BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

Newsletter abonnierenKontaktSuchenSitemapImpressumDatenschutz
BdWi
BdWi-Verlag
Forum Wissenschaft

Unvernunft als Wettbewerbssieger

08.10.2016: Zur strategischen Lage nach dem Beschluss der Exzellenzstrategie

  
 

Forum Wissenschaft 3/2016; Foto: Arbeitsstelle Forschungstransfer (Eigenes Werk) CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Im Frühjahr 2016 wurde die Fortsetzung der Exzellenzinitiative beschlossen. Im politischen Mainstream war diese Entscheidung kaum umstritten - aus der Wissenschaft gab es aber wahrnehmbaren Protest, u.a. in Form einer akademischen Protestresolution mit mehreren Tausend Unterschriften. Mitinitiator dieser Aktion war Tilman Reitz, der im Folgenden die Hintergründe und Motivationslagen für diese Resolution zusammenfasst.

Seit die Exzellenzinitiative 2005 zum ersten Mal lanciert wurde, gibt es heftige Kritik daran - von einzelnen Wissenschaftlern wie Richard Münch und Michael Hartmann, aber auch von kollektiven Akteuren wie der GEW und dem BdWi. Als dieses Frühjahr die Verstetigung der Initiative zur "Exzellenzstrategie" Gestalt annahm, haben einige Wissenschaftler_innen, darunter der Autor dieses Beitrags, versucht, diese Kritik mit einer öffentlichen Erklärung und Unterschriftenaktion (exzellenzkritik.wordpress.com/) zu einer breiteren akademischen Protestfront auszubauen. Der Mobilisierungserfolg war beachtlich (ohne organisatorische Infrastruktur konnten wir mit 100 Erstunterzeichnenden starten und über 3.000 Unterschriften sammeln), aber klar begrenzt. Zwar sind unter den Unterzeichnenden alle Statusgruppen des Wissenschaftssystems und auch ein paar bekanntere Namen vertreten, doch der Anteil an aktuell besonders erfolgreichen und entscheidungsmächtigen Wissenschaftler_innen ist niedrig bzw. geht gegen Null.

In der Wissenschaftspolitik kam unser Protest daher ebenso wenig an wie alle vorherigen und gleichzeitigen Kritiken. Nach Turbulenzen um die Sonderinteressen des Stadtstaats Hamburg ist die Exzellenzstrategie ohne größere Debatte über ihren erwartbaren Schaden verabschiedet worden. Zu fragen bleibt, was das bedeutet. War die Kritik an der Exzellenzstrategie nicht gut begründet bzw. nicht überzeugend? Wird sie nur von wenigen und eher von den erfolglosen Mitgliedern des Wissenschaftssystems geteilt oder will eine eigentlich viel größere Zahl von kritisch Gesinnten bloß nicht ihre Erfolgschancen aufs Spiel setzen? Und welche praktischen Spielräume bleiben, wenn die Exzellenzstrategie auf der einen oder anderen Motivationsbasis ihre Struktureffekte entfaltet? Diese Fragen sollen hier schrittweise beantwortet werden. Es bietet sich dabei an, die ersten beiden Komplexe zusammenzunehmen (A) und dann einige Schlussfolgerungen zum dritten zu ziehen (B).

Argumente gegen die Exzellenzstrategie

A. Da sich prinzipiell fragt, was wissenschaftlich Tätige dagegen haben können, wenn mehr Geld ins akademische System kommt, lohnt es noch einmal die Grundargumente gegen die Exzellenzstrategie auf ihre Überzeugungskraft zu prüfen. Dabei will ich möglichst wenig wiederholen und unmittelbar die tatsächlich zu Überzeugenden in den Blick nehmen, Akteure mit verschiedenen Interessen und Einstellungen.

1. Nahezu alle Beteiligten sind damit konfrontiert, dass mit den neuen Förderwettbewerben in der Wissenschaft (oft beträchtliche) Arbeitszeit von der wirklichen Forschung und Lehre in die Selbstdarstellung umgeleitet wird. Einerseits muss man ständig strategisch daran arbeiten, möglichst viele Publikationen an angesehenen Orten zu platzieren und Projektförderungen einzuwerben, andererseits wird bei den letzteren die Antragspräsentation wichtiger als die Durchführung und die Ausarbeitung von Ergebnissen - es sei denn, man muss eine weitere Phase beantragen und richtet daher auch die laufende Forschung auf vorzeigbaren Erfolg aus. Wissenschaftlich interessierte Menschen können mit dieser Umstellung nicht glücklich sein. Zugute kommt sie bloß den politisch Verteilungsverantwortlichen, die klare (und zum Teil quantifizierte) Kriterien aus dem System selbst geliefert bekommen, und Funktionärstypen in der Wissenschaft, die sich in einer mächtigen Entscheidungsposition gefallen; außerdem ist nicht auszuschließen, dass sich die Wettbewerbskultur passende Subjekte heranzieht. Auch so bleibt der Druck des Statuswettbewerbs aber ein allgemeines Ärgernis.

