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Klaus Holzkamp

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Kriegsbereit?!

15.05.2004: Ein Plädoyer zur Erforschung der Banalisierung des Militärischen

  
 

Forum Wissenschaft 2/2004; Titelbild und andere Bilder: Ch. Kurby, J. Schwertheim, J. Hartwig

Die Existenz des Militärs und sein Zugriff auf erhebliche Teile des Staatsbudgets war in der Geschichte der Bundesrepublik selten so wenig umstritten wie heute. Tanja Thomas und Fabian Virchow plädieren für eine Kritik der alltäglichen Banalisierung von Krieg.

Mit der Entstehung der vergrößerten Bundesrepublik Deutschland in Folge der Auflösung der DDR wurden die letzten noch bestehenden Beschränkungen im militärischen Bereich aufgehoben, die der Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgestaat des »Dritten Reiches« auferlegt worden waren. Mit der Unterzeichnung des »2 plus 4-Vertrages« gilt die Bundesrepublik wieder als souverän. Hatten bereits Ende der 1980er Jahre Vertreter der sog. gesellschaftlichen Elite der alten Bundesrepublik gefordert, Deutschland müsse - seiner herausgehobenen Stellung als ökonomische Weltmacht und der Zahl seiner Bevölkerung entsprechend - in der Außenpolitik auch stärker mit militärischen Machtmitteln operieren, so wurde hierfür mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien (1991/1992) und einer noch andauernden Reorganisation der Streitkräfte Grundlagen gelegt. Der im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stattgefundene grundlegende Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik war verknüpft mit öffentlichen Debatten über die Legitimität und Legitimation des entsprechenden staatlichen und militärischen Handelns. Mit den öffentlichen Auseinandersetzungen über die Deutung dieser Entwicklungen, einzelner Ereignisse und der ihnen zugrundeliegenden Kontextbedingungen und Handlungszusammenhänge war und ist ein wichtiger Teil der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland berührt; Schwab-Trapp spricht in diesem Zusammenhang von der "politische(n) Kultur des Krieges", deren Vereinheitlichung im vergangenen Jahrzehnt zu beobachten gewesen sei.1

Kultur des Krieges

Die Durchsetzung einer politischen Kultur des Krieges, in der die Anwendung organisierter militärischer Gewaltmittel - wenn auch kaum mehr euphorisch begrüßt, so doch zum Teil zufrieden als Element einer »Normalisierung« zur Kenntnis genommen und darüber hinaus als weithin alternativlos betrachtet wird, bedarf freilich der gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärs und des Militärischen als vorgängigen Prozess.

Zwar beklagt das Militär in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder das niedrige Sozialprestige seiner Angehörigen; zugleich dürfte seine Existenz, sein Zugriff auf erhebliche Teile des Staatsbudgets oder sein Anspruch auf Nutzung von Fläche (trotz einiger markanter Ausnahmen wie der seit über zehn Jahren währenden Auseinandersetzung um das »Bombodrom«) selten in der Geschichte der Bundesrepublik so wenig umstritten gewesen sein wie heute. Diese Entwicklung scheint mit einer weitgehenden Ausblendung des Militärs als Institution und sozialer Akteur sowie der Veralltäglichung des Militärischen aus der Friedensforschung zusammenzufallen. Dabei gibt es seit einiger Zeit bedeutende - in der Entwicklung der Bundesrepublik und ihrer Armee zum Teil auch neue - Entwicklungen, die eine verstärkte Beschäftigung mit den vielfältigen Prozeduren der Gewöhnung an und/oder der Einübung in Sichtweisen, Denkmuster, Einstellungen und Verhaltensweisen, die - mehr oder weniger - einem militärischen Habitus verbunden sind, nahelegen.

