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»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Forum Wissenschaft

Brave new science

15.03.2005: oder die "Lösung" von Problemen durch ihre Produktion

  
 

Forum Wissenschaft 1/2005; Titelbild: Museum der Arbeit/Reemtsa Fotoarchiv

Angebliche Leistungsmängel der wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland sind die Begründung, mit der die Universitäten in einen als international ausgegebenen Wettbewerbs und den entsprechenden Diskurs hineingetrieben werden. Jürgen Helmchen begreift dies als Zerstörung der Universität als öffentliche und autonome Einrichtung und analysiert den implizierten Wissensbegriff.

Universitäten wird vorgeworfen, die gesellschaftlich erforderlichen Qualifikationsaufgaben nicht mehr ausreichend zu betreiben. Ihre Leistungen in Forschung und Lehre werden einem neoliberalen Spott preisgegeben, und als Remedur propagieren Politik sowie private "Consulting"-Agenturen einzig jene Perspektiven, die von Bildung als öffentlicher und gesellschaftlicher Aufgabe weg- und zu einer Unterordnung des Wissenschaft unter verwertungsbestimmte Arbeitsmarktbedürfnisse hinführen. Unter Verweis auf die - in der Tat - unzumutbaren Zustände, in die bereits seit vielen Jahren Generationen von Studierenden und Lehrenden an den Universitäten versetzt werden, soll nunmehr mithilfe von hergerichteten Rankings, kabarettreifen Vergleichsoperationen sowie unter erheblichem publizistischen Aufwand einer unisono auftretenden Presse eine Misere der Universitäts- und Hochschuleinrichtungen beseitigt werden, die man durch fortwährende Unterversorgung überhaupt erst geschaffen hat. Die Bedingungen, über deren Vorhandensein man sich nunmehr beklagt, wurden planvoll erzeugt; nun lastet man sie eben jenen an, die seit Jahrzehnten unter "Überlast" und "Studentenbergen" ihre Arbeit verrichtet und studiert haben.

Die neue Universitäts- und Hochschulreform, die gegenwärtig mit allen politischen Druckmitteln durchgezogen wird, lässt allerdings wachsendes Unbehagen, manchmal auch schon explizite Zurückweisung entstehen. Fakultätentage, fachpolitische Zusammenkünfte, Tagungen, Kongresse oder Kolloquien zeichnen sich gegenwärtig dadurch aus, dass in einer ersten Runde die jeweils neuesten "ordres du moufti" aus Politik und Verwaltung verkündet werden und der Rest des Tages dann darüber hergeht, sich über die Katastrophe zu beklagen, die von Hochschulverwaltungen und Politik angerichtet wird.

Denn mit der Auflage, von begründeten öffentlichen Freiräumen abzulassen, die Universitäten und Hochschulen als Voraussetzung von freier Forschung und Lehre historisch entwickelt und an denen festzuhalten sie guten Grund hatten, werden auf dem Hintergrund der erzeugten oder fahrlässig zugelassenen Hochschulmisere auf ein Mal materiell und organisatorisch vertretbare Bedingungen versprochen: arbeitsfähige Seminare, planbare Studienentwicklung, ein geordnetes Prüfungswesen, etc. - alles seit Jahrzehnten Forderungen der Universitäten, ohne dass auch nur die geringste Aussicht bestand, die Mittel dafür bereitgestellt zu bekommen. So hat man die Einrichtungen der Universitäten heruntergewirtschaftet, wobei das Schlechtreden weithin sogar noch von den Betroffenen besorgt wurde.

Der Preis für diese "Sanierung" ist die Umgestaltung der Universität in Richtung auf eine Abschaffung ihrer traditionellen Strukturen und Studiengänge, d.h. Ausgliederung bzw. Schaffung in ihrem Innern von nicht mehr mit Forschung und Wissenschaftsentwicklung verbundenen Sektoren berufsausbildender Lehre und demzufolge Unterteilung des Universitätssektors in einen Bereich (höherer) Berufsausbildung mit entsprechenden Strukturen und didaktisierten (kanonisierten) Materialien einerseits - also Vermittlung von Lehrbuchwissen und seine Orientierung auf Fiktionen beruflicher Anwendungen, die von speziell eingerichteten Kammern (Akkreditierungsagenturen) festgelegt werden - und Wissenschaftsorientierung für eine kleine Minderheit der Studierenden und Lehrenden.

