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Klaus Holzkamp

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Verschwunden oder umgeformt?

15.09.2005: Paradigma Arbeit in Kunst und Kunsttheorie

  
 

Forum Wissenschaft 3/2005; Titelbild: Eckhard Schmidt

Kunst und Arbeit: diese Kombination weckt Reminiszenzen an die siebziger Jahre, als die Bilder von Arbeitern aus der Weimarer Republik wiederentdeckt wurden und man Grafikkreise der Arbeitswelt gründete. Arbeit scheint heute kein Gegenstand für Kunst und keine für sie relevante Kategorie mehr zu sein. Jutta Held wirft einen genaueren Blick auf das Verhältnis zwischen beiden.

Das Thema Arbeit gehörte dem Bereich einer "zweiten Kultur" an, eng mit der Arbeiterbewegung verbunden, die man in diesen Jahren neu erschloss und belebte, das heißt, in die eigene Protestkultur zu integrieren suchte. Mit dem Thema Arbeit wurden vor allem die Arbeitskämpfe assoziiert, in denen die Arbeiterbewegung erstarkt war und ihr Klassenbewusstsein aufbaute. Man dachte weniger an die Arbeitsformen, an die technologischen Bedingungen von Arbeit, die sich durch die Automatisierung von Arbeitsgängen grundlegend ändern und die Umschichtung traditioneller Arbeitsbereiche bewirken sollten.

Arbeit wurde in den 70er Jahren noch aus der Sicht des im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung herausgebildeten Kapitalismus und seines Schattens, der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, als Industrie- und Lohnarbeit definiert. Die Gleichsetzung von Arbeit schlechthin mit Lohn- oder Erwerbsarbeit, eine Gleichung, die sich auch außerhalb der Industriearbeit als dominantes Arbeitsverhältnis durchgesetzt hatte, ferner der industrielle Betrieb als primärer Ort der Wertschöpfung, das waren die "klassischen" Bestimmungen der Arbeit, die kulturell bis in die 70er Jahre wirksam und anerkannt blieben. Die Konsequenzen dieser Form der Arbeit bei der Organisation des sozialen Lebens sind bekannt: die Polarisierungen zwischen öffentlicher und privater Sphäre, zwischen Außen und Innen, männlichen und weiblichen sozialen Rollen, Konstellationen, die eine (scheinbar) stabile Ordnung der Werte hervorgebracht hatten.

Die Diskussionen über Arbeitsverhältnisse in den Geisteswissenschaften, speziell in der Kunstgeschichte, die in den 70er Jahren erstmalig geführt wurden, gingen von diesem Modell der technologiegestützten, kollektivierten und von anderen Lebenssphären deutlich getrennten Industriearbeit aus, das für Marx den Angelpunkt seiner Analysen des Kapitalismus darstellte.

Es waren zwei Aspekte dieser Diskussionen über Arbeit als der Basis jeder sozialen Organisation und Wertbildung, die in der Kunstgeschichte Interesse fanden: Einmal war es die Frage nach dem Verhältnis zwischen geistiger und körperlicher, dispositiver und ausführender Arbeit. Sie führte in zentrale Bereiche der künstlerischen Organisationen und der kunsttheoretischen Kategorienbildung.1 Die Akademien organisierten und separierten den geistigen, konzeptuellen Anteil an der künstlerischen Produktion und entwerteten gleichzeitig den handwerklichen, in den alten Werkstätten zentrierten Part als bloß manuelle Ausführung. Die gleiche Trennung durchzieht die Kategorien der Kunsttheorie, die immer schärfer zwischen der Idee und der handwerklichen Realisierung eines Kunstwerks unterschieden. Wenn die künstlerische Arbeit mit der Trennung (und der wertmäßigen Abstufung) dieser beiden Bestandteile auch der generellen Tendenz der Arbeitsteilungen bei der allgemeinen Warenproduktion zu folgen scheint, so blieb doch ein Unterschied, dass geistige und handwerkliche Arbeit zwar unterschiedliche Phasen der künstlerischen Arbeit bezeichnen, beide jedoch in der Regel von einer einzigen Person ausgeführt wurden, zumindest in deren Kompetenz blieben. Der Künstler blieb auch - anders als der Arbeiter in einer Manufaktur oder einem Industriebetrieb - der Eigner der (bescheidenen) Produktionsmittel. Diese trotz der Akademisierung dennoch gewahrte Unteilbarkeit von Idee und Realisierung wurde gerade in der klassischen Moderne ein emphatisch verteidigter Wert. Die Behauptung der Autonomie der Künste wurde mit dieser Differenz zwischen der künstlerischen und der allgemeinen Warenproduktion begründet.2

