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Im Schatten des Zweiten Weltkrieges

15.10.2010: Soldatentod und Erinnerungskultur

  
 

Forum Wissenschaft 3/2010

Wessen wie gedacht wird, wer welches Ereignis, welchen Tag, welches Umfeld zum Anlass eines Gedenkens nimmt, kann entscheiden über die Rezeption, die Gegenwärtige und Künftige haben von dem, dessen gedacht wurde. Das gilt nicht zuletzt dafür, wer dabei als Opfer von wem oder was gilt. Jost Dülffer geht dem sich verändernden kommunikativen Gedächtnis vor allem anhand von Denkmälern in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg und den Aktivitäten des "Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge" nach.

Erinnern und Vergessen gehören zu den Grundformen menschlichen Umgangs mit Zeit und Vergangenheit. Sie konstituieren ganz wesentlich seine Gegenwartsorientierung und damit auch sein in die Zukunft gerichtetes Handeln. Aus der Fülle von Sinneseindrücken können nur ganz wenige in ein Kurzzeitgedächtnis, noch weniger in ein Speichergedächtnis eingehen. Erinnern ist immer individuell, folgt aber Vorgaben, die gesellschaftlich und kulturell geprägt sind. Das individuelle Gedächtnis ist "das dynamische Medium subjektiver Erfahrungen"1. Nach Maurice Halbwachs, Aleida Assmann, Harald Welzer und vielen anderen2 hat sich ein Rahmen der Deutung entwickelt, der hier nur kurz und pointiert rekapituliert zu werden braucht.

In der sozialen Kommunikation bildet sich das einzelne Gedächtnis aus, bei Halbwachs auch kollektives Gedächtnis genannt. Diese Kommunikation reicht über den Tag hinaus und basiert auch auf dem Austausch über die Vergangenheit. Das kann man kommunikatives Gedächtnis nennen. Es hat sich eingebürgert, dies auf die Zeitspanne der Lebenden, also etwa drei Generationen und damit auf höchstens 60 bis 80 Jahre zu zentrieren. Was zeitlich davor liegt, lässt sich als kulturelles Gedächtnis benennen, das sehr viel vager ist und nicht mehr von lebenden Menschen geprägt. Diese Beobachtungen sind primär auf einen nationalen Rahmen bezogen. Wenn man näher hinsieht, zerfällt dies jedoch in eine Fülle weiterer Komponenten. Jeder Mensch gehört mehreren sozialen Gruppen, Milieus, Schichten, ja neben einer nationalen auch übernationalen Gemeinschaften an, in denen und mit denen er kommuniziert. Damit prägen auch sie das kommunikative Gedächtnis. Besonders wichtig ist: Gibt es ein europäisches Gedächtnis? Ich plädiere ferner dafür, auch in der Zeit der Mitlebenden bereits Verfestigungen anzusetzen, die kulturelle Prägungen bieten. Das zielt u.a. bereits auf öffentliche Denkmäler. Es gibt also keine scharfe Trennung von sozialem Gedächtnis oder kommunikativer Erinnerung einerseits und kultureller Prägung andererseits.

Besonderes, Allgemeines

Wenn vom Soldatentod die Rede ist, dann stellen sich die genannten Fragen in besonderer Weise, kulminiert doch die millionenfache Erfahrung des Zweiten Weltkrieges als Leid und Noterlebnis überall in Europa und weiten Teilen der Welt in der Erinnerung an die damals gewaltsam ums Leben gekommenen Menschen. Um das umfassend darstellen zu können, bedürfte es eines ganzen Buches. Aber was auf der höchsten politischen Gestaltungsebene, der nationalen, an Vorstellungen verbreitet und rezipiert wird, lässt sich zumindest ansatzweise komparativ erfassen, wenn man die nationalen Denkmäler in den Blickwinkel rückt. Das soll im Folgenden geschehen dadurch, dass wir die bundesdeutsche Erinnerungslandschaft an den Zweiten Weltkrieg und hier zumal an den Soldatentod im Wandel der Zeit erörtern.

