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Wölfe im Schafspelz

15.07.2010: Verdeckte Einflussnahme auf Politik und Medien

  
 

Forum Wissenschaft 1/2010; Manfred Vollmer

Ungemein viele Lobbyisten tummeln sich in Berlin - das Übergewicht liegt bei den Unternehmenslobbyisten. Wird die Kritik aus der Zivilgesellschaft zu stark, kommen auch "verdeckte Methoden" zum Einsatz - vgl. die Beispiele der Deutschen Bahn und des Verbands der Deutschen Biokraftstoffindustrie. Gerade so genannte "Denkfabriken" wie die Organisation Berlinpolis werden als vermeintlich neutrale und deshalb glaubwürdigere Institutionen in Lobbykampagnen eingebunden. Ulrich Müllers und Dieter Plehwes Beitrag könnte deshalb auch so betitelt sein: Privilegiert und intransparent - die Methoden der Lobbyisten und nötige Gegenmaßnahmen.

Nicht nur wirtschaftliche Interessen werden in Berlin vorgetragen, auch Umweltorganisationen, Entwicklungs- oder Menschenrechtsorganisationen versuchen, ihren Anliegen Gehör bei Bundestag oder Bundesministerien zu verschaffen. Nördlich der Spree, in der Marienstr. 19-20, findet sich etwa die Greenpeace-Vertretung im Berliner Regierungsviertel. Mit spektakulären Aktionen erzielt die Umweltorganisation immer wieder große Aufmerksamkeit - etwa durch Schlauchbooteinsätze gegen Walfänger oder Ankettaktionen gegen Atomtransporte. Zugleich ist Greenpeace auf dem politischen Parkett aktiv. Vier Mitarbeiter(innen) versuchen in Berlin, Umweltschutzthemen in die Politik zu tragen.

Mögen die Interessengruppen auch vielfältig sein - zu kurz greift das von Lobbyist(inn)en und teilweise auch Politikwissenschaftler(inne)n bemühte Idealbild des Lobbyismus, wonach Lobbying wichtige Informationen für die Politik liefert und durch den Wettstreit verschiedener Interessen demokratische Willensbildung ermöglicht. Interessenvertretung und Lobbyismus sind immer von gesellschaftlichen Machtasymmetrien geprägt. Es gibt enorme Ressourcenunterschiede zwischen den gesellschaftlichen Interessensgruppen. In Brüssel arbeiten schätzungsweise 15.000 Lobbyist(inn)en, davon etwa 70 Prozent für die Wirtschaft (vgl. S.24 ff.). In Berlin wird die Zahl auf etwa 5.000 geschätzt. Auch hier kann man von einem deutlichen Übergewicht der Unternehmen, Wirtschaftsverbände und nahestehenden Denkfabriken im Verhältnis zu den "Ansprechpartner/inne/n" der Politik ausgehen. So hat der Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier klargestellt, dass es eine "echte Waffengleichheit der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bei der EURnehmung ihrer Interessen mittels Lobbying" kaum geben wird.1 Schwächer repräsentierte Interessen wie Verbraucher- oder Umweltschutz oder die Belange benachteiligter Bevölkerungsgruppen geraten leicht unter die Räder.

Die Problematik wird durch zwei Entwicklungen verschärft. Zum einen werden die Methoden der Beeinflussung immer professioneller und problematischer: Verdeckte Medienbeeinflussung oder die Irreführung durch "Tarnorganisationen" sind Beispiele dafür. Zum zweiten haben wirtschaftsnahe Interessen häufig besonderen Zugang zu Entscheidungsverfahren. Ein Beispiel dafür war die Mitarbeit von Lobbyisten aus Verbänden und Unternehmen in Ministerien in den letzten Jahren - oft an den Gesetzen, die die eigene Branche regulieren und kontrollieren sollten. So konnten die Chemiefirmen BASF und Bayer eigene Vertreter in Wirtschafts- und Umweltministerium entsenden, die Finanzbranche schrieb an Gesetzen zur Zulassung von Hedge Fonds in Deutschland mit. Auch der fliegende Wechsel von ehemaligen Politiker(inne)n zu Unternehmen oder Lobbygruppen sichert diesen Kontakte und Insiderwissen. Die meisten ehemaligen Politiker gehen zu Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden: Die Beispiele in den letzten Jahren reichen von Gerhard Schröder bis zum Wechsel der Staatsministerin Hildegard Müller aus dem Kanzleramt zur Energielobby 2008. Der Wechsel des Ex-Umweltstaatssekretärs Rainer Baake zur Deutschen Umwelthilfe ist eine Ausnahme.

