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»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Forum Wissenschaft

Er-findet Exzellenz!

15.03.2007: Wettbewerb auf der Wissenschaftsbühne

  
 

Forum Wissenschaft 1/2007; Foto: Hermine Oberück

Immer noch geht die Fama, das Prädikat „Exzellenz“ sei exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern naturwüchsig eigen. Die Konstruktion von „Exzellenz“ lässt sich an den methodischen Grundlagen der ersten Vergaberunde des Prädikats ebenso verfolgen wie an deren Ergebnissen. Tanja Krumpeter beschreibt in einer Tragikomödie den Zuschreibungsprozess von „Exzellenz“.

Ein Forschungsinstitut sucht eine hervorragende Wissenschaftler-Persönlichkeit für die Besetzung eines Direktorenpostens. Herr A und Frau B, zwei renommierte Vertreter/-innen ihres jeweiligen Fachs, kamen in die engere Wahl und gehen nun in ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Mit je einem Vortrag sollen sie sich der Institutsöffentlichkeit präsentieren und eine Kostprobe ihres Könnens geben. Die institutsinterne Ankündigung des Kolloquiums von Frau B erfolgt durch ein Rundschreiben; auf die Veranstaltung von Herrn A wird mit zwei Rundschreiben hingewiesen. Während Frau B ihren Vortrag an einem Freitag zwischen einem Feiertag und dem darauffolgenden Wochenende halten soll, ist die Präsentation von Herrn A auf einen normalen Freitagnachmittag angesetzt. Sowohl Frau Bs als auch Herrn As Vorstellung wohnt das Direktoren-Kollegium des gastgebenden Instituts vollzählig bei. Herr A kann einen brechend vollen Saal für sich verbuchen, aber auch Frau Bs Veranstaltung ist trotz des ungünstigen Termins gut besucht.

Die Aufführungen gliedern sich in drei Akte: I. Begrüßung und Würdigung des Kandidaten/ der Kandidatin – II. Vorträge der Kandidatin/des Kandidaten – III. Disputation. Vorhang auf!

I. Akt: Laudationes

Herr A, dessen Muttersprache Deutsch ist, wird von Direktor T auf Englisch begrüßt. Zunächst dankt Herr T Herrn A dafür, dass dieser trotz akuter Indisposition den Weg ins Institut gefunden hat. Anschließend erklärt er dem Publikum, man habe Herrn A mit Rücksicht auf die vielen ausländischen Gäste gebeten, seinen Vortrag in englischer Sprache zu halten. – Freundlich und ohne Umschweife stellt Direktor O Frau B vor. Obgleich sich auch ihre Zuhörerschaft nicht allein aus deutschen Wissenschaftler/-innen zusammensetzt, wird auf eine englische Version ihres Vortrags verzichtet.

Die englische Laudatio auf Herrn A dauert ca. 20 Minuten und wird von einem aufstrebenden Nachwuchswissenschaftler in vorgerückter Position, Herrn D, gehalten. Herr D beschreibt sich als großen Bewunderer von Herrn A und verweist auf die Brillanz von Herrn As deutsch- und englischsprachigen Publikationen. Mit Blick auf dessen unzählige Auszeichnungen prophezeit Herr D: „Viele Preise werden noch folgen!“ Zum Schluss schildert er eine zufällige Begegnung mit Herrn A im Wald; der Anblick, der sich ihm bot, als er diesen mit seinem Kind durchs Gehölz tollen sah, habe ihn tief beeindruckt – warum, behält er für sich. Herr F, ein älterer Professor, hat es übernommen, in deutscher Sprache eine ca. zehnminütige Laudatio auf Frau B zu halten, deren Arbeiten er „aufrichtig“ bewundere. Er verweist auf den reichen Bestand ihrer Publikationen in der hauseigenen Bibliothek und fügt hinzu, er habe ihre Bücher immer gern gelesen.

II. Akt: Vorträge

Zu Beginn ihres Auftritts gibt Frau B zu Protokoll: Direktor O habe sie aufgefordert zu kommen, und sie sei überrascht darüber gewesen, weil sie sich nicht sicher sei, ob ihre Forschungsinteressen in dieses Institut passten – das müssten im Folgenden die Zuhörerinnen und Zuhörer entscheiden. Die Kandidatin begegnet ihrem Publikum auf gleicher Augenhöhe: Sie bleibt auf ihrem Stuhl sitzen, die Beine übereinandergeschlagen, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt. Ihre Ausführungen begleitet sie mit sparsamer Gestik. Frau B leitet ihren Beitrag mit den Worten ein: „Ich kann ja mal erzählen, was ich so mache“. Sie gibt einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen in ihrer Forschungsdisziplin, erläutert ihren eigenen theoretischen Standpunkt und geht zum Schluss kurz auf ihre laufenden und geplanten Projekte ein. – Herr A legt mit keinem Wort den Anlass seines Besuchs dar; ob und wie sich sein Forschungsfeld in der Institutslandschaft verorten ließe, ist auch kein Thema. Mit langen Vorreden hält er sich nicht auf. Der Kandidat erhebt sich von seinem Platz und agiert fortan im Stehen. Mit bezwingender Vitalität stürzt er sich in seinen (englischen) Vortrag und brilliert mit einem Thema aus seinem Spezialgebiet. Dabei ist er ständig in Bewegung, geht auf und ab, vor und zurück, bedeckt den Diaprojektor mit Folien und wechselt diese so schnell, dass es kaum möglich ist, ihren Inhalt zu erfassen. Mit energischen, weit ausladenden Gesten unterstreicht er die Bedeutung seiner Worte. Das Publikum lässt Herrn A nicht aus den Augen – es ist mucksmäuschenstill im Saal. Um die Schwierigkeit einer mathematischen Operation zu illustrieren, wendet sich Herr A plötzlich an einen Zuhörer next to him und stellt ihm eine Rechenaufgabe. Der „Proband“ fühlt sich sichtlich unwohl und will nicht mitspielen. Er zögert, überhaupt eine Antwort zu geben, und gibt dann prompt die falsche, was auch der Sinn der Übung ist. Beifall erntet Herr A für diesen special effect nicht.