Die zweite Frage, die kunsthistorische Diskussionen auslöste, war das Verhältnis von produktiver und unproduktiver Arbeit. Konnte die Kunstproduktion als wertschöpfende Arbeit zu den primären Tätigkeiten und sozialen Verhältnissen gezählt werden, in denen es um die ökonomische Basis einer Gesellschaft geht? Oder gehört sie mit den kulturellen Tätigkeiten dem reproduktiven Sektor an?3

Streitfragen, begrenzt

Diese Fragen waren motiviert durch das Bedürfnis, den gesellschaftlichen Ort und die gesellschaftliche Funktion von Kunst und künstlerischer Produktion grundlegend zu bestimmen, das heißt, sie im Verhältnis zur allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit zu definieren. Es ging darum, Bedeutung und Wert der künstlerischen Tätigkeit herauszustellen, indem sie in die Nähe der ökonomisch unverzichtbaren, "produktiven" Arbeit gerückt und der Künstler als (nicht einmal in jedem Fall privilegierter) Arbeiter verstanden wurde.

Die theoretischen Bemühungen stellten das genannte Modell, nach dem die Wertschöpfung nur im Bereich der Lohnarbeit erfolgt, nicht in Frage. Sie versuchten lediglich, die Formen künstlerischer Arbeit in dieses Modell zu integrieren und damit eine Brücke zwischen der Welt der Arbeit und der Künste zu bauen. Die Scholastik jedoch, mit der hier zuweilen argumentiert wurde, dürfte bereits indizieren, dass die alten Unterscheidungen erheblich strapaziert werden mussten, um noch tauglich zu sein. Und so dürften diese Versuche, die künstlerische Tätigkeit im Rahmen der gesellschaftlich dominanten Definition produktiver Arbeit zu analysieren, unter der Hand - den Autoren damals weder bewusst noch von ihnen intendiert-, dazu beigetragen haben, den alten marxistischen Begriff von Arbeit zu erodieren.

Radikaler und bewusster wurde in der feministischen Theorie das gängige Modell der produktiven Erwerbsarbeit als Parameter gesellschaftlicher Werte in Frage gestellt. Zum einen wiesen Historikerinnen nach, dass die Trennungen zwischen öffentlicher und privater Sphäre, zwischen Produktion und Reproduktion, Berufs- und Hausarbeit nie so strikt verlaufen sind, wie es die Theorie behauptete. Hausarbeit ging, so die feministische These, unter der Hand und unbemerkt in die Berechnung der produktiven Arbeit mit ein.4 Die Bereiche wertschöpfender Arbeit und der reproduktiven Lebenswelt waren stets interdependenter ineinander verwoben, als es begrifflich erfasst worden war. In gleicher Weise ließ sich zeigen, dass die private Sphäre des bürgerlichen Hauses selbst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, der Zeit ihrer weitestgehenden Intimisierung, immer auch Ort öffentlicher Funktionen gewesen ist.5