NGO-Strategien?

Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen setzen bei ihrer politischen Arbeit auf öffentliche Skandalisierung, auf breite Beteiligung vieler Menschen an ihren Kampagnen und als Vertreter(innen) gemeinwohlorientierter Anliegen auf höhere Glaubwürdigkeit, um angesichts der Ressourcen-Unterschiede zumindest einige ihrer Forderungen durchzusetzen. Zugleich machen auch NGOs klassische Lobbyarbeit: Sie kontaktieren Abgeordnete, verfassen Stellungnahmen und Positionspapiere, nehmen an Anhörungen der Ministerien teil oder versuchen teilweise auch, Allianzen mit Vorreiter-Unternehmen zu organisieren. NGOs verfolgen anders als Unternehmen keine direkten finanziellen Eigeninteressen bei einzelnen politischen Fragen. Dennoch ist Transparenz auch für sie ein wichtiges Kriterium: Es muss für die Öffentlichkeit ersichtlich sein, wer hinter einzelnen Kampagnen oder Allianzen steckt und wie sie finanziert werden (gerade wenn sie Unternehmen mit einschließen).

Die Arbeit von NGOs wird von Unternehmensseite genau verfolgt. Gerade Erfolge wie die Greenpeace-Kampagne gegen den Ölmulti Shell mit der Besetzung der Ölplattform Brent Spar im Jahr 1995 haben verdeutlicht, wie NGOs das Image von Unternehmen beschädigen können. Viele Konzerne haben seitdem ihre PR-Abteilungen und Lobbynetzwerke ausgebaut, um sich gegen ähnliche Angriffe zu wappnen.

Wirtschaftslobbyist(inn)en übernehmen zunehmend Strategien von NGOs. So spannen Unternehmen und Verbände etwa ihre eigenen Mitarbeiterinnen und teilweise Kunden für die Lobbyarbeit ein. In den USA ist dieser Ansatz schon länger als Grassroots Lobbying bekannt, was die Einflussnahme von unten über die "Graswurzelebene" meint. Allerdings zeigt das folgende Beispiel, dass die Grenze fließend sind zum sogenannten "Astroturf" (Kunstrasen), also zu künstlich inszeniertem Bürgerengagement oder zu Scheininitiativen. Ein Beispiel ist die Gesellschaft zur Förderung umweltgerechter Straßen- und Verkehrsplanung (GSV). Die GSV unterstützt "Bürgerinitiativen pro Straßenausbau" und wird über eine Fördergemeinschaft finanziert, in der Bauunternehmen, Baustoff- und Asphaltfirmen sowie deren Verbände vertreten sind. Diese profitieren von einer höheren Glaubwürdigkeit, wenn die Forderung nach mehr Straßen von scheinbar unabhängigen Bürgerinitiativen vertreten wird. Ein weiteres Beispiel sind manche "Selbsthilfe"-Initiativen von Patient/inn/en-Gruppen, die tatsächlich von Pharmaunternehmen gegründet oder gesponsert werden. Im Englischen spricht man von der Third Party Strategy, bei der (vermeintlich) glaubwürdige Dritte die eigenen Interessen vermitteln.

"Unsichtbare" PR

Verdeckte Methoden zur Stimmungsmache kommen dann zum Einsatz, wenn es eine kritische Zivilgesellschaft gibt und breite Kritik an politischen Vorhaben. LobbyControl konnte das jüngst für die Deutsche Bahn und den Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) nachweisen. Die Bahn versuchte durch verdeckte PR die umstrittene Bahnprivatisierung durchzusetzen, gegen die sich ein breites Bündnis aus Umweltverbänden, Gewerkschaften und sozialen Initiativen unter dem Motto "Bahn für alle" gewehrt hatte. Auf die wachsende Kritik an Biosprit - oder besser Agrosprit -, die in den letzten Jahren von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen vorgebracht wurde, wollte der VDB kontern.

