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Verkehrssystem, Stadt und Siedlungsstruktur

15.05.2005: Wechselseitige Abhängigkeit und Gestaltungsaufgabe

  
 

Forum Wissenschaft 2/2005; Titelbild: Bernhard Edmaier

Die Geschichte der Verkehrsmittel ist zugleich Stadtgeschichte. Seit dem Beginn der Industrialisierung und industriell hergestellter Verkehrsmittel wurden diese sogar zu bestimmenden Elementen der Struktur und Anlage der Städte. Anfangs waren die europäischen Städte dominiert von öffentlichen Verkehrsmitteln. Den Übergang hin zu einem Verkehrssystem, das vorrangig geprägt ist vom privaten Autoverkehr - in Deutschland eingeleitet v.a. unter dem Nazi-Regime -, dessen Folgebedarfen und -wirkungen bis hin zu Kfz-orientierten Leitbildern, aber auch notwendige Schritte hin zu einem anderen Verkehrssystem und damit bewohnbareren Städten und Regionen beschreibt Dieter Apel.

Die Geschichte der Stadt ist u. a. wesentlich durch den Entwicklungsstand von Verkehrsmitteln bestimmt worden. In der Verkehrsplanungs-Literatur wird diese Abhängigkeit hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der flächenmäßigen Ausdehnung der Stadt beleuchtet. Unter der Prämisse eines maximalen Zeitaufwands von rund 30 Minuten für Wege vom Stadtrand zur Stadtmitte konnte die "Fußgängerstadt" nur einen Luftlinienradius von rund 2 km umfassen.1 Tatsächlich haben die Weltstädte des Altertums, des Mittelalters und der frühen Neuzeit (wie Babylon, Athen, Syrakus, Rom, Karthago, Alexandria, Byzanz, Peking, Paris und London) eine solche räumliche Ausdehnung nicht wesentlich überschritten. Erst mit dem Obsoletwerden der Stadtmauern und der Entwicklung der Eisenbahnen und Straßenbahnen hat die Ausdehnungsmöglichkeit der Städte sich in ungeahnter Weise erweitert und ein bislang unbekanntes Wachstum im Zuge der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglicht. Die elektrische Straßenbahn beispielsweise ermöglichte einen Radius der Stadtfläche bis um 7 km, die elektrische Stadtschnellbahn eine Ausdehnung entlang von Bahnstrecken bis zu 20 km.

In der Anfangsphase der Industrialisierung, ab 1835, entstanden die Eisenbahnanlagen noch außerhalb der Stadt. In der zweiten Phase, ab etwa 1860, wurden die Bahnanlagen zumeist von den expandierenden städtischen Baustrukturen umschlossen. Die stetige Zunahme des Bahnverkehrs, die erforderliche Integration der verschiedenen (privaten) Bahnlinien unter einheitliche (staatliche) Regie und die bessere Einpassung der Bahnanlagen in die Stadt führten in der dritten Phase - 1885 bis 1914 - fast überall zur Neuanlage von Hauptbahnhöfen bzw. zum Bau von Verbindungsbahnen zwischen den Kopfbahnhöfen.2

Die Eisenbahn war also eine der stärksten Triebkräfte in der Ausformung der Industriestadt. Die Auswirkungen auf Form und Struktur der Stadt waren jedoch zwiespältig. Einerseits wurden mit den prächtigen Personenbahnhöfen wichtige funktionelle Entwicklungsmagnete und städtebauliche Kristallisationspunkte geschaffen, die die Stadtstruktur bis heute prägen; so verschob sich u.a. der wirtschaftliche Schwerpunkt zum Bahnhof hin. Anderseits hat die Eisenbahn auch Barrieren in der Stadt hinterlassen, hinter denen sich die "Stadtquartiere mit den unliebsameren Einrichtungen bildeten".3

