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Klaus Holzkamp

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(Auto)ritärer Charakter

15.05.2005: Verkehrsmittelwahl und Persönlichkeit

  
 

Forum Wissenschaft 2/2005; Titelbild: Bernhard Edmaier

Dass die Art und Weise der Fortbewegung mittels des motorisierten Privatverkehrs die menschliche und außermenschliche Umwelt gefährdet, gehört spätestens seit über 20 Jahren zu den Allgemeingut gewordenen Erkenntnissen. Dieser Erkenntnis folgt bisher freilich nur selten entsprechendes Handeln. Stefan Müller fragt nach Gründen.

Vielerorts gründeten sich in den 80er und frühen 90er Jahren Initiativen mit dem Ziel, den Straßenverkehr zu reduzieren, zu verlagern und insbesondere im jeweils eigenen Wohnumfeld verkehrsberuhigte Zonen einzurichten. Dieser im Nachhinein - auch im Vergleich zu anderen Teilen der neuen sozialen Bewegungen - zeitlich als relativ kurz zu charakterisierende Trend innerhalb der neuen sozialen Bewegungen sensibilisierte zwar für die Problematik, hat jedoch nicht zu einschneidenden Verhaltensmodifizierungen bei der Mehrzahl der Menschen oder im politischen Raum geführt. Lediglich im politisch-administrativen Bereich von Städten und Gemeinden haben sich durch die Umsetzung einiger Forderungen (Einrichtung zahlreicher verkehrsberuhigter und Tempo-30-Zonen) mittel- und längerfristige Veränderungen, allerdings meist nur in räumlich begrenzten Bereichen ergeben. Obwohl sich an der objektiven ökologischen Krise wenig geändert hat, die inzwischen auch die soziale Spaltung forciert - denn wer will schon noch an den Hauptverkehrsachsen wohnen? -, scheint die Sensibilisierung dafür inzwischen der vermeintlichen Einsicht gewichen zu sein, dass es ohne Auto einfach nicht gehe.

Die Verkehrsprognosen für die nächsten Jahre gehen weiterhin von einem starken Wachstum des motorisierten Privatverkehrs aus, während die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel stagniert bzw. bestenfalls geringfügig ansteigen soll. Ohne steuernde Maßnahmen würde sich das ungleiche Verhältnis sogar noch weiter zugunsten des Automobils verschieben. Die "Laisser-faire-Rechnung" (Entwicklung des Personenverkehrs ohne staatliche lenkende Eingriffe) im Bundesverkehrswegeplan 2003 prognostiziert einen Anstieg der Personenkilometer auf der Straße von 750 Milliarden im Jahr 19971 auf 915 Milliarden im Jahr 2015. In der gleichen Zeit sollen die Personenkilometer auf der Schiene nur von 74 auf 87 Milliarden steigen und im Bereich des öffentlichen Straßenpersonenverkehrs (Stadtschnellbahn-, U-Bahn-, Straßenbahn-, Omnibus- und Kraftomnibusverkehr kommunaler, gemeinwirtschaftlicher und privater Unternehmer, also im Wesentlichen des öffentlichen Personennahverkehrs) gar von 83 auf 76 Milliarden Personenkilometer zurückgehen. Selbst die "Integrations-Rechnung" des Bundesverkehrswegeplans, die gewisse staatliche Maßnahmen zugunsten des öffentlichen und zu Lasten des motorisierten Privatverkehrs vorsieht, prognostiziert einen Zuwachs auf der Straße von 750 auf 873 Milliarden Personenkilometern; für die Schiene wird in dieser Rechnung ein Anstieg von 74 auf 98 und für den öffentlichen Straßenpersonenverkehr von 83 Milliarden Personenkilometern 1997 auf 86 Milliarden Personenkilometer im Jahr 2015 erwartet.