In beiden Fällen wurde die verdeckte PR über die Berliner Lobby-Agentur European Public Policy Advisers GmbH (EPPA) mit Beteiligung von Berlinpolis abgewickelt. Bei Berlinpolis handelt es sich um eine Denkfabrik und Agentur, die sich selbst als unabhängig bezeichnet. An Berlinpolis beteiligt war damals zudem Josef Grendel, der die Deutsche Bahn als Referenzkunden seiner Agentur für strategische Kommunikation, Grendel & Comp., aufführt und den damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn von früheren Tätigkeiten bei Fokker und Airbus kannte. In die verdeckte Bahn-PR war zudem die Allenbach Media GmbH einbezogen. Sie organisierte nach Informationen des "Spiegel" positive Statements zur Bahn von Prominenten wie Barbara Eligmann und Hans Meiser. Die Agentur soll auch im großen Stil bahnfreundliche Kommentare online platziert haben.

Mitarbeiter/innen von Berlinpolis schrieben in wichtigen Medien Leserbriefe, Online-Kommentare und Gastbeiträge im Sinne der Deutschen Bahn und des VDB. Einseitige Umfragen wurden in Auftrag gegeben und Veranstaltungen durchgeführt. Als Plattform diente Berlinpolis die Website zukunftmobil.de, die nach der Enthüllung stillgelegt wurde. Keine dieser Aktionen war als PR gekennzeichnet, die Auftraggeber blieben verborgen. Trotz einseitiger Fragen wurden die Berlinpolis-Umfragen zur Bahnprivatisierung, zum Streik der Lokführer-Gewerkschaft GDL und zu Biosprit von zahlreichen Leitmedien unkritisch übernommen.

Im April 2007 trat plötzlich eine vermeintliche Bürgerinitiative pro Bahnprivatisierung auf, die "Initiative Mobil in die Zukunft" mit ihrer damaligen und mittlerweile nicht mehr aktiven Website MeineBahnDeineBahn.de. Diese wirkte wie ein Plagiat der "Bahn für alle"-Seite. Das privatisierungskritische Netzwerk stellte schon früh die Frage, wer hinter der Seite steckte. Offensichtlich war MeineBahnDeineBahn.de gezielt gegen die Arbeit von "Bahn für alle" gerichtet. Die Deutsche Bahn hat LobbyControl inzwischen bestätigt, dass MeineBahnDeineBahn.de in dem Tätigkeitsbericht der Lobby-Agentur EPPA über ihre verdeckte PR auftaucht. Die verdeckte PR für die Bahn wurde 2007 beendet, der VDB beendete die Zusammenarbeit mit EPPA 2008.

Mehr Waffengleichheit!

Die Politik hat in Deutschland wenig dazu beigetragen, die Lobby-Problematik einzudämmen. Dabei steht sie dem wachsenden Einfluss von nationalen und internationalen Konzernen und Verbänden keineswegs hilflos gegenüber. Vielmehr waren und sind bei der erweiterten Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen viele wirtschaftsfreundliche Politiker aktiv beteiligt. Alleine mit Verhaltensregeln für Lobbyisten, Abgeordnete und Bürokraten und mit freiwilligen Kodizes ist daran nichts zu ändern. Auffällig ist, dass sich Lobbyisten und so manche Abgeordnete bereits gegen die zaghaften Reformen wenden, die in der jüngeren Vergangenheit durchgesetzt werden konnten. So ist die Bereitschaft, sich in das mittlerweile existierende europäische Lobby-Register freiwillig einzutragen, gering - im Gegensatz zum erheblichen Engagement gegen ein verbindliches Register. Beispielsweise organisieren Lobby-Agenturen seit zwei Jahren eintägige "Transparenzveranstaltungen"2, aber für ein verpflichtendes Lobbyregister wollte sich die PR-Agentur fischerAppelt als eine der Hauptorganisationen nicht aussprechen. Die eigenen Kunden will man auch auf Anfrage nicht nennen.

