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Bologna darf nicht scheitern!

15.05.2008: Qualität muss vor Tempo gehen

  
 

Forum Wissenschaft 2/2008; Manfred Vollmer

Die Veränderungen des Hochschulbetriebs und -Studiums, die mit dem Bologna-Prozess einhergehen, erzeugen bei vielen Betroffenen Klagen über Klagen - zu Recht. Auch Forum Wissenschaft ist voll solcher Klagen und Kritiken. Die eigentlichen Ziele des Bologna-Prozesses und ihre strategische Bedeutung ruft Andreas Keller ins Gedächtnis.

Bis zum Jahr 2010 soll es einen übergreifenden "Europäischen Hochschulraum" geben. Dies haben die für Hochschulen zuständigen Ministerinnen und Minister von zunächst 29 europäischen Staaten innerhalb und außerhalb der EU 1999 in Bologna vereinbart. Inzwischen haben die "Bologna-Erklärung" 46 Staaten unterzeichnet. Doch zwei Jahre vor Erreichen der Zielmarke knirscht es im Gebälk. Ist der Bologna-Prozess in der Krise?

Zwar schreitet die Umstellung der Studiengänge voran: Über 60 Prozent der Studiengänge an deutschen Hochschulen führen zum Bachelor oder zum Master, knapp 20 Prozent aller Studierenden sind in einen der neuen Studiengänge eingeschrieben. Aber statt Mobilität zu fördern und das Studium studierbar zu machen, erschweren insbesondere die neuen Bachelorstudiengänge den Studienortwechsel und führen zum Anstieg statt zum Rückgang der Studienabbrecherquoten. Das zeigen jüngste Untersuchungen der Hochschulinformations-System GmbH in Hannover.

Durchlässigkeit nach oben

Gleichzeitig droht die Stimmung vor Ort an den Fachbereichen und Fakultäten zu kippen. Die Umstellung auf Bachelor und Master und die Modularisierung der Studiengänge sollten zu einer besseren Betreuung der Studierenden führen. Dies führt aber auch zu einer höheren Arbeitsbelastung - sowohl für das in Lehre und Verwaltung tätige Personal als auch für die Studierenden selbst. Und die Hochschulen können Lehrenden und Lernenden keine Antwort auf die Frage geben, wie die Mehrbelastung aufgefangen werden soll - außer durch eine Verdichtung der Lehr- und Lernprozesse.

Doch Bologna darf nicht scheitern - zu viel steht auf dem Spiel. Erst der Bologna-Prozess hat die Hochschulen dazu gebracht, bei der Reform ihrer Studiengänge die Studierenden und die von ihnen zu erwerbenden Kompetenzen ins Zentrum zu rücken. Die Gewerkschaften unterstützen den Bologna-Prozess, weil sie von ihm eine Verbesserung der Qualität von Lehre und Studium erwarten. Bund, Länder und Hochschulen haben es jetzt in der Hand, ein Scheitern der Studienreform abzuwenden - durch einen Kurswechsel im Bologna-Prozess. Im Einzelnen sind vier Kursänderungen überfällig.

Wir brauchen erstens eine Entschleunigung des Bologna-Prozesses. Bund und Länder müssen den unnötigen Zeitdruck aus der Umstellung der Studiengänge herausnehmen. Sie sollten so ehrlich werden und sich eingestehen, dass eine flächendeckende Umstellung aller Studiengänge auf Bachelor und Master bis 2010 nicht erreichbar ist. Einige Fachrichtungen sind schon heute sehr weit gekommen, andere stehen erst ganz am Anfang der Studienreform, in wieder anderen wird es für eine längere Übergangszeit ein Nebeneinander von neuen und traditionellen Studienstrukturen geben. Für die Fortsetzung des Reformprozesses, der über 2010 hinaus weitergehen wird, muss der Grundsatz gelten: Qualität geht vor Tempo. Nur eine Studienreform, die von der Überzeugung und Akzeptanz der Lehrenden, Lernenden und der beruflichen Praxis getragen ist, wird nachhaltigen Erfolg haben.