Neben der Eisenbahn bildete sich ab 1880 die elektrische Straßenbahn als der für Wachstum und Struktur der Stadt wichtigste Verkehrsträger heraus. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts besaßen alle großen und mittelgroßen europäischen und auch viele nordamerikanischen Städte ein relativ dichtes Trambahnnetz. Die Bebauung konzentrierte sich vorzugsweise entlang den Bahnlinien, so dass sich die für die Straßenbahn stadttypische sternförmige Struktur entlang den historischen Ausfallstraßen herausbildete.4

Etwa ab 1900 fand ein erstes individuelles Verkehrsmittel - das Fahrrad/Velo - massenhafte Verbreitung, da es aufgrund industrieller Fertigung auch für Arbeiter und Arbeiterinnen finanziell erschwinglich wurde. Hinsichtlich des Reisezeitaufwands und der flächenmäßigen Erschließung war das Fahrrad der Tram in vielen Fällen überlegen. Bis in die dreißiger Jahre nahm die Bedeutung des Radverkehrs daher stetig zu und überflügelte in den Städten, in denen er am stärksten verbreitet war - etwa in Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Norddeutschland -, das Verkehrsaufkommen der Straßenbahn.

Ehedem: Fußgänger-, Fahrrad-, Bahnstadt

Ein frühes Beispiel einer ausgeprägten "Bahnstadt" war bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts London. Ein enormes Schienennetz von Straßen- und Stadtschnellbahnen erschloss ein Stadtgebiet von rund 15 km Radius mit über 6 Millionen Einwohnern; in dieser Epoche als Hauptstadt des dominierenden Imperiums die größte Stadt der Welt. Auch Berlin entwickelte sich bis etwa 1930 im Einzugsbereich von Straßenbahnen, U-Bahnen und Stadtschnellbahnen (S-Bahn) zu einer großen "Bahnstadt" mit einem Radius von 15 bis 20 km und rund 4 Millionen Einwohnern. In den kleineren Großstädten und in den Mittelstädten spielten um 1930 dagegen Zusammenwirken und Konkurrenz von Tram- und Radverkehr für Stadtbewohner und Städtebau eine größere Rolle.

Das Ende der zwanziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts - kurz vor der Weltwirtschaftskrise - markiert etwa den Höhepunkt der Entwicklung der auf Straßen- und Eisenbahn, Fuß- und Radverkehr gestützten europäischen Industriestadt. Es wird eine hohe Nutzungsdichte in der Stadt erreicht. Die Beförderungsziffern der öffentlichen Verkehrsmittel sind enorm. Eine große Mannigfaltigkeit der Nutzungen an Straßen und Plätzen sowie reger Fußgänger- und Fahrradverkehr schafft lebendige öffentliche Stadträume ("Urbanität"). Dieser letzte Abschnitt der "Vor-Automobilstadt" ist ohne Zweifel Höhepunkt der europäischen Stadtkultur des Industriezeitalters.

Die z.T. elenden Zustände der frühkapitalistischen Industriestadt, etwa in Gestalt gemischter Industrie- und Wohngebiete oder der Überbelegung von Wohnungen, lösten zwar durchgreifende Reformen im Wohnbau ab 1900 und während der Weimarer Republik aus. In Verbindung mit der Bewegung der "Kulturkritik" entwickelte sich aber auch eine latente Stadtfeindlichkeit mit genereller Ablehnung der Großstadt. Vor diesem emotionalen Hintergrund konnte das Aufkommen des privaten Automobils als willkommenes Angebot zur "Befreiung" aus der dichten Stadt betrachtet werden.

In den 30er Jahren wurde die latente Ablehnung der überkommenen Stadt und vor allem der Großstadt vom nationalsozialistischen Regime für seine Ideologie des Siedlungsbaus vor der Stadt ("Eigenes Heim auf eigener Scholle") instrumentalisiert. In der Nachkriegszeit lebte eine stadtfeindliche Grundhaltung in den städtebaulichen Leitbildern wie "die gegliederte und aufgelockerte Stadt", "die autogerechte Stadt" und in der Eigenheim-Ideologie faktisch fort. Mit negativen Bildern der überkommenen Stadt wurde für einen "geordneten" (autogerechten) Wiederaufbau geworben.5