Der Zweite Weltkrieg war kein Krieg wie alle anderen; schon Hermann Göring hatte Ende 1942 öffentlich unter Beifall davon gesprochen, es handele sich nicht bloß um einen zweiten Weltkrieg: "Dieser Krieg ist der große Rassenkrieg".3 An diese Einschätzung schlossen sich die Alliierten an und erzielten darüber auch noch im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46 Einvernehmen. Wenn der deutsche Krieg nach dem eigenen NS-Urteil und dem der Siegermächte kein normaler Krieg gewesen war, dann konnten es wohl auch nicht alle gleichsam normale Soldaten gewesen sein, die in diesem gekämpft hatten. Ironischerweise wurden aber für die Zukunft auf der Potsdamer Konferenz der Großen Drei im Sommer 1945 deutsche Soldaten nicht wegen dieses Charakters eines vorausgegangenen verbrecherischen Krieges dauerhaft verboten, sondern man war sich einig, dass es so etwas wie einen deutschen oder preußischen Volkscharakter gegeben habe, einen eher traditionellen Militarismus also, der den Krieg vorbereitet und geführt habe. Das verbrecherische Handeln einzelner Personen der Militärspitze, angefangen bei Wilhelm Keitel und Alfred Jodl und sodann in den Nachfolgeprozessen bis zu den "Südost-Generälen", wurde zwar in Nürnberg verurteilt. Aber indem einige Militärs wegen Kriegsverbrechen verurteilt und hingerichtet waren, konnten sich andere gerade dadurch entlastet fühlen: Die Wehrmacht als solche war - das hörte man bis in die 1990er Jahre häufig - nicht zur "verbrecherischen Organisation" erklärt worden. Also war sie "sauber" geblieben - eine mentale Verkehrung der alliierten Einschätzung.

In der deutschen Notgesellschaft4 ging es zunächst vor allem um die Rückkehr und Eingliederung der Kriegsgefangenen und dann zunehmend um das Schicksal der noch nicht Zurückgekehrten. An dieser Personengruppe setzten die ersten Versuche zu einem zentralen Ehrenmal an.5 Dabei knüpfte der "Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge" (VDK) in Meersburg am Bodensee an eine frühere Initiative an. Der alliierte Kontrollrat hatte in seiner Direktive 30 vom 17. Mai 1946 angeordnet, alle alten Gedenkmonumente für deutschen Militarismus zu zerstören, neue waren sowieso nicht zugelassen. Da war es taktisch geschickt und politisch geboten, an einer möglichst unverfänglichen Stelle anzusetzen.

Nach 1938 hatte man angefangen, der im Ersten Weltkrieg in der Schweiz gestorbenen deutschen Soldaten (es waren 69 gewesen) durch ein Reichsehrenmal zu gedenken. Das wurde jedoch nicht fertig. Dennoch ließ sich nach dem Zweiten Weltkrieg hier fortfahren. Erste Pläne um 1950 sahen so etwas wie die vormaligen NS-Totenburgen eines Clemens Klotz vor und stießen damit auf heftige Kritik als ein "Klein-Tannenberg"6, Thingplatz und Wehrturm. Der VDK hielt jedoch mit anderen Gruppen zusammen an dem Projekt fest, das nunmehr das "Bundeszentraldenkmal" sein sollte. Damit waren in den Dilemmata deutscher Geschichte die Opferkategorien wenn auch noch vage, so doch beliebig ausgeweitet. 1955 strebte der VDK eine "Erinnerungsstätte für die Vermissten beider Weltkriege" an, kam somit dem ursprünglichen Zweck wieder nahe. Die Erinnerung richtete sich ganz von der Gegenwart her gedacht von den Mitlebenden auf die - vielleicht - Noch-Mitlebenden, deren unbekanntes Schicksal in die Gemeinschaft der Wiederaufbau-Gesellschaft hinein geholt werden sollte. Das stellte ein zentrales Thema der frühen Bundesrepublik dar,7 das mit der emotional intensiven Heimkehr von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion 1955 einen spektakulären Höhepunkt fand. Das Problem der "Vermissten" allerdings blieb erhalten, deren Tod zunehmend als wahrscheinlich angesehen werden musste.

