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»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Hochschulen als Kriegsdienstverweigerer

  
 

Forum Wissenschaft 4/2009; Foto: Helmut Rühl

Durch den Einfluss der Friedensbewegung der 1980er Jahre gelang es, das Thema Rüstungsforschung an den Hochschulen zu skandalisieren. Diese Initiativen sind heute beinahe vergessen. Möglichweise gelingt es jetzt, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu bringen und einen Gegenakzent zur ,Ökonomisierung' und zur damit verbundenen Entpolitisierung der Hochschulen zu setzen. Arne Karrasch und Victor Perli über einen Gesetzentwurf im niedersächsischen Landtag.

Was darf Forschung? Die Frage nach der ethischen Grenze von Forschung und Wissenschaftsfreiheit beschäftigt nicht nur die Fachwelt in regelmäßigen Abständen. In der breiten Öffentlichkeit wird diese Frage zumeist am Beispiel der Gentechnik diskutiert und vor allem in Niedersachsen auch über die Vorgänge im so genannten ,Forschungsendlager' Asse II. Im Landtags-Untersuchungsausschuss zur Asse geht es unter anderem um die Frage, in welchem Umfang Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Mitverantwortung für die Einlagerung von rund 126.000 Atommüllfässern in das marode Bergwerk zu tragen haben. Denn nicht nur von Seiten verantwortlicher Politiker sondern auch von WissenschaftlerInnen und ,Endlager-ExpertInnen' wurden Hinweise auf die mangelnde Standsicherheit des Grubengebäudes ignoriert und KritikerInnen nicht ernst genommen.

Über Rüstungsforschung wird hingegen nach dem Auslaufen der Friedensbewegung der 1980er Jahre kaum noch diskutiert. Dabei ist das Thema lediglich aus der überregionalen medialen Öffentlichkeit verschwunden, aber keineswegs aus den öffentlichen Haushalten von Bund und Ländern. So investierte der Bund im Jahr 2008 etwa zehn Prozent seiner Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den Bereich Wehrforschung und -technik, in Zahlen ausgedrückt sind das 1,2 Milliarden Euro. Die Profiteure dieses Geldregens sind neben Forschungsinstituten unter anderem 47 Hochschulen, die in den letzten Jahren Forschungsaufträge des Bundesverteidigungsministeriums erhalten haben.1 Mancherorts werden diese Aufträge nicht an die große Glocke gehängt. An der Technischen Universität Berlin haben die Beschäftigten und der Rektor erst durch eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag von derartigen Forschungsprojekten an ihrer Hochschule erfahren.2 Dabei gibt es dort seit 1991 die Regelung, dass "keine Aufträge oder Zuwendungen für rüstungsrelevante Forschungen entgegengenommen werden sollen". Dennoch erhielt die TU Berlin in den Jahren 2005 und 2006 Drittmittel vom Bundesverteidigungsministerium, um damit wehrtechnische und wehrmedizinische Forschung zu betreiben. Ähnlich sieht es an der Universität Hannover aus. Bis zum Juli 2008 stand in der Präambel ihrer Grundordnung, die Universität verstehe sich als "Gemeinschaft zur Pflege von Wissenschaft und Kunst in humanistischer Tradition. Sie fördert die Freiheit von Forschung und Lehre in Verantwortung für deren Folgen. Die Universität setzt sich ein für Frieden, internationale Verständigung, Gleichstellung und nachhaltige Entwicklung".3 Nichtsdestotrotz flossen in den Jahren 2006 und 2007 auch nach Hannover 154.700 Euro aus dem Forschungsetat des Verteidigungsministeriums, um zu erfahren, welche Schäden an elektronischen Geräten entstehen, wenn diese starken elektromagnetischen Feldimpulsen ausgesetzt werden. KriegsgegnerInnen sehen dahinter das Ziel, Erkenntnisse zu erlangen, "die für die Zerstörung feindlicher Elektronik, wie Radar- und Funkanlagen, nützlich sind."4 Die Universität verweist hingegen auf den defensiven Charakter des Projekts, da der Frage nachgegangen wurde, "wie sicherheitskritische Anlagen wie Computer, Telefonzentralen oder elektromagnetische Militärgeräte gesichert werden können".5 Eine Diffamierung des Projekts als ,Rüstungsforschung' sei daher unangebracht. Die Frage, inwieweit diese Forschung dem Frieden und der internationalen Verständigung dient und nicht eher der Sicherung der eigenen Ressourcen in militärischen Konflikten, beantwortete die Hochschule nicht.

