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Klaus Holzkamp

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„Integrationskurse“ – Integration?

15.09.2006: Das Zuwanderungsgesetz und seine Folgen

  
 

Forum Wissenschaft 3/2006; Titelbild: Thomas Plaßmann

„Integrationskurse“ für EinwandererInnen sind in Deutschland jüngst zum wichtigen Streitpunkt der öffentlichen Debatte geworden. In der Heckwelle der Pisa- und anderer Bildungsdiskussionen manifestiert sich eine neuerliche Pädagogisierung der Herausforderungen an eine Einwanderungsgesellschaft. Den einen gelten diese Kurse bzw. die Teilnahme an ihnen offenbar als zentraler Indikator für „gelingende Integration“, anderen als eine in mehreren Hinsichten diskriminierende, Zwangs-, assimilationserheischende bzw. legitimatorische Ersatzmaßnahme für Vernünftigeres. Gudrun Hentges resümiert die Debattenentwicklung.

Integrationskurse sind aus einer Reihe westeuropäischer Einwanderungsländer bekannt. Einige, etwa Großbritannien und Frankreich, setzen – zumindest noch – auf die freiwillige Teilnahme an diesen Kursen, andere (die Niederlande, Finnland, Dänemark, Österreich) verpflichten alle NeuzuwandererInnen oder zumindest bestimmte Gruppen von EinwandererInnen (Schweden) auf die Teilnahme, und entsprechende Sanktionen bzw. deren Androhung (Kürzung der Sozialhilfe, Verhängung eines Bußgelds, Verschlechterung des Aufenthaltsstatus) sollen dazu zwingen. Noch bevor die seit einigen Jahren dort gesammelten Erfahrungen systematisiert und ausgewertet wurden, begann in der Bundesrepublik Deutschland die Debatte über die Einführung solcher Integrationskurse. Dabei rekurrierte die „Unabhängige Kommission Zuwanderung“ in ihrem Bericht vor allem auf Erfahrungen in den Niederlanden und Schweden.1 Seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes (1. Januar 2005), das unter der zweiten SPD-Grünen-Regierung zu Stande kam2, sind Integrationskurse auch in der Bundesrepublik vorgeschrieben und Gegenstand einer eigenen Verordnung3.

Kritiken

Das Zuwanderungsgesetz und die Integrationskurse stießen bei zahlreichen Flüchtlingsinitiativen, MigrantInnenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und sozialen Diensten auf Kritik. Konzentrieren will ich mich hier exemplarisch auf einige der vorgebrachten Argumente:

  • Begriffe wie „Sprachförderung“ und „Integrationskurse“ seien diskriminierend und entstammten der Behinderten- und Kleinkindpädagogik (Flüchtlingsrat Berlin).
  • Das Ziel, nach 600 Stunden Deutschunterricht das Sprachniveau B1 zu erreichen (entspricht dem Sprachniveau bei Abschluss der Realschule/Mittlere Reife), wurde als illusorisch eingeschätzt.
  • Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) kritisierte, das Erlernen der deutschen Sprache und Integration könnten nicht durch Zwang erreicht werden. „Wo Zwang ausgeübt wird, regt sich Widerstand, und zwar bei allen Menschen. Deshalb muss die Teilnahme an den Integrationskursen durch Anreize gefördert werden.“4
  • Pro Asyl warnte vor einer „Verstaatlichung“ der Integrationspolitik, die u.a. dazu führen könne, dass sich die gesamte Palette der integrationspolitischen Instrumente auf die Kurse reduziert und andere Angebote der Migrationsberatung und -sozialarbeit zunehmend unter Legitimationsdruck geraten.5
  • Die zusätzliche Vermittlung von Kenntnissen über das politische und gesellschaftliche System Deutschlands und die demokratischen Grundwerte sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein – so beispielsweise der Flüchtlingsrat Berlin. Die explizite Aufnahme des sog. Orientierungskurses, der als Bestandteil des Integrationskurses den Sprachkurs ergänzen soll, unterstelle, Menschen mit Migrationshintergrund hätten generell ein Problem mit der Anerkennung demokratischer Grundwerte.
  • Problematisiert wurde ferner, dass das Zuwanderungsgesetz eine sozialpädagogische und Kinderbetreuung nur für die Kinder von SpätaussiedlerInnen (§ 9 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz), nicht jedoch für AusländerInnen (§ 43 ff AufenthG) vorsieht.
  • 630 EUR) sind SpätaussiedlerInnen. Von den Gebühren befreit werden Empfängerinnen und Empfänger von AlG II (§ 9 Abs. 2 IntV).
  • Ungeklärt war weiterhin die Frage der finanziellen Möglichkeiten von TeilnehmerInnen mit geringem Einkommen, da sie – insbesondere in ländlichen Regionen – neben der Kursgebühr die Fahrten zum Deutschkurs selbst finanzieren müssen.
  • Ungeachtet dieser im Vorfeld geäußerten Kritik am Gesetzentwurf und an der Integrationskursverordnung trat das Zuwanderungsgesetz am 1. Januar 2005 in Kraft. Als zentrales – und einziges – Instrument der Integration sieht das Zuwanderungsgesetz so genannte Integrationskurse vor, die für NeuzuwandererInnen verpflichtend sind. In Kapitel 3 (§ 43, Förderung der Integration) des Zuwanderungsgesetzes heißt es: „Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert.“ Eingliederungsbemühungen von NeuzuwandererInnen (erstmals werden AusländerInnen und SpätaussiedlerInnen unter die Kategorie der Neuzuwanderer subsummiert) sollen durch Integrationskurse unterstützt werden. Solche Kurse umfassen Angebote, die MigrantInnen an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen und sie mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet vertraut machen sollen, damit sie ihren Alltag ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter selbstständig bewältigen können.