Die Exzellenzstrategie bildet die Speerspitze dieses Wettbewerbs; hier werden die Personen und Institutionen ausgezeichnet, deren Erfolg sozusagen nicht mehr zu leugnen ist. Eben dies ist allerdings auch der erste denkbare Grund dafür, dass einige das Programm gutheißen. Da man bei Erfolg vergleichsweise langfristig und großzügig unterstützt wird, verspricht die Exzellenzstrategie Entlastung vom Antragsalltag. Sie nimmt eine Minderheit eine Zeit lang von den schädlichen Effekten der Mechanismen aus, die sie für alle als gültig bestätigt. Man kann den Punkt auch allgemeiner fassen: Während das deutsche Hochschulsystem insgesamt unterfinanziert ist und bleibt, werden einige Inseln oder "Leuchttürme" geschaffen, auf denen man wieder forschen und vielleicht lehren kann wie vielleicht früher, als die Universität noch eine Eliteveranstaltung für kleine Teile der Bevölkerung war.

"Vertikale Differenzierung"

2. Diese Beobachtung führt unmittelbar auf das zweite exzellenzkritische Grundargument, das sich unmittelbar als stärker umstritten erweist. Vertreter_innen der Exzellenzstrategie äußern seit einiger Zeit offen, dass das deutsche Hochschulsystem eine "vertikale Differenzierung" benötigt, um mit den "Spitzenhochschulen" der USA, Englands, der Schweiz u.a. mithalten zu können1; die Kritik lautet, dass damit entscheidende Vorzüge geopfert werden und alle nichtexzellenten Hochschulen am Ende schlechter dastehen. Den kritischen Punkt hat Richard Münch mit einem Vergleich gefasst: Der Effekt sei in etwa so, als würde man von den 130 Symphonie-Orchestern, die sich Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern leistet, etwa zehn "finanziell so herausheben […], dass sie sich dauerhaft weltweit unter den ersten 15 behaupten können, dafür aber in Kauf [nehmen], dass nur noch weitere 40 übrig bleiben, die zugleich deutlich an Qualität verlieren. […] Das Opfer in beiden Fällen sind Wissenschaft und Musik, die an Breite und Vielfalt verlieren, das A und O von Wissenschaft und Musik."2 Buchstabiert man die möglichen Verluste aus, beinhalten sie u.a., dass man von den nicht als exzellent eingestuften Hochschulen gar keine Spitzenforschung oder überhaupt keine nennenswerte Forschung mehr erwartet, dass Landesregierungen entsprechend Fördergelder vorab zu ihren Exzellenzkandidaten umlenken, dass Hochschullehrenden mit innovativen, noch nicht durchgesetzten Ideen schlicht die Zeit und oft auch die Ausstattung fehlt, diese zu verfolgen, dass die Lehre selbst leidet, weil ihr zunehmend die an der Forschungsfront aktiven Wissenschaftler_innen entzogen werden - und dass sich überall eine paradigmatische Monokultur durchsetzt, wie sie aus den bereits durch Wettbewerb stratifizierten Wirtschaftswissenschaften bekannt ist.

