BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Effizienzsteigerung des Leerlaufs - ein kritischer Gesamtblick auf die aktuelle Hochschulpolitik

06.06.2003: Vortrag auf der Alternativuni Potsdam am 6.6.2003 in ergänzender Anlehnung an einen Beitrag von Alex Demirovic ("Gefahren der Dummheit")

Wenn in einem kritischen Sinne von jenen Vorgängen die Rede ist, die mit dem Schlagwort "Ökonomisierung der Hochschulen" umschrieben werden, hat man meistens sofort verschiedene Dinge vor Augen: etwa einen Bedeutungsverlust der Geistes- und Sozialwissenschaften, zumindest in ihrer kritischen, die Gesellschaft irritierenden Funktion; die Beseitigung sog. Orchideenfächer durch Konzentration der knappen Ressourcen in ökonomisch-technisch "relevanten" Bereichen; schließlich die Verstärkung der ohnehin starken sozialen Selektivität des deutschen Bildungssystems durch eine (Teil-) Privatisierung von Bildungskosten (Studiengebühren). Das alles sind zweifellos wichtige Felder der politischen Auseinandersetzung. Der (hier ebenfalls veröffentlichte) Beitrag von Alex Demirovic bedeutet diesen gegenüber noch eine zusätzliche Erweiterung des Blickwinkels und damit eine Radikalisierung der Kritik. Dies geschieht, indem gefragt wird, was eigentlich mit der Wissenschaft selbst passiert, wie sich quasi ihre "inneren" Produktionsbedingungen verändern. Viele von uns hegen sicher die Vorstellung, daß es mit der Wissenschaft immer "irgendwie" weitergeht, daß aktuell dabei allerdings hier und da gekürzt, umgeschichtet und konzentriert wird. Demirovic zeigt demgegenüber auf, daß das eigentliche Problem nicht nur in einer Veränderung quantitativer Proportionen verschiedener Sparten von Wissenschaft besteht. Vielmehr wirkt sich die Kombination von Sparpolitik, zunehmendem Konkurrenzdruck und der Durchsetzung von Wettbewerbsmustern - kurz: die "Marktlogik" - auch im sozialen Alltag aller Hochschulangehörigen untereinander destruktiv aus, und zwar in dem Sinne, daß dadurch die Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis und freier Bildung zunehmend eingeschränkt werden. Zu diesen Bedingungen gehören etwa Offenheit und Öffentlichkeit, freie Kommunikation und Gedankenaustausch. An deren Stelle treten taktisches Verhalten, Informationseinschränkung und -vorenthaltung, Selbstinszenierung und ein instrumentelles Verhältnis zu KollegInnen usf.

Dabei darf nicht der Fehler gemacht werden, die Zeiten bevor der Neoliberalismus die politische Bühne betrat als eine akademische Idylle zu charakterisieren. In der jüngeren Vergangenheit waren Hochschulen (und Demirovic weist darauf nachdrücklich hin) immer auch in Prozesse der sozialen Herrschaftssicherung, der (ökonomischen) Kapitalexpansion und der "Verwissenschaftlichung" staatlicher Administration eingebunden. Daher ist es falsch, zu meinen, daß erst jetzt die "Ökonomie" als Leitbild und Steuerungskriterium auf den Plan tritt. Man kann sogar noch weiter ausholen: Seit der Neubegründung der deutschen Universität durch Humboldt (1810) herrschte an dieser immer eine Art Doppelstruktur: Hochschulen waren ihrem formalen Selbstverständnis nach zum einen Stätten der "akademischen Selbstverwaltung" bezogen auf den Kern des Wissenschaftsbetriebes, zum anderen waren sie als Ausdruck der finanziellen Alimentierung durch die Politik Teil der staatlichen Anstaltsverwaltung. Für diese war auf Ebene der Einzelhochschule der sog. Kurator (heute: Kanzler) zuständig, welcher mit dem Rektor als Repräsentanten der "akademischen Selbstverwaltung" eine Art Doppelspitze bildete. Die Logik der staatlichen Anstaltsverwaltung, die sich in der Verfügung über das Budget ausdrückte, war auch immer eine Logik bürokratischer Rationalität, welche - nolens volens - mit (quantitativen) Meßgrößen wie "Zeit" und "Geld" hantieren mußte, welche an sich wissenschaftsfremd sind. Die Tendenz, daß sich beide "Logiken" gegenseitig überlappten bzw. durchdrangen und Wissenschaft und Bildung damit technokratischen Maßstäben unterworfen wurden, ist also nicht ganz neu. Ungeachtet dessen war aber offenbar immer noch eine relative gegenseitige Selbständigkeit von Wissenschaft und Administration gewährleistet.