Wie in der Verordnung über Integrationskurse festgelegt, sollen diese Kurse neben „dem Erwerb ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache (…) der Vermittlung von Alltagswissen sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit“6 dienen.

Funktionen der Kurse

Sie umfassen neben einem Sprachkurs (600 Stunden) einen Orientierungskurs (30 Stunden) zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. Der Orientierungs- und der Sprachkurs werden jeweils mit einer Prüfung abgeschlossen; dabei muss zunächst der Orientierungskurs erfolgreich abgeschlossen worden sein, bevor KursteilnehmerInnen zur abschließenden Sprachprüfung zugelassen werden. Die Koordination und Durchführung dieser Kurse übernimmt das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF), das seit Beginn des Jahres 2005 Bildungsträger als Veranstalter der Integrationskurse anerkennt. Im Laufe des Jahres 2005 erhielten 2.042 Veranstalter eine Zulassung zur Durchführung der Integrationskurse.7

Teilnehmen dürfen jene NeuzuwandererInnen, die sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, wenn sie erstmals eine Aufenthaltserlaubnis (zu Erwerbszwecken, zum Zwecke des Familiennachzugs, aus humanitären Gründen) oder eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Sofern noch Plätze zur Verfügung stehen, dürfen auch AltzuwandererInnen (Personen, die seit über 2 Jahren im Bundesgebiet leben) an den Kursen teilnehmen. Zur Teilnahme sind verpflichtet NeuzuwandererInnen, die sich nicht auf einfache Weise in deutscher Sprache mündlich verständigen können, und AltzuwandererInnen, die von der Ausländerbehörde zur Teilnahme an einem solchen Kurs aufgefordert werden.

Wer der Pflicht zur Teilnahme nicht nachkommt, wird von der Ausländerbehörde vor Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf die Auswirkungen der Pflichtverletzung und der Nichtteilnahme am Integrationskurs hingewiesen. Sofern die Teilnahmepflicht auch dann nicht erfüllt wird, kann die eine staatliche Transferleistung bewilligende Stelle die Leistung für die Zeit der Nichtteilnahme um bis zu 10% kürzen.8

