BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

Newsletter abonnierenKontaktSuchenSitemapImpressumDatenschutz
BdWi
BdWi-Verlag
Forum Wissenschaft

Aus Leistung folgt Elite?

15.05.2005: Nachwuchsförderung und Exzellenz-Konzept

  
 

Forum Wissenschaft 2/2005; Titelbild: Bernhard Edmaier

Fünf oder zehn Eliteuniversitäten ausfindig zu machen - das blieb von der Exzellenz-Initiative der Bildungsministerin übrig. Ob eine solche Kennzeichnung die universitäre Ausbildungsmisere in Deutschland zu ändern hilft, ist alles andere als ausgemacht. Eine Folge hatte die Initiative freilich schon: kultusministerielle Verwirrungen ließen die Föderalismuskommission scheitern. Eine weitere Folge wird sie haben: WissenschaftlerInnen-Selektion nach zweifelhaften Kriterien. Denn "Exzellenz" ist nicht voraussetzungslos "beste Wissenschaft", sondern wird als soziale Tatsache konstruiert und in sozialen Prozessen zugeschrieben. Dies hat Sandra Beaufaÿs beobachtet.

Die Begriffe "Elite" und "Exzellenz" haben etwas gemeinsam: es sind Begriffe, die sich implizit auf die Förderung von Leistungen beziehen. Elite, übersetzt: die Auserwählten, sind nach heutigem Verständnis diejenigen, die sich durch ihre herausragende Leistung auszeichnen. Exzellenz ist ebensolche herausragende Leistung, die gefördert werden soll.

Im Kontext wissenschaftlicher Praxis spielt Leistung eine besondere Rolle, denn nach dem Ethik-Kodex der scientific community sollen allein die Leistungen der Akteure darüber entscheiden, ob sie sich zu dieser Community hinzuzählen dürfen oder nicht. Leistung wird somit explizit als Maßstab für die Rekrutierung des Nachwuchses benutzt. Indes gibt es hiermit ein Problem: Leistung ist zunächst selbst zu messen, bedarf eines Instrumentes, mit dem ihre Bedeutung, ihre Tragweite für die Wissenschaft erkannt werden kann. Was eine wissenschaftliche Leistung ist, entscheidet kein automatisches Wahlprogramm, sondern dies entscheiden die Wissenschaftler selbst durch peer-review. Die Instrumente, die wissenschaftliche Leistungen messen, werden letztlich durch Akteure verkörpert. Insofern ist auch die meritokratische Elite ein Ergebnis sozialer Prozesse, und soziale Prozesse sind nie frei von Kämpfen. Ziel solcher Kämpfe ist die Distinktion einiger weniger von vielen anderen - dieses Prinzip gilt auch in der Wissenschaft.

Es gibt noch ein weiteres Problem: Nach dem Soziologen Hans Peter Dreitzel gilt das Ausleseprinzip konstitutiv für die Beschaffenheit von Eliten. Wird Leistung als Auslesekriterium verwandt, so müsse man jedoch folgendes bedenken, so Dreitzel: "Leistung führt (…) nur dann zum Aufstieg in Elitepositionen, wenn sie als solche sichtbar wird, d.h. ,bekannt‘ ist, ,erkennbar‘« wird und als ,bedeutsam‘ erscheint. (…) Unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Leistung ist die Fähigkeit der relevanten Bezugsgruppe, die Leistungen zu werten."1 Wahrnehmbar ist dabei nicht Leistung als solche - wie sollte das aussehen? - sondern immer nur die Darstellung von Leistung.

Leistung existiert also nicht unabhängig von Akteuren - solchen, die sie darstellen und anderen, die sie Individuen zuschreiben und bewerten müssen. Ergebnis dieses Prozesses ist Erfolg oder Misserfolg dieser Individuen.

Unser Glaube ist, dass Leistung in der Wissenschaft zum Erfolg führt bzw., es wird umgekehrt geschlossen: Wer hier Erfolg hat, der hat gute wissenschaftliche Leistungen vorzuweisen. Doch gibt es immer wieder Akteure, die zwar etwas leisten, aber damit keinen oder wenig Erfolg haben. Im Klartext gesprochen heißt dies, sie erlangen keine Professur, nehmen unsichere oder schlecht dotierte Stellen ein oder können ihre Laufbahn überhaupt nicht fortsetzen. All dies trifft erwiesenermaßen verstärkt auf Frauen zu.2 Wenn man davon ausgeht, dass Leistung zum Erfolg führt und Leistungen in der scientific community anerkannt werden, stellt sich die Frage, weshalb so wenige Frauen in die höheren Hierarchieebenen der Universität bzw. der Wissenschaft aufsteigen.

