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Klaus Holzkamp

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Bologna und das gute Studium

29.09.2014: Ein Resümee nach 15 Jahren

  
 

Forum Wissenschaft 3/2014; Foto: misterQM/Photocase.de

Vor 15 Jahren unterzeichneten die Bildungsminister_innen aus rund 30 europäischen Staaten die Bologna-Erklärung. Nach langjährigen Diskussionsprozessen und vorangegangenen Erklärungen markierte dies den Startschuss für den Bologna-Prozess - eine umfangreiche Hochschulreform mit dem Ziel bis (ursprünglich) 2010 einen harmonisierten europäischen Hochschulraum zu schaffen. 2014, vier Jahre nach dem Passieren der anfänglich formulierten Zielmarke, ist das Studium zumindest in der Bundesrepublik ein deutlich anderes als vor der Reform, stellt Katharina Kaluza fest und fragt: Ist es aber auch besser? Und wie viele der ursprünglichen Zielsetzungen haben die vergangenen 15 Jahre überdauert?

Unter dem übergeordneten Ziel, einen europäischen Hochschulraum zu schaffen, wurden zu Beginn des Bologna-Prozesses mehrere Kernbestandteile der Reform formuliert. Dazu zählten die Schaffung einer zweiteiligen Studienstruktur mit Bachelor- und Masterprogrammen, die Herstellung von Vergleichbarkeit von Leistungen und Abschlüssen, u.a. durch die Einführung von ECTS-Punkten, eine verstärkte europäische Kooperation im Bereich der Qualitätssicherung und die Förderung von Mobilität. Des Weiteren sollte ein stärkerer Fokus auf "Employability", also die Beschäftigungsfähigkeit der Absolvent_innen gelegt und insgesamt die europäische Dimension des Studiums gestärkt werden.1 Von Anfang an spielte auch die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene eine Rolle. Erst in den darauffolgenden Jahren wurden in Folgekonferenzen weitere Ziele wie eine Stärkung der sozialen Dimension von Bologna (2001) oder der Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheit (2003) formuliert.2

Einschneidende Reform

Mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung am 19. Juni 1999 setzte der tiefgreifende Reformprozess ein, an dem mittlerweile 47 Länder beteiligt sind. Für die deutsche Hochschullandschaft bedeutete der Bologna-Prozess eine der einschneidendsten Reformen in ihrer Geschichte und die Umsetzung wurde rasch und umfassend vorangetrieben. Mittlerweile sind - mit Ausnahme weniger Studienfächer wie Jura oder Medizin - nahezu alle Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt, sie stellen heute 87,4% des bundesweiten Studienangebots.3 Die Einteilung des Studiums in Module und das kontinuierliche Sammeln von ECTS-Punkten und Prüfungsleistungen sind den meisten Lehrenden und Studierenden in Fleisch und Blut übergegangen. Qualitätssicherung durch Akkreditierungsprozesse ist weitgehend zum Standard geworden. Auf den ersten Blick scheinen viele der Ziele und Elemente von Bologna also umgesetzt. Doch der Prozess lief keineswegs konfliktfrei oder einheitlich ab und nicht alle Bestandteile wurden mit der gleichen Energie verfolgt.

Verantwortlich für die Implementierung der Reform waren vor allem die Bundesländer und die Hochschulen selbst. Dies führte zu großen Unterschieden bei der Umsetzung - nicht nur bei der Geschwindigkeit und Ausgestaltung, sondern auch im Hinblick auf den Erfolg. Die Hochschulen waren zum Teil weder fachlich noch hinsichtlich ihrer finanziellen und personellen Ressourcen auf die Anforderungen des Reformprozesses vorbereitet. Auch die Beteiligung der Mehrheit der Hochschulangehörigen, und vor allem der Studierenden, erfolgte nur ungenügend. In der Folge kam es zu verschiedenen Fehlentwicklungen und die Kritik an der Bologna-Reform war dementsprechend umfangreich. Sie richtete sich zum einen gegen die Reform und ihre Ziele als solche, parallel gab es aber auch zahlreiche Kritiker_innen, die viele der ursprünglichen Ziele unterstützten, aber Zweifel an der Umsetzung hatten. Sowohl die Kritik als auch ihre Quellen waren dabei mannigfaltig. Vom Deutschen Studentenwerk und den Gewerkschaften über die Hochschulrektorenkonferenz bis zum Bund deutscher Arbeitgeber - sie alle kritisierten den Reformprozess an verschiedenen Stellen deutlich.