Bereits wenige Monate, nachdem die ersten Integrationskurse in verschiedenen deutschen Städten begonnen hatten, zeichnete sich ab, dass dieses Angebot insbesondere bei „berechtigten länger in Deutschland lebenden Ausländern“9 auf große Resonanz stieß (zum aktuellen Stand von 2005 vgl. die Tabelle[n]). Dieser überraschende Trend bestätigt sich auch im Rückblick auf das Jahr 2005: Mehr als die Hälfte aller KursteilnehmerInnen (52,8%) zählt zu der Gruppe der AltzuwandererInnen. Bemerkenswert ist vor allem, dass die MigrantInnen aufgrund ihres Interesses an Sprach- und Orientierungskursen eine These widerlegten, die in den Jahren zuvor immer wieder gebetsmühlenhaft wiederholt wurde: AusländerInnen seien generell integrationsunwillig, neigten dazu, sich in Parallelgesellschaften zurückzuziehen, verweigerten sich den gesellschaftlichen Anforderungen und seien nicht bereit, die deutsche Sprache zu erlernen. Die Tatsache, dass ca. 68.700 EinwandererInnen ohne irgendeinen Zwang diese Kurse besuchten, dokumentiert ihr Interesse am Spracherwerb und an einer Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik der Bundesrepublik Deutschland. Von ca. 127.000 Anträgen auf Teilnahme wurden 121.476 Anträge (95,65%) bewilligt. Demnach zeigten sich über 5.500 ZuwandererInnen an einer Kursteilnahme interessiert, deren Anträge jedoch nicht gebilligt wurden. Auf die Frage „Wie viele dieser Anträge wurden aus welchen Gründen abgelehnt?“ antwortete die Bundesregierung, das BAMF führe hierzu keine Statistik.10 Zu vermuten ist jedoch, dass auch geduldete Flüchtlinge, von denen ca. 48.000 seit länger als 10 Jahren in Deutschland leben, unter den BewerberInnen waren. Geduldete Flüchtlinge werden grundsätzlich als „nicht berechtigt“ abgelehnt.11

Entsprechend den Zielvorgaben sollten die KursteilnehmerInnen nach 600 Stunden Sprachunterricht das Niveau B1 erreichen – eine Vorgabe, die von SprachlehrerInnen bereits im Vorfeld als illusorisch eingeschätzt worden war. Die Jahresbilanz 2005 zeigt, dass von den 115.158 TeilnehmerInnen 2005 ca. 29.000 den Kurs bis zum Ende besuchten und 17.482 davon die Abschlussprüfung absolvierten. Insgesamt bestanden 12.151 Personen die Prüfung auf dem Niveau B1 und erlangten damit das Zertifikat Deutsch12, insgesamt also ca. 10% aller KursteilnehmerInnen. Berücksichtigt man, dass lediglich ca. 25% die Kursteilnahme bis zum Ende durchhalten und die Abschlussprüfung eine Durchfallquote von 31% aufweist, letztlich also nur 7,75% der AnfangsteilnehmerInnen erfolgreich abschließen, stellt sich die Frage nach dem Veränderungsbedarf. Da eine konzeptionelle Verbesserung des Sprachangebots häufig auch eine Frage der finanziellen und personellen Ressourcen ist, provozierte die Debatte des Bundeshaushalts 2006 die (außer)parlamentarischen KritikerInnen und auch die Kursträger zu pointierten Stellungnahmen.

Genau an diesem Punkt setzte auch die Kritik an. Sie äußerte sich im Rahmen der Debatte um den Bundeshaushalt 2006.

Grundfrage Finanzierung

Obwohl die Kurse auf Zuspruch gestoßen und insbesondere von den sog. AltzuwandererInnen gut angenommen worden waren, sah die Bundesregierung im Entwurf des Haushaltsplans 2006 (Einzelplan 04) eine Kürzung des Haushaltsansatzes zur Förderung von Integrationskursen von 207.830 Mill. EUR (2005) auf 140.802 Mill. EUR (2006) vor. Begründet wurde diese Kürzung um ein Drittel mit „niedrigeren Fallzahlen.13 Beim Sprachfördertitel wurde jedoch vorsorglich ein Haushaltsvermerk angebracht, „der im Bedarfsfall eine Verstärkung des Titelansatzes ermöglicht.“14 In der Debatte um die Haushaltskürzungen kritisierten die parlamentarische (Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke) und außerparlamentarische Opposition (MigrantInnenorganisationen wie z.B. der Türkische Bund Berlin Brandenburg oder Menschenrechtsorganisationen wie z.B. Terre des Femmes), Gewerkschaften, kommunale Spitzenverbände und Kursträger (wie z.B. der Deutsche Volkshochschul-Verband) vehement diese Kürzungen. In Pressemitteilungen und öffentlichen Stellungnahmen verwiesen Oppositionsparteien, Vereine und Verbände darauf, die bessere finanzielle Ausstattung könne genutzt werden, um