Zerstörung des Wissens

Neben der zu beobachtenden Renaissance obrigkeitsstaatlicher Mechanismen im institutionellen Umfeld und im Innern der Universitäten zeichnet sich ein weiterer Prozess ab. Es wird nämlich gegenwärtig von den politischen Instanzen und in absteigender Folge auch von den hochschulinternen Schaltstellen solcher Politik einer historisch institutionalisierten Form des Wissens und der Wissenschaft der Garaus gemacht. Es geht um nichts weiter als um die "Ver-Fachhochschulung" der größten Bereiche der Universitäten, wobei das engste Verständnis von Ingenieurausbildung das verbindliche Wissens- und Lehrmodell abzugeben scheint. Diese Verschlimmbesserung der Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen wird ganz deutlich am Beispiel der verpflichtend gemachten "Bachelor"- und "Master"-Studiengänge, die alle zudem durch die Gelddruck- und Umverteilungsmaschinen der Akkreditierungsagenturen geschickt werden müssen. In diesen "Studiengängen" und in der ihnen innewohnenden Logik erscheint, was sich der sprichwörtliche "Häuslebauer" und der im Aufsichtsrat arrivierte Sozialdemokrat unter Wissen in der Gesellschaft und unter seiner in Wissenschaft institutionalisierten Form vorstellen. War es bislang das traditionelle Recht der Universitäten und bezogen sie daraus auch ihre Dignität im sozialen Raum der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, ihre Angelegenheiten in Wissenschaft, Forschung und Lehre (weitestgehend) selbst zu regeln und besaßen also die auf die Verwendungsformen von Wissen und Wissenschaft orientierte Bereiche der Gesellschaft in der Form des Staates nur die Rechtsaufsicht, d.h. waren die Disziplinen in Forschung und Lehre und in der Regelung ihrer wissenschaftlichen Angelegenheiten prinzipiell frei, so wird nun flächendeckend die Fachaufsicht (der Häuslebauer und Aufsichtsräte neben der der herumreisenden Evaluatoren) für die Lehre eingeführt.

Bei dieser Zerstörung der Wissenschaft erfolgt zweierlei: erstens wird in die Entwicklungsmöglichkeiten einer Disziplin eingegriffen, indem der Grundsatz aufgehoben, wird, der da lautet: was erforscht wird, wird gelehrt. Es ist dies ein Grundsatz, der und der nur allein die Freiheit von wissenschaftlicher Arbeit garantiert; einmal aufgehoben fallen die Universitäten in voraufklärerische Zeiten zurück. Die Trennung von Lehre und Forschung enthält die Möglichkeit, dass nicht gelehrt werden darf (oder auch nur kann), was geforscht wird. Die Humboldtsche Reform übernahm - eben um diese Dissoziation zu verhindern - Korporationselemente der alten Universität und belud den Staat damit, selbst diese Trennung von Rechtsaufsicht und Fachkompetenz zu sichern. Nun wissen alle um historische Eingriffe in derart delikate Gebilde wie Forschungsautonomie und Lehrfreiheit; die Verletzung des Prinzips der Autonomie der Universität ist aber kein Argument gegen seine Gültigkeit - eher im Gegenteil: Es ist schon immer so gewesen: man wird ein verletzliches Prinzip nicht dadurch retten können, dass man nicht auf ihm besteht!