Die Pläne blieben jedoch in der Führung des VDK hoch kontrovers, bis 1964 dann doch ein solches Ehrenmal errichtet wurde, das jedoch ganz anders aussah. Es war geweiht "allen Kriegstoten..., deren Gräber uns unerreichbar sind". Dass dies an der Schweizer Grenze geschah, hatte zu dieser Zeit nur noch wenig Sinn; es lässt sich nur historisch erklären. Die Opfer, allesamt Deutsche, wurden jetzt aus beiden Weltkriegen genommen: die wenigen toten Soldaten des Ersten Weltkriegs aus der Schweiz und die allgemein so benannten unerreichbaren Toten in großer Zahl aus dem Zweiten Weltkrieg. Das schloss in der Dedikation neben den Soldaten auch Zivilisten aller Art ein. Man ging von zwei Millionen aus. Es ließ sich in der Tradition des VDK als Ergänzung der Kriegsgräber vor Ort, auf oder am Rande der Schlachtfelder lesen, markierte damit eine gesellschaftliche Leerstelle. Zur Zeit seiner Errichtung auf dem Lerchenberg bei Meersburg allerdings war die Randlage, die ob politischer Hemmungen der ersten Nachkriegszeit noch taktisch sinnvoll gewesen war, weggefallen. Wie auch immer: Ein nationales Ehrenmal, das für alle (West-) Deutschen Sinn machte, konnte so nicht entstehen. So geriet dieser Versuch zur Herstellung einer nationalen Erinnerungsgemeinschaft weitgehend in Vergessenheit.

Dafür gewann die provisorische Hauptstadt Bonn als Verdichtungsraum der Erinnerungspolitik eine wichtige Rolle. Anders gesagt: Bis in die frühen sechziger Jahre war man sich einig, dass gerade wegen des politischen Ziels der Wiedervereinigung und der Solidarität mit der Reichshauptstadt nur Berlin für eine repräsentative Ausformung infrage kam. Diese Überzeugung kam aber genau in dieser Zeit mit dem Mauerbau 1961 abhanden. Die DDR allerdings hatte bereits im Vorjahr 1960 die Schinkelsche Neue Wache in ihrem Sinn als zentrale Gedenkstätte in Betrieb genommen - selbstverständlich im antifaschistischen Opfergedenken dieses Staates und damit als ein Teil dortiger kommunikativer Geschichtspolitik von oben.

Bonner Verdichtung

Es blieb also Bonn als Provisorium - letztlich bis 1989, und dies galt auch für die staatliche Erinnerungskultur der alten BRD. Dennoch flossen aus der Hauptstadtrolle wie aus dem Bestreben von VDK, aber auch vieler weiterer Verbände zur Totenehrung Wünsche bis hin zu Forderungen nach einer zentralen Erinnerungsstelle. Zwei recht unterschiedliche Entwicklungen wurden hier fundamental. Zum einen stellte sich bereits in den 1950er Jahren schnell heraus, dass eine isolierte Benennung des Gedenkens an die Soldaten des Zweiten Weltkrieges politisch nicht möglich war und dass daher - wie diversifiziert die regionalen Gedenkorte und über das Jahr verteilt die Gedenktage auch waren - eine Hinzufügung anderer Opfer erforderlich war. Das führte sehr schnell zu dem zukleisternden Begriff der "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft", ohne dass dabei deutlich einerseits zwischen Opfern deutsch verursachter Kriegs- und Rassenpolitik, andererseits aber von ums Leben gekommenen Deutschen ziviler oder militärischer Provenienz unterschieden wurde.

