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Klaus Holzkamp

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Gläserne Decken, alte Zöpfe

15.05.2008: Frauenförderung an Hochschulen auf dem Prüfstand

  
 

Forum Wissenschaft 2/2008; Manfred Vollmer

Die Förderung von Hochschul-Frauen braucht nach wie vor die Mühe des Berges. Die Mühen der Ebene liegen noch in der Zukunft, allem mainstreamigen Gerede von Erfordernissen und Potenzial-Nutzungen zum Trotz. Astrid Backmann, Julka Jantz und Sven Glawion beobachteten, hörten zu und schätzen den Stand ein.

Die Konzentration war hoch am 18. Februar 2008 im Bundestag. Klappern von Kaffeetassen, leises Tuscheln. Nur einmal wird laut gestöhnt, als ein FDP-Fraktionsmitglied bestreitet, dass auch Männer die ersten Monate der Kinderbetreuung übernehmen können. Das sei rein biologisch schwierig, Männer könnten schließlich nicht stillen. "Vorsprung durch Technik!" raunt es durch die Reihen der ZuhörerInnen.

Das Thema "Frauen in der Wissenschaft und Gender in der Forschung" lockte ca. 70 BesucherInnen - jung und alt, Frauen und Männer - zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Soviel Publikum ist selten bei einer öffentlichen Anhörung. Vielleicht beim Thema Stammzellenforschung, da sei es ähnlich voll gewesen, bemerkt die Präsidentin des Ausschusses. Das große Interesse erstaunt nicht: Professuren sind in Deutschland zu 85,7% mit Männern und nur zu 14,3% mit Frauen besetzt, in den Leitungspositionen dominieren Männer sogar mit 92,8%. Obwohl in den meisten Fächern gleich viele Frauen und Männer Studienabschlüsse erreichen, promovieren durchschnittlich mehr Männer. Zwischen Promotion und Habilitation ist der "Frauenschwund" noch gravierender, trotz Gleichstellungsauftrag im Grundgesetz. Doch nicht nur der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt heizt die Diskussion an. Bleibt es bei dieser Form der akademischen Ressourcenverschwendung, werde bald vielen Forschungsbereichen das qualifizierte Personal ausgehen, so die Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft Barbara Bludau. Wo liegen also die Fehler im System? Was genau verhindert Professorinnen?

"Nachwuchs" über Vierzig

Zehn Sachverständige1 waren geladen, um sich den Fragen aus den Parteien mit ihrer Expertise zu stellen: Das Bild des Wissenschaftlers, so wurde betont, ist nach wie vor männlich geprägt: Wissenschaftler arbeiten Tag und Nacht, sind befreit von familiären Verpflichtungen und sozial unbeholfen. Dieses Bild des sympathisch "wirren Genies" prägt den Verlauf einer Wissenschaftskarriere, die in Deutschland eher als Berufung denn als Beruf angelegt ist. Sie ist bestimmt von Abhängigkeitsverhältnissen, dem Imperativ der Hingabe an die Universität und dem Prinzip des alles-oder-nichts. Denn der Ruf auf einen Lehrstuhl ist die einzige Möglichkeit, eine gut bezahlte, unbefristete Beschäftigung zu erhalten. So gelten WissenschaftlerInnen auch mit über 40 Jahren noch als wissenschaftlicher Nachwuchs. Beschäftigungskategorien wie der "senior lecturer", der andernorts erfahrene ForscherInnen ohne Professur auszeichnet und Beschäftigungsperspektiven bietet, fehlen in Deutschland. Gibt es nach jahrzehntelanger "Qualifikationsphase" - meist verbracht auf schlecht entlohnten und befristeten Stellen - keine Berufung, stehen viele vor dem beruflichen Aus. Durch die lange Phase bis zur Habilitation sind sie für den nicht-wissenschaftlichen Arbeitsmarkt zu alt oder überqualifiziert. Dieser Mythos vom Wissenschaftler, der auf Selbstausbeutung und destruktiven Arbeitsformen basiert, belastet zwar Männer wie Frauen theoretisch gleich. Doch Untersuchungen zeigen, so Andreas Keller von der GEW, dass Frauen in der Wissenschaft überproportional unter gering bezahlten und kurzfristigen Arbeitsverhältnissen leiden. Wie Andreas Keller betonte auch Susanne Baer den Vorzug von Stellen im Vergleich zu Stipendien, denn StipendiatInnen fehlt die institutionelle Anbindung und der Zugang zu universitären Netzwerken.

Stellen und Stereotypen

Angesichts der Tatsache, dass sich hauptsächlich Frauen mit Hilfe von Stipendien qualifizieren, enthält die Forderung der GEW "Stellen statt Stipendien" eine stark gleichstellungspolitische Komponente: Gefordert wird ein Umdenken, nach dem Wissenschaft nicht mehr ausschließlich als Berufung, sondern als Beruf gesehen wird. Das schließt Planungssicherheit in Form sozialversicherungspflichtiger, unbefristeter Stellen ein. Hier ist es auch mit dem "gleichstellungspolitischen Dissensmangel" vorbei, den Peter Strohschneider vom Wissenschaftsrat am Anfang der Anhörung kritisierte. Denn viele Beiträge bekannten sich klar zu Konkurrenz und Elitebildung.

Doch selbst wenn Frauen Stellen haben, stoßen sie gegen "gläserne Decken". Sie werden mit stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit belegt und darüber in ihren wissenschaftlichen Leistungen abgewertet, finden in den männlich geprägten Netzwerken keinen Platz und werden "übersehen". Frauen setzen im Vergleich zu Männern immer noch zu sehr auf Leistung und zu wenig auf Präsenz in Netzwerken und persönliche Unterstützung. Sie übernehmen mehr soziale, zeitintensive Verantwortung bei der Studierendenbetreuung und der universitären Selbstverwaltung. Alles Aufgaben, die keine wissenschaftliche Anerkennung bringen. Unterbrechungen der wissenschaftlichen Karriere - eine Pause für Kinder - sind zusätzliche Karrierekiller, ein Wiedereinstieg ist oft unmöglich.