Es gibt Argumente für die Gegenseite: Man kann annehmen, dass sich zwischen den formal gleichen deutschen Universitäten sowieso große Disparitäten eingespielt haben, die nun nur ratifiziert und etwas verstärkt werden, und dass zumindest eine kleine Anschubfinanzierung nötig ist, wenn man mit den bereits jetzt beachtlichen Forschungsleistungen der Besseren weiter an Harvard und Yale heranrücken will. Was Lehrende und Universitätsleitungen für die vertikale Schichtung einnimmt, ist aber wohl weniger dies Gesamtbild als die Hoffnung, zur Gewinnerseite zu gehören - bzw. in den meisten Fällen die Angst, zu verlieren. Da nicht ganz ausgemacht ist, wer sich im Wettbewerb durchsetzen wird, und auch Verbünde möglich sind, die die Lage unübersichtlicher machen, ähnelt die Situation der kleinen und mittleren Universitäten einem Gefangenendilemma. Würden sich alle diejenigen, die wahrscheinlich erfolglos bleiben werden, dem Exzellenzwettbewerb verweigern und für eine gleichmäßige Verteilung der Gelder streiten, könnten sie ein individuell akzeptables und insgesamt besseres Ergebnis erreichen. Da aber viel zu verlieren ist (von der Unterstützung der Landesregierung bis zum Ruf, eine Forschungsuniversität zu sein) und man mit Nichtsolidarität individuell sicherer fährt, investieren sie in den Wettbewerb, bei dem sie im besten Fall auf Kosten der anderen gewinnen, mit negativer Gesamtbilanz. Auch wenn man von Selbstüberschätzungen absieht, stellt der einmal angestoßene Exzellenzwettbewerb also recht effektiv seine eigene Motivationsbasis sicher.

Prekär beschäftigter Mittelbau

3. Interessante Abweichungen davon zeigen sich am anderen Extrem der innerinstitutionellen Machtverteilung, beim (fast nur noch) prekär beschäftigten wissenschaftlichen "Nachwuchs" bzw. akademischen Mittelbau. Hier sind bemerkenswerterweise die individuellen Aussichten und Ansichten weniger homogen. Obwohl man unterhalb der Professur hohe Verwundbarkeit voraussetzen und daher größere Vorsicht erwarten kann, haben sich gerade im Mittelbau viele Forschende ohne Zögern gegen die Exzellenzinitiative erklärt - auch aus Kontexten, in denen sich die Professor_innen mit Kritik zurückhielten. Offenbar herrschen im Mittelbau ziemlich klare Einschätzungen darüber, ob man zum Kreis der absehbar Bevorzugten zählt, oder die Solidaritätsfähigkeit ist noch weniger durch strategische Erfahrung kompromittiert.

Die Effekte, die Exzellenzinitiativen und -strategie insgesamt auf die Lage des Nachwuchses haben, sind nicht leicht zu beurteilen, weil hier nachjustiert wurde. Die beiden ersten Runden der Exzellenzinitiative haben die deutsche Mittelbau-Misere bekanntlich verschärft. Die sonst exzellenzfreundliche Evaluation der Imboden-Kommission übt an dieser Stelle klare Kritik: Zusammen mit anderen Wettbewerben hat die Exzellenzinitiative für eine rasante Zunahme von Projektstellen gesorgt und damit die "Flaschenhalsproblematik" verschärft, dass "einer hohen Zahl qualifizierter und befristet angestellter Nachwuchswissenschaftler_innen eine geringe Zahl von Professuren bzw. sonstiger Dauerstellen gegenübersteht."3 Diese Lage könnte systemische Gründe haben; sie "ist insofern nicht ganz frei von Zynismus, als die Universitäten immens davon profitieren, dass sich eine große Zahl junger Menschen darauf einlässt - in der Hoffnung auf eine akademische Karriere - die produktivsten Jahre ihres Lebens auf schlecht bezahlten und befristeten Post-Doc-Stellen zu verbringen."4 Viel klarer kann man das dritte kritische Kernargument gegen die Exzellenzinitiative nicht formulieren. Die Kritik wurde jedoch in diesem Fall politisch verarbeitet. Einerseits wurde (einem Vorschlag der Kommission folgend) das Element Graduiertenschulen aus der Exzellenzförderung gestrichen, anderseits soll eins von zwei kleineren Zusatzprogrammen zur Exzellenzstrategie in den nächsten 15 Jahren etwa 1.000 neue Tenure-Track-Stellen schaffen. Die Etablierung des Modells Graduiertenschule, das durch die Exzellenzinitiative sozusagen geadelt wurde, wird damit nicht mehr rückgängig zu machen sein; auch im Rahmen der nun allein forschungszentrierten Exzellenzförderung wird es befristete Projektstellen geben und wie die neuen Tenure-Track-Stellen verteilt werden, bleibt eine spannende Frage. Dennoch kann man wohl festhalten, dass die reformierte Exzellenzstrategie dem Mittelbau nun eher indirekt schadet: indem sie für Zwecke internationaler Forschungskonkurrenz Geld abzieht, das für eine Verbesserung seiner Lage fehlt. Würde man etwa die Exzellenzmittel einfach für Tenure-Track-Stellen umwidmen, käme man gut auf die 5.700 zusätzlichen Stellen, die laut Berechnungen von Anke Burkhardt für eine Bewältigung der gewachsenen Betreuungslasten notwendig wären,5 und hätte noch Geld für den ebenso nötigen Ausbau von Servicestellen in der Studienberatung und Forschungsunterstützung übrig. Statt diese Grundfinanzierung zu leisten, investiert man in eine kleine Klasse von Privilegierten.