  • zielgruppenspezifische Angebote weiter auszubauen,
  • eine größere Homogenität der Kurse zu erzielen,
  • die Qualität der Kurse zu steigern und
  • die Unterfinanzierung der Kursträger (pro TeilnehmerIn erhält der Kursträger 2,05 EUR) zu beheben.
  • Insbesondere der Deutsche Volkshochschul-Verband (dvv) forderte statt Mittelkürzungen eine Qualitätsverbesserung der bislang laufenden Kurse: „(D)ie Maßnahmen müssen insgesamt verstärkt werden, die Zulassung von Trägern unter Qualitätsaspekten begrenzt, die KursteilnehmerInnen an den Schnittstellen zum Arbeitsmarkt besser unterstützt, pädagogische Erkenntnisse konsequent umgesetzt und bürokratische Auflagen dringend abgebaut werden. Nicht zuletzt muss die Kostenerstattung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Trägern, die sich mit großem Engagement der Integrationsaufgabe widmen, die Deckung der anfallenden Kosten ermöglichen.“15 Konkrete Verbesserungsvorschläge des dvv bezogen sich auf die Aufstockung der Stunden des Sprachkurses von 600 auf 900, die Aufnahme von Kursen zur Alphabetisierung (zusätzliche 300 Std.), die Reduzierung der Größe der Lerngruppen von 25 auf 15 TeilnehmerInnen, die angemessene Honorierung der Lehrkräfte, die Gewährleistung sozialpädagogischer Beratung und Betreuung in Kooperation mit den Migrationserstberatungsstellen, die Kombination der Sprachförderung mit beruflicher Qualifizierung und Einbeziehung des Wohnumfeldes, die Mobilisierung weiterer AltzuwanderInnen für die Teilnahme an den Kursen sowie die Erhöhung des Erstattungsbetrags von 2,05 EUR auf 3 EUR. Die innerhalb und außerhalb des Parlaments vehement vorgetragene Kritik hatte jedoch keine Haushaltsansatz-Aufstockung zur Folge.

Sanktionsmöglichkeiten

Seit Beginn des Inkrafttretens des Zuwanderungsgesetzes und verstärkt seit Antritt der Großen Koalition stand die Frage der Sanktionen immer wieder im Zentrum der Debatte – und dies, obwohl das geltende Recht bereits eine Palette an Sanktionsmöglichkeiten vorsieht. Nach Auskunft der Bundesregierung sind: „folgende Sanktionen (…) bei Verstoß gegen die Teilnahmepflicht am Integrationskurs bereits gesetzlich vorgesehen:

  • Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, sofern kein Rechtsanspruch hierauf besteht, oder Verlängerung mit kürzerer Geltungsdauer, um dem Ausländer noch einmal Gelegenheit zu geben, seiner Teilnahmepflicht nachzukommen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz).
  • Kürzung der Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) um 10 Prozent (§ 44a Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz).
  • Weitergehende Leistungskürzung ist in den Fällen möglich, in denen eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Leistungsempfänger abgeschlossen wird. Ausländer, die Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld beziehen, müssen seit dem 1. Januar 2005 mit Sanktionen gemäß § 31 SGB II rechnen, wenn sie ihre Pflicht zur Teilnahme an einem Integrationskurs verletzen. Dies wird dadurch gewährleistet, dass der persönliche Ansprechpartner, der für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist, in die Eingliederungsvereinbarung die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs aufnimmt. Dies geschieht mit Blick auf das Zuwanderungsgesetz vorbehaltlich einer Genehmigung bzw. einem feststellenden Verwaltungsakt durch die Ausländerbehörde. Ist die Verpflichtung zur Teilnahme am Integrationskurs in der Eingliederungsvereinbarung verbindlich festgeschrieben, kommt bei Pflichtverletzungen eine Kürzung der Leistung nach § 31 SGB II in Betracht. Diese beträgt in der ersten Stufe 30 Prozent der Regelleistung für einen Zeitraum von drei Monaten. Bei mehrmaligen Pflichtverletzungen ist dabei auch in Extremfällen stufenweise eine Kürzung der Leistung bis auf Null möglich. Entsprechendes gilt gemäß § 32 SGB II für die Bezieher von Sozialgeld.
  • Die Bundesregierung bewertet die Sanktionsmöglichkeiten als ausreichend. Gleich lautende Beschlüsse wie in Bayern sieht das Land Niedersachsen vor.“16