Der "Systemwechsel", der heute zweifellos innerhalb der Hochschulen angestrebt wird, scheint genau an diesem Punkt anzusetzen. Es geht um eine Art Verbetriebswirtschaftlichung aller Arbeitsabläufe, in welcher die traditionelle Unterscheidung von ökonomisch-administrativer Rationalität und "eigentlicher" Wissenschaft zunehmend entfällt. Dies drückt sich nicht zuletzt darin aus, daß in den sog. Neuen Steuerungsmodell (NPM = New Public Management), die gegenwärtig Schritt für Schritt implementiert werden, die ehemalige Doppelspitze in einer einheitlichen, unternehmerisch handelnden zentralistischen Managementstruktur aufgehoben werden soll (am weitesten ist dies an der TU München fortgeschritten). Dieses Management bezieht seine Legitimation aus einer verwettbewerblichten Ressourcensteuerung, die von den noch vorhandenen Ruinen der "Selbstverwaltung" vollständig abgekoppelt und eher an das Vorbild eines gewerblichen Wirtschaftsunternehmens angelehnt ist.

Auf die teilweise absurden Folgen, die diese Entwicklung zuweilen haben kann, ist schon ebenso häufig wie praktisch folgenlos hingewiesen worden. Dabei kommen die Kritiker keineswegs nur aus dem linken politischen Spektrum. Erst jüngst wies der Mannheimer Professor für Organisationsgestaltung Alfred Kieser, der eher zum inner circle des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) gehört, in der ZEIT (17.7.03) zum wiederholten Male darauf hin, daß "Evaluation ..... erst die Wirklichkeit (schafft), die zu bewerten sie vorgibt." Die indikatorgestütze sog. "leistungsorientierte" Mittelvergabe, welche die Zahl der Publikationen positiv bewertet, fördert in Verbindung mit dem citation index eine Tendenz zur formalen Vielschreiberei: Forschungsergebnisse, die in einen Aufsatz passen, werden auf drei "gestreut", umfangreichere Monographien sind rückläufig. Da der citation index nach Fachgebieten organisiert ist, werden interdisziplinäre (und häufig wirklich innovative) Arbeiten weniger wahrgenommen. Das Streben, in Zeitschriften mit einem hohen impact factor bzw. Identifikationswert für die etablierte scientific community zu publizieren, fördere eher, so Kieser (ebd.) einen "wissenschaftlichen Konservatismus", da etwa wirkliches innovatives Querdenkertum mit dem Risiko belastet ist, überhaupt nicht bemerkt, geschweige denn publiziert, zu werden. Weitere Beispiele lassen sich mühelos ergänzen. Nicht allein die Forschung im engeren Sinne, auch die Studienorganisation ist betroffen. Seit langem ist die "Verkürzung" der Studienzeiten zentrale hochschulpolitische Zielsetzung. Wenn etwa im Rahmen der leistungsorientierten Mittelvergabe Studienabschlüsse in Zeiteinheiten gewichtet werden, verselbständigt sich das Motiv purer Beschleunigung. 100 Diplome in einer Durchschnittsstudienzeit von 8 Semestern wiegen mehr als 100 Diplome in 10 Semestern; selbst wenn auf diese Weise Dilettanten produziert werden, die in ihrer künftigen Berufsausübung infolge von administrativer Wissensbeschränkung eventuell einen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten, der größer ist als die unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Einsparungen der Fachbereiche durch Studienzeitverkürzung. Das heißt nicht im falschen Umkehrschluß, daß nur eine langes Studium ein "gutes" Studium ist, daß heißt vor allem, daß die "Zeit" als isolierter quantitativer Faktor ein irrelevantes Kriterium ist, um den gesellschaftlichen Gebrauchswert von Bildung und Wissenschaft bestimmen zu können. Dieser Gebrauchswert - Stichwort "Qualitätssicherung" - läßt sich auch nicht einfach akademisch ex cathedra festlegen (wie es vermutlich Professorenverbänden und Forschungsgesellschaften vorschwebt). Die Orientierung an einem umfassenden, keineswegs nur kommerziellen, gesellschaftlichen Nutzen als Richtgröße erfordert als Minimalvoraussetzung vielmehr ergebnisoffene politische Selbstverwaltungs- und Aushandlungsstrukturen und den ständigen Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Diese genuin politischen Steuerungs- und Reflexionsbedingungen werden derzeit, soweit überhaupt noch vorhanden, durch (ökonomische) Wettbewerbsmechanismen ersetzt. Die Kritik an den vorherrschenden bildungsökonomischen und hochschulpolitischen Glaubenslehren gewinnt erst dann an Kontur, wenn sie sich nicht im Jammern über Sparzwänge und dichtgemachte Fachbereiche erschöpft. Vielmehr sollte öffentlich wesentlich stärker damit argumentiert werden, daß der Neoliberalismus auch die Möglichkeiten gesellschaftlicher Innovation in einem umfassenden Verständnis abbaut. Der Schaden, der auf diese Weise angerichtet wird, ist unter dem Strich größer als ein (vermutetermaßen) möglicher selektiver Nutzen für wenige ökonomische Profiteure.

Personen:
>Torsten Bultmann

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