Die Transformation eines großen Teils der Universitäten in Lehranstalten vorgefertigten Wissens ist eine Entdemokratisierung des Wissens in der Gesellschaft. Nun wird aber gerade behauptet, das Quantum des Wissens müsse - aus internationalen Wettbewerbsgründen - in der Gesellschaft erhöht werden. Wenn der Zugang zum Wissen und seinen Formen der Institutionalisierung durch die Transformation der meisten Universitäten in Lehranstalten durch die trennung von Forschung und Lehre gerade versperrt wird, zugleich aber in der gelenkten Öffentlichkeit behauptet wird, das "Gut" Bildung müsse in der Gesellschaft erhöht werden oder die Bürger müssten besser "ausgebildet" werden, dann besteht ganz offenkundig ein politisches Interesse daran, nur spezielles Wissen an die Menschen weiterzugeben - und für dieses spezielle, zubereitete Wissen stehen solche begrifflosen Wörter wie die der "Qualifikation" und der "Kompetenz" bereit. Beide geben vor, eindeutig auf die Verwendungszusammenhänge des Wissens zu verweisen, legen aber in Wahrheit fest - wofür dann die Akkreditierungsagentur zuständig ist -, dass die Lehranstalt dafür zu sorgen hat, dass nur "employable" Wissen in ihr vorkommt. "Bachelor" und "master" sollen "berufsbefähigende" Abschlüsse sein, und was dies bedeutet, legen Agenturen fest, denen die Eigenschaft zukommen soll, kraft ihrer Einbeziehung von universitäts-, also wissenschaftsexternen, "gesellschaftlichen" Kräften derart luzide in die ökonomische und industriell-technische Entwicklung der Gesellschaft zu blicken, dass sie die "Kompetenzen" zu beschreiben (bzw. an ihnen die zur Prüfung vorgeschlagenen Studiengänge zu beurteilen) vermögen, die im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und ihrer Wirtschaftsweise überhaupt und in bestimmten beruflichen Tätigkeiten insbesondere in der Zukunft erforderlich seien.

Es sind dies Steuerungseingriffe gegenüber einem gesellschaftlichen Bereich, dessen Freiheit nicht umsonst in der jüngeren Geschichte Deutschlands wieder grundgesetzlich hat festgeschrieben werden müssen. Die ideologische "Landnahme", die die Doktrinen des Neoliberalismus in der Gesamtheit der Vorstellungswelten und intellektuellen Areale der Gesellschaft vorgenommen haben, erinnert in der Tat an einen Teil jener Bestimmungen, die Philosophen und Soziologen seinerzeit für das veranschlagten, was sie "Totalitarismus" nannten: die Impregnation des gesamten geistigen Lebens einer Gesellschaft durch nur eine Ideologie - verordnete "pensée unique".

Politisch opportune Anstalten - Allgemeinheit des Wissens

Gegenüber dieser Entwicklung, die mitnichten auf irgendwelchen europäischen Übereinkünften beruht oder etwa internationalen "Standards" entspricht, sondern die allein von nationaler Politik der Unterwerfung von Wissenschaft und Forschung, Studium und Lehre unter eine bestimmte Politik der verwertungsorientierten Arbeitskraftproduktion zeugt ("Reduzierung der Arbeitskosten"), verhielten sich die Disziplinen und Fächer in den Universitäten und Hochschulen über Jahre hinweg so, als ginge sie dies nichts an. Dass es sich bei diesen Veränderungen von Inhalt und Struktur der Universität in Wirklichkeit darum handelt, dass von wirklichen oder erfundenen Krisen ausgehend neue Machtzentren formiert wurden und die dabei angezettelte "Elite"-Diskussion dem Ziel diente, nicht etwa überhaupt eine Elite zu schaffen, sondern die vermeintlich "alte" Elite durch eine "neue", mit neoliberalen Gesellschaftskonzepten konform gehende auszutauschen (und in Hochschulleitungen, auf den politischen Steuerungsebenen, etc. parallel dazu die korrespondierenden Konzernleitungsmechanismen in den Universitäten und Hochschulen zu installieren), schienen gerade jene wissenschaftlichen Disziplinen nachhaltig nicht bemerken zu wollen, die sich mit der Analyse von gesellschaftlichen Prozessen beschäftigen. Lammfromme Folgsamkeit und verordnete Blindheit gegenüber der politisch gewollten Entwertung von Bildungsprozessen, und -institutionen beherrschen auch gegenwärtig noch die überwiegende Zahl der Fachvertreterinnen und Fachvertreter.