Zweitens brauchen wir eine uneingeschränkte Durchlässigkeit beim Übergang vom Bachelor- zum Masterstudiengang. Weder Quote noch Note dürfen die Zulassung zum Masterstudium beschränken. Die Akzeptanz der neuen Bachelorstudiengänge bei den Studierenden und in der beruflichen Praxis muss wachsen - sie kann nicht von oben verordnet werden. Selbstverständlich sollten Bachelorabsolventen, die überzeugt sind, genug gelernt zu haben, ihr Glück auf dem Arbeitsmarkt versuchen - und viele haben dies bereits erfolgreich getan. Sie sollten auch die Möglichkeit haben, jederzeit nach einer beruflichen Praxisphase ein Masterstudium draufzusatteln - im Inland oder im Ausland. Wer aber unmittelbar nach dem Bachelor weiterstudieren möchte, sollte einen Anspruch haben, zu einem weiterführenden Masterstudiengang zugelassen zu werden.

Studierende sind Experten

Drittens muss für die neuen Studiengänge der Grundsatz der Studierbarkeit und Studierfreiheit gelten. Viele finden das Studentenleben im Bologna-Zeitalter nicht mehr lustig. Eine falsch verstandene Modularisierung wird häufig zum Vehikel für eine Verschulung und Verdichtung des Studiums. Ein Übermaß an Prüfungen, Klausuren und Anwesenheitskontrollen entmündigt die Studierenden und lässt keinen Platz mehr für Selbststudium, Projektstudium und forschendes Lernen - ganz zu schweigen vom politischen und kulturellen Engagement der Studierenden, das mit zum zivilgesellschaftlichen Unterbau unserer Demokratie gehört. Dem Übermaß an studentischem "workload" entsprechen die Überlastung und der Verdruss vieler Dozentinnen und Dozenten, die ihrerseits die Inspiration des einst von Wilhelm von Humboldt beschworenen Geists der "Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden" vermissen.

Schließlich muss viertens endlich mit der sozialen Dimension des Bologna-Prozesses ernst gemacht werden. Mobilität im Europäischen Hochschulraum ist nicht nur eine Frage der Angleichung von Studienstrukturen und Abschlüssen. Auch die materiellen Voraussetzungen für Mobilität müssen gegeben sein. Die Verpflichtung des internationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Studiengebühren schrittweise abzuschaffen, gehört daher ebenso auf die Agenda des Bologna-Prozesses wie ein wirksames Ausbildungsförderungssystem oder die Beseitigung von Nachteilen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Grenzen überschreiten, vor denen die sozialen Sicherungssysteme der Nationalstaaten immer noch halt machen. Wer heute ins Ausland geht, verliert dafür zumeist immer noch Renten- oder Pensionsansprüche. Es geht nicht nur um die Förderung von Mobilität im Europäischen Hochschulraum, sondern auch um dessen soziale Öffnung - da Europa in Zukunft nicht etwa weniger, sondern deutlich mehr gut ausgebildete Akademikerinnen und Akademiker braucht.

Die Reise nach Bologna droht ihr Ziel zu verfehlen - wenn nicht jetzt ein entschlossener Kurswechsel vorgenommen wird. Er kann gelingen, wenn Bund, Länder und Hochschulen sich tatsächlich auf gleicher Augenhöhe auf eine Auseinandersetzung mit vom Bologna-Prozess betroffenen Interessengruppen - im Bologna-Deutsch: "Stakeholder" - einlassen. Lehrende haben eine andere Perspektive als Lernende, und diese haben wiederum eine andere Sicht als die berufliche Praxis, die ebenso von der Arbeitnehmer- wie von der Arbeitgeberseite repräsentiert wird. Sie alle sind in diesem Sinne Bologna-Experten. Bund, Länder und Hochschulen sollten sie als gut funktionierendes Frühwarnsystem nutzen und ihren Rat ernst nehmen.


Dr. Andreas Keller ist Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie Mitglied des Bundesvorstandes des BdWi. Er ist Bologna-Experte im Rahmen des vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) koordinierten EU-Projekts "Promoting Bologna in Germany". Sein für Forum Wissenschaft leicht bearbeiteter Beitrag erschien erstmals am 28.04.08 in "Neues Deutschland".

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