die Weiterführung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) und die Einführung eines Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes (EEWärmeG).
  • Novellierung des KWK-Gesetzes (Verdopplung des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung bis 2020 auf 25%).
  • Verbesserung der Energieeffizienz von neuen und sanierten Gebäuden, 2008 um 30%, bis 2012 nochmals um die gleiche Größenordnung, finanziell unterstützt durch das Gebäudesanierungsprogramm.
  • Nachdem der Bundeshaushalt für 2008 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde, stehen insgesamt 2,6 Milliarden Euro für Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung. Darin enthalten sind bis zu 400 Mio. Euro aus der Veräußerung von Emissionszertifikaten. Insgesamt sind die Klimaschutzausgaben um 1,8 Mrd. Euro im Verhältnis zum Bundeshaushalt 2005 angestiegen. Das entspricht einem Zuwachs von 200%.2 Parallel zu den deutschen und europäischen Klimaschutzzielen haben auch einzelne Bundesländer Vorgaben für die Treibhausgasreduzierung festgelegt. So will beispielsweise Berlin seine CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 25% senken.3

    Wirtschafts-Gegenplanung

    Diesen Klimaschutzmaßnahmen stehen die aktuellen Kraftwerksplanungen der großen Energieversorger entgegen. Dass ein erheblicher Teil der bestehenden Kraftwerke erneuert werden muss, steht außer Frage. Die Mehrzahl dieser Anlagen ist seit 40 Jahren aktiv und entspricht nicht mehr dem technischen Fortschritt. Greenpeace verweist darauf, dass fünf der klimaschädlichsten Kraftwerke in Deutschland stehen - vier davon werden allein von RWE verwaltet.4 Es spricht deshalb viel für eine Modernisierung des deutschen Kraftwerkparks, der nach Angaben der Energieversorger bis 2020 eine Kapazität von 40.000 Megawatt umfassen wird.

    So nachvollziehbar die Modernisierung der Kraftwerkskapazitäten ist, so zweifelhaft ist jedoch, ob mit dem "Erneuerungsprogramm" der Energieversorger in Deutschland die vereinbarten Ziele der Treibhausgasminderung und Energiewende erreicht werden. Denn ein kritischer Blick auf die Planungen zeigt eine sich öffnende Schere zwischen den Renditeerwartungen der Energieversorger und gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten. Die Kosten werden, wie in der Vergangenheit, der Umwelt sowie den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgebürdet.

    Bestehenden Planungen zufolge ist bis 2012 der Neubau von mindestens 25 Kohlekraftwerken mit einer Kapazität von 24.000 Megawatt geplant. Die Angaben über die Zahl der neu zu bauenden Kohlekraftwerke schwanken und waren Ende des vergangenen Jahres Gegenstand einer heftigen Kontroverse zwischen Bundesumweltminister Gabriel und Greenpeace. Greenpeace hatte eine Übersicht veröffentlicht, die auf Daten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (früher VdEW) und eigenen Greenpeace-Recherchen beruhte. In dieser Übersicht wurden 21 Steinkohle- und drei Braunkohlekraftwerke aufgeführt, die bis 2012 in Deutschland gebaut werden oder bis dahin in Bau befindlich sein sollen. Mit Stand vom November des vergangenen Jahres waren für sieben dieser Anlagen bereits Genehmigungen erteilt. Bei 13 Projekten ist das Genehmigungsverfahren eingeleitet und an vier Standorten laufen konkrete Planungen für neue Kohlekraftwerke. Gabriel griff Greenpeace für die Veröffentlichung der entsprechenden Studie scharf an und erklärte, dass allein neun Kraftwerke mit dem Energieträger Kohle geplant seien. Wie das Bundesumweltministerium auf die Zahl der neun Kraftwerke kommt und wie sich diese Position mit der Vielzahl von gegenläufigen Erkenntnissen verträgt, blieb bis heute ungeklärt.

    Eine eigene Untersuchung, die von der Berliner Umweltsenatorin Katrin Lompscher (DIE LINKE.) in Auftrag gegeben wurde, kommt in einem ersten Zwischenbericht5 auf eine höhere Zahl von geplanten Kraftwerken mit dem Energieträger Kohle (siehe Tabelle).