Schon früh zeichnete sich ab, dass nicht alle Elemente und Ziele der Bologna-Reform mit der gleichen Priorität behandelt wurden und zum Beispiel wirtschaftlich relevanten Aspekten Vorrang vor sozial- oder gleichstellungspolitischen Forderungen eingeräumt wurde. Einer der zentralen Kritikpunkte war und ist in diesem Zusammenhang, dass - in der Bundesrepublik, aber auch in anderen Ländern - die Bologna-Reform als Gelegenheit genutzt wurde, um nationalstaatliche Reformvorhaben durchzusetzen. Im Falle Deutschlands bedeutete dies, dass die Verkürzung von Studienzeiten, die Verschärfung von Zugangsbeschränkungen, die Reduktion der Abbrecher_innenzahlen, der Ausbau von Berufsausbildungselementen im Studium und die Begrenzung des finanziellen Bedarfs der Hochschulen in den politischen Fokus rückten.4 Einige der ursprünglichen Ziele von Bologna blieben dabei auf der Strecke. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entwicklung von Mobilität bei Studierenden. Diese hat sich, anders als erhofft, nicht signifikant erhöht und bleibt hinter den Erwartungen zurück. In der Bundesrepublik stagniert die temporäre Mobilität bei etwa 30% - wie bereits 1998. Die größten Hürden für Studierende sind dabei die finanzielle Belastung, der Druck, das Studium so schnell wie möglich zu absolvieren - und noch immer Probleme mit der Anerkennung von Leistungen. Etwas, das die Bologna-Reform ja eigentlich beheben sollte.5

Kritik und Protest

Von studentischer Seite wurde der Prozess seit seinem Beginn kritisch begleitet. Einen vorläufigen Höhepunkt fand die Kritik im Bildungsstreik von 2009, in dessen Rahmen mehr als 200.000 Menschen mobilisiert wurden und bei dem der Protest gegen die Umsetzung des Bologna-Prozesses eine wichtige Rolle spielte. Dabei wurde beanstandet, dass durch die Bologna-Reform keine Verbesserungen bei der Qualität von Lehre und Studium erreicht wurden, sondern vielmehr eine Überbelastung der Hochschulangehörigen institutionalisiert wurde. Ein verstärkter Zeitdruck, verbunden mit einem Anstieg von Prüfungsbelastungen und überfüllten Curricula gefährdeten die Studierbarkeit vieler Studiengänge. Parallel führten der hohe Grad an Verschulung im Studium, die Reduzierung des Employability-Begriffes auf Arbeitsmarktkonformität und fehlende Freiräume zu der Befürchtung, dass die Umsetzung der Bologna-Reform das Ende von kritischer und emanzipativer Hochschulbildung bedeuten und das Studium auf eine reine Ausbildung für die Bedürfnisse der Wirtschaft reduziert werde. Diese Kritik richtete sich nicht ausschließlich gegen den Bologna-Prozess, da spätestens seit Beginn der 1990er Jahre ein verstärkter Ökonomisierungsdruck an den Hochschulen beobachtet werden konnte. Die Umsetzung der Bologna-Reform wurde allerdings als entscheidender Katalysator wahrgenommen.