Abgeordnete verschiedener Parteien klagten beispielsweise in Deutschland gegen die nach wie vor unzulänglichen Regeln zur Offenlegung von Nebeneinkünften von 2005. Demzufolge müssen die Abgeordneten derzeit ihre Einkünfte nur in drei Stufen einordnen - Stufe 1: 1000 bis 3500 €, Stufe 2: 3500 bis 7000 €, Stufe 3: über 7000 €. Gibt ein/e Abgeordnete/r Einkünfte der Stufe 3 an, ist daraus nicht erkennbar, ob sie 7001 € oder 70.000 € oder 700.000 € verdient. Die Stufen müssen daher verfeinert und insbesondere nach oben deutlich erweitert werden. Ferner darf eine Schweigepflicht gegenüber Mandanten bei Rechtsanwälten nicht gegen das öffentliche Interesse gestellt werden. Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily wurde zu einer Strafe in Höhe von über 22.000 € verdonnert, weil er Nebeneinkünfte, u.a. aus einem angeblich sehr lukrativen Beratervertrag für Siemens, nicht offenlegen will. Gegen das verhängte Ordnungsgeld klagte der Rechtsanwalt. Nicht die Politik ist hilflos, sondern viele Politiker mit engen Verbindungen zu mächtigen Wirtschaftslobbys sind Teil des Problems. Daher müssen neue Ansätze zur Kontrolle und Überwachung des aggressiv erweiterten Lobbyismus an verschiedenen Stellen ansetzen.

Bedarf: ein Lobbyregister

Für ein verbindliches Lobbyregister in Deutschland setzen sich neben LobbyControl inzwischen auch Transparency International ein und die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol), eine Vereinigung Berliner Lobbyisten. Degepol will aber nur sehr vage Angaben zu den Ausgaben für Lobbyarbeit in dem Register sehen und fällt dabei sogar hinter das europäische Register zurück. Das wäre gegenüber den detaillierten Angaben, die Unternehmen und Verbände in den USA machen müssen, ein erheblicher Nachteil. Ein vollständiges und detailliertes Register hält niemanden davon ab, Lobbyarbeit zu betreiben. Die Informationen ermöglichen es aber, die Versuche der Einflussnahme auf konkrete Gesetze genauer zu recherchieren und zu dokumentieren. Unbedingt erforderlich ist der einfache Zugriff auf die Informationen, der wie in den USA über eine öffentliche Internet-Datenbank organisiert werden kann. Zudem muss das Register unabhängig kontrolliert werden und Verstöße müssen mit klaren Sanktionen wie Geldstrafen oder in schweren Fällen auch strafrechtlichen Konsequenzen geahndet werden.

Um den privilegierten Zugang einzelner insbesondere wirtschaftsnaher Lobbygruppen zu begrenzen, sind klare Schranken für Lobbyisten und Politiker notwendig. Dazu gehört u.a. eine Karenzzeit für scheidende Politikerinnen, die verhindert, dass sie mit einem fliegenden Wechsel vom politischen Amt in einen Lobbyjob wechseln. Auch umgekehrt ist genau zu prüfen, ob ein Top-Manager aus der Wirtschaft tatsächlich die geeignete Person ist, um ein öffentliches Führungsamt zu bekleiden. Eine dreijährige "Abkühlphase" würde die Möglichkeit abschwächen, dass sich finanzstarke Interessengruppen durch das Anwerben eines scheidenden Politikers Insiderwissen und bevorzugte Kontakte in die Politik sichern. Auch verringert eine Karenzzeit die Gefahr, dass Politikerinnen schon während ihrer Amtszeit Entscheidungen mit einem Seitenblick auf spätere Jobaussichten fällen.

Die Mitarbeit von Beschäftigten aus der Privatwirtschaft in den Ministerien muss vollständig beendet werden. Die im Sommer 2008 verabschiedete Verwaltungsvorschrift schränkt zwar den Einsatz der so genannten "Externen Mitarbeiter" ein, packt das Übel jedoch nicht bei der Wurzel. Lobbyisten, die als externe Mitarbeiter in den Ministerien tätig sind, werden auch in Zukunft Insiderwissen und Kontakte erwerben und ihr Ohr und ihre Stimme näher an den Entscheidungsträgern haben, als dies anderen Interessen möglich ist. Davon profitieren, das zeigen die Fälle aus der Vergangenheit, in erster Linie große Unternehmen und Wirtschaftsverbände.