    Tabelle: Anzahl der geplanten oder in Bau befindlichen fossilen Kraftwerke

    Inbetriebnahmejahr
    Gesamter
    Zeitraum
    bis 2010 2011-2015 offen
    Erdgas 23 13 2 8
    Braunkohle 5 1 2 2
    Steinkohle 26 1 20 5
    Andere 1 1 0 0
    Summe 55 16 24 15

    Emissions-Ergebnisse

    Die Laufzeit der geplanten fossilen Kraftwerke ist auf 40 Jahre angelegt, und allein die 24 bis 31 neuen Kohlekraftwerke werden für den Ausstoß von zusätzlich mindestens 140 Mio. Tonnen CO2 verantwortlich sein. Diese Steigerung der klimaschädlichen Emissionen erschließt sich nicht sofort. Denn anzunehmen wäre, dass mit der Erneuerung des Kraftwerksparks technisch überholten Elektrizitätswerken moderne, klimaschonendere Stromerzeugung gegenübergestellt wird. Zumal für den Neubau von Kraftwerken im Gegenzug alte Kraftwerke vom Netz gehen sollen.

    Für die Steigerung der CO2-Emissionen gibt es im Wesentlichen drei Gründe:

  • Die neuen geplanten Kohlekraftwerke werden im Durchschnitt eine Leistung von 960 Megawatt umfassen. Sie sind damit erheblich größer als ihre Vorgänger.
  • Die gegenüber dem Energiebedarf überdimensionierten Kraftwerke sollen vor allem Strom für den Export produzieren - ein Blick auf die Strombörse in Leipzig verdeutlicht, welche ökonomische Bedeutung der Stromhandel für die Energieversorger hat. Allein im vergangenen Jahr wurden, Berichten der taz zufolge, für den innereuropäischen Handel 20 Milliarden Kilowattstunden von deutschen Kraftwerken produziert.6
  • Hinzu kommt ein umweltpolitisches Problem, für das der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) die knappe Begrifflichkeit "Stilllegungslüge" entwickelt hat. Wie bereits bei der Debatte um den Atomausstieg zu beobachten, planen die Energieversorger, wesentlich weniger Kraftwerke als erforderlich abzuschalten. Die ökonomischen Vorteile liegen auf der Hand. Die Alt-Kraftwerke sind wirtschaftlich abgeschrieben und produzieren dadurch Gewinne für die Energieversorger. Es rechnet sich also für die "großen Vier" (E.ON, Vattenfall, RWE, EnBW), die ineffizienten und klimaschädlichen Kraftwerke weiterlaufen zu lassen. Dem Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) zufolge stehen den geplanten mindestens 24.000 Megawatt nur rund 7.000 Megawatt stillgelegte Kapazität gegenüber.
  • Den Widerspruch zwischen den CO2-Reduktionszielen Deutschlands und der dramatischen Steigerung beim Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases haben auch die Energieversorger erkannt. Aus diesem Grunde versuchen die Kraftwerksbetreiber seit geraumer Zeit, den Neubau von Braun- und Steinkohlekraftwerken mit dem Verweis auf die vermeintliche Chance eines künftig "CO2-freien Kraftwerks" zu legitimieren.7 Mittels der Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid - der technische Begriff lautet "Carbon Capture and Storage" (CCS)-Technologie - soll der CO2-Ausstoß in die Umwelt gestoppt und der Kritik von Klimaschützern der Boden entzogen werden.

    Eigens zu diesem Zweck haben Alstom Power, EnBW, E.ON, Hitachi Power Europe, RWE Power, Siemens Power Generation und Vattenfall Europe das "Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk e.V."8 gegründet. Nach Aussage der Energieunternehmen soll das IZ Klima als "Dialogforum" wirken und "Informationen über die technologischen und wirtschaftlichen Potenziale der effizienten CO2-freien Kraftwerke" bereitstellen. Wer jedoch die einschlägigen Untersuchungen von Greenpeace oder die Stellungnahmen der Anhörung des Umweltausschusses vom März dieses Jahres sucht, wird beim IZ Klima nicht fündig werden.