4. Wenn die vertikale Differenzierung zwischen den Universitäten (und Mitarbeitergruppen) gelingt und sich ihre erhoffte Sichtbarkeit einstellt, droht auch jenseits der institutionellen Ebene erweiterte Ungleichheit. Alle internationalen Vergleichsfälle - die USA, Frankreich, südamerikanische Staaten wie Brasilien und Chile - legen nahe, dass ein hierarchisiertes Hochschulsystem die Vorteile von Studierenden aus wohlhabenden und gebildeten Familien verstärkt und Abschlüsse an den bevorzugt von ihnen besuchten Spitzenhochschulen zum Eingangsticket für hochbezahlte Jobs macht. Die Überzeugungslage der akademischen Klasse zu diesem vierten exzellenzkritischen Grundargument ist vielschichtig. Offiziell ist niemand für mehr soziale Ungleichheit. Doch viele fühlen sich nicht zuständig für sozialstrukturelle Effekte; in der Vorverständigung zur exzellenzkritischen Erklärung wurde an diesem Punkt (und nur hier!) wiederholt der Einwand geäußert, dass die Zusammenhänge "komplexer" seien. Hinzu kommen Bedenken, ob es gut ist, dass inzwischen so viele Menschen studieren.6 Das ist eine legitime und nicht notwendig eine elitäre Überlegung. Doch zwischen den beiden Argumentationslinien zeichnet sich eine de facto elitäre Einstellung ab, die die Bereitschaft, sich gegen den Exzellenzwettbewerb zu stellen, stark beeinträchtigen könnte: Man will mit anspruchsvollen Themen, geschulten geistigen Fähigkeiten und handverlesenen Studierenden wieder exklusiveren Umgang pflegen. Das Unbehagen in der Massenuniversität macht Exzellenzangebote, denen die akademische Klasse sonst misstraut, zumindest in ihrem Versprechensüberschuss attraktiv.

Hoffnung auf Funktionsstörungen

B. Nimmt man die geschilderten Argumentationslagen und Überzeugungsaussichten zusammen, wird klar, dass eine breite akademische Front gegen die Exzellenzstrategie wünschenswert, aber unwahrscheinlich ist. Der Überblick zeigt allerdings darüber hinaus, dass auch die Bedingungen, unter denen diese Strategie durchgesetzt wird, Kritik und Widerstand herausfordern. Einerseits ist Exzellenz tatsächlich die Speerspitze weit größerer fataler Entwicklungen: des Trends zu Antrags- und Prestigewettbewerb, zu einer dadurch erzeugten erweiterten Ungleichheit zwischen den Hochschulen, zu einer Legitimierung der Unterfinanzierung und prekären Beschäftigung bei der nicht erfolgreichen Mehrheit, zu einer akademisch vermittelten und gerechtfertigten sozialen Ungleichheit. Andererseits fördert die Exzellenzstrategie Haltungen, die ernsthafter und kritischer Wissenschaft abträglich sind: Sie setzt auf Entsolidarisierung zwischen den Hochschulen und Instituten, den Forschenden und Lehrenden, sie spielt mit dem Wunsch, Wissenschaft im Humboldtschen Stil sozusagen als Privileg auf Kosten anderer Wissenschaftler_innen und der vermehrt an die Hochschulen gezogenen Massen zu erhalten. Zu ergänzen ist ein Motiv, das in einem pointierten Artikel von Jochen Hörisch7 herausgearbeitet wurde: Die Exzellenzrhetorik stiftet eine teils heuchlerische, teils einfach dümmliche Doppelmoral. Hinter den Kulissen beschwert man sich über Antragsdruck, Pseudowissenschaft, Mainstream-Orientierungen, offiziell preist man alles als exzellent an, was im je eigenen Umfeld auch nur ansatzweise erfolgreich ist oder erfolgsträchtig scheint, und begrüßt die allgemeinen Bemühungen um Exzellenz. Wie nicht selten in ideologisierten Situationen ist dabei schwer zu sagen, was unheimlicher ist: Der Zynismus derer, die das System bloß strategisch bedienen, oder die schließlich doch angenommene Überzeugung von der je eigenen Vorzüglichkeit und der grundsätzlichen Fairness der Wettbewerbsordnung.