Dass die schlechte Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlichem Erfolg der Hauptgrund für die Geschlechterungleichheit ist, dem widerspricht die GEW jedoch. Diese Vorstellung basiert auf einem veralteten Familienmodell und verschiebt Verantwortung einseitig zu Lasten von Frauen. Berufliche Nachteile für Erziehende müssen als gesamtgesellschaftliche Probleme gesehen und gelöst werden.

Flachere Hierarchien, Förderung von Projekten statt Personen und gleichstellungspolitische Evaluationen führen zu erhöhter Chancengleichheit, das demonstrierte Carl Jacobsson vom schwedischen Wissenschaftsrat am Beispiel seines Landes eindrucksvoll. Die einseitige Ausrichtung auf den Olymp der Professur, so auch die Einschätzung von Susanne Baer, ist veraltet, innovations- und gleichstellungsfeindlich. US-amerikanische Studien belegen, dass sich Karrierechancen von Frauen verbessern, sobald universitäre Schwerpunkte und Strukturen auf Team-Arbeit und Interdisziplinarität ausgerichtet sind. Hier wird deutlich, welche Chancen die Exzellenzinitiative in Deutschland verpasst hat, um Benachteiligungen von Frauen abzubauen. Notwendig sind andere Arbeitsformen, die Abschaffung von Studiengebühren als Zugangsbarriere zur Universität, die Einführung des tenure tracks und die Abschaffung der Habilitation. Zusätzlich befürwortet die GEW Quotenregelungen. Die sind unter den Sachverständigen allerdings nicht konsensfähig. Barbara Bludau plädierte gegen Quoten und für Anreizsysteme. Sie forderte mehr Geld in den Hochphasen von Projekten, "um sich Zeit zu kaufen". Frauen wüssten am besten selbst, ob sie Kinderbetreuung, Haushaltshilfe oder schlicht ein Teammitglied mehr bräuchten. Auch Susanne Baer skizzierte eine Vielzahl von Förderinstrumenten, jedoch ohne Quotenregelungen: stark anonymisierte Beurteilungsverfahren, systematische Anstrengungen zur Bekämpfung von Vorurteilen, rechtliche Anforderungen an Maßnahmen zur Chancengleichheit, Abschaffung aller Altersgrenzen und eine veränderte Arbeitskultur.

Schließlich sollte es neben den Fragen der Gleichstellung an diesem Nachmittag auch um Genderforschung gehen. An diesem Punkt blieben die Beiträge jedoch schwach, mit Ausnahme von Susanne Baer. Ihr gelang es darzustellen, wie Frauenförderung und Genderforschung zusammenwirken können. Gender Studies erforschen beispielsweise, wie akademisches Wissen unter Ausschluss eines Begriffs von Geschlecht hergestellt und damit die eigene Zukunftsfähigkeit enorm begrenzt wird. Dort, wo enge disziplinäre Grenzen und konservative Kanonbildung in Bewegung geraten, kann Wissenschaft ihre eigenen Strukturen wieder an Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. Auch das Interesse an Fragen der sozialen Gerechtigkeit und an einer antirassistischen Wissenschaftsförderung war in dieser Anhörung erschreckend gering. Dennoch hat sie Alles in Allem gezeigt, dass es durchaus vielfältige Mittel gäbe, gläserne Decken und alte Zöpfe zu entfernen. Vorausgesetzt, der politische Wille ist vorhanden.

Weitere Informationsquellen finden Sie hier:

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hg.): Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung. Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung. Heft 139. Bonn 2007.

Hochschule und Forschung in der GEW: www.wissenschaft.gew.de

Stellungnahme der GEW zur öffentlichen Anhörung "Frauen in der Wissenschaft und Gender in der Forschung": wissenschaft.gew. de/Binaries/Binary28648/Frauen+in+der+ Wissenschaft+-+Stellungnahme+GEW.pdf

GEW Projektgruppe DoktorandInnen: wissenschaft.gew.de/DoktorandInnen.html

GEW Projektgruppe Frauen in Hochschule und Forschung: wissenschaft.gew.de/PG_Frauen_in_Hochschule_und_Forschung.html

Anmerkung

1) Prof. Dr. Susanne Baer (GenderKompetenzZentrum der HU Berlin), Dr. Barbara Bludau (Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.), Jutta Dahlhoff (Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung), Dr. Carl Jacobsson (Director Division for analysis Swedish Research Council), Dr. Maren Jochimsen (Plattform Europäischer Wissenschaftlerinnen), Prof. Dr. Amélie Mummendey (Graduierten-Akademie der Friedrich Schiller Universität Jena), Prof. Dr. Ferdi Schüth (Deutsche Forschungsgemeinschaft), Dr. Petra Schultheiß-Reimann (Arbeitskreis Chancengleichheit in der Chemie in der Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.), Prof. Dr. Peter Strohschneider (Wissenschaftsrat). Die GEW wurde durch Dr. Andreas Keller, Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung im Hauptvorstand, vertreten.



Astrid Backmann ist Soziologin, Doktorandin und Projektmitarbeiterin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Julka Jantz ist Verwaltungswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Sven Glawion, Germanist und Gender-Wissenschaftler, promoviert am Institut für deutsche Literatur der HU Berlin. Alle drei sind Mitglieder der Projektgruppe DoktorandInnen des GEW-Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung, die mit Expertisen und Veranstaltungen die GEW für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Position bringt.

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