Ungeachtet dieser bereits gesetzlich (§ 8 Abs. 3 Satz 2 und § 44a Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz) festgeschriebenen Instrumentarien zur Sanktionierung sog. IntegrationskursverweigererInnen profilieren sich PolitikerInnen als Hardliner, indem sie auf Sanktionen insistieren ohne Rückverweis auf deren Verankerung im Aufenthaltsgesetz, oder sie fordern – frei nach dem Motto „Fördern und Fordern“ – drastische Sanktionen wie z.B. die Ausweisung.

Integrationsgipfel

Als Reaktion auf den Integrationsgipfel am 14. Juli 2006 im Bundeskanzleramt, zu dem Angela Merkel ca. 70 TeilnehmerInnen, darunter VertreterInnen aus Politik und Wirtschaft, Kirchen- und Wohlfahrtsverbänden sowie MigrantInnen verschiedener Herkunftsländer eingeladen hatte, erhoben Unionspolitiker wie der Fraktionschef Volker Kauder die Forderung: „Wer Deutscher werden will, muss sich auch zur deutschen Schicksalsgemeinschaft und damit zur deutschen Geschichte bekennen. Zudem muss er die deutsche Leitkultur akzeptieren.“17 Andere Unionspolitiker wie Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion, kritisierten an Merkels Konzept des Integrationsgipfels, es fehle „das klare Bekenntnis zu Sanktionen.“18 Solche Ansinnen wurden gebündelt in einem CSU-Vorstandsbeschluss.19 Er forderte eine „klare Integrationsverpflichtung für Zuwanderer“, einen Sanktionskatalog für „Integrationsverweigerer“ sowie bei „Verweigerung“ die Kürzung von Sozialleistungen. Auch das SPD-Papier „Leitlinien zur Integrationspolitik“, beschlossen im Vorfeld des Integrationsgipfels, verweist auf die erforderlichen Sanktionen, die man gegen jene MigrantInnen anwenden müsse, „die sich verweigern, unsere Sprache zu lernen“, sowie gegenüber „Zuwanderern, die sich Integrationsmaßnahmen verweigern“.20 Zeitgleich sorgte ein Evaluationsbericht des BMI für Aufsehen. Ausgehend von der Forderung einiger Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland) empfiehlt dessen „Projektgruppe Zuwanderung“, künftig solle auch der Arbeitslosengeld-II-Bezug durch eine mögliche Ausweisung sanktioniert werden. Die Aufnahme des Arbeitslosengeld-II-Bezugs in den Ausweisungstatbestand „hätte auch eine entsprechende Signalwirkung“ – so das Papier wörtlich. Allerdings räumt die Projektgruppe ein, es bedürfe einer „politischen Bewertung, ob es sich auf Grund dieses Evaluationsergebnisses“ empfehle, das Aufenthaltsgesetz (§ 55 Abs. 2 Nr. 6) entsprechend zu ändern.21

Dieses Positionspapier verdeutlicht, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Rahmen der Hartz-IV-Gesetze den aufenthaltsrechtlichen Status von AusländerInnen deutlich verschlechtert: Galten Arbeitslosengeld und -hilfe bislang als Leistungen, die aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung resultieren, so wird der Empfang von Arbeitslosengeld II hier lediglich als Fürsorgeleistung betrachtet und als Begründung für eine Abschiebung herangezogen.22 Ferner forderte die Projektgruppe, Hartz-IV-EmpfängerInnen solle verboten werden, ausländische EhepartnerInnen ins Land zu holen.23 Zur „Verpflichtung von Leistungsempfängern und Sanktionierung der Nichtteilnahme“ an Integrationskursen regt sie an, in einem novellierten Aufenthaltsgesetz die bislang vorgesehene Arbeitsteilung zwischen Ausländerbehörde und leistungsbewilligender Stelle aufzuheben: Letztere solle künftig unmittelbar für die Verpflichtung zuständig und auch zugleich die Sanktionen verhängende Stelle sein – in Abstimmung mit der Ausländerbehörde bis hin zu Abschiebung und Ausweisung. „Handlungsbedarf“ wird auch darin gesehen, dass der Kreis der zu verpflichtenden Personen auf jene AltzuwandererInnen ausgeweitet wird, die Sozialgeld nach dem SGB XII beziehen.24