    Gerade weil die Energieunternehmen angesichts der Brisanz der klimapolitischen Kritik an ihrer Kraftwerksplanung handfeste ökonomische Interessen haben, wird das IZ Klima mit erheblichen Mitteln für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ausgestattet werden. Es steht zu befürchten, dass wichtige Kritikpunkte an der CCS-Technologie angesichts der finanzwirksamen Lobbyarbeit untergehen könnten. Aufklärungsarbeit und kritische Öffentlichkeit sind deshalb umso wichtiger. Zumal gute Argumente gegen die Anwendung der künftigen CCS-Technologie in Deutschland sprechen.

    "CO2-freie Kraftwerke"?

    Bereits begrifflich ist Vorsicht geboten. Ein CO2-"freies" Kraftwerk wird es weder mit noch ohne CCS-Technologie geben. Eine wenn auch deutlich reduzierte Restmenge CO2 wird weiterhin in die Atmosphäre entweichen. So rechnet Greenpeace mit 60 bis 150 Gramm Kohlendioxid je Kilowattstunde Strom. Bei einem 1.000-Megawatt-Braunkohlekraftwerk, wie RWE es derzeit in NRW plant, würden somit 5,2 Mio. Tonnen Kohlendioxid abgeschieden, und 1,2 Mio. Tonnen CO2 würden weiterhin in die Atmosphäre entweichen.9

    Diese Erkenntnis hat mittlerweile Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Laut einer Entscheidung des Berliner Landgerichts darf Vattenfall in seiner Werbung nicht mehr behaupten, ein "CO2-freies" Braunkohlekraftwerk zu errichten. Das Gericht bestätigte damit eine einstweilige Verfügung, die eine Betreibergesellschaft für solare Energienutzung gegen den Konzern erwirkt hatte. Das Gericht sah den Begriff als "irreführend und damit wettbewerbswidrig" an. Auch bei der angeblich CO2-freien Technik entwichen mindestens zehn Prozent der Gase in die Luft. Zudem könne bei einer unterirdischen Lagerung nicht von einem CO2-freien Kraftwerk "die Rede sein", heißt es in dem Gerichtsbeschluss. Sollte Vattenfall die Behauptung weiterhin werblich einsetzen, droht ein Zwangsgeld von 250.000 Euro.10

    Wesentlich entscheidender ist, dass die CCS-Technologie nicht als Begründung für den Bau neuer kohlebasierter Kraftwerke herangezogen werden kann, denn sie steht bislang überhaupt nicht zur Verfügung. Die Energieversorgungsunternehmen - wie z.B. Vattenfall Europe, das in Berlin bis 2014 ein 800-Megawatt-Steinkohlekraftwerk errichten und in Brandenburg drei weitere Dörfer abreißen lassen will, um seine Braunkohleverstromung fortzuführen - rechnen damit, dass die CCS-Technologie für Kohlekraftwerke erst 2020 in der Serienanwendung zur Verfügung stehen könnte. Betrachten wir die Zeitpläne für die in Bau befindlichen bzw. geplanten Kohlekraftwerke, so ist erkennbar, dass die absolute Mehrheit dieser Kraftwerke im Falle ihrer Errichtung bis 2020 bereits einige Jahre ohne die CCS-Technologie in Betrieb wäre und schon mindestens 700 Mio. Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen hätte.

    Denkbar wäre nun, dass die Genehmigungsbehörden für die Kraftwerke eine Genehmigung nur dann erteilen, wenn umweltfreundliche Auflagen erfüllt werden. Einem solchen Ansinnen steht jedoch das Bundes-Immissionsschutzgesetz entgegen. Grundsätzlich haben die zuständigen Genehmigungsbehörden der Länder ausschließlich die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Antrags der Energieversorger zu prüfen, denn auf die Genehmigung des Antrags besteht ein Rechtsanspruch, sobald die Voraussetzungen des § 6 I BImSchG erfüllt sind. Die Versagung einer Genehmigung aus energie- oder umweltpolitischen Gründen ist nicht möglich.

    Gleichwohl ist es möglich, dass die Genehmigung mit Nebenbestimmungen versehen wird, so z.B. einer Auflage mit entsprechendem Nachrüstungsinhalt (§ 12 BImSchG). Solche Genehmigungsvoraussetzungen betreffen allerdings nicht CO2-Emissionen, denn diese sind dem Regelungsbereich des BImSchG grundsätzlich entzogen, weil Kraftwerke dem Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (TEHG) unterliegen.