Zu nennen wäre hier stichpunktartig nur einige wenige Beispiele, deren Kontextualisierung im veränderten außen- und sicherheitspolitischen Paradigma der Bundesrepublik und in der fortschreitenden Mediatisierung von Gesellschaften2 hier nur angedeutet sein kann:

  • Ähnlich wie in anderen kriegführenden Armeen entwickelt sich in der Bundeswehr derzeit ein ausdifferenziertes Profil der Truppenbetreuung. Dabei besuchen Künstler, Radiomoderatorinnen, Comedians oder Musikgruppen die Bundeswehrverbände in den Einsatzgebieten und tragen mit ihren Präsentationen zur Hebung der »Moral der Truppe« und damit zur Sicherung der Einsatzbereitschaft bei. Zugleich ergeben sich vielfältige Rückwirkungen auf den Kulturbetrieb an der »Heimatfront«, so werden gezielt auf die Lage der Soldaten im Einsatzraum zugeschnittene Songs auch dem Publikum in Deutschland dargeboten und Soldatengrüße gehen über den Sender.3
  • Der durch Kostendruck verursachte Bedeutungszuwachs von Simulationen für militärische Übungen sowie die Weiterentwicklung von Software und Rechnerkapazitäten haben dazu geführt, dass Computerspiele inzwischen echte dual-use-Produkte sind. Von den USA-Streitkräften werden sie bereits nicht nur zur Rekrutenwerbung eingesetzt, sondern auch zur Schulung der visuellen Aufmerksamkeit (Reaktionsgeschwindigkeit, Erweiterung des Blickfeldes). Zahlreiche Kooperationen zwischen Softwareentwicklern, Spieleindustrie und Militär lassen kritische Beobachter von einem »military-industrial-media-entertainment network« sprechen.4
  • Die Bundeswehr ist in Deutschland inzwischen einer der bedeutendsten Einzelsponsoren im Sport. Ende 2003 wurden 744 Männer und Frauen unterstützt; die Sportarten reichten von American Football über Billard bis hin zu Boule und Rugby. Bei den Olympischen Winterspielen in Nagano (1998) wurden 16 von 29 Medaillen von Soldatensportlern geholt (55%) ; in Salt Lack City waren es 71%. Solche Erfolge und das zunehmende öffentliche Interesse auch an Sportarten wie Biathlon veranlassten kürzlich Verteidigungsminister Struck zur Forderung, dass das Logo der Bundeswehr auf der Kleidung der AthletInnen sehr viel deutlicher platziert werden müsse. Hier werden Mechanismen der Identifizierung nicht nur mit dem einzelnen Sportler und dessen Leistung, sondern mit der Institution, die ihm diesen Erfolg mit ermöglicht hat, angeregt, so dass möglicherweise von einer Militarisierung des Sports gesprochen werden muss.
  • Die Bundeswehr hat die Ansätze ihrer Nachwuchswerbung in den letzten Jahren breit ausdifferenziert. Sie führt inzwischen nicht nur eigene Sportwettbewerbe (Bw-olympix ) und music contests (Bw-musix) mit mehreren tausend Jugendlichen durch, sondern tritt auch auf Industrie- und Buchmessen auf. Ihr Schülerwettbewerb Bundeswehr im Blick, der in Kooperation mit der Tageszeitung Die Welt, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Schülerzeitung unicum ABI durchgeführt wird, soll junge Menschen veranlassen, sich auf die Bundeswehr und auf Sichtweisen des Militärs einzulassen.