Es wundert somit nicht, dass Infrastruktur und Verkehrspolitik, Wohnungspolitik und Städtebau in der Nachkriegszeit wesentlich durch diese vorherrschenden Leitbilder bestimmt worden sind. So wurden nicht das Eisenbahnsystem und die kommunalen Schienenverkehrsnetze über notwendige Reparaturen hinaus modernisiert und als Rückgrat künftigen Städtebaus weiterentwickelt, sondern vor allem Straßen gebaut und die automobilangepasste Umgestaltung der Stadt vorangetrieben. Seit 1950 sind über 300.000 km Straßen grundlegend erneuert und über 200.000 km Straßen in West- und Ostdeutschland neu angelegt worden; mindestens 800 Mrd. DM (in jeweiligen Preisen) sind bis 2002 investiert worden. Die staatliche Eigenheimförderung summiert sich in diesem Zeitraum auf mindestens 200 Mrd. DM. Dagegen nehmen sich die Finanzmittel des Bundes und der Länder für Stadterneuerung und Städtebauförderung, die heutigen Zielsetzungen eher entsprechen, mit rund 35 Mrd. DM zwischen 1971 und 2000 bescheiden aus.

Die Motorisierung der Berufspendler, der Selbständigen und der Betriebe wurde außerdem mit steuerlichen Vergünstigungen belohnt. Zwar engagierte sich der Staat seit dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz von 1966 auch bei Investitionen für den ÖPNV, aber ein großer Teil der Finanzmittel wurde für die Verlagerung von Straßenbahnen in Tunnelstrecken verwendet. In vielen Fällen schuf dies Platz für das weitere Wachstum des Autoverkehrs.

Seit den 70er Jahren geraten die ökologischen und in den 90er Jahren auch die ökonomischen und sozialen Folgen der Entwicklung zur automobilorientierten dispersen Stadtregion, zur "Auto-Stadt-Landschaft"6 stärker ins Blickfeld: der enorme Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr, die Zerschneidung und Fragmentierung freier Landschaft, höherer Kfz-Verkehrsbedarf und die damit verbundenen Umweltbelastungen, höhere Kosten für die Siedlungsinfrastruktur und die öffentliche Verkehrsbedienung, steigende Abhängigkeit vom Auto und damit verringerte Mobilitätschancen für Nichtmotorisierte.

Später: Auto-Stadt-Landschaften

Die durch Motorisierung und Ausbau der Straßennetze erhöhte individuelle räumliche Beweglichkeit hat, wie zahlreiche Untersuchungen ergaben, somit kaum zur Einsparung von Reisezeit und zu größeren Freiheitsspielräumen geführt, sondern zur Ausdehnung der Entfernungen zwischen den verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens. "Die steigende individuelle Beweglichkeit wird gewissermaßen unterlaufen und aufgehoben durch eine Extensivierung der gesellschaftlichen Raumstrukturen, eine verstärkte städtebauliche Entmischung und eine Ausdünnung der Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen im Nahbereich".7

Es hat sich gezeigt, dass die Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke einen wesentlichen Indikator für eine nachhaltige (ökologisch verträgliche) Verkehrs- und Siedlungsstruktur darstellt.8 "Flächenverbrauch" steht i.d.R. als Schlüsselindikator für eine Palette diverser Umweltbelastungen. Mehr Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Kopf bedeutet i.d.R. auch mehr versiegelte Fläche, stärkere Fragmentierung und Zerschneidung freier Landschaft, mehr Kfz-Verkehr und damit auch mehr Energiebedarf und größere Umweltbelastungen, höhere Siedlungsstruktur- und Verkehrskosten.