Eine abschließende Bewertung der Integrationskurse und der Debatte um Sanktionen kommt nicht umhin, nochmals auf die eingangs zitierte Kritik der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) zu rekurrieren: „Wo Zwang ausgeübt wird, regt sich Widerstand, und zwar bei allen Menschen. Deshalb muss die Teilnahme an den Integrationskursen durch Anreize gefördert werden.“25 Die politischen Reaktionen aus den Parteien der Großen Koalition verdeutlichen, dass Integrationskurse nicht in erster Linie als Angebot zugunsten der ZuwandererInnen betrachtet werden. Vielmehr sollen diese Kurse und die damit verknüpften Prüfungen, zumal angesichts der Raten erfolgreichen Bestehens, offenbar als Selektionsinstrument zur Identifikation sog. Integrationsverweigerer dienen – und damit als staatliches Instrument, das der Sanktion, Ausgrenzung und Abschiebung dient.

Bilanzen des Jahres 2005

Integrationskurse mit Beginn im Jahr 2005 insg.: 8.196
davon
allgemeine Kurse 7.400
Kurse mit Alphabetisierung 227
Eltern- bzw. Frauenkurse 456
Jugendkurse 113

Teilnehmer(innen) an einem Integrationskurs (2005) nach Zuwanderungsgruppen

insg. 115.158

davon

Neuzuwanderer(innen)

24.651

Altzuwanderer(innen)

68.696

Spätaussiedler(innen)

21.811

Berechtigte Teilnehmer(innen) an einem Integrationskurs (2005) insg. 215.651
davon
Bereits länger in Deutschland lebende Ausländer(innen) (sog. Altzuwanderer)
vom BAMF zur Kursteilnahme berechtigt 103.146
vom BAMF zur Kursteilnahme verpflichtet 18.330
Neuzugewanderte Ausländer(innen)
von einer Ausländerbehörde zur Kursteilnahme berechtigt 18.481
von einer Ausländerbehörde zur Kursteilnahme verpflichtet 42.453
Spätaussiedler(innen) 33.241

Teilnehmer(innen) an den Abschlussprüfungen (2.3.-31.12.2005)

insg. 17.482

davon mit bestandener Abschlussprüfung

12.151

Quellen: BAMF, Integration. Voneinander lernen - gemeinsam leben. Integrationskurse - Jahresbilanz 2005, Nürnberg 2006; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke (Drs. 16/639 v. 14.2.2006); Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 16/725 v. 20.2.2006).

Anmerkungen

1) Bericht der Unabhängigen Kommission Zuwanderung, Berlin 2001, S.252-257.

2) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drucksache 14/7387; in Kraft getreten am 1.1.2005.

3) Verordnung der Bundesregierung. Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung, IntV); in Kraft getreten am 1. Januar 2005.

4) Stellungnahme der Türkischen Gemeinde in Deutschland anlässlich der Anhörung der Kommission „Zuwanderung“ am 26./27. April 2001 in Berlin.

5) Pro Asyl: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz – BT-Drucksache 14/7387), 10.1.2002.