Ich möchte im Folgenden beispielhaft anhand von Material aus der DFG-Studie "Wissenschaftskultur, Geschlecht und Karriere", die ich gemeinsam mit Beate Krais an der TU Darmstadt durchgeführt habe,3 zeigen, welche besondere Problematik in den Begriffen "Elite" und "Exzellenz" in Zusammenhang mit der Förderung von Wissenschaftlerinnen steckt.

In einem ersten Punkt werde ich auf den Zusammenhang von Leistung und Anerkennung eingehen, in einem zweiten Punkt komme ich auf die Darstellungsebene zu sprechen.

Leistung und Anerkennung

Als tiefe Überzeugung äußern Professoren der Geschichtswissenschaften und der Biochemie in den Interviews unserer Untersuchung, dass Menschen, denen eine Neigung oder Begabung zum wissenschaftlichen Arbeiten unterstellt wird, durch "beste" wissenschaftliche Leistungen zu Wissenschaftlern werden und Erfolg haben. Die Leistung gilt als objektives Kriterium dafür, ob jemand zur scientific community gehört oder nicht. Die gleichen Interviewpartner betonen indes, es gehe auch darum, die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit für die scientific community sichtbar zu machen; erst die Anerkennung durch Kollegen bringe den Erfolg. Wie jedoch Leistung und Anerkennung zusammenhängen, unter welchen Bedingungen Leistungen entstehen, auf welchen Wegen sie Personen zugeschrieben werden und wie diese Personen hierdurch überhaupt erst sichtbar werden als wissenschaftliche Akteure - all diese Verbindungen werden hingegen dann ausgeblendet, wenn es um wissenschaftliche Leistung als "objektives Kriterium" geht.

Also muss man feststellen, dass im wissenschaftlichen Feld erstens die Auffassung vertreten wird, es gebe wissenschaftliche Leistungen und es gebe das Spiel um Anerkennung und Prestige, und dass zweitens diese beiden Prinzipien einer vollkommen getrennten Logik folgen. Hierdurch kann der Eindruck entstehen, als seien Leistungen vom Urteil der Akteure unabhängige und in ihrem Entstehungsprozess von sozialen Bedingungen losgelöste, objektive Ergebnisse interessefreien Handelns. Damit Leistungen entstehen können, müssen jedoch bestimmte Bedingungen gegeben sein, die unter anderem auch zu der Vorstellung und dem impliziten Wissen darüber beitragen, was überhaupt als wissenschaftliche Leistung gelten kann. Dieser immer schon eingelagerte Konstruktionsakt ist so selbstverständlich, dass er in der Praxis ebenso ‚vergessen’ wird wie der Akt, in dem Leistungen Personen zugeschrieben werden. Diese Amnesie führt dazu, dass dem Individuum, das unter bestimmten Bedingungen als leistungsfähiges Subjekt hervorgebracht wird, eine besondere Begabung unterstellt wird. Die "wissenschaftliche Persönlichkeit", von der Steffani Engler schreibt, dass sie im Zuge von Anerkennungs- und Zuschreibungsprozessen entsteht,4 wird so immer schon vorausgesetzt. Leistung dagegen wird als funktionales Prinzip aufgefasst, mit dem objektiv bestimmt werden kann, ob jemand für die Wissenschaft geeignet ist und wird damit als von sozialen Bedingungen losgelöst verstanden.

Lässt man die sozialen Konstruktionsakte außer Acht, über die wissenschaftliche Persönlichkeiten hervorgebracht werden, setzt man voraus, dass Personen Leistungen erbringen. Mit anderen Worten wird im Nachhinein etwas so beurteilt, als sei es bereits von vornherein evident: Wer anerkannt wird, der muss "gut" sein. Konkrete materielle Ausstattungen und die Zugriffsmöglichkeit darauf, Unterstützung durch Mentoren, epistemische ‚Moden’, Netzwerke usw. werden als die Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass Leistungen erst erbracht werden können und als solche wahrgenommen werden, ausgeblendet. Nachwuchswissenschaftler sind in meinen Interviews häufig wesentlich aufmerksamer auf solche Prozesse als Professoren. So sagte mir ein Geschichtswissenschaftler auf dem Weg zur Habilitation:

"Man ist ein guter Historiker nicht, weil man ein guter Historiker ist, sondern weil die anderen sagen, dass man ein guter Historiker ist. Wenn ich mich selber hinstelle und sage, ich bin ein guter Historiker, lachen alle anderen guten Historiker. Wenn ein anderer guter Historiker sagt, der Charlie P. ist ein guter Historiker, dann nicken alle anderen guten Historiker, zumindest" (lacht) "wenn sie aus dessen Schule stammen."

In der Aussage dieses Habilitanden klingen einige der wichtigsten Implikationen wissenschaftlicher Praxis an:

  • Wissenschaft ist eine soziale Angelegenheit, d.h. sie funktioniert nur über die Gemeinschaft derer, die sich gegenseitig als vollwertige Mitglieder derselben anerkennen.
  • Bereits anerkannte Wissenschaftler führen andere in die Gemeinschaft ein.
  • Wissenschaftliche Arbeit und ihre Qualität wird durch die Akteure verkörpert.
  • Qualitätsurteile sind gebunden an übereinstimmende Sichtweisen.
  • Leistungen werden Personen zugeschrieben.

Da Leistungen und somit die Qualität wissenschaftlicher Arbeit in der Wissenschaft immer auch verkörpert werden durch die Akteure, muss es neu Hinzukommenden gelingen, als Akteure wahrgenommen zu werden, indem die bereits Etablierten ihnen solche Leistungen zuschreiben. Und hier sind Frauen in größeren und anderen Schwierigkeiten als ihre männlichen Kollegen, das zeigt sich in unserem Material sehr deutlich.

"Leistungs"-Indikatoren

Der Kriterienkatalog, den Hochschullehrerinnen und -lehrer in den Interviews für die Förderungswürdigkeit potentiellen wissenschaftlichen Nachwuchses bereithielten, enthält kaum Hinweise auf Leistung. Während die einen überhaupt nicht von wissenschaftlicher Leistung sprachen, sondern diese stillschweigend voraussetzten, waren andere davon überzeugt, dass es sich bei ihrem eigenen Urteil über Kandidaten um "Bestenauslese" handele, so als seien sie als Förderer gar nicht beteiligt und schauten lediglich einem naturwüchsig sich selbst regulierenden Vorgang zu. Beide Haltungen sind problematisch vor dem Hintergrund der am häufigsten genannten Indikatoren für Förderungswürdigkeit. An erster Stelle steht eine hohe Frustrationstoleranz. Weiterhin werden Ausdauer und Belastbarkeit gefordert sowie Leistungs- und Einsatzwilligkeit. Offenbar wird von diesen Merkmalen abgeleitet, ob eine Doktorandin oder ein Doktorand als Nachwuchskandidat in Frage kommt, weil sie auf eine zukünftig erwartbare Leistung hindeuten.

In diesen Indikatoren lässt sich auch ein bestimmtes Bild vom Wissenschaftler erkennen. Es ist scheinbar nicht an Geschlechtsmerkmale gebunden. Ausdauer, Disziplin, Einsatzbereitschaft und Frustrationstoleranz könnten ebenso gut von einer Wissenschaftlerin verkörpert werden wie von einem Wissenschaftler. Mentoren müssten demnach diese Eigenschaften an ihren Doktorandinnen und Doktoranden gleich häufig entdecken. In den Aussagen einiger interviewter Professoren lässt sich jedoch nachweisen, dass die genannten Eigenschaften geschlechtsspezifisch unterschiedlich zugeschrieben werden. Es stellte sich heraus, dass Frauen gegenüber häufig ein wesentlich größeres Misstrauen darüber besteht, ob sie den Anstrengungen und Widrigkeiten, aber auch den Herausforderungen einer wissenschaftlichen Karriere überhaupt gewachsen seien. Man kann hier von einer regelrechten "kognitiven Dissonanz" sprechen. Einerseits war keiner der potentiellen Förderer der Meinung, Frauen eigneten sich per se nicht für die Wissenschaft oder könnten keine guten Leistungen erbringen. Doch diese allgemein vorgetragene positive Einstellung schlug sich nur selten in der konkreten Förderung junger Wissenschaftlerinnen nieder.