Eine disperse, automobilorientierte Siedlungsstruktur nimmt das Mehrfache an Siedlungs- und Verkehrsfläche in Anspruch als die Konzentration auf kompaktere Städte und Ortsteile in einer Fuß-, Rad- und Schienenverkehr orientierten Stadtregion ("polyzentrale Konzentration"). Dies ist erstens bedingt durch den viel größeren spezifischen Flächenbedarf, den PKW-Verkehr gegenüber den Verkehrsmitteln Bahn, Bus, Fahrrad und Gehen pro Personenkilometer erfordert. Zweitens verursachen disperse Siedlungsstrukturen gegenüber kompakteren Stadtformen größere Wegelängen und damit mehr Verkehrsfläche. Und drittens führt Automobilorientierung zu Strukturelementen mit erhöhtem Flächenbedarf wie Separierung von Nutzungsgebieten mit Verringerung von Nutzungsintensität, Solitärgebäude statt Blockrandbebauung, Abstandsflächen, Parkplätze etc.

Auf jeden Einwohner in innenstadtnahen Stadtteilen einer Großstadt (Ring der "Vorkriegsstadt") entfallen im Mittel 80 bis 100 m2 Siedlungs- und Verkehrsfläche; bei historischen Mittelzentren in der Stadtregion sind es um 300 m2 und bei kleineren Gemeinden in Stadtumland mit vorwiegend Nachkriegsbebauung sind es 600 bis 900 m2 pro Einwohner, also fast das Zehnfache der Siedlungs- und Verkehrsfläche, die pro Kopf in einem großstädtischen Gründerzeitviertel in Anspruch genommen wird.9 Davon nimmt allein die Verkehrsfläche rund ein Drittel ein, obwohl die Statistik Verkehrflächen nur unvollständig erfasst. Parkplätze sind z.B., sofern sie auf privaten Grundstücken liegen, nicht enthalten, sondern unter Bauflächen erfasst.

Selbstverständlich haben diese Differenzen zwischen Gründerzeit- und autoorientiertem Städtebau auch noch andere Ursachen, zum Beispiel das enorme Bodenpreisgefälle zwischen Innenstadt und Peripherie, das kaum zu sparsamem Umgang mit Bodenflächen an der Peripherie veranlasst. Im Folgenden vergleichen wir daher nicht Innenstadt und Peripherie, sondern Städte bzw. Stadtregionen unterschiedlichen Typs miteinander, wo unterschiedliche Bodenpreisniveaus zwischen den Städten keine wesentliche Rolle spielen. Dieser Vergleich kann verdeutlichen, dass für größeren "Flächenverbrauch" im Wesentlichen die Ausrichtung des Städtebaus auf das autodominierte Verkehrssystem ursächlich ist.

Flächenverbrauch im Städtevergleich

Für diesen Vergleich sind ausgewählt erstens eine auch für europäische Maßstäbe vergleichsweise dicht bebaute Stadt mit kompakter Stadtform, eine Universitätsstadt mit nahezu 100.000 Einwohnern, in der das dominante Verkehrsmittel auch heute noch bzw. wieder verstärkt das Fahrrad ist: die Stadt Delft in den Niederlanden. Zweitens wurde ebenfalls eine kleine Universitätsstadt mit Fahrradverkehrstradition ausgewählt, die aber bereits in den vergangenen fünf Jahrzehnten deutlich stärker autoangepasst entwickelt wurde und in der die bauliche Dichte merklich geringer ist: die Stadt Oldenburg in Niedersachsen. Drittens wurde eine stark autoorientierte Stadt geringer Dichte aus den USA ausgewählt: die Stadt Denver/Colorado. Die im Durchschnitt in Anspruch genommene Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Einwohner ist für den Stadttyp Oldenburg bereits rund 60% größer als in Delft und in Denver nahezu viermal so groß wie in Delft. Wesentlichen Anteil hat daran die Verkehrsfläche. Sie nimmt in der "Autostadt" Denver fast 40% der Gesamtfläche ein; pro Einwohner rund zehnmal so viel wie in der "Fahrradstadt" Delft.