Zivilklausel als Verpflichtung zum Frieden

Aufgrund dieser Ereignisse hat die Linksfraktion im Niedersächsischen Landtag ein Gesetz vorgelegt, das die Aufnahme einer sogenannten Zivilklausel in das Hochschulgesetz vorsieht. Dazu soll das Gesetz im Kern um einen einzigen Satz erweitert werden: "Die den Hochschulen vom Land zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel sollen ausschließlich für Vorhaben verwendet werden, die friedlichen Zwecken dienen".6 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs soll diese Verpflichtung zum Frieden (wieder) Einzug in das Landeshochschulgesetz erhalten. Dort stand sie bereits bis zum Jahr 2002. 1993 gelang es der parteilosen Wissenschaftsministerin Helga Schuchardt unter bewusster Bezugnahme auf die Friedensbewegung, das rot-grüne Landeskabinett unter Führung von Gerhard Schröder von der Notwendigkeit der Zivilklausel zu überzeugen. In der Begründung des Gesetzes heißt es, "daß es der Aufgabenstellung der Hochschulen nicht entspricht, wenn in ihnen Forschung betrieben wird, deren Ergebnisse für eine militärische Nutzung vorgesehen sind oder aber für eine solche Nutzung erkennbar unmittelbar militärisch missbraucht werden sollen, und daß das Land nicht bereit ist, seine der Wissenschaft gewidmeten Ressourcen hierfür zur Verfügung zu stellen."7 Diese Regelung wurde in einer Zeit getroffen, während der "der Bund an einem Vormittag so viel [für militärische Forschung ausgibt] wie für Friedensforschung in einem Jahr".8 Knapp zehn Jahre später strich die SPD-Regierung mit dem Wissenschaftsminister Thomas Oppermann diese Vorschrift aus dem Gesetz, und die Verpflichtung zum Frieden fiel der Deregulierung des Hochschulsektors zum Opfer.

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage eines der Verfasser dieses Beitrages9 führt die Landesregierung aus, dass es derzeit Drittmittel-Projekte im Bereich der "sicherheitstechnischen Forschung" an den niedersächsischen Hochschulen im Umfang von 2,6 Mio. Euro gebe. Verglichen mit anderen Forschungszweigen und mit dem Finanzvolumen der Sicherheitsforschung in anderen Bundesländern ist die Summe gering, zumal der Inhalt der Forschung nicht überall kriegsfördernd sein muss. Aufgrund der sehr technischen (und daher: verschleiernden) Projekttitel müsste jedes einzelne Projekt genauer untersucht werden. Das Beispiel Hannover zeigt dabei, wie mit Deutungen und Verbalakrobatik gearbeitet werden kann, um die Bedeutung von Forschungsprojekten für das Militär klein zu reden, damit die Drittmittelprojekte an gesellschaftlicher Akzeptanz gewinnen.

Durch eine gesetzliche Regelung will die LINKE eine Auftragsforschung für den Rüstungssektor an den Hochschulen verhindern. Wichtig ist ein gesetzliches Verbot vor allem, weil es die abhängig Beschäftigten davor schützt, Rüstungsforschung auf Dienstanweisung betreiben zu müssen. Die Ereignisse aus Berlin und Hannover zeigen, dass Regelungen auf Hochschulebene offenkundig nicht ausreichen. Die Diskussion um die Zivilklausel am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wird ebenfalls vor diesem Hintergrund geführt. Das KIT ist das Ergebnis der am 1. Oktober 2009 vollzogenen Fusion der Universität mit dem bisherigen außeruniversitären Forschungszentrum Karlsruhe (FZK). Das FZK wurde 1956 als Kernforschungsinstitut gegründet und enthielt in der Satzung eine Zivilklausel ("Die Forschung dient ausschließlich friedlichen Zwecken"), um beispielsweise die Erforschung von Atomwaffentechnologie auszuschließen. Im Zuge der Fusionsbestrebungen wurde die Klausel durch die Landesregierung in Frage gestellt. Opposition, Gewerkschaften und Studierende initiierten eine öffentliche Debatte über den Erhalt der Zivilklausel. 63% der (abstimmenden) Studierenden votierten in einer Urabstimmung für deren Beibehaltung Am Ende stand ein faules Kompromissangebot der Landesregierung. Laut Fusionsgesetz betreibt das KIT "zur EURnehmung der Großforschungsaufgabe [...] im Interesse der Allgemeinheit Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken" - bei der EURnehmung der universitären Aufgaben gilt diese Einschränkung nicht. Am Institut für Nachrichtentechnik der Universität lässt die Bundeswehr seit Jahren forschen.

Akzeptanz oder Kritik der Militarisierung?