Anwendungsfähigkeit des Wissens so vehement einzufordern, wie es gegenwärtig allerorten geschieht, bestätigt indes, dass Wissen sich im Grunde der Anwendung entzieht und gerade dadurch, und nicht durch seine "nützliche Anwendung" seine gesellschaftliche Existenz erlangt. Wissen in der Gesellschaft gehört eben nicht den spezifischen Verwendungszusammenhängen, zu denen es nützlich verarbeitet werden oder in die es pekuniär gewinnbringend einfließen kann, an, sondern es ist Ergebnis der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit. Wissen ist überhaupt nicht kapitalisierbar, weil es die vereinseitigende Beschränkung auf nützliche, oder klarer gesagt: Profit erzeugende Kapitalprozesse und deren Sicherung und Verwaltung prinzipiell übersteigt. Dies historisch schon sehr früh und noch bevor sich überhaupt solche Nützlichkeitserwägungen in verallgemeinerter Form gezeigt hätten, in begriffliche Fassung gebracht zu haben, war die Arbeit früher Bildungstheoretiker und Pädagogen, schließlich auch von Gesellschaftswissenschaftlern bis hin zu den Arbeiten der historischen Wissenssoziologie. Insoweit ist "Gesellschaftsferne" des Wissens - gerade in Abhebung von Nützlichkeitsbereichen - allgemeine Wissenschafts- und Bildungsvoraussetzung.

Deshalb wäre glatte Gegenteil der gegenwärtigen allzu stillschweigenden Duldung autoritativer Eingriffe und der schleichenden Liquidierung der Freiheit von Forschung und Lehre gerade in diesen krisenbestimmten Zeiten internationaler gesellschaftlicher Entwicklung erforderlich: nämlich Erhöhung und Ausbau der wissenschaftlichen Bildung, Stärkung des wissenschaftlichen Potentials aus den Disziplinen heraus - wobei "Internationalität" und mehr noch "Interdisziplinarität" logischerweise nur dort entstehen können, wo es überhaupt noch Disziplinen und von unmittelbaren, spezifischen Verwendungszusammenhängen befreite Wissensfelder gibt und nicht nur einem Einkaufszettel folgende Ausbildungsgänge, die von Fall zu Fall als berufsbefähigende Qualifikation von wem auch immer geordert und bereitgestellt werden.

"Billigware" zu liefern und vom Output oder gar von Orderlisten her zu denken, kann nicht Aufgabe von Wissenschaft sein; sie gäbe dabei ihre innovative und emanzipatorische Kraft auf und verkäme zu einer Apologie: Grundbedingung jeder Wissenschaft ist es, interne und externe Zielstellungen in ihr eigenes Reflexionsfeld zurücknehmen zu können und dies vor allem auch in der universitären Lehre zu praktizieren. Gerade diese Dimension macht den Kern der Verbindung von Forschung und Lehre aus. Allzu lange haben wir zugeschaut, wie gerade die Forderung nach einer Verbindung von Forschung und Lehre im Studium - in diesem Sinne einer Reflexionsfähigkeit von Zielstellungen - von feixenden Schreiberlingen der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, und leider gefallen sich auch etliche Universitätsangehörige darin, sich mit anderen in dieser Art Wettbewerb wieder und wieder zu übertreffen.

Dies ist der Problemhintergrund, auf dem die Forschung von den Universitäten prinzipiell abgezogen wird und sie zu Lehranstalten werden. Noch immer gilt jedoch, dass zur Erzeugung des Wissens seine Vermittlung gehört. Es bedarf eines gesellschaftlich geschützten Raums öffentlicher und partikularen Interessen entzogener Erzeugung und Vermittlung des Wissens. Kontinuität und historische Stabilität, demokratische Legitimität und auch die gesellschaftliche Verantwortung des Wissens entsteht nur in Lehrzusammenhängen.