banal militarism

"Gaps in language are rarely innocent" hat der englische Sozialwissenschaftler Michael Billig im Zusammenhang mit seinen Studien zum Nationalismus bemerkt und damit auf die fehlende Begrifflichkeit für jene, sich unspektakulär in Routinen vollziehende (Re)-Produktion national(staatlich)er Symboliken und Selbstverständnisse verwiesen, die als weit entfernt vom Nationalismus der extremen Rechten oder von den auf die Bildung eines eigenen Nationalstaats zielenden politischen Bewegungen wahrgenommen werden.5 Wie Billig für die wenig spektakulären, im Alltag dennoch gegenwärtigen und wirkungsmächtigen Formen der gesellschaftlichen Reproduktion von "Nation" als (häufig unbewussten) doxischen Bezugspunkt des Fühlens, Denkens und Handelns von Menschen den Begriff »banal nationalism« verwendet, so wird hier vorgeschlagen, die analogen Mechanismen, in denen/durch die militärische und/oder kriegerische Verhaltensweisen, Attitüden und Einstellungen angerufen, evoziert, sozialisiert oder (re)-produziert werden, mit dem Begriff des »banal militarism« zu fassen. Dabei dient die adjektivische Konkretisierung dazu, ihn von den im Militarismus-Diskurs meist assoziierten historischen Formen des deutschen und japanischen Militarismus abzugrenzen, zugleich aber einen fruchtbaren Anschluss an die wissenschaftliche Diskussion um den Militarismusbegriff 6zu gewinnen. Wie bei Billig geht es der Erforschung des »banal militarism«also nicht um die - klischeehaft in Pickelhaube und soldatischem Imponiergehabe überlieferten und heute so anachronistisch wirkenden - Extreme, sondern um die Veralltäglichung des Militärischen (und Kriegerischen) in unspektakulären Prozessen und Aneignungen. Deren Bandbreite und Dimensionen sind groß: über die bereits genannten Beispiele hinaus reichen sie von der Beteiligung des Militärs an öffentlichen Umzügen, über Festivals der Militärmusik bis zu »Gotcha-Spielen«, Kriegsspielzeug oder der als »gun culture« bezeichneten Vorliebe für Handfeuerwaffen in den USA und anderen Staaten.

Welche Formen eines »banalen Militarismus« in Gesellschaften anzutreffen sind, ob sie zu einer allgemeinen Militarisierung des staatlichen politischen Handelns beitragen oder eher in Form der "privatized militarisation" zu finden sind, wäre ebenso zu untersuchen wie beispielsweise die Formen und Darstellungsweisen des Militärs bzw. von Elementen des Militärischen (z. B. Uniformen, Waffen) in seinen (weitgehend) unspektakulären Ausprägungen und Erscheinungen, die hiermit verbundenen staatlichen, semi-staatlichen oder privaten Akteuren/Akteursgruppen sowie die Interaktionen militärischer Einrichtungen mit anderen gesellschaftlichen/kulturellen Akteuren und Milieus und schließlich die Auswirkungen solcher Phänomene auf die primär nicht militärischen Teile der politischen und der Alltagskultur. Eine verstärkte wissenschaftliche Beforschung der hier genannten und anderer Phänomene eines »banalen Militarismus« könnte Teil der von Ekkerhart Krippendorff vor mehr als einem Jahrzehnt vorgeschlagenen Entmilitarisierungsforschung sein.7 Dabei könnte insbesondere eine Integration sozial- und kulturgeschichtlicher, soziologischer und medienwissenschaftlicher Ansätze und Perspektiven für die Erforschung der Banalisierung des Militärischen fruchtbar sein.


Anmerkungen

1) Schwab-Trapp, Michael: Kriegsdiskurse. Die politische Kultur des Krieges im Wandel 1991-1999, Opladen 2002, 11

2) Vgl. Krotz, Friedrich: Die Mediatisierung kommunikativen Handelns: Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch die Medien, Wiesbaden 2001

3) Vgl. Virchow, Fabian/Thomas, Tanja: Militainment als ‘banaler Militarismus’, in: Löffelholz, Martin: Krieg als Medienereignis II, Wiesbaden 2004 [im Erscheinen]

4) Vgl. Der Derian, James: Virtuous war. Mapping the military-industrial-media-entertainment network, Boulder 2001

5) Vgl. Billig, Michael: Banal Nationalism, London 1995, und Berghahn, Volker R. (Hg.): Militarismus, Köln 1975

6) Vgl. z. B. Berghahn, Volker R. (Hg.): Militarismus, Köln 1975; Bredow, Wilfried von: Moderner Militarismus. Analyse und Kritik, Stuttgart 1983

7) Vgl. Krippendorff, Ekkehart: Entmilitarisierungsforschung, in: antimilitarismus information 22 (6/1992), S. 5-17


Dr. Tanja Thomas arbeitet als Medienwissenschaftlerin an der TU Ilmenau. - Fabian Virchow ist Soziologe und Lehrbeauftragter an der FH Kiel.

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