Der starke Zusammenhang zwischen Flächenbedarf und Verkehrssystem wird auch durch die unterschiedliche Nutzung von Verkehrsmitteln deutlich. In Delft werden 70% aller Wege der Einwohner mit dem Fahrrad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß zurückgelegt, in Oldenburg sind es nur rund 50 %, in Denver sind rund 90% aller Ortsveränderungen Fahrten mit dem PKW.10

Automobilorientierung des Verkehrssystems und der Siedlungsentwicklung sind also wesentliche Ursache für flächenverbrauchende disperse Strukturen, für Verkehrswachstum mit hohen Umweltbelastungen und erhöhten Infrastrukturkosten. Dies wird noch deutlicher bei einem Vergleich von Stadttypen, der sehr dicht bebaute Städte am Rand unseres Kulturkreises und in Asien einbezieht. Die Datensammlung der australischen Stadt- und Verkehrsforscher Kenworthy, Laube und Newman erlaubt eine weltweite Städtetypisierung.11 Die Spannweite reicht von sehr dicht bebauten und noch gering automobilangepassten ostasiatischen Städten mit 50 bis 75 m2 Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Einwohner über mittel-/osteuropäische Städte mit noch ziemlich hoher Dichte (140 m2 pro E) und mäßiger Automobilanpassung sowie westeuropäische Städte mittlerer

Dichte (um 180 m2/E) bis hin zu nordamerikanischen Städten geringer Dichte (500-800 m2/E) und autogerechter Struktur. Der Anteil der zu Fuß, per Fahrrad oder mit Bus und Bahn zurückgelegten Wege an allen werktäglichen Wegen liegt zwischen gut 70% in mittel- und osteuropäischen Städten und rund 10% in US-Städten. Der Energieverbrauch des Verkehrs pro Kopf ist in den Städten der USA rund 3-mal so hoch wie in westeuropäischen und 6 bis 10-mal so hoch wie in ostasiatischen Städten.

Diese Städtevergleiche machen unter anderem deutlich: Hohe Nutzungsdichte und geringe Anpassung der kompakten Stadt an Belange des Automobilverkehrs ermöglichen noch geringe Distanzen, die vorwiegend noch zu Fuß oder per Rad zurückgelegt werden können. Für größere Distanzen ist ÖPNV geeignet, die Notwendigkeit von Autoverkehr ist gering. Flächenausdehnungen durch Verringerungen von Dichte führen aber zu einer überproportionalen Zunahme von Verkehrsfläche, weil nicht nur die Distanzen und damit Verkehrsbedarf zunehmen, sondern auch der Anteil des Autoverkehrs mit seinem mehrfach höheren spezifischen Flächenbedarf pro Personenkilometer. Anhaltende Umstrukturierung und Flächenausdehnungen unter dem Leitbild der aufgelockerten, durchgrünten, gegliederten und automobilangepassten Stadt schaffen also selbst die Verkehrs- und Umweltprobleme, die in der noch relativ kompakten Geh-, Rad- und Bahnstadt in bedeutend geringerem Umfang auftreten. In dem drei- bis vierfachen Verkehrsaufwand des Kfz-Verkehrs pro Einwohner der US-Städte Denver und Houston gegenüber noch relativ kompakten europäischen Städten wie Wien, Amsterdam, Bern, Delft kommt dies zum Ausdruck.

Eine automobilorientierte Verkehrs- und Stadtentwicklung steht also einer nachhaltigen Entwicklung wegen ökologischer Folgen, ökonomischer Ineffizienz und wegen mangelnder sozialer Verträglichkeit diametral entgegen.

Eine Abkehr von autoorientierten Leitbildern ist unumgänglich. Dann bestehen auch Chancen zu einer stärker nachhaltigen Siedlungs-Verkehrsentwicklung; denn der bisherige Trend ist kein unumgänglicher Automatismus, sondern durch Ideologien, Leitbilder und politische Programme während mehrerer Jahrzehnte maßgebend gefördert worden. Selbst im Zuge von Wandlungen der Leitbilder von Fachplanungen ist die Förderungspolitik mit nur geringen Veränderungen weitergelaufen. Noch heute bestehen zahlreiche steuer- und planungsrechtliche sowie förderpolitische staatliche Regelungen, die eine nachhaltige Entwicklung hemmen, anstatt sie zu unterstützen.