Wissen und "employability"

Technokratische und einseitig auf ökonomische Kriterien ausgerichtete Politik hat diese besondere Qualität des Wissens in der Gesellschaft nie verstanden, weil seine Eigenart, auch Bestandteil des fixen Kapitals einerseits und der Wertbeschaffenheit der "zu Markte getragenen Arbeitskraft" andererseits zu sein, einer nur oberflächlichen Betrachtung suggeriert, es entstünde nur wegen der Verwendungserfordernisse und dann selbst schon als "Kapital". Diese Beschränktheit in der Auffassung vom Wissen haftet nicht nur den profitorientierten "Anwendern" von in Maschinen und Arbeitskraft materialisierten Wissensbestandteilen, sondern aus historisch-politischen Gründen auch jenen an, die sich auf der Seite der "Verwendeten" wiederfinden. Ihnen und ihren historischen gesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und Parteien, erschien Wissen ebenfalls nur insoweit von Bedeutung, als es die Menschen "in Lohn" brachte oder dazu beitrug. In diesem verengten Verständnis bedingen sich der Begriff der (abgeforderten) "Kompetenz" und der der (bereitgehaltenen) "Qualifikation", ohne dass jedoch beide in der Lage wären, den Bereich des Wissens in der Gesellschaft zu erfassen. Von diesem beschränkten Horizont her dennoch das gesellschaftliche Wissen organisieren zu wollen und die ihm eigenen Institutionalisierungen zu bestimmen, kann also zu gar nichts Anderem führen, als zur Kappung der Freiheit von Forschung und Lehre, bzw. zu ihrer Kantonierung in wenigen privilegierten Bereichen.

Auch ist das Verhältnis von Ausbildung und Arbeitsmarkt nicht so beschaffen, dass sich daraus lineare Extrapolationen ergäben. Wenn dennoch der Unsinn immer wiederholt wird, man müsse nach nichts anderem als "nach dem Bedarf" ausbilden, dieser "Bedarf" aber immer nur je nach seiner betriebswirtschaftlichen Bezahlbarkeit mal auf- und mal wieder abtaucht und es keine sichere Voraussage für Qualifikationsbedarf über ein oder zwei Jahre hinaus gibt, dann muss man schließen, dass derlei "Reformen" in Wirklichkeit kriseninduzierte Machtverteilungskämpfe darstellen, die von Wissenschaft, zumal von Gesellschaftswissenschaft just als solche zu kennzeichnen, keinesfalls aber auch noch zu internalisieren wären.

Module oder Interdisziplinarität?

An dieser Stelle wird deutlich, worin - freilich allzeit notwendige - Reform der Lehre und der Disziplinen, d.h. der gesellschaftlichen Wissensformen sich von der "employability" unterscheidet : wird solche Reform auf die Logik der Disziplinen (einschließlich trans-, inter und multidisziplinärer Formen) bezogen und sind Wissen und Wissenschaft auf diese Weise vor direktem, nützlich-besonderen und privaten Zugriff geschützt, ist ihr gesellschaftlicher Charakter gewahrt, weil sie als öffentlicher Sektor organisiert sind, der sich in allgemeiner Form aus dem Produktions- und Reproduktionsprozessen des gesellschaftlichen Zusammenhangs ergibt. Wenn hingegen die Wissenschaft auf ihre Verwendungsbestandteile, auf multipel zusammensetzbare Baukastensysteme in unterschiedlichsten Anwendungsperspektiven, konsekutive Studienphasen etc. "heruntergebrochen" wird, dann wird sie nicht nur direkt interessengeleiteten Markt- und Machtmechanismen ausgeliefert, sondern verliert ihre disziplinäre Eigenständigkeit, überhaupt ihren Charakter als Disziplin. Wo hätten in der Lehre noch die Erziehungswissenschaft, die Soziologie oder andere Wissenschaften ihren Platz, wenn es allein darum ginge, im Hinblick auf anderswo beschriebene "Kompetenzen" für unterschiedliche Anforderungsprofile jeweils fertige "Module" bereitzuhalten? Es bedarf der Disziplin nicht mehr als Lehrgegenstand.