Transparenz, Aufklärung und kritische Öffentlichkeit

Das "traditionelle Lobbying", die Einflussnahme auf die Gesetzgebung, ist nur ein Teil des neuartigen Lobby-Komplexes. Insbesondere das über PR-Agenturen, Stiftungen und Denkfabriken organisierte "Deep Lobbying", also die gezielte Beeinflussung der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten, erfordert mehr Transparenz. Neben einem Lobbyregister wären auch erweiterte Vorschriften zur Offenlegung der Einkünfte von gemeinnützigen Organisationen eine Option. Steuerlich begünstigte Vereine und Institute könnten verpflichtet werden, ihre Einkommen jährlich und hinreichend detailliert offenzulegen, damit dem Missbrauch durch Tarnorganisationen sowie dem politischen Wissenschaftslobbyismus begegnet werden kann. Die verdeckte Stimmungsmache der "Denkfabrik" Berlinpolis für die Deutsche Bahn ist nur ein Beispiel dafür. Die wirtschaftsnahe Stiftung Marktwirtschaft etwa ist in vielen Institutionen der Politikberatung eingebunden, weigert sich aber standhaft, ihre Finanzierung offen zu dokumentieren. Und handelt es sich wirklich um einen "wissenschaftlichen" Beratungsdiskurs, wenn aus öffentlichen Mitteln bereits gut bezahlte Professoren im Auftrag privater Versicherungsunternehmen oder Finanzdienstleister lukrative Gutachten zum Thema Rentenprivatisierung schreiben?

Eine größere Transparenz alleine reicht aber nicht aus. Kritische Journalistinnen und zivilgesellschaftliches Engagement sind nötig, um verfügbare Informationen zu beschaffen, auszuwerten und einer öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen. Wir brauchen eine stärkere öffentliche Debatte über Medien und Medienpolitik. Wichtig ist auch, demokratische Gegengewichte zu einflussreichen und finanzstarken Lobbygruppen zu stärken. Das Internet bietet neue Möglichkeiten, Hintergrundinformationen und alternative Perspektiven zu präsentieren und zu verbreiten. LobbyControl bemüht sich, auf diesem Wege kritisch über Lobbyismus aufzuklären und unethische Praktiken und Schieflagen im Zugang zu politischen Entscheidungen anzuprangern. Mit europäischen Partnern verleiht LobbyControl beispielsweise jährlich die "Worst EU Lobby Awards" für besonders dreiste und manipulative Lobbypraktiken in Brüssel, der auf große mediale Aufmerksamkeit stößt. Europaweit haben sich im Rahmen der Alter-EU Allianz weit über 100 Organisationen zusammengeschlossen, um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

Interessanterweise ist die lobbykritische Bewegung in Europa weiter als auf nationaler Ebene, weil für die EU immerhin schon ein freiwilliges Register durchgesetzt werden konnte. Aber auch in Deutschland ist das Thema mittlerweile auf der politischen Agenda gelandet - zumindest bei den Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke. Die Skandale um die verdeckte PR- und Lobbyarbeit der Deutschen Bahn und der Biokraftstoffindustrie haben den politischen Handlungsbedarf veranschaulicht. Über 8.700 Menschen unterzeichneten daraufhin den Online-Appell von LobbyControl "Lobbyisten zur Transparenz verpflichten". 2010 soll es weitere Aktionen und Recherchen geben und die gesellschaftliche Bündnisarbeit verstärkt werden, um öffentlichen Druck aufzubauen und die Widerstände gegen verbindliche Regeln für Lobbyisten zu überwinden. Das aktuell vorrangige Ziel eines verbindlichen Lobbyregisters in Deutschland und in der EU kann nur durch ein starkes Bündnis in der Gesellschaft durchgesetzt werden.

Anmerkungen

1) Vortrag am 24.2.2006 in Berlin: Zum Spannungsverhältnis von Lobbyismus und parlamentarischer Demokratie. Er ist auch online verfügbar unter www.bpb.de/files/LD34GU.pdf

2) www.seitenspruenge-berlin.de



Ulrich Müller ist Politikwissenschaftler und geschäftsführender Vorstand von LobbyControl - Initiative für Transparenz und Demokratie. Die Organisation klärt auf über die Einflussnahme von Lobbyisten und Denkfabriken auf Politik und Öffentlichkeit und bekämpft undemokratische Missstände in Berlin und Brüssel.
Dr. Dieter Plehwe arbeitet in der Abteilung Internationalisierung und Organisation am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand von LobbyControl. - Dieser für Forum Wissenschaft leicht bearbeitete Beitrag basiert weitgehend auf zwei getrennten Artikeln von Ulrich Müller und Dieter Plehwe in der Zeitschrift politische ökologie 117, September 2009, Schwerpunktheft zu Lobbying und Korruption. Er ist auch online verfügbar unter www.bpb.de/files/LD34GU.pdf.

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