Am deutlichsten drückte sich das wohl im Kriegsgräbergesetz vom 27. Mai 1952 aus, an dessen Entstehen der VDK maßgeblich beteiligt war. Schon die Änderung (gegenüber 1922) von "Krieger-" zu "Kriegsgräbern" war beachtlich. Dieses Gesetz galt zunächst einmal für Soldaten und Zivilisten gleichermaßen. Hinzugefügt wurde die Möglichkeit der Bundesländer, auch noch anderen Opfergruppen den Status von geschützten Kriegsgräbern zu geben: Opfer des Nationalsozialismus, der volksdeutschen Umsiedlung und Vertreibung, Zivilinternierung oder Ausländer wurden genannt. Der Primat der deutschen In-Group vs. Out-Group, den Opfern durch deutsche Taten, war deutlich und wurde erst im "Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" vom 1. Juli 1965 in zehn gleichberechtigte Opferkategorien korrigiert. Das war schon in den frühen 1950er Jahren umstritten, das blieb seither ein Teil des gesellschaftlichen Diskurses: Deutsche militärische und zivile Tote konnten von großen Teilen der Opfer deutscher Gewalt nicht als gleichrangig oder -benannt akzeptiert werden. Die Formel der Opfer von Krieg und Gewalt ebnete ein, wo historische Differenzierung angesagt war.

Der zweite fundamentale Vorgang war es, dass das Gedenken an die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges unlösbar mit dem Aufbau neuer Streitkräfte, eben der Bundeswehr, verbunden wurde. Soldatenverbände, Kirchen und einzelne ehemalige Angehörige der Wehrmacht forderten kategorisch, dass die pauschale Verurteilung deutscher Soldaten politisch aufgehoben werden müsse, bevor es neue (west-)deutsche Soldaten geben könne. Das Ergebnis waren die separaten Ehren-Erklärungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Eisenhower. Am Anfang stand die zentral wichtige Erklärung von NATO-Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower (dem künftigen US-Präsidenten) vom 23. Januar 1951, der bei einem Deutschlandbesuch nicht nur im kleinen Kreise mit Ex-Wehrmachtgeneralen, sondern auch öffentlich seine früher einmal getroffene Pauschalverurteilung der Wehrmacht widerrief.8 Konrad Adenauer erklärte bei der Lesung der EVG-Verträge im Bundestag: "Wir möchten heute und vor diesem Hohen Haus im Namen der Regierung erklären, dass wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Rahmen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, zu Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen." Das geschah am 3. Dezember 1952 mit Formulierungen, welche der Verein Deutscher Soldatenverbände entworfen hatte. Mit dieser Formel wurden verbrecherische Taten ausgenommen. Aber dies entsprach der zeitgenössischen Position, die mit den verurteilten Verbrechen einzelner zugleich die übrige Wehrmacht(-sführung) freigesprochen sah oder fühlte. Bei alten Soldaten war die Meinung verbreitet: "Die Wiederherstellung dieser ihm genommenen ,Ehre' ist für den Soldaten des zweiten Weltkrieges eine conditio sine qua non, bevor er künftig wieder ansprechbar sein wird."9

Die alte Militärelite, die ja auch aus Versorgungsgründen an einem Bild von normalen Soldaten interessiert war, ja sogar eine Generalamnestie forderte (die dann doch nur zu einer Entlassung vieler einzelner Kriegsverbrecher aus alliierten Gefängnissen führte)10, konnte wegen der internationalen Situation des Kalten Krieges zur Offensive übergehen und sich selbst als Teil des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft präsentieren. Verbrechen gebe es in jeder Armee. "Alle übrigen Soldaten und Offiziere aber haben nichts anderes als in Ehre ihre Soldatenpflicht getan."11