    Um dies zu verstehen, muss ein kleiner Blick hinter die Kulissen des Emissionszertifikate-Handels geworfen werden. Die Gesetzeslage geht davon aus, dass nicht der Ausstoß der einzelnen Anlage entscheidet, sondern der Gesamtausstoß an CO2 z.B. im nationalen Rahmen. Die Anlagenbetreiber decken die von ihnen emittierten Ausstöße zum einen durch einen Teil staatlich zugesprochener Zertifikate und zum anderen durch den Erwerb weiterer Zertifikate an einer der Energiebörsen ab. Nun konnte freilich in der ersten Phase des Nationalen Allokationsplans (NAP I) festgestellt werden, dass den Energieversorgern eine so große Zahl an kostenlosen Emissionszertifikaten zur Verfügung gestellt wurde, dass ein Anreiz zum Einsatz von klimafreundlichen Energien nicht bestand. Im Gegenteil: Die kostenlose Zuteilung der Zertifikate im Emissionshandel und deren Integration zu Marktpreisen in den Strompreis führt zu Milliarden Extraprofiten der Stromwirtschaft. Dies ist seit längerem bekannt. Weniger bekannt ist allerdings, dass diese zusätzlichen leistungslos erzielten Gewinne (windfall profits) Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Energieversorger zu Lasten des Klimaschutzes haben. Die windfall profits führen laut einer Kurzanalyse des Ökoinstituts11 für die Umweltstiftung WWF in emissionsintensiven Kraftwerken zu bedeutend höheren Extraprofiten als in emissionsarmen. Dies muss nach den Regeln der Marktwirtschaft bei der Entscheidung, welche Kraftwerke künftig gebaut werden, eine erhebliche Rolle spielen.

    Überträgt man dies auf die Kraftwerkspläne von Vattenfall Europe in Berlin, so wäre es - unter Vernachlässigung anderer Entscheidungsgründe - für das Unternehmen günstiger, in Berlin ein Kohlekraftwerk mit hohen Emissionen zu bauen als ein emissionsärmeres Gaskraftwerk. Sollte Vattenfall ab 2012 für die Emissionszertifikate einen gewissen Anteil zahlen müssen, würde das Unternehmen in einem solchen Modellfall (zwei Jahre kostenlose Vergabe, anschließend Versteigerung) immer noch einen Zusatzgewinn von 145 Mio. Euro für das Steinkohlekraftwerk realisieren. Bei einem Erdgas-GuD-Kraftwerk würden hingegen "nur" 58 Mio. Euro eingenommen.

    Staatliche Spiel-Räumchen

    Kehren wir zurück zu den Problemen einer umweltfreundlichen Genehmigungsbehörde. Diese hätte nur in dem Falle, dass die Treibhausgasemission so stark ist, dass sie eine schädliche Umwelteinwirkung darstellt, die Möglichkeit, das BImSchG anzuwenden. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat auf eine entsprechende Anfrage der Fraktion Die Linke. aber dargelegt, dass bisher kein Fall bekannt ist, "in dem ein deutsches Gericht oder eine Behörde entschieden hätte, dass die Anwohner oder gar die Allgemeinheit durch CO2 emittierende Kraftwerke erheblich in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt würden. Ungeachtet der globalen Umwelteinwirkungen, die ein vermehrter CO2-Ausstoß auf lange Sicht haben mag, kann über den Drittschutz, den das BImSchG gewährt, keine Nachrüstung erzwungen werden. Der CO2-Ausstoß fällt insofern aus dem Anwendungsbereich des BImSchG heraus".12

    Der beschränkte Rechtsrahmen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes macht es den Genehmigungsbehörden vor dem skizzierten Hintergrund also auch unmöglich, die Betriebsgenehmigung zeitlich zu befristen oder sie wieder zu entziehen, falls der Energieversorger angekündigte und technisch umsetzbare Sicherheitstechnologien bzw. Technologien zur Reduktion der Umweltverschmutzung nicht einsetzt. Auch mittelfristig wird sich an dieser unbefriedigenden Gesetzeslage nichts ändern, da die schwarz-rote Koalition im Bund keine Bestrebungen zu unternehmen bereit ist, im Rahmen der Debatte um die Einführung eines Umweltgesetzbuches, das BImSchG an den beschriebenen Stellen zu ändern. Vereinfacht ausgedrückt: Da der Emissionszertifikate-Handel über den Marktmechanismus die Anreize zur reduzierten Umweltverschmutzung regulieren soll, sind staatliche Instrumente nicht vorgesehen, mit denen die Energieversorgungsunternehmen zu CO2-Reduktionen gezwungen werden könnten.