Die andauernde studentische Kritik führte in Verbindung mit dem Engagement anderer hochschulpolitischer Akteur_innen zu einem umfangreichen medialen Diskurs über die Entwicklung des deutschen Bildungssystems. Letztlich erreichte dieser auch die Politik. Doch die greifbaren Vereinbarungen hielten sich in Grenzen. Eine der wenigen festen Zusagen, die Abschaffung der Anwesenheitspflicht, ist an vielen Hochschulen heute wieder rückgängig gemacht oder zum Teil nie umgesetzt worden. Trotzdem ist die laute Kritik am Prozess in den letzten Jahren abgeflaut, Hochschulen und viele Studierende scheinen sich mit dem Status Quo und den Mängeln des Bologna-Prozesses arrangiert zu haben.

Immerhin gab es in den letzten Jahren, vor allem auf der Ebene der einzelnen Hochschulen, einen behutsamen Anpassungs- und Verbesserungsprozess: Curricula wurden entschlackt, die Belastung durch Prüfungsleistungen reduziert, die Anerkennung von Leistungen, die im Ausland erbracht wurden, langsam verbessert. Bei vielen dieser Änderungen handelte es sich aber eher um die Rücknahme von Fehlentwicklungen. Ein grundlegendes Hinterfragen der Gegebenheiten oder auch eine konsequente Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ziele von Bologna findet nicht statt - ein hochschulpolitischer Stillstand, der sicherlich nicht unerheblich durch die prekäre finanzielle Situation der Hochschulen und die damit verbundenen Zwänge begünstigt und verursacht wird.

Allerdings sind viele der Ziele der Bologna-Reform noch immer unerfüllt - und ungebrochen aktuell. Deshalb sollte das Jubiläum der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung für einen neuen Impuls und die Wiederaufnahme der Debatte genutzt werden. Dabei kann eine Rückkehr zu einem ominösen "Früher", einer goldenen prä-Bologna-Ära, die es so nie gegeben hat, nicht die Lösung sein. Statt des aussichtslosen Versuchs, den Reformprozess umzukehren, sollte gestalterisch eingegriffen und die durch die Bologna-Reform entstandenen Chancen und Ansatzpunkte gezielt genutzt werden. Denn die Elemente der Bologna-Reform bieten Potential, um zumindest einigen der momentanen Herausforderungen der deutschen Hochschullandschaft zu begegnen.

Die Reform als Chance?

Mittlerweile beginnen mehr als die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium.6 Das hat Auswirkungen auf die Hochschulen und die Gesellschaft, denen begegnet werden muss. Die Öffnung der Hochschulen macht es beispielsweise noch wichtiger, dass das Studium unterschiedlichen Lebensentwürfen und Lerntypen gerecht wird. Die mit der Bologna-Reform initiierten Elemente wie die verstärkte Modularisierung, die Einführung von ECTS-Punkten und die Aufteilung des Studiums in Bachelor und Master bieten gute Voraussetzungen für ein Studium, dass sich dem Leben und den Lernbedürfnissen der Studierenden anpasst - nicht umgekehrt. Doch in der Praxis erfüllt das Studium diese Flexibilität für viele nicht. Hier müssten die Chancen der Bologna-Reform genutzt und durch eine bessere wechselseitige Anerkennung von im Beruf und im Studium erworbenen Kompetenzen, Freiräume bei der Studiumsgestaltung, aber auch die Abschaffung der Regelstudienzeit als Anforderung an die Studierenden, das Versprechen einer wirklichen Flexibilität eingehalten werden.