"Rehabilitation" geschafft

Damit waren in ein öffentlich wichtiges Erscheinungsbild, das vom Blick in Gegenwart und Zukunft der neuen Soldaten motiviert war, per definitionem die alten Soldaten sekundär und indirekt rehabilitiert, wie es noch auf manchen anderen Ebenen - Volkstrauertag, 131er Gesetz, 20.-Juli-Debatte - gleichzeitig geschah. Damit war Wehrmachtgedenken in den 1950er Jahren für diese Generation des kommunikativen Gedächtnisses unlöslich mit der Bereitschaft zu neuen Soldaten in der Bundeswehr verbunden. Oder anders gesagt: Die Bundeswehr entstand auch aus dem Geist der Rehabilitierung des Wehrmachtgedenkens. Das wirkte sich naturgemäß auf die nationale Erinnerungskultur um Soldaten in der Bonner Republik aus. Die beiden großen Kirchen, die Soldatenverbände, aber auch politische Parteien forderten ein nationales Ehrenmal - so die FDP 1955 ausdrücklich.12

Eine Umsetzung der diversen Pläne fand in den frühen 1960er Jahren aus Bedürfnissen der Staatsrepräsentation in Bonn statt, dem Bescheidenheitsgestus der provisorischen Republik geschuldet.13 Ein ursprünglich vorgesehener Heiliger Raum des Schweigens im Alten Zoll, den Hans Schwippert vorgeschlagen hatte, war verworfen worden. Dieser Ort blieb jedoch bis Mitte 1963 als Standort für ein "schlichtes oder repräsentatives Ehrenmal" im Gespräch.

Dennoch: Der neue Staat suchte einen anderen Ort als das bisher genutzte alte Soldatendenkmal von 1933 am Bonner Nordfriedhof. Man wollte in die Öffentlichkeit wirken und auch die Bundeswehr stärker einbeziehen. Die Idee eines Kenotaphs wurde anfangs ventiliert, so etwa in der Kabinettsitzung vom 21. September 1960. Doch dem widersetzte sich der Bundeskanzler.14 Der Bund gab dann aber seine Federführung oder auch Kompetenz an die Stadt Bonn und die Universität ab. So wurde schließlich im Bonner Hofgarten am dortigen von Schinkel errichteten Bau des Kunsthistorischen Museums lediglich eine Tafel angebracht. Seit 1962 war hierfür die knappest mögliche Inschrift "Den Opfern der Kriege und Gewaltherrschaft" vereinbart worden, die gezielt auch die letzten Jahre und damit auch die unmittelbare Gegenwart mit weltweitem Anspruch einbezog, also den "Kalten Krieg". Damit war der nationale Repräsentationsanspruch höchst problematisch ins Universale gewandt. Spezifisch deutsche Verbrechen oder auch Tote ließen sich eher implizit mitdenken. Eine Entlastungsfunktion von der nationalen Geschichte war in der Ursprungsidee deutlich angelegt. Das wurde jedoch zeitgenössisch kaum bemerkt.

Bundespräsident Lübke weihte das Ehrenmal am 16. Juni 1964 ein - ausgerechnet und gezielt am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit. Die Verdrängung des Zweiten Weltkrieges durch die aktuelle, latente oder auch manifeste Gewaltsituation im Ost-West-Konflikt, die Einbeziehung der Opfer des 17. Juni und des Mauerbaus setzte die aktive und passive Gewalterfahrung in einen gegenwartspolitischen Kontext. "17. Juni und 20. Juli stellten in der bundesoffiziellen Lesart zwei Seiten einer Medaille dar, des Kampfes gegen den totalitären Staat und für die Demokratie, und waren in ihrer Entstehung ... eng auf einander bezogen."15 Damit hatte die Beteiligung der Bundeswehr am Bonner Staatszeremoniell nur noch indirekt mit dem Soldatentod des Zweiten Weltkrieges zu tun, war im dialektischen Sinne "aufgehoben". Man kann das aber auch so sehen, dass im kommunikativen Gedächtnis die Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkrieges, die deutschen Opfer, mitgedacht waren, aber nicht mehr die zentrale Deutungskategorie darstellten.