6) Vgl. IntV, § 3 (Inhalt des Integrationskurses). „Zu § 12 Absatz 1: Der Orientierungskurs soll das Sprachkursangebot ergänzen und den Integrationsprozess beschleunigen. Die Durchführung des Orientierungskurses erfolgt im Anschluss an den Sprachkurs und in deutscher Sprache (vgl. § 10 Abs. 1). Er bietet neben der reinen Wissensvermittlung auch Anwendungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der erreichten Sprachkenntnisse und führt insoweit zu einem Synergieeffekt. Der Integrationskurs sollte möglichst in einer Hand bleiben, da die Lehrkraft bereits die Teilnehmer kennt und die individuellen Lernfähigkeiten und Lernvoraussetzungen einschätzen kann.“

7) BMI: Beantwortung von Fragen (Roland Claus, MdB) zum Kapitel 0633 (Integration) v. 24.3.2006, S.2.

8) „Gleiches soll rückwirkend für jene gelten, die noch keine sechs Jahre im Land sind und keine ausreichenden Deutschkenntnisse nachweisen können. Daran knüpfen sich positive wie negative Sanktionen: Wer die Kurse nicht oder nicht erfolgreich absolviert, muss der Ausländerbehörde Rechenschaft ablegen. Dies kann unter Umständen Konsequenzen haben, wenn die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragt wird. Wer die Kurse hingegen mit Erfolg besucht, soll schon nach sieben Jahren eingebürgert werden können.“ Migration und Bevölkerung, November 2001, S. 1.

9) Diese Gruppe titulierten das BMI und das BAMF zunächst als „Bestandsausländer“; aufgrund der vehementen Kritik wurde dieser Begriff durch „Altzuwanderer“ ersetzt. Überraschenderweise firmieren Einwanderer, die bereits seit einigen Jahren in der Bundesrepublik leben, in jüngst publizierten Dokumenten (BMI-Evaluationsbericht 2006, S.122) erneut unter dem negativ konnotierten Begriff „Bestandsausländer“.

10) Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, S.3 (Drs. 16/725 v. 20.2.2006).

11) Geduldete Flüchtlinge – lt. Angaben des BAMF 387.000 Personen (2004) – sind nicht berechtigt, an den Integrationskursen teilzunehmen, unabhängig davon, wie lange sie bereits hier leben. Nach Angaben der Bundesregierung leben ca. 48.000 Personen seit über 10 Jahren mit einer sog. Duldung in der Bundesrepublik, weitere 5.426 mit einer sog. Aufenthaltsgestattung (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke, Drs. 16/307 v. 21.12.2005; Teilstatistik Ausländer- und Flüchtlingszahlen, dokumentiert auf der Internet-Seite des BAMF).

12) BMI: Beantwortung von Fragen (Roland Claus, MdB) zum Kapitel 0633 (Integration) v. 24.3.2006, S.5.

13) Haushaltsplan 2006, 0633 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 684 02 Förderung der Integrationskurse von Zuwanderern.

14) BMI: Beantwortung von Fragen (Roland Claus, MdB) zum Kapitel 0633 (Integration) v. 24.3.2006, S.1.

15) Deutscher Volkshochschul-Verband: Keine Kürzungen bei der Integrationsförderung. Zehn Forderungen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes zur Verbesserung des Integrationserfolgs v. 31. März 2006.

16) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke (Drs. 16/639 v. 14.2.2006), S.7.

17) Zit. n. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.7.2006.

18) Der Begriff „Sanktion“ wurde unmittelbar nach dem „Integrationsgipfel“, am 15. Juli 2006, zum „Wort des Tages“ gekürt. (wortschatz.uni-leipzig.de/wort-des-tages/2006/07/15/Sanktionen.html ).

19) Klausurtagung des CSU-Vorstands: Fünf-Punkte-Integrationsplan für Deutschland. Beschluss des CSU-Parteivorstands am 7. April 2006

20) „Leitlinien zur Integrationspolitik“ (Beschluss des Präsidiums der SPD) v. 10.7.2006 (www.spd.de/servlet/PB/menu/1053383/f1680421-e1680875.html ).

21) Ebd., S.143, 144 bzw. 145.

22) Vgl. Christoph Butterwegge/Carolin Reißlandt: Hartz und Migration, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2005, S. 90-98.

23) BMI: Bericht zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), Juli 2006, Berlin, S.108.

24) Ebd., S.138.

25) Hvhbg.: GH.


Prof. Dr. Gudrun Hentges lehrt Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Fulda. Sie leitet den Studiengang „B.A. Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Interkulturelle Beziehungen“ (BASIB).

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