Mir geht es in diesem Beitrag nicht darum, die ökonomischen und politischen Ursachen der Autodominanz2 zu analysieren, sondern die Charakterstrukturen und Einstellungen, die Individuen dazu veranlassen, dieses System vielfach leidenschaftlich zu reproduzieren. Im Vordergrund stehen dabei nicht die scheinbar rationalen Gründe wie Preis, Zeitersparnis, Flexibilität und Bequemlichkeit, die die Verkehrsmittelwahl beeinflussen, sondern häufig unbewusste irrationale Aspekte.

Zwei Fetischbegriffe

Mit dem Marxschen Fetischbegriff lässt sich nicht unbedingt erklären, warum ausgerechnet die Ware Automobil so eine große Bedeutung für die Individuen hat. Robert Kurz3 weist zwar zu Recht daraufhin, dass das Automobil jene Ware ist, die die Durchkapitalisierung des Reproduktionsbereiches wie keine andere einleitete, die Verlängerung der Werkbank in die Freizeit. Dies reicht jedoch nicht aus, um den Autowahn vieler Männer zu erklären: Sie geben ihren Vehikeln Namen, verzieren sie und verbringen oft mehr Zeit mit ihm als ihren Mitmenschen.

"Er bleibt das Zeichen des Triumphes über die Kastrationsdrohung und der Schutz gegen sie, er erspart es dem Fetischisten auch, ein Homosexueller zu werden, indem er dem Weib jenen Charakter verleiht, durch den es als Sexualobjekt erträglich wird … Der Fetisch wird von anderen nicht in seiner Bedeutung erkannt, darum auch nicht verweigert, er ist leicht zugänglich, die an ihn gebundene sexuelle Befriedigung ist bequem zu haben."4

Der Freudsche Fetischbegriff steht nicht in Opposition zum Marxschen, sondern hat ein anderes Thema: gescheiterte Entwicklungen in der Kindheit. Die Kritische Theorie hat dies in den Studien über Autorität und Familie weiterentwickelt.5 Stark verkürzt: Die Folge fehlender Ichstärke sind autoritäre Charaktere. Auch wenn der Vater heute sicher nicht mehr überall die, diese Entwicklung forcierende, irrationale Autorität ist: andere gesellschaftliche, aber ebenso irrationale Institutionen sind an seine Stelle getreten und führen zur Ausformung autoritärer Charakterstrukturen. Diese regressiven Erwachsenen sind nicht primitiv unentwickelt, sondern zwanghaft zurückgestaut: "Sie offenbaren, wann immer es ihnen erlaubt wird, den verkniffenen Haß dessen, der eigentlich das andere ahnt, aber es fortschiebt, um ungeschoren leben zu können, und der darum am liebsten die mahnende Möglichkeit ausrotten möchte."6

Das Drängeln ebenso wie das Schleichen auf der linken Autobahnspur, vorzugsweise von Fahrern dunkler oder metallicfarbener Limousinen praktiziert, ist derselben psychischen Motivation entnommen: anderen die Autorität aufzwingen, die man selbst verinnerlicht hat. Entweder penibles Einhalten der Geschwindigkeit oder Raserei und Schnelligkeit um jeden Preis. Nicht weniger autoritär sind jene, die sofort kuschen, wenn sich von hinten ein schnelles Fahrzeug nähert. Oder, mit den Begriffen der Kritischen Theorie: Während beim Drängler autoritäre Aggression und Kraftmeierei dominieren, stehen beim Blockierer der Überholspur Konventionalismus und Manipulation im Vordergrund. Bei denen, die brav die Spur frei machen, dürfte es autoritäre Unterwürfigkeit sein. Das alles sind jedoch nur verschiedene Ausformungen des autoritären Charakters. In einer "Park-and-fight"-Initiative7 finden sich dann diese sich auf der Autobahn noch gegenseitig anfeindenden Personen wieder, um gemeinsam gegen den angeblich so großen Feind vorzugehen: Bürokraten, Verkehrsplaner, den öffentlichen Personenverkehr und UmweltschützerInnen.