Die Effekte, die von der Exzellenzstrategie zu erwarten sind, lassen trotzdem Raum für Hoffnung und Spielräume für oppositionelles Handeln, weil sich auch Dysfunktionalitäten und Kompromisse ergeben werden.

Erstens unterlaufen viele institutionelle Akteure den Wettbewerbsdruck, indem sie sich für ihre Exzellenzanträge zu größeren regionalen Verbünden zusammenschließen. Wenn die akademische Region Berlin mit dem Großraum Frankfurt-Darmstadt-Mainz, einem Ruhr-Verbund und einem (weniger aussichtsreichen) Verbund Thüringen-Sachsen konkurriert, ist als Ergebnis immer noch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu erwarten, in der die jeweils führenden Universitäten eine Feudalherrenrolle spielen und die isolierten Standorte oder abgehängten Verbünde zu bemitleiden sind - aber vielleicht werden die beiden Klassen gegen die Exzellenzintention immerhin etwa gleich groß.

Zweitens könnte sich, wenn die Steuereinnahmen des Bundes noch eine Weile hoch bleiben, der Trend zu Trostpflaster- oder Ergänzungsinitiativen fortsetzen. In Antizipation möglicher Kritik hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz nicht nur die erwähnte Tenure-Track-Linie beschlossen, sondern auch ein Förderprogramm für kleinere und mittlere Hochschulen, von dem selbst die sonst im Exzellenzaktivismus völlig vernachlässigten Fachhochschulen profitieren werden. Beide Ergänzungsprogramme sind jeweils nur mit gut einem Zehntel der Exzellenzmittel ausgestattet und zumindest beim zweiten soll erneut ein Förderwettbewerb die Grundlage für eigentlich überall benötigte finanzielle Unterstützung bilden. Doch wenn noch einige Programme dieser Art hinzukämen, verspräche zumindest die Kompensation für die Exzellenzstrategie positive strukturbildende Effekte.

Damit es in diese Richtung weiter geht, muss allerdings drittens der Widerstand gegen die Exzellenzstrategie aufrechterhalten und ausgebaut werden. Bislang dürften wie erwähnt die kritischen Stimmen von Wissenschaftler_innen, Gewerkschaften und Studierenden die Hochschulpolitik im Bereich Exzellenz wenig beeinflusst haben. Die politische Sorge, dass sich massiverer Protest formieren könnte, ist jedoch mindestens ebenso handlungswirksam wie die Unzufriedenheit einzelner Bundesländer. Ein aktuelles Ziel kritischer Wissenschaft sollte es sein, diese Sorge mit faktischer Unruhe zu vergrößern. Neue öffentliche Erklärungen und Veranstaltungen, Kooperation mit Studierenden und den sich zunehmend vernetzenden Mittelbau-Initiativen, vielleicht sogar Exzellenz-Boykott-Aktionen, wenn sich erneut eine Gelegenheit ergibt und eine kritische Masse von Unzufriedenen findet, könnten zumindest den Preis für die verfehlte Exzellenzstrategie in eine angemessene Höhe treiben. Darüber hinaus könnten sie dafür stehen, dass wissenschaftliche Tätigkeit auch unter den gegebenen Bedingungen nicht zwangsläufig eine geistlose Angelegenheit wird.

Anmerkungen

1) Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative [IEKE] 2016: Endbericht, Berlin: 18.

2) E-Mail, April 2016.

3) IEKE 2016: 27.

4) Ebd.: 26.

5) Die Berechnungen wurden am 21.4.2016 bei einer GEW-Tagung vorgestellt und sind im Internet zugänglich: www.gew.de/presse/pressemitteilungen/detailseite/neuigkeiten/gew-fuenf-milliarden-fuer-5000-tenure-track-professuren/.

6) Vgl. in anderem Kontext Julian Nida-Rümelin 2014: Der Akademisierungswahn, Hamburg.

7) FAZ vom 29.5.2016.

Tilman Reitz lehrt Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Soziologie der Geistes- und Sozialwissenschaften, politische Theorie, Ästhetik und die Ökonomie der Wissensgesellschaft.

Zum Seitenanfang | Druckversion | Versenden | Textversion