    Selbst bei gegebener technischer Möglichkeit der Abscheidung von CO2, an der mittelfristig kein Zweifel bestehen dürfte, sind Fragen des Transports, der Lagerung und der Kosten bislang ungeklärt. Das Umweltbundesamt weist in einer Untersuchung13 darauf hin, dass für die Speicherung des abgeschiedenen CO2 vor allem ausgediente Öl- und Gasfelder sowie saline Aquifere (tiefe Wasser führende Gesteinsschichten vor allem in der Nordsee) in Frage kommen. Die vollständige Speicherung aller gegenwärtigen Kraftwerksemissionen vorausgesetzt, stünden rein theoretisch Kapazitäten für 40 Jahre zur Verfügung. Diese rechnerischen Werte vernachlässigen freilich, dass - wie beim Atommüll - die Umweltfolgen beim Einsatz von CCS nicht verschwinden, sondern nur verlagert werden. Greenpeace verweist in diesem Zusammenhang auf die Risiken der CO2-Speicherung in leeren Öl- und Gasfeldern. So kam es beispielsweise im März 2004 an einem Erdgasspeicher in Berlin zu einem explosiven Austritt von Erdgas. Auch im Brandenburger Ketzin gab es einen entsprechenden Vorfall. Da Kohlendioxid in Verbindung mit Wasser hoch reaktiv ist und Zement sowie Metalle angreift, stellen sich die bisherigen Überlegungen, die Löcher in Öl- und Gasfeldern mit Zement zu versiegeln, als hoch riskant heraus. Der Einsatz anderer Versiegelungsstoffe würde die Kosten der Lagerung ansteigen lassen, die nach Angaben der Energieversorger so oder so über den Strompreis auf die Versorger umgelegt werden sollen.14 Hinzu kommen die Kosten des Transports. So plant beispielsweise Vattenfall in seinem Brandenburger Modellvorhaben aus Mangel an einem vorhandenen CO2-Pipeline-System zur Nordsee oder anderen Lagerstätten, das ebenfalls kostenpflichtig zu bauen wäre, den Transport des abgeschiedenen CO2 von der Lausitz mittels Tanklastwagen zu einem ehemaligen Gasspeicher im Havelland - sofern sich dieser als sicher genug erweisen sollte. Nicht umsonst rechnen Unternehmen wie das norwegische Statoil, das in der Nordsee seit 30 Jahren CCS-Technologien erprobt, mit rund 100 Euro pro Tonne Kohlendioxid.15

    Angesichts dieser Kostenexplosion beim Kohlestrompreis erscheinen die Kostenargumente der Energieversorger zur Ablehnung erdgasbasierter Kraftwerke, die auf Kraft-Wärme-Kopplung basieren, zunehmend fragwürdig. Mit KWK-Anlagen ließe sich die Energie des eingesetzten Brennstoffes bis zu 90% in Strom und Wärme verwandeln. Die Erzeugung kann sehr flexibel an den Verbrauch angepasst werden und ist mit Erdgas erheblich CO2-ärmer. Der Verweis auf die höheren Kosten des Erdgases vernachlässigt die Preisschwankungen bei der Steinkohle und die mittelfristig steigenden Kosten durch rasant steigende Nutzung und bei Einsatz von CCS-Technologie.

    Doch auch die Nutzung von Erdgas kann nur für einen Übergangszeitraum die Alternative zu Kohlekraftwerken darstellen, denn auch Erdgas ist ein fossiler Brennstoff, auf den mittelfristig zugunsten von Erneuerbaren Energien verzichtet werden muss. Angesetzt werden muss deshalb bei der kostenlosen Zuteilung von CO2-Zertifikaten, für die es keine sinnvolle Begründung gibt. Sie stellt eine künstliche Subventionierung der Kohle gegenüber Erdgas und Erneuerbaren Energien dar.