Daraus ist zu schließen, dass mit der Zuschreibung von wissenschaftlichen Leistungen auch Geschlecht konstruiert wird. Wenn die Urteilenden auch darauf bestehen, unabhängig vom Geschlecht nur auf Leistungen zu schauen, muss ihnen entgegengehalten werden, wie Leistungen wahrgenommen werden und wie sie verquickt sind mit den Akteuren, die sie erbringen. Die Schwedinnen Christine Wennerås und Agnes Wold untersuchten Ende der 90er Jahre das Gutachterwesen des schwedischen Medical Research Council, einer Institution zur Forschungsförderung in der Biomedizin, und fanden heraus, dass Männer und Personen, die dem Gutachterkreis bekannt waren, in deren Bewertung besser abschnitten als Frauen und solche Personen, die in keinem Verhältnis zum Gutachter standen. Weiterhin stellen die Autorinnen fest, ihre Ergebnisse legten unmissverständlich nahe,"dass Gutachter wissenschaftliche Leistung nicht unabhängig vom Geschlecht beurteilen können."5 Das heißt, da Leistungen nicht unabhängig von Personen beurteilt werden und Personen wiederum nicht unabhängig von ihrem Geschlecht wahrgenommen werden können, geht in eine Leistungsbeurteilung immer auch der Geschlechteraspekt ein.

Das Geschlecht funktioniert dabei offenbar häufig als Herabstufungsmodus der Wahrnehmung von Gutachtern oder Professoren, sodass sie Frauen eine geringere Leistungsbereitschaft oder sogar eine geringere Leistungsfähigkeit zuschreiben, ohne dies bewusst zu tun, weil sie etwa der Meinung wären, Frauen könnten nicht wissenschaftlich arbeiten o.ä. Dieser Meinung war explizit keiner der von uns interviewten WissenschaftlerInnen. Das Vertrauen der akademischen Lehrer stellt sich dennoch über andere Mechanismen her als über das ‚reine Leistungsurteil’, wie auch immer ein solches überhaupt denkbar wäre.6 Ich komme damit zum zweiten Punkt, der Darstellung wissenschaftlicher Leistungen.

"Bestenauslese" nach Gauß

Auslese findet zunächst in alltäglichen sozialen Situationen statt, noch bevor Forschungsergebnisse entstehen und in begutachteten Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Hiervon berichtet eindrücklich das folgende Zitat aus einem Interview mit einem Professor der Geschichtswissenschaften:

"Sie haben immer typischerweise eine Verteilung, eine Normalverteilung in der Figur der gaußschen Kurve. Sie haben einen breiten Mittelteil von (…) etwas unscheinbar grauen Mäusen, dann haben Sie einen kleinen Schwanz von exzellenten Leuten, die Rechtsverteilung, und dann haben Sie eben leider Gottes auch einen deutlich größeren linken Schwanz von absoluten Versagern, die total falsch am Platz (sind) (…). So sieht das, so sieht jedes Seminar aus. Und es sind diese Leute der rechtsverteilten gaußschen Kurve, aus denen die Doktoranden und Habilitanden kommen. (…) Und was macht die aus? Das können Sie an einer ganzen Reihe von Indikatoren sehen: Die schreiben einfach die besten Texte, die geben die besten Diskussionsbeiträge in der besten Sprache, die können reden, frei, druckreif, ja? Also da könnte ich Ihnen, das sind die Punkte, schon allein an diesen so genannten Schlüsselqualifikationen (…) merken Sie, das sind sie, ja?"

Unter den Studierenden befindet sich nach den Aussagen dieses Professors eine Bandbreite von wenigen exzellenten und vielen weniger exzellenten Kandidaten sowie Totalversagern. Die guten Leute werden von ihm an ganz bestimmten "Indikatoren" erkannt, die einerseits die äußere Form einer Leistung betreffen und andererseits gebunden sind an ein ganz bestimmtes Instrument, nämlich das der Sprache. Das ist nicht zufällig, denn Sprache ist in der Geschichtswissenschaft nicht nur ein Mittel der Kommunikation, das es erlaubt, anderen Wissenschaftlern von neuen Entdeckungen zu berichten. Es ist ein Werkzeug, das bei fachgerechter Handhabung aus dem bearbeiteten Quellenmaterial erst Bedeutungen hervorbringt, die nur durch saubere argumentative Schritte herausgearbeitet werden können. Von Analysefähigkeiten aber redet der Professor hier in diesem Beispiel nicht. Die Leistungen werden nicht näher bezeichnet, werden zumindest nicht an ausgewiesenen Qualitätskriterien festgemacht. Sie sind einfach im Vergleich zu den von anderen erbrachten Leistungen "am besten". Es sind, wie der Professor selbst sagt "Schlüsselqualifikationen". Diese bilden eine Art Erkennungszeichen für die Lehrperson.