Ein typisch autoritäres Verhalten ist auch der Hass auf die/den ÜberbringerIn schlechter Nachrichten; in Bezug auf die ökologische Krise sind das die Umwelt- und Verkehrsinitiativen. Es ist leichter, sich gegen solche politischen Randgruppen zu stellen, als den Ursachen der Krise auf den Grund zu gehen.

Schwächelnde Autorität: Öffentlicher Personenverkehr

Entgegen der Annahme - sowohl aus konservativen wie anarchistischen Kreisen - sind "Schwarzfahren", Verschmutzen und Beschmieren von öffentlichen Verkehrsmitteln und Belästigen anderer Fahrgäste kein antiautoritäres Verhalten oder Folgen von antiautoritären Einstellungen oder Erziehungsweisen. Die genannten Verhaltensweisen beruhen auf autoritären und letztlich konformistischen Charakterstrukturen.

Im Anschluss an Erich Fromm können diese Verhaltensweisen als "unbeabsichtigte" nekrophile Handlungen bezeichnet werden. (Vermeintliche) Probleme werden demnach nicht durch geduldiges Aufknoten, sondern durch das Zerhauen des "gordischen Knotens gelöst" 8Ich behaupte, dass dieses Verhalten Ausdruck des von T.W. Adorno typologisierten rebellischen oder psychopathischen Syndroms ist. In den Studien zum autoritären Charakter skizzierte er den Rebell als einen auf der Faschismusskala hochskalierenden Typen wie folgt: "Doch ist auch eine Rebellion möglich, bei der die autoritäre Struktur im wesentlichen unberührt bleibt. So kann zum Beispiel die verhaßte väterliche Autorität schon dadurch beseitigt werden, daß eine andere an ihre Stelle rückt; dieser Prozeß wird durch die ‚veräußerlichte’ Über-Ich-Struktur erleichtert, die allen Voreingenommenen gemeinsam ist. Oder die masochistische Übertragung auf die Autorität wird im Unbewußten zurückgehalten, und die Opposition findet auf der manifesten Ebene statt. Das kann zu irrationalem und blindem Haß gegen jede Autorität führen, vermischt mit starken destruktiven Akzenten, gepaart mit der geheimen Bereitschaft zu ‚kapitulieren’ und sich mit dem ‚verhaßten’ Stärkeren zu verbünden."9

Auf einer oberflächlicheren Ebene der Verhaltensweisen äußert sich das dann so: "Sein [das des Rebells, S.M.] Über-Ich scheint durch die Folgen des Ödipuskonfliktes vollkommen verkümmert; er löst ihn durch Regression auf Omnipotenzphantasien der frühsten Kindheit. Von allen Versuchspersonen sind diese die ‚infantilsten’; ihre Entwicklung ist total gescheitert, die Zivilisation hat sie nicht im geringsten zu formen vermocht. Sie sind asozial. Unverhüllt, unrationalisiert kommen destruktive Triebe zum Durchbruch. Körperliche Kraft und Robustheit - auch die Fähigkeit, ‘etwas einzustecken’ - geben den Ausschlag. Die Grenzlinie zu den Verbrechern ist fließend. Ihre Lust zu quälen richtet sich roh und sadistisch gegen jedes hilflose Opfer; sie ist unspezifisch und fast ohne Spuren von ‚Vorurteil’. Hier treffen wir die Strolche und Raufbolde, die Straßenlümmel und die Folterknechte und alle jene, welche die ‚schmutzige Arbeit’ einer faschistischen Bewegung tun."10

Zudem stehen sie in engem Zusammenhang mit patriarchalen und rassistischen Strukturen. Denn die Täter sind hier in erster Linie Männer, während die Reinigungskräfte (zumindest ist das ein weit verbreitetes Bild: "die türkische Putzfrau") hauptsächlich von Frauen nicht deutscher Herkunft gestellt werden. Auch wenn die Täter das nicht wissen (wollen, aber unbewusst doch wissen), wissen sie vermutlich, dass zu Hause i.d.R. die Frau, die Mutter "ihren Dreck" wegzuräumen hat oder dies zumindest in den Vorstellungen und Ideologien dieser Personen so sein sollte.