Durch die gestiegene Studienanfänger_innenquote nimmt zudem die Diversität der Studierendenschaften in Deutschland erfreulicherweise langsam zu. Mehr und mehr wird das Bild an den Hochschulen auch durch beruflich Qualifizierte, Menschen mit Beeinträchtigung oder chronischer Erkrankung, internationale Studierende und andere Gruppen geprägt, denen der Zugang zuvor weitgehend versperrt war. Diese Entwicklung steht zwar noch am Anfang, doch sie ist zweifellos ein Gewinn für die Hochschulen und die Wissenschaft. Um der Herausforderung, die eine diverse Studierendenschaft im Hochschulalltag mit sich bringt, zu begegnen und sie als Chance nutzen zu können, müssen die Hochschulen aber auf die Veränderung vorbereitet werden. Lehrende an Hochschulen sollten durch eine bessere didaktische Ausbildung und verpflichtende Weiterbildungen den Umgang mit unterschiedlichen Bedürfnissen der Studierenden und den Anforderungen heterogener Lerngruppen lernen. Dabei muss ebenso eine Sensibilisierung hinsichtlich Gleichstellungs- und Inklusionsaspekten erfolgen. Den Studierenden muss parallel dazu der Zugang zu kostenlosen Mentoringprogrammen sowie zu Unterstützungs- und Brückenkursen ermöglicht werden, in denen grundlegende Kenntnisse wiederholt und erworben werden können. All dies muss Eingang finden in die Qualitätssicherung der Studiengänge und Hochschulen.

Und auch bei der Mobilität von Studierenden und Forschenden, einem der Grundpfeiler der Bologna-Reform, muss sich etwas tun. Um den stagnierenden Austauschzahlen zu begegnen, müssen im Ausland oder an anderen Hochschulen erbrachte Leistungen endlich konsequent und unbürokratisch anerkannt werden. Dabei müssen Studierende regelmäßig über die verschiedenen Austauschmöglichkeiten informiert werden, Hürden wie Studienordnungen, die einen Auslandsaufenthalt de facto nur in begrenzten "Mobilitätfenstern" ermöglichen, oder sehr lange Vorlaufzeiten müssen abgebaut werden. Auch der Hochschulwechsel zwischen Bachelor und Master darf nicht durch Zugangsbeschränkungen, komplizierte oder sogar kostspielige Bewerbungsverfahren und diverse Prüfungsanforderungen behindert werden. Vielmehr müssen den Bachelor-Absolvent_innen, die ihr Studium fortsetzen wollen, ausreichend Masterplätze zur Verfügung gestellt werden.

All dies sind nur Beispiele der zahlreichen Baustellen des Hochschulsystems. Sie zeigen, dass 15 Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses viele der ursprünglichen Ziele noch nicht erfüllt oder gar in Vergessenheit geraten sind. Das Jubiläum sollte als Anlass für eine gründliche Evaluation der Hochschulreform und für eine Wiederbelebung der Debatte dienen. Denn auch wenn der Bologna-Prozess einige Fehlentwicklungen mit sich brachte - in seinen Ursprüngen und Zielen lässt sich auch Rüstzeug für die Bearbeitung aktueller Probleme finden.

Anmerkungen

1) Bundesministerium für Bildung und Forschung: Der Bologna-Prozess - die Europäische Studienreform, abrufbar unter: www.bmbf.de/de/3336.php , abgerufen am 15.08.2014.

2) Kommuniqué der Konferenz der europäischen Hochschulministerinnen und -minister 2003: Den Europäischen Hochschulraum verwirklichen, abrufbar unter: www.bologna-berlin2003.de/pdf/Communique_dt.pdf , abgerufen am 10.11.2012.

3) HRK 2013: Statistische Daten zu Studienangeboten an Hochschulen in Deutschland. Studiengänge, Studierende, Absolventinnen und Absolventen. Wintersemester 2013/2014. Statistiken zur Hochschulpolitik 1/2013: 7.

4) Justine Suchanek, Manuel Pietzonka, Rainer Künzel und Torsten Futterer 2012: Bologna (aus)gewertet. Eine empirische Analyse der Studienstrukturreform, Göttingen: 15.

5) DSW 2012: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012. 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, Berlin: 179.

6) Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen, Bielefeld: 297.


Katharina Kaluza studiert Politikwissenschaft im Master an der Universität Bremen. Sie ist seit 2009 auf verschiedenen Ebenen in Berlin, Bremen und auf Bundesebene hochschulpolitisch aktiv und seit 2012 Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen.

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