Damit unterstelle ich nicht, dass der hier zitierte Professor keine Kriterien hat, anhand derer er die Leistungen der Studierenden misst; ich behaupte allerdings, dass diese Kriterien höchstwahrscheinlich nicht explizit angewandt und gewusst werden, sondern implizit in den Beurteilungen enthalten sind. Die Merkmale also, woran der Nachwuchs als in Frage kommender erkannt wird, liegen sowohl außerhalb objektiver Kriterien als auch außerhalb explizierbarer und bewusster Wahrnehmung. Der Professor drückt das sehr deutlich aus in dem Wort "merken". An den von ihm genannten Ausdrucksformen - hier der Sprache - "merkt" er, "das sind sie". Darin liegt zweierlei: Erstens hat er eine untrügliche intuitive Ahnung, die auf Erfahrung beruht, und zweitens geht es bei dem Erahnten nicht um Können, sondern um Sein. Nach den Aussagen des Professors sind es nur sehr wenige, auserwählte Studierende, die promovieren bzw. überhaupt studieren "dürften", wenn es nach ihm ginge. Dabei greift er sich eine mathematische Metapher heraus - die gaußsche Normalverteilung - und konstruiert mit ihrer Hilfe ein objektiv erscheinendes Beobachtungsinstrument. Tatsächlich sind jedoch die Kriterien, an denen er "merkt", ob es sich um viel versprechende potentielle Nachwuchswissenschaftler handelt, seine ganz persönlichen Kriterien dafür, welcher Habitus für einen Wissenschaftler seines Faches angemessen ist und auf Leistung hinweist. Es ist sehr wohl möglich, dass er ein bestimmtes Klientel - das ebenso leistungsfähig sein könnte - "übersieht", weil ihn an deren Gestus nichts daran erinnert.

Eine Professorin der Geschichtswissenschaften, gefragt nach ihrem Eindruck vom wissenschaftlichen Nachwuchs in ihrem Fach, kommt dagegen zu ganz anderen Schlüssen:

"Ja, die meisten Leute sehen eben leider sich zu ähnlich, also das ist das Problem. (…) was ich den deutschen Historikern wünschen würde, das wäre (…) größere Pluralität eigentlich von der Art und Weise, wie Leute sein dürfen, um Erfolg zu haben (…). (…) ich mein, das sind wirklich geschlechterspezifische Unterschiede in der Art und Weise, sich zu präsentieren und das Wissen, das man hat, darzustellen. Das merk ich jetzt in den Seminaren immer wieder ganz, ganz krass. Und da merk ich einfach, (…) wie männliche Studierende den Raum besetzen zum Beispiel, dass sie aufstehen, dass sie an die Tafel gehen, dass sie sich hinstellen, um ihr Referat zu halten, und dass die wenigsten Frauen das machen quasi, sondern dass sie sich wirklich hinter ihrem Text verbergen quasi, und dass Männer es einfach immer wieder schaffen, absolut inhaltslose Referate mit einem unglaublichen Pomp vorzutragen. Und das findet man wirklich häufiger bei Männern als bei Frauen, und ich möchte eher den Blick dafür schärfen, dass diese äußere Art und Weise, sich darzustellen, noch nicht sozusagen den Erfolg ausmacht, aber unglaublich viele Professoren und Professorinnen fahren eben auf diese sehr professionelle Art, sich zu präsentieren, ab."

Ver- und Erkennung

Dietlind C. streicht die unterschiedliche Art und Weise heraus, in der sich Studentinnen und Studenten in Seminaren präsentieren. Sie erkennt, dass Frauen hier oft zu ihrem Nachteil beurteilt werden, da sie nicht die entsprechenden Zeichen von Kompetenz ausstrahlen, die ihre Kollegen erwarten. Gleichzeitig glaubt sie, dass das Bild vom Wissenschaftler, wie es in deren Köpfen existiert, ein auf männliche Darstellungsformen zugeschnittenes ist. Diese Darstellungsformen pflanzen sich fort und werden reproduziert, weil nach ebendiesen als Leistungsanzeigern Ausschau gehalten wird und zwar von denjenigen, die die gleiche Art haben, sich zu präsentieren. Daraus ließe sich schließen, dass ein Professor den Habitus fördert, den er auch selbst verkörpert.