III. Akt: Disputation

Nachdem Frau B und Herr A ihre Ausführungen beendet haben, reagieren zunächst die Direktoren in ihrer Funktion als Jury auf deren Beiträge. Anschließend dürfen die Zuhörer/-innen Fragen und Kommentare an die Kandidatin und den Kandidaten richten.

Bei der ersten an Frau B adressierten Bemerkung handelt es sich um einen fachlichen Einwand des Direktors T, den sie zur Freude des Publikums als abwegig verwirft. Trotz ihrer souveränen Reaktion steht ihr die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Frau B, die sich, wie ihrem Vortrag zu entnehmen war, mit der kulturellen Dimension der Geschlechterverhältnisse befasst und deren Arbeiten sich kritisch mit dem Naturalisierungsdiskurs auseinandersetzen, wird als Nächstes von Direktor P mit der Frage konfrontiert, ob denn sie „als Mutter“ jedes Bewusstsein für biologische Geschlechterunterschiede einfach ausblenden könne. Noch bevor sie Luft holen kann, lässt Direktor O mit ironischem Unterton verlauten, Frau B sei zu dieser Veranstaltung in ihrer Funktion als Wissenschaftlerin und nicht als Mutter eingeladen worden. Diese kontert daraufhin die Attacke von Direktor P mit einem knappen wissenschaftlichen Gegenstatement und fügt hinzu: „Und außerdem haben Sie ja eben selbst gehört, was Herr O gesagt hat!“ Das Publikum lacht nervös auf. Die Disputation scheint allein Frau B vorbehalten; keiner der Direktoren macht Anstalten, Herrn A „auf den Zahn zu fühlen“ – im Gegenteil: Ihre Münder sind voll des Wohlwollens für seinen beeindruckenden Vortrag.

Auf Fragen aus dem Publikum reagiert Herr A zunächst lebhaft und engagiert, dann zunehmend unwirsch. Mit energischen Gebärden und lauter Stimme wischt er aufkeimende Zweifel an den Methoden und Ergebnissen seiner Forschung vom Tisch.

Der gemachte Mann

Herr A verlässt als Favorit die Bühne, die er bereits als Begünstigter betreten hat. Gegenüber Frau B bekam er gleich mehrere Startvorteile zugewiesen: Die Ankündigung seines Kolloquiums, die Begrüßungsansprache und die Laudatio markieren die Exklusivität seines Auftritts. Mit vollem Körpereinsatz nutzt er den Spielraum, der ihm für seine Show so bereitwillig gewährt wird. Er imponiert, er dirigiert und triumphiert – die Erniedrigung „seiner“ Untergebenen dient der Erhöhung seiner selbst. Während die Aufführung des Kandidaten als positives Bekräftigungsritual erscheint, das ihm Gelegenheit gibt, sich als rechtmäßige Führungskraft zu inszenieren, steht der Auftritt der Kandidatin im Zeichen des negativen Vorurteils. Ihr Status wird zur Direktorensache, die zwischen den Herren T, P und O neu verhandelt wird, ihr wissenschaftlicher Impact so lange in Frage gestellt, bis er verschwunden ist.

Kaum präsentiert sich Frau B als Expertin auf ihrem Gebiet, die Direktor T mühelos in seine fachlichen Schranken weist, wird sie von dessen Kollegen, Direktor P, in die „Grenzen“ ihres Geschlechts verwiesen. Er erklärt ihre Mutterschaft zum disqualifizierenden Faktum und erkennt ihr damit den akademischen Titel ab. Direktor O verstärkt mit seinem Einspruch die Wirkung von Ps Angriff eher, als dass er ihm den Wind aus den Segeln nimmt – gerade weil er die Botschaft noch einmal auf den Punkt bringt: Das Mutter-(= Frau-)Sein und das Wissenschaftler-Sein schließen sich gegenseitig aus. Herrn As Vaterschaft und seine Liebe zur Natur werden dagegen begeistert zur Kenntnis genommen.

Ehre, wem Ehre gebührt

Die Aufführungen von Herrn A und Frau B erfolgen nacheinander, unterliegen aber einer Inszenierung: Indem Frau B, als ausgewiesene Spitzenwissenschaftlerin Herrn A ebenbürtig, aus dem Rennen geschickt wird, kann Professor A ungehindert siegen – ohne zu gewinnen. Sein „Charisma“ spiegelt den Respekt, der Frau B als Wissenschaftlerin verweigert wird, seine „Exzellenz“ ihre Entwürdigung. – Herr A wurde als Nachfolger von Direktor P berufen. Eine gute Wahl, denn wer könnte diesen besser ersetzen? Vor allem, wenn man bedenkt, dass „Exzellenz“ (lat. excellentia) „Herr/lich/keit“ bedeutet und nicht etwa „Hervorragendlichkeit“.


Tanja Krumpeter ist Diplom-Sozialwirtin und arbeitet als freie Lektorin in Berlin im Auftrag von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern.

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