    Mittelfristig werden in Folge steigender Emissionsminderungsvorgaben und eines höheren CO2-Preises die Kohlekraftwerke, die derzeit flächendeckend auf rund 960 Megawatt elektrische Leistung ausgelegt werden, nur gering ausgelastet sein. Ein klassischer ökonomischer Fehlanreiz auf Grund staatlicher Fehlsteuerung in Folge einschlägiger Lobbyarbeit.

    Angesichts dieses Auseinanderdriftens zwischen politischen Klimaschutzzielen und energiewirtschaftlicher Realität müssen die Regierungen von Bund und Ländern handeln, wenn sie ihre Umweltstrategien ernst nehmen. Die Klimaschutzziele sind nur durch die Steuerung der Energieeffizienz und den Ausbau der Erneuerbaren Energien erreichbar. Dies ist durch verschiedene Untersuchungen, u.a. des Umweltbundesamtes, belegt. Statt zweifelhafte Übergangstechnologien wie CCS zu fördern und publizistisch erfolgreich zu reden, sind die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende einzuleiten.

    Die Novellierung des Umweltgesetzbuches, die derzeit zwischen Bund und Ländern verhandelt wird, ist für eine Modernisierung des Umweltrechts zu nutzen. Dabei sollte vom bisher im Bundes-Immissionsschutzgesetz verankerten Prinzip der unbefristeten Genehmigung von Kraftwerken Abstand genommen werden. Unbefristete Genehmigungen für auslaufende Technologien wie Kohlekraftwerke bzw. allgemein die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Klimaschutz schließen sich aus. Will man eine jahrelange Verzögerung sowie milliardenschwere Schadensersatzforderungen beim Ausstieg aus der Kohle vermeiden, wie sie beim Atomausstieg zu besichtigen sind, dürfen neue Kraftwerke nicht länger als zehn Jahre genehmigt werden.

    Anmerkungen

    1) Bundesregierung 2007, Eckpunkte für Integriertes Energie- und Klimaprogramm, www.bmu.de/klimaschutz/downloads/doc/39875.php.

    2) Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) 2007, Wirtschaftliche Bewertung von Maßnahmen des Integrierten Energie- und Klimaprogramms (IEKP), www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/fraunhofer_bewertung_iekp.pdf.

    3) Senat von Berlin 2006, Landesenergieprogramm für die Jahre 2006 bis 2010, www.berlin.de/sen/umwelt/klimaschutz/landesenergieprogramm.

    4) Greenpeace Deutschland 2007, Energiepolitik: Wie der Neubau von Kohlekraftwerken das Klima zerstört, www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Kohle_Energiepolitik.pdf.

    5) Öko-Institut e.V. 2007, Aufarbeitung von energiewirtschaftlichen Hintergrunddaten für neue Kraftwerke. Zwischenbericht für die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, S.5. Bislang nicht öffentlich zugänglich.

    6) Moritz Schröder 2007, Zukunftsenergie Kohle, in: taz vom 04.09.2007.

    7) Vgl. u.a. Vattenfall Europe 2007, Das CO2-freie Kohlekraftwerk. Innovationstechnologie Carbon Capture and Storage (CCS), in: Wissen 03 - Daten, Fakten, Einblicke in die Energiewirtschaft, Berlin.

    8) Vgl. www.iz-klima.de.

    9) Greenpeace Deutschland 2007, Fünf Argumente gegen "CO2-freie Kohle-Kraftwerke".

    10) "neue energie", Heft 01/2008, S.9.

    11) Öko-Institut e.V. 2006, Analyse der Wirtschaftlichkeit von Kraftwerksinvestitionen im Rahmen des EU-Emissionshandels, Kurzanalyse, erstellt von Dr. Felix Chr. Matthes für die Umweltstiftung WWF Deutschland, Berlin.

    12) Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags 2007, Genehmigungsrecht bei Kraftwerksbauten, Berlin, S.5.

    13) Umweltbundesamt 2006, Verfahren zur CO2-Abscheidung und -Speicherung. Zusammenfassung, Dessau.

    14) Vgl. Gabriela von Goerne (Greenpeace) 2007, CO2-Abtrennung und klimaneutrale Entsorgung, Beitrag zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beim Deutschen Bundestag am 07.03.2007, S.7.

    15) Handelsblatt vom 06.08.2007.



    Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke.) ist Staatssekretär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz in Berlin und seit Jahren Mitglied im BdWi. Er gibt in diesem Text seine persönliche Meinung wieder.

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