Wie windig die gegenwärtigen Veränderungen, die von politischer Seite durchgedrückt werden, sind, lässt sich an einem Aspekt der "Modularisierung" ablesen: es ist ein Unsinn, unter dem Aspekt der "Internationalisierung", die ja als Auslöser für derlei "Reformen" angegeben wird, bestehende Studiengänge neue "bachelor" oder "master" zu "modularisieren" und dies nur für einen Studiengang an einem Hochschulort - zu vollziehen. Dann hat man vielleicht - restriktive - Studienreform betrieben und auf "Konsekutivität" umgestellt, aber nicht "modularisiert". Denn die Logik dieser Umstellung auf "Module" ist ja gerade, dass solche abgeschlossenen Lernsequenzen wie ein Normteil im industriellen Fertigungsprozess überall als solche Verwendung finden können. Nimmt man die Vorstellung von Wissensvermittlung, wie sie in den Bologna-Übereinkünften enthalten ist, ernst, dann muss es eine "freie Konvertierbarkeit" der Lernleistungen, so etwas wie einen "Qualifikations-Euro" geben, der als quantifizierte Teilqualifikation überall mit hingenommen und "eingezahlt" werden kann. Es ist nun allerdings kaum zu erwarten, dass einmal der Zustand eintritt, dass Studierende aus multi-"nationalen" Teilen zusammengesetzt werden können wie ein Motor; deshalb werden Äquivalenzen auch weiterhin geprüft werden müssen. Einen ersten Eindruck davon hat uns die kürzlich erst mit viel Aufwand unter den Tisch gekehrte Affäre um die Verweigerung der Anerkennung von deutschen "Bachelor"-Abschlüssen in England schon vermittelt. Auch im "nationalen" Rahmen gibt es keinen Gewinn: gegenwärtig - weil nämlich überall auch in Deutschland wild darauf los "modularisiert" wird - ist die Kompatibilität von Studiengängen unter deutschen Universitäten in den philosophischen, historischen und Sozialwissenschaften eher gesunken als gestiegen.

Die "Modularisierung" schafft also nicht das, von dem behauptet wird, dass sie es bewirke. Universitäten darauf zu verpflichten, muss also andere Gründe haben. Und in der Tat lässt sich an den "Modularisierung"-Prozessen ablesen, dass neben einer abenteuerlichen Vorstellung von Einheitswissenschaften eine Vorstellung von der Regelbarkeit von Wissenschafts- und Bildungsprozessen Pate steht, die davon ausgeht, dass das eindimensional-materiale Wissen zusammen mit vordefinierten externen Erfordernissen wiederum vorherbestimmte "Kompetenzen" zeitige. Ordnungspolitische Regelung und Steuerung außen wie innen sind deshalb der Kern dieser "Hochschulreform".

Die Hierarchisierung konsekutiver Lehrbestandteile hat zwangsläufig eine Hierarchisierung in der Verteilung der auf Wissensareale bezogenen Tätigkeiten zur Folge. So muss - angesichts der materiellen und personellen Misere der allermeisten Universitäten und ihrer Bereiche - bei der horrenden Ausweitung flächendeckend verpflichtenden, weil "konsekutiven" Lernens in den neuen Hochschulen wahrscheinlich sehr bald schon ein Heer von "Bachelor-Lehrern" eingestellt werden, die die rechtlich relevanten Konstruktionen der mit der "Modularisierung" eingeführten Leistungspunkte-Akkumulation auch ganz praktisch durchzuführen erlauben. Freilich wird für diesen Personenkreis die Forschungsverpflichtung aufgehoben werden müssen.

Es bedarf gegenüber diesen Steuerungs- und Regelungsorgien eines neuen Wissens vom Wissen und einer neuen Kritik. Nicht zuletzt unter kräftiger Mitwirkung einiger Teile der Universität hat eine manipulierte Öffentlichkeit die Verrottung des Begriffs von Wissenschaft und Universität herbeigeführt, so dass technokratische Politik glaubt, nur noch ein paar Lumpen wegräumen zu müssen. Es geht aber immer noch - und jetzt erst recht - ums Ganze, was jene indirekt bestätigen, die behaupten, sie würden eine der Humboldtschen ähnliche Universitätsreform in die Wege leiten. Meist vergessen sie, hinzuzufügen, dass es diesmal in die andere Richtung gehen soll. Noch besitzen wir jedoch das Mittel der Kritik der drohenden "Untertanenfabrik". Setzen wir es ein!

Prof. Dr. Jürgen Helmchen ist Hochschullehrer am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine Arbeitsgebiete sind Vergleichende Erziehungswissenschaft, Pädagogik der historischen Moderne sowie internationale Pädagogik-Geschichte

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