Abkehr von der Autoorientierung - politische Schritte

Reale Veränderungen erfordern drei Gruppen notwendiger Reformen; darunter vorrangig staatlich-finanzwirtschaftliche Regelungen:

  • Zunächst sind ökologisch, städtebaulich oder verkehrspolitisch kontraproduktive Regelungen, die auch aus sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen ersetzbar wären, zu identifizieren. Sie sollten gestrichen werden. Dazu zählen m. E. die Grunderwerbsteuer bei Erwerb von Grundstücken, Häusern oder Wohnungen im Bestand, Eigenheimzulage, Entfernungspauschale, Stellplatzverpflichtung u. a. Dass z.B. die Eigenheimzulage wirtschaftspolitisch unentbehrlich sei, kann kaum überzeugen. Es geht darum, anstatt bisheriger Suburbanisierung nun verstärkt Stadtumbau zu fördern. Auch das familienpolitische Argument zieht nicht. Anstelle des Fortzugs von Familien aus der Stadt sollte die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern in der Stadt - z.B. durch wirksamere Verkehrsberuhigung - gefördert werden.
  • An zweiter Stelle ist eine Reihe von finanzwirtschaftlichen Regelungen anzuführen, die an neue ökologische, städtebauliche und gesellschaftliche Anforderungen anzupassen sind. Raumwirksame Finanzhilfen und Subventionen wie Förderungen des Wohnungsbaus, Wirtschaftsförderung, Strukturpolitik u.a. sollten grundsätzlich nicht mehr bei Neuerschließung von Bauland, sondern nur noch bei Investitionen in den Bestand gewährt werden.12 Dagegen sollte die Städtebauförderung weiterentwickelt und aufgestockt werden. Sie hat sich, wie mehrfach belegt ist, städtebaulich und wirtschaftspolitisch bewährt: sie ist nämlich Wirtschaftsförderung am richtigen Standort. Eine Finanzmittelverlagerung von der Wirtschafts- zur Städtebauförderung liegt daher nahe. Das Fördersystem muss aber an die neue bedeutende Aufgabe des Stadtumbaus angepasst werden. Z.B. sollte sich die Förderung nicht vorwiegend auf den "Rückbau" und nicht nur auf den in städtischer Lage konzentrieren. Nicht Ausdünnung sozialer und kultureller Dichte der Stadt darf Ergebnis der Schrumpfung werden; Ziel muss "Rückbau" an problematischen Standorten, auch aus der Fläche, sein, so schwierig dies auch erscheinen mag. Man denke dabei u. a. an die in Unterhaltung und Betrieb teure technische Infrastruktur. Solche Leitungsnetze lassen sich technisch und wirtschaftlich effizient nur von den Rändern her verkleinern. Die Weiterentwicklung der ökologischen Steuerreform ist ein bedeutendes Vorhaben, das weit über Raumordnung, Verkehrs- und Umweltpolitik hinausreicht, aber auch verkehrswirksam und damit ebenfalls raumwirksam ist. Für die Weiterentwicklung der ökologischen Steuerreform ist der Abbau von Ausnahmeregelungen, die Einbeziehung des Luftverkehrs in die Energieabgabe, die Einführung der Mehrwertsteuer für Auslandsflüge und die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Bahntickets auf die Höhe des ermäßigten Steuersatzes zu empfehlen. Das wäre ein klares verkehrspolitisches Signal.
  • Drittens sind einige Steuern und die Infrastrukturpolitik grundlegend neu zu gestalten. Die ohnehin anstehende Reform der Grundsteuer bietet die Chance, sie so zu gestalten, dass Anreize zur Innenentwicklung und zu flächensparenden Bauweisen geschaffen werden. Dies kann das Modell einer Bodenwertsteuer mit Modifizierung durch eine Flächenpauschale ("Difu-Modell") am ehesten leisten.13 Eine Neugestaltung der Grunderwerbsteuer wäre ebenfalls geeignet, Siedlungs- und Verkehrsentwicklung positiv zu beeinflussen im Sinne von Anreizen zur Innenentwicklung anstatt wie derzeit zur Außenentwicklung. Während diese Steuer beim Erwerb von Immobilien im Innenbereich gänzlich gestrichen werden sollte (Wohnmobilität in die Stadt soll ja nicht behindert werden), wäre eine entsprechend höhere Steuerquote bei Neuerschließung ökologisch gerechtfertigt.