Der Bonner Hofgarten wurde danach aus mehreren praktischen Gründen problematisch. Dazu gehörte auch die anfangs demokratie-aktiv gedachte Öffentlichkeit, die angesichts von (Gegen-) Demonstrationen im Zuge der Studentenbewegung schwieriger wurde. Die (Rück-)Verlagerung des Ehrenmals auf den Bonner Nordfriedhof durch Versetzung der Gedenktafel trug dem Rechnung. Allerdings trat nunmehr die christliche Konnotation durch die Setzung vor ein altes Kriegerdenkmal von 1933 mit einem Holzkreuz wieder in den Vordergrund. Die Verbindung mit einem konkreten Friedhof ließ deutlich werden, dass hier Bombenopfer, sowjetische Zwangsarbeiter wie SS-Angehörige ruhten, was erneut den konkreten Ort für die Einbettung des Staatsgedenkens der noch jungen Bundesrepublik problematisch erscheinen ließ.

Darin lag einer der Gründe für einen Neuansatz,16 bei dem der VDK in den frühen achtziger Jahren federführend für eine Initiative zu einer nationale Gedenkstätte der "Toten des Deutschen Volkes" wurde. Eine möglicherweise auch unterirdische Gedenkhalle, eine "maßstäblich überzogene Dornenkrone" und ein Großmosaik, das die Zahl der Toten, "deren Gräber unauffindbar und unzugänglich sind", benennen sollte, rundeten 1984 dieses eher rückwärts gewandte und anachronistische Unterfangen ab, das auch Bundeskanzler Kohl unterstützte. Das neu gewonnene Selbstbewusstsein der sich nicht mehr provisorisch fühlenden Bonner Republik sollte - so der VDK - ausdrücklich zur Zeit der noch letzten Lebenden errichtet werden. Es stieß jedoch auf die Opposition von SPD und Grünen; diese manifestierte sich u.a. in einer Erklärung von Kulturwissenschaftlern, doch ganz auf ein derartiges Unterfangen zu verzichten. Gerade wegen des Protests der Opferverbände kehrte der Bund zurück zu einer Würdigung aller Opfer, nicht nur der beiden Weltkriege, sondern auch zu "den Opfern des Terrorismus, der politischen Verfolgung, der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage". Nicht zuletzt der von Helmut Kohl veranlasste Besuch Ronald Reagans in Bitburg17 hatte die Dilemmata deutschen Opfergedenkens verschärft, wurde doch hier erneut wie zu Anfang der BRD versucht, Versöhnung über deutschen Soldatengräbern zu praktizieren. Das scheiterte nicht nur an der Tatsache, dass unter den deutschen Kriegstoten auch SS-Männer waren.

Die Denkmals-Neuansätze der Berliner Republik sind zu bekannt, als dass sie hier ausführlich ausgebreitet werden müssten. Die Neue Wache, die auf intensives Betreiben von Kanzler Kohl durchgesetzte Gedenkstätte, sollte wohl zu viele Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das Gebäude lag zentral in der alt-neuen Hauptstadt, man konnte erneut mit einem Bau von Friedrich Schinkel an den Bonner Hofgarten anknüpfen. Heinrich Tessenows nüchterne Gestaltung des Innenraumes der Neuen Wache von 1931 ließ an ältere Tradition, an den Ersten Weltkrieg anknüpfen. Wichtiger aber noch: man konnte die noch vor dem Mauerbau ventilierte Idee eines Hauptstadtehrenmals weiter verfolgen und zugleich die DDR-Tradition "überschreiben" und damit ungeschehen machen. Unter starkem Einsatz von Bundeskanzler Helmut Kohl wurde dieses Gebäude am 14. November 1993, in einer Feierstunde zum Volkstrauertag, eingeweiht.

Rest-Probleme?