Von dem Gesetzesvorstoß in Niedersachsen wäre es mit Sicherheit zu viel verlangt, dass damit das Problem der ausufernden Rüstungsforschung und Waffenproduktion in Deutschland bzw. Niedersachsen gelöst wird. Der größte Teil der Forschung findet außerhalb unserer Hochschulen statt, sei es in privaten Unternehmen oder in außeruniversitären Forschungsstätten wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Aber die Initiative kann dazu beitragen, eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über Rüstungsforschung zu initiieren und gleichzeitig eine Grenze des Erlaubten zu ziehen. Eine öffentliche Debatte muss das Gebot der Stunde sein. Allein die Tatsache, dass die schleichende Akzeptanz der Militarisierung der Gesellschaft nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wird, bedeutet nicht, dass ihre VerfechterInnen still halten. So treffen sich alljährlich beim "Celler Trialog" SpitzenvertreterInnen aus Bundeswehr, Politik und Wirtschaft. In ihrem letztjährigen Memorandum vereinbarten sie nicht nur eine Initiative zur "Förderung der Reservisten in Industrie und Wirtschaft, zur Vertiefung der persönlichen Kontakte und zur Intensivierung der zivil-militärischen Zusammenarbeit", sondern die VertreterInnen wollen ebenso "aktiv darauf hinwirken, dass der sicherheitspolitische Dialog auch in Forschung und Lehre, insbesondere an unseren Hochschulen, gestärkt wird, z.B. durch die Einrichtung von Stiftungsprofessuren". Die UnterzeichnerInnen sind keine klassischen, schießwütigen Hardliner, sondern die Commerzbank stellvertretend für die Wirtschaft auf der einen Seite und die Bundesregierung auf der anderen Seite. Gegen solche Ideen muss klar Stellung bezogen, sie müssen Gegenstand öffentlicher Diskussionen werden. Das Ziel muss eine Neuausrichtung der Forschungspolitik sein, die sich an den Forderungen des "Memorandums Forschung und Technologiepolitik 1994/95"10 orientieren kann: Rückbau der Militärforschung, Transparenz bei Auftragsvergabe und -ergebnissen sowie das Recht der Beschäftigten, die Mitarbeit an militärischen Projekten zu verweigern. Ein Schritt dazu ist das Bekenntnis des Gesetzgebers, dass die Hochschulen den Kriegsdienst verweigern sollen.

Inwieweit der Niedersächsische Landtag zu einem solchen Schritt bereit ist, werden die Beratungen zeigen, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels noch nicht abgeschlossen sind. Bei der Plenardebatte zur Einbringung des Gesetzes kam die SPD-Vertreterin Dr. Gabriele Andretta am Ende ihrer abwägenden Rede zu einer ablehnenden Haltung, da sie an der Wirksamkeit der Zivilklausel zweifle. Sie stellt sich damit in die Linie der deregulierenden SPD von 2002 und nicht des rot-grünen Kabinetts von 1993. Gleichzeitig regte Andretta eine "ernsthafte Diskussion" im Fachausschuss an. Die Abgeordnete der Grünen, Dr. Gabriele Heinen-Kljajic´, bewertete die Initiative als "Symbolpolitik", mit der man dem Hochschulgesetz keinen Gefallen tue. Die Frage, "wo in der Gesellschaft ausgehandelt wird, was mit Steuermitteln geforscht werden darf", sieht sie nicht im Landtag, sondern ausschließlich in der Zivilgesellschaft. Jens Nacke, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, kündigte stellvertretend für die Regierungsfraktionen an, dass der Gesetzentwurf "in dem Moment, wo er auf der Tagesordnung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur auftaucht, abgelehnt werden wird." Die Mehrheit im Niedersächsischen Landtag hat offenkundig kein Interesse an einer Auseinandersetzung über militärische Forschung.

Anmerkungen

1) vgl. Bundestags-Drucksache 16/10156

2) Vgl. Sarah Nagel: Hochschulen forschen für den Krieg, IMI-Studie 7/2009, herausgegeben von der Informationsstelle für Militarisierung e.V.

3) Grundordnung der Universität Hannover, gültig bis zum 17. Juli 2008. Die neue Fassung der Grundordnung der Universität verzichtet auf einen Bezug zum Frieden und internationaler Verständigung und verweist in der Präambel auf ihr Leitbild. Dort heißt es lediglich, dass die Freiheit von Forschung und Lehre ein hohes Gut sei, und diese Freiheit "die kritische Reflexion und die Abschätzung der Folgen unseres Handelns" beinhalte und man "die drängenden Fragen der Zeit" beantworten wolle.

4) antimilitarismus.blogsport.de/2009/04/10/ruestungsforschung-an-der-leibniz-universitaet-hannover-und-studentischer-protest-dagegen/ , zuletzt abgerufen am 02. Oktober 2009

5) Pressemitteilung der Universität Hannover vom 10. Juni 2009

6) Niedersächsischer Landtag, Drucksache 16/1485

7) Niedersächsischer Landtag, Drucksache 12/3810

8) Memorandum Forschungs- und Technologiepolitik 1994/95. Gestaltung statt Standortverwaltung. Für eine sozial-ökologische Erneuerung der Forschungs- und Technologiepolitik; abgedruckt in: Georg Ahrweiler, Peter Döge, Rainer Rilling (Hg.): Memorandum Forschungs- und Technologiepolitik 1994/95. Gestaltung statt Standortverwaltung. Für eine sozial-ökologische Erneuerung der Forschungs- und Technologiepolitik, Forum Wissenschaft Studien 26, BdWi-Verlag, S.13-43 (hier: S.17)

9) Niedersächsischer Landtag, Drucksache 16/1282

10) a.a.O.



Arne Karrasch ist Referent für Bildung, Wissenschaft und Kultur der Fraktion DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag. Er ist erreichbar unter arne.karrasch@lt.niedersachsen.de . Victor Perli ist wissenschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag. Er ist erreichbar unter victor.perli@lt.niedersachsen.de

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