Die von Professoren genannten Leistungsindikatoren (Ausdauer und Frustrationstoleranz, Einsatzbereitschaft, Begeisterungsfähigkeit und originelles Denken), sind zwar weder "weibliche" noch "männliche" Eigenschaften per se. Auch werden sie von Professoren beiderlei Geschlechts als wichtige Voraussetzungen für die wissenschaftliche Laufbahn genannt. In den Zuschreibungsmustern werden sie jedoch zu vergeschlechtlichten Persönlichkeitsprofilen, wodurch junge Wissenschaftler eher als leistungsfähiger Nachwuchs eingestuft werden als junge Wissenschaftlerinnen.

Leistungsfähige Akteure entstehen so innerhalb verschiedener Zuschreibungspraxen nicht beliebig, sondern entlang von habituellen Erkennungs- und Verkennungseffekten. Wer als leistungsfähiger Akteur überhaupt in Erscheinung tritt, hängt ganz entscheidend von den im Feld bereits etablierten Wissenschaftlern ab, die dazu neigen, sich selbst zu reproduzieren.

Ich möchte daher abschließend zu bedenken geben, dass sich in Konzepten wie "Exzellenz" und "Elite" selektive Mechanismen verbergen, die das Gegenteil von dem bewirken, was sie angeblich anstreben: nämlich eine Förderung derjenigen, die gute wissenschaftliche Leistungen erbringen könn(t)en.


Anmerkungen

1) Pfadenhauer, Michaela (2003): Macht - Funktion - Leistung: Zur Korrespondenz von Eliten- und Professionstheorien, in: Harald Mieg / Michaela Pfadenhauer (Hg.): Professionelle Leistung - Professional Performance. Positionen der Professionssoziologie, Konstanz: Universitätsverlag, S. 81.

2) Vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (2002): Frauen in Führungspositionen an Hochschulen und an außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Sechste Fortschreibung des Datenmaterials, Bonn.

3) DFG-Forschungsprojekt "Wissenschaftskultur, Geschlecht und Karriere. Karrierebedingungen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der alltäglichen Praxis von Universitäten", durchgeführt bei Beate Krais an der TU Darmstadt. Mit einem qualitativ-ethnografisch ausgerichteten Forschungskonzept wurde die alltägliche Praxis in den Fächern Biochemie und Geschichte untersucht (vgl. Beaufaÿs, Sandra / Beate Krais: Doing Science - Doing Gender. Die Produktion von WissenschaftlerInnen und die Reproduktion von Machtverhältnissen im wissenschaftlichen Feld, in: Feministische Studien 1/2005 - im Erscheinen).

4) Engler, Steffani (2001): "In Einsamkeit und Freiheit"? Zur Konstruktion der wissenschaftlichen Persönlichkeit auf dem Weg zur Professur. Konstanz: Universitätsverlag.

5) Wennerås, Christine/ Agnes Wold (2000): Vetternwirtschaft und Sexismus im Gutachterwesen, in: Krais, Beate (Hg.) (2000): Wissenschaftskultur und Geschlechterordnung. Die verborgenen Mechanismen männlicher Dominanz in der akademischen Welt. Frankfurt a.M.: Campus., S. 108

6) Vgl. zu diesem Punkt auch Engler, Steffani (2003): "Aufsteigen oder Aussteigen" - Soziale Bedingungen von Karrieren in der Wissenschaft, in: Ronald Hitzler/Michaele Pfadenhauer (Hg.): Karrierepolitik. Beiträge zur Rekonstruktion erfolgsorientierten Handelns. Opladen: Leske + Budrich.


Dr. Sandra Beaufaÿs ist Diplompädagogin und Soziologin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Referentin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main. Veröffentlichung zum Thema: Wie werden Wissenschaftler gemacht? Beobachtungen zur wechselseitigen Konstitution von Geschlecht und Wissenschaft. Bielefeld: transcript.

Zum Seitenanfang | Druckversion | Versenden | Textversion