Stadtumbau als zentrale Aufgabe der Stadtentwicklung bedarf auch der Unterstützung durch Verkehrspolitik und ein zugehöriges Abgaben- und Fördersystem. Die Stadt wieder bewohnbarer zu machen für alle Altersgruppen heißt u. a. das Wohnumfeld zu verbessern. Das bedeutet zuerst: Zähmung des Autoverkehrs und Förderung stadtverträglicherer Mobilität. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) und einschlägige Förderregelungen müssten also grundlegend verändert werden zu Gunsten "flächenhafter Verkehrsberuhigung", zu Gunsten des Straßenumbaus, zu Gunsten von Fuß- und Radverkehr sowie nicht zuletzt im Sinne stadtangepasster Lösungen für städtischen und regionalen Schienenverkehr.

Aber auch die großräumige Infrastrukturpolitik des Staates (Bundesverkehrswegeplan, Straßenbaupläne der Länder) muss endlich Abschied nehmen von automobilorientierten Leitbildern und der Illusion, durch zusätzliche Straßen Staus verringen zu können. Die Erfahrungen haben gezeigt: die zusätzliche Verkehrsnachfrage, die durch Raumstruktur- und Verhaltensveränderungen infolge Automobilorientierung hervorgerufen wird, ist stets größer als die durch Straßenbau mögliche Leistungssteigerung des Straßennetzes.14


Anmerkungen

1) Kurt Leibbrand (1980): Stadt und Verkehr, Basel u.a.

2) Ulrich Krings (1983): Die Eisenbahn als Stadtbildner und Stadtzerstörer. In: Stadtbauwelt 79, S. 218-221.

3) Thomas Sieverts (1983): Zwischen Bahnhof und Stadt. In: Stadtbauwelt 79, S. 230-232.

4) Thomas Rönnebeck (1971): Stadterweiterung und Verkehr im 19. Jahrhundert. Stuttgart und Bern.

5) Tilmann Harlander in Verbindung mit Harald Bodenschatz u. a. (2001): Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland. Stuttgart u. a.

6) Dieter Läpple (2004): Stadt und Verkehr. In: Carsten Gertz und Axel Stein (Hg.): Raum und Verkehr. Berlin, S. 165-181.

7) Ebd., S. 170

8) Dieter Apel u.a. (2001): Szenarien aund Potentiale einer nachhaltig flächensparenden und landschaftsschonenden Siedlungsentwicklung. Berlin, Umweltbundesamt, Berichte 1/00.

9) Ebd., S. 53.

10) Dieter Apel u. a. (1997): Kompakt, mobil, urban. Stadtentwicklungskonzepte zur Verkehrsvermeidung im internationalen Vergeich. Berlin, Difu-Beiträge zur Stadtforschung 24.

11) Peter Newman/Jeffrey Kenworthy (1999): Sustainability and Cities. Overcoming Automobile Dependence. Washington D.C. and Corelo, California.

12) Ulrich Kriese (2003): Aufforderung zum Dialog. Städtebaurecht und Finanzpolitik zusammengedacht. In: Planerin, Heft 3, S. 57-59.

13) Michael Lehmbrock (2004): Die Grundsteuerreform ist jetzt machbar. In: Difu-Berichte, Heft 4/04, S. 2-3, Berlin.

14) Eckhard Kutter (2004): Wegeplanung verfehlt strategische Ziele. Ein Bundesverkehrskonzept tut Not. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 6/2004, S. 353-363.

Dr.-Ing. Dieter Apel war zunächst als Stadt- und Verkehrsplaner bei der Stadt Hannover und beim Kommunalverband Großraum Hannover beschäftigt. Von 1973 bis zum Jahr 2000 hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin an Forschungsprojekten mitgewirkt. Seitdem ist er als Autor und ehrenamtlich beim Verkehrsclub Deutschland (VCD) tätig.

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