Problematisch war u.a. die Aufblähung einer kleinen Kollwitz-Statue, die zur Trauer um den Tod des eigenen Sohnes im Ersten Weltkrieg entstanden war. Sie eignete sich nur zur Frontansicht, da die Seiten und die Rückansicht wenig ausgearbeitet waren. Nun wurde sie zur zentralen Großplastik, die man umrunden konnte. Ihre christlich konnotierte Ikonographie, trauernde Mutter mit Kind, knüpfte an die Leiderfahrung der Künstlerin selbst an. Der Zweite Weltkrieg jedoch hatte weit mehr bedeutet, als dass Mütter um Söhne getrauert hätten. Umstritten war aber auch die Inschrift "Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft", die gerade die Verursachung von Leid und Tod wieder einebnete, obwohl hier dem Anspruch nach auch zeitgenössische deutsche Opfer eingeschlossen werden konnten. Der ein wenig ausdifferenzierende Vorschlag des Architekten und SPD-Politikers Peter Conradi, "Den Opfern der Gewaltherrschaft und den Opfern der Kriege" - anknüpfend an die Rede von Richard von Weizsäcker zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges -, konnte sich nicht durchsetzen. Daher sucht eine erläuternde Aufzählung an einer separaten Tafel mit allen Opferkategorien - ähnlich wie vierzig Jahre zuvor im Kriegsgräbergesetz - die Kategorien zu diversifizieren.

Der Vorsitzende des Generalrats der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, beklagte u.a. diese Nivellierung: "Natürlich ist das kein jüdisches Mahnmal ... Es ist eine deutsche Gedenkstätte"18. Damit war aber auch zugleich der Weg zu einer Ausweitung der Opferdenkmäler in eine Vielheit geebnet. Das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" ging zurück auf private Anregungen des Jahres 1988 und wurde als Stelenfeld von Peter Eisenman Mitte 2005 der Öffentlichkeit übergeben. "Über das vermeintliche Recht, ein Denkmal für die ermordeten Juden zu bauen", räsonierte Heinz Dieter Kittsteiner stellvertretend für viele Stimmen.19 Wie auch immer: Damit öffnete sich die Politik zu einer nach individuellen Opferkategorien fragenden Gedenklandschaft, die nunmehr auch die Opfer aus der ehemaligen Volksgemeinschaft wie aus den von ihr Verfolgten öffnete.

Das am 27. Mai 2008 eingeweihte Homosexuellen-Mahnmal in Berlin, beschlossen vom Bundestag 2003, dürfte erst der Anfang sein; bei den Sinti und Roma ist seit Jahren die Bezeichnung der Opfer strittig. Die Frage nach einer mahnenden Würdigung von Vertriebenen-Schicksalen - "Zentrum" für deutsche Opfer, europäisches Netzwerk und ggf. auch ein Denk- oder Mahnmal - kennzeichnet die Debatten seit einigen Jahren. Das kommunikative Gedächtnis nimmt ab - um so mehr ist die gesellschaftliche Debatte um die kulturelle Besinnung und Inszenierung von deren Folgen angebracht und meinungsbestimmend. Im Zuge dieser Vereinzelung stellt sich die Bundeswehrfrage neu. Nachdem die Weltkriegsgeneration selbst physisch kaum noch präsent ist und die Legende von der sauberen Wehrmacht zumal nach der Aufklärung durch die Ausstellungen "Verbrechen der Wehrmacht"20 nun weitgehend öffentlich erledigt ist, muss sich zeigen, ob sich die Trennung vormaliger Soldaten in der NS-Zeit und heutiger Soldaten in der erinnernden Würdigung schlüssig vollziehen kann. Viel spricht dafür.

Anmerkungen

1) Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, 25. - Ich danke Simone Derix für langjährigen Austausch und konkrete Materialien.

2) Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt 1987 (ursprünglich 1950); Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1991; Harald Welzer (Hg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradition, Hamburg 2001; ders., Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, Hamburg 2002.

3) Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart, Berlin 1964-1975, hier Bd. XIX, S.71-86 (Rede vom 4. Oktober 1942), zum Zusammenhang: Jost Dülffer, Führerglaube und Vernichtungskrieg. Stuttgart 1982, Kapitel V: Der Krieg.

4) Zur erinnerungspolitischen Debatte um Soldaten: Manfred Hettling, Jörg Echternkamp (Hg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik, Göttingen 2008.

5) Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Band 6: Bundesrepublik, Heidelberg 1987, 82-88. - Methodisch zentral: Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole, Vierow 1996; zeitlich fortgesetzt: dies., Heldenkult oder Friedensmahnung? Kriegerdenkmale nach beiden Weltkriegen. In: Gottfried Niedhart, Dieter Riesenberger (Hg.), Lernen aus dem Krieg? Deutsche Nachkriegszeiten 1918-1945, München 1992, 331-343.

6) Begräbnisstelle des Reichspräsidenten von Hindenburg aus den dreißiger Jahren in Ostpreußen.

7) Frank Biess, Homecomings. Returning POWs and the Legacy of Defeat in Post-War Germany, Princeton 2006, Andreas Hilger, Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, 1941-1956. Kriegsgefangenenpolitik, Lageralltag und Erinnerung, Essen 2000.

8) Jörg Echternkamp, Soldatengeneration der Wehrmacht im Urteil der west- und ostdeutschen Nachkriegsgesellschaft. In: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001, 421-443; Bert-Oliver Manig, Die Politik der Ehre. Die Rehabilitierung der Berufssoldaten in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2004, 251-262 (Eisenhower).

9) Axel von dem Bussche, zit bei Manig, 252.

10) Thomas A. Schwartz, Die Begnadigung Deutscher Kriegsverbrecher. John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 38, 1990, 375-414.

11) Sieben Forderungen zur deutschen Sicherheit, Christ und Welt, 17.8. 1950, zit n. Echternkamp, 433.

12) Brigitte Hausmann, Duell mit der Verdrängung? Denkmäler für die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland 1980-1990, Münster 1997, 103.

13) So ein Hauptergebnis der Studie von Simone Derix, Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik 1949-1990, Göttingen 2009; hier: Heinrich Lützeler, Das Bonner Ehrenmal. In: ders., Die Bonner Universität. Bauten und Bildwerke, Bonn 1968, 269-294.

14) Und so blieb es auch dauerhaft: Kabinettsprotokolle der Bundesrepublik Deutschland, 1961, 122. Sitzung vom 21.9.1960, S.330-332.

15) Derix, 143-146.

16) Ausführlicher hierzu Manfred Hettling in: Corinna Hauswedell (Hrsg.): Soldatentod in heutigen Kriegen. Herausforderungen für politische Normenbildung und Erinnerungskultur, Loccumer Protokolle 25/08, Rehburg-Loccum 2009, 171-194.

17) Derix, 165-168.

18) Hermann, 111.

19) Heinz Dieter Kittsteiner, Über das vermeintliche Recht, ein Denkmal für die ermordeten Juden zu bauen. In: Michael Cullen (Hg.), Das Holocaust-Mahnmal. Dokumentation einer Debatte, Zürich 1999, 61-70.

20) Meine Einordnung: Jost Dülffer, Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur in Nachkriegsdeutschland. Kein Ende der Geschichte. In: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Eine Ausstellung und ihre Folgen. Zur Rezeption der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1945", Hamburg 1999, 289-312.


Prof. Dr. Jost Dülffer ist Hochschullehrer für Neuere Geschichte, insbesondere Historische Friedens- und Konfliktforschung, an der Universität zu Köln. Er arbeitet dort u.a. zu Fragen von Kriegbeendigung und Erinnerungskultur. Sein Beitrag - hier nur der erste Teil zu deutscher Erinnerungskultur, überarbeitet für Forum Wissenschaft - ist der Einstieg in einen Vortrag mit vier Abschnitten, den er bei einer Tagung der Ev. Akademie Loccum vom 6. bis 8. Juni 2008 hielt. Er wurde zuerst veröffentlicht unter dem Titel "Der Soldatentod in deutscher und internationaler Erinnerungskultur" in Corinna Hauswedell (Hrsg.): Soldatentod in heutigen Kriegen. Herausforderungen für politische Normenbildung und Erinnerungskultur. Loccumer Protokolle 25/08, Rehburg-Loccum 2009, S.71-95.

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