Des Weiteren geht es um einen rassistischen Aspekt. Hier könnte eingewandt werden, dass es doch etwas gewagt ist, Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel verschmutzen, als Rassisten zu bezeichnen. Fakt ist jedoch, dass die Vorstellung, dass MigrantInnen, wenn sie schon hier sind, die Drecksarbeit zu machen haben und den Schmutz anderer Menschen zu entfernen haben, eine ebensolche rassistische Anschauung, weit verbreitet und hegemonial wirksam ist. Und selbst wer nicht an eine/n AusländerIn denkt, verhält sich zumindest sozialchauvinistisch, weil irgendjemand den von ihm verursachten Abfall schon entfernen wird.

Rassismus, Sexismus, Wohlstandschauvinismus

Es könnte an dieser Stelle auch der Einwand erhoben werden, dass die meisten Menschen ihren Müll in öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. Haltestellen und Bahnhöfen liegen lassen, ohne an solch komplizierten Sachen wie die Folgen für andere Menschen zu denken - z. B. das Reinigungspersonal oder Reisende, die aufgrund von Schäden Verzögerungen in Kauf nehmen müssen, also gerade jene wertvolle Zeit verlieren, für die ansonsten die Gesellschaft so sensibilisiert sei und auf die es ankäme. In der Tat, bewusst so zu handeln, kann den wenigsten unterstellt werden.

Neben der inneren Befriedigung, die durch dieses Verhalten erlangt wird, das Hierarchien bestätigt, sind Abstiegsangst und Minderwertigkeitsgefühle für die Erklärung dieses Verhaltens von Bedeutung. Entweder ist es die Angst, gesellschaftlich abzusteigen, so zu werden wie die, die die Straßenbahn sauber machen müssen, oder aber man sieht sich bereits auf dieser Stufe und hasst dafür diejenigen, die ebenso sind, weil diese Menschen einen daran erinnern, dass man sich selbst hasst oder wenigstens wertlos findet. Diese Prozesse werden im Übrigen durch Ergebnisse der Studien zum autoritären Charakter von Adorno bestätigt, die an dieser Stelle noch einmal angeführt werden: "Schon der beiläufige Blick in das Material genügte, um die Vermutung zu bestärken, daß die sozial Unterdrückten häufig eher dazu neigen, den Druck an andere weiterzugeben, als sich mit ihren Leidensgenossen zu verbünden."11

Als Letztes ist hier sicher noch eine wirklich sozial- oder auch wohlstandschauvinistische Einstellung zu nennen, die eher in den elitären Klassen und Milieus und nicht in den unteren anzutreffen ist, im Gegensatz zu den beiden oben beschriebenen - dem sexistischen und dem rassistischen. Politisch ist diese Einstellung im antietatistischen Neoliberalismus zu verorten. Hier finden sich die Privatisierungsfans und "Steuer-Hasser" wieder.

Diese sexistischen, rassistischen und wohlstandschauvinistischen Einstellungen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen rütteln allesamt nicht an den gesellschaftlichen Ursachen für Ausgrenzung und Deklassierung. Reproduziert wird vielmehr die gesellschaftliche Ungleichheit. Dies betrifft auch die Ungleichheit zwischen öffentlichem Verkehr und motorisiertem Privatverkehr in einer Autogesellschaft. Kaum einer dieser Menschen würde seinen Müll in oder an irgendeinem Auto abladen, auch werden Autoscheiben weit weniger zerkratzt als die Fenster einer Stadtbahn, von denen in Hannover sehr viele beschädigt sind.