Veränderung der Arbeit

Die realen Veränderungen im Charakter der gesellschaftlichen Arbeit, die seit den 70er Jahren spürbar wurden, inspirierten diese theoretischen Korrekturen am alten Begriff der Arbeit. Je mehr der Anteil menschlicher Arbeit bei der Wertschöpfung durch die Automatisierungen verzichtbar wurde, um so vernehmlicher traten andere Formen der Arbeit als die alte Erwerbsarbeit ins Licht der Öffentlichkeit und wurden, während sie bislang im Unbemerkten gewirkt hatten, theoriefähig. Das gilt vor allem für die Frauenarbeit, aber auch für Tätigkeiten im Dienstleistungssektor und für die sog. Bürgerarbeit. Produktive Arbeit beginnt man als gesellschaftlich nützliche und unverzichtbare Arbeit zu definieren und damit das Modell der Lohnarbeit zu relativieren. Aber nicht nur die weibliche Arbeit, auch die künstlerische Produktion gewinnt unter den aktuellen Gesichtspunkten auf neue Weise Modellcharakter.

Hatten schon die Theorieansätze der 70er Jahre versucht, ihren produktiven Charakter nachzuweisen - wenn auch, aus heutiger Sicht, mittels unzureichender Kategorien - so zeigt sich inzwischen deutlicher, wie vielgestaltig neuerdings die künstlerischen Tätigkeiten in das breite Spektrum gesellschaftlich produktiver, nützlicher Arbeit diffundieren oder auch bewusst einbezogen werden. Die künstlerischen Anteile bei der Digitalisierung der Bilder, die kreativen Formen von Kunst als Sozialarbeit oder Kunst in den Betrieben, seien nur als Beispiele der Veränderung im Verhältnis von allgemeiner und künstlerischer Arbeit genannt. Die neuen Annäherungen, deren Potentiale in den 70er Jahren bereits spürbar wurden und in den Diskussionen erahnt wurden, können unter den veränderten Arbeitsbedingungen heute vermutlich mit größerer Breitenwirkung oder weiter reichender Wertbildung rechnen. Dabei könnte die künstlerische Tätigkeit, bei der die Unterscheidung zwischen intellektuellen und manuellen Anteilen nie zu den strikten und sozial durchgreifenden Trennungen geführt hat wie bei der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit, soziale Avantgardefunktion gewinnen. (Auch der zweite Diskussionsstrang der 70er Jahre erweist sich somit im Nachhinein als zukunftsträchtig). Die Minimierung des Gegensatzes zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft, scheint heute in der Dynamik des aktuellen Arbeitsbegriffs begründet zu sein. Zumindest in den avancierten, durch neue Technologien bestimmten Arbeitsbereichen ist diese Trennung bereits obsolet geworden. Da außerdem Arbeit zunehmend als Faktor bei der Identitätsfindung gewertet wird, bei der Definition des eigenen Platzes in der Gesellschaft - also gerade mit ihrem Schwinden eminente Bedeutung gewinnt -, könnte die künstlerische Tätigkeit dazu beitragen, die Übergänge zwischen unterschiedlichen Arbeitsformen zu erleichtern und zu exemplifizieren und so die Polarisierung zwischen dem "Drinnen" im Arbeitsleben und dem befürchteten, meist unwiderruflichen "Draußen" abzumildern und allmählich gesellschaftlich außer Kraft zu setzen.

Zu diesen komplexen Fragen hier lassen sich bisher nur Vermutungen formulieren. Eine Anregung dazu wäre die, das Verhältnis zwischen Kunst und Arbeit, das nach den Ansätzen der 70er Jahre in der Kunstgeschichte mit Schweigen überdeckt wird, in seiner Aktualität zu begreifen und im Lichte der jüngsten Entwicklungen zugleich seine geschichtlichen Dimensionen neu auszuloten. Die künstlerische Praxis selbst, die innerhalb der fundamentalen Umwertungen und Umschichtungen der Arbeitsbereiche operiert, ist inzwischen, so scheint mir, der empirischen Forschung und Theoriebildung in der Kunstgeschichte weit voraus.