"Der Verkehr befriedigt vielmehr hier [in der BRD, S.M.] und drüben [in den USA, S.M.] recht verschiedene Gemütsbedürfnisse. Hier wird entweder eine Konkurrenz ausgetragen (wer ist schneller, rücksichtsloser, dabei von weither mit Lichthupe sein Nahen ankündigend): das ist die Jagd nach der Lustprämie; oder man ist frustriert, weil so viele andere einem im Wege sind, daß man nicht schnell genug ans Ziel kommt… Hingegen sitzt der Amerikaner in seinem geräumigen Wagen bequem eingeigelt und läßt sich vom Verkehrsstrom treiben. Die an sich zeitverwüstenden An- und Abmärsche haben durch die Situation der Gesamtzivilisation (…) eine neue Funktion erhalten. Das Auto bzw. die soziale Isolierung, die es auf Zeit erlaubt, ersetzen etwas, was das Heim ebenso wie der Arbeitsplatz im sogenannten Großraumbüro nicht gestatten."12

Dieses Etwas beschreibt Mitscherlich folgendermaßen: "Für viele Amerikaner ist das Auto zu einem Teil des Zuhause geworden - im Pendeln zwischen Heim und Büro wird eine der klassischen Funktionen des Heims: zu sich selbst zu kommen, entspannen zu können, sehr deutlich erlebt."13

Beispiel Tempolimit

Die Debatte um die Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen und der diesem Vorhaben entgegen gesetzte massive Widerstand sind ein wichtiges Indiz, das die These von den zwischen Deutschland und den USA divergierenden Einstellungen von AutofahrerInnen untermauert. Dass ein Tempolimit Staus, Unfälle und Umweltverschmutzung reduzieren hilft, will hier einfach nicht zur Kenntnis genommen werden. In den USA wird das Tempolimit dagegen mehrheitlich als vernünftige Maßnahme anerkannt, um zumindest das amerikanische Verkehrssystem insgesamt am Leben zu erhalten.

Noch absurder wird der Streit um Geschwindigkeitsbegrenzungen, wenn man sich die Situation auf den Straßen vergegenwärtigt. Nur an ganz wenigen Stellen ist ein freies Fahren überhaupt möglich. Wie Kinder, denen etwas weggenommen werden soll, was sie gar nicht besitzen, wehren sich die Befürworter von Slogans wie "Freie Fahrt für freie Bürger" gegen jede Einschränkung der Automobilnutzung.

Böckelmann erwähnt beispielsweise, dass das Autofahren geradezu zur Dressur wird und dennoch mit "Leidenschaft"14 betrieben wird. Damit verweist er auf einen Charakterzug, den Fromm als den sado-masochistischen oder auch autoritären Charakter bezeichnete. Es ist keineswegs ein Widerspruch, etwas was zur Dressur wird, mit Leidenschaft zu betreiben. Das System verlangt mehr Entsagung und Verzicht, als es dafür im Gegenzug zu geben bereit ist. Das führt zu dauerhaften psychischen Konflikten im Individuum. Deshalb rationalisieren viele Menschen die Selbstzüchtigung und besetzen sie libidinös. Daher führt auch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Autos durch zunehmende Verkehrsdichte u. a. nicht zu einer Abwendung vom Auto als Fortbewegungsmittel oder zur Hinterfragung dieser Lust, sondern zu mehr autoritären und aggressiven Verhaltensweisen. Es erscheint fast so, als suchten manche Autofahrer den Stau und Stress mit dem vorher Fahrenden.

Der Straßenverkehr erscheint als idealer Raum, indem der typische autoritäre Mechanismus sich ständig wiederholt. Die eigenen Fahrkünste, das eigene Auto, gegebenenfalls noch die fahrenden Vorbilder aus der Verwandtschaft oder den Medien werden überhöht und idealisiert dargestellt und jeder Kritik entzogen. Insgeheim weiß der Fahrer natürlich, dass er nie so gut fahren wird wie der Vater oder Rennfahrer; dies lässt die Gesellschaft ihn ständig spüren: Regeln, Vorschriften, Unfälle, Überwachung sind dafür da, ihm sein eigenes Unvermögen aufzuzeigen. Dieser Neid und Hass auf die Autoritäten wird projiziert: Fehlverhalten, etwa in Bezug auf die Straßenverkehrsordnung (an die der Autoritäre sich selbst auch nicht hält) oder gar der Luxus des langsam Fahrens ("was für eine Zeitverschwendung") wird nur bei anderen, in der Regel schwächeren VerkehrsteilnehmerInnen verortet.


Anmerkungen

1) Die nachfolgenden Zahlen zum Verkehrswachstum stammen aus: Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: 5. Bundesverkehrswegeplan für eine zukunftsfähige Infrastruktur. Berlin 2003. S. 61 ff.

2) Auf die politisch-ökonomischen Trends, die sich, m.E., in zwei Kategorien - Politik der Förderung und Subventionierung des motorisierten Privatverkehrs und Politik der Zurückdrängung und Benachteiligung des öffentlichen Verkehrs - einteilen lassen, werde ich hier nicht eingehen. Umfassende Untersuchungen wurden von vielen AutorInnen durchgeführt. Besonders zu nennen sind hier erstens Wolf, Winfried: Eisenbahn und Autowahn. Personen- und Gütertransport auf Schiene, Straße, in der Luft und zu Wasser. Geschichte, Bilanz, Perspektiven. Erweiterte Neuausgabe, Hamburg; Zürich 1992. Fack kritisiert den Ansatz Wolfs als "verschwörungstheoretische Variante marxistischer Herkunft, die den weltweiten Siegeszug des Automobils auf seinen mit fragwürdigen Methoden durchgesetzten Erfolg in den USA zurückführt." (Fack, Dietmar: Automobil, Erziehung und Verkehr. Motorisierung und Sozialisation zwischen Beschleunigung und Anpassung 1885-1945. Opladen 2000. S. 39). Abgesehen von dieser Schwäche ist Wolfs Buch eine unverzichtbare Grundlage für eine kritische Herangehensweise an das Thema. Zudem pauschalisiert Fack hier den Wolfschen Ansatz als einzigen marxistischen und ignoriert andere ebenfalls marxistische Erklärungsansätze, wie etwa den von Robert Kurz (s. u.). Zweitens sind zu nennen Monheim, Heiner/Monheim-Dandorfer, Rita: Straßen für alle. Analysen und Konzepte zum Stadtverkehr der Zukunft. Hamburg 1990.

3) Kurz, Robert: Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Frankfurt 2003/1999.

4) Freud, Sigmund: Fetischismus. In: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften. Frankfurt 1992. S.331.

5) Max Horkheimer: Gesammelte Schriften Band 3: Schriften 1931-1936. Frankfurt 1988. Darin besonders: Autorität und Familie. S. 329-417. Erich Fromm: Gesamtausgabe Band 3. Stuttgart 1981. Darin besonders: Studien über Autorität und Familie. Sozialpsychologischer Teil. S. 139-187. Herbert Marcuse: Schriften Band 3: Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung 1934-1941. Frankfurt 1979. Darin besonders: Studie über Autorität und Familie. S. 85-185.

6) Adorno, Theodor W.: Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 14, Frankfurt, 1997/1938. S. 34.

7) Diese bildeten sich z. B. in Hannover, um gegen die Begrenzung von Parkraum vorzugehen.

8) vgl. Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Hamburg 1977. S. 379 ff.

9) Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt 1973. S. 328.

10) a.a.O., S. 329.

11) a.a.O., S. 115.

12) Alexander Mitscherlich: Von den Unmöglichkeiten, zu Hause zu sein. (In: Ders.: Gesammelte Schriften Bd. 7. Frankfurt 1983., S. 635).

13) a.a.O., S. 634.

14) Böckelmann, Frank: Das Auto-Auto. In: Bode, Peter M./Hamberger, Sylvia/Zängl, Wolfgang: Alptraum Auto. Eine hundertjährige Erfindung und ihre Folgen; Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung. München 1986. S. 178.


Stefan Müller ist Dipl.-Sozialwissenschaftler und Straßenbahnfahrer. Er ist seit 2001 Mitglied des Verkehrsausschusses der Region Hannover und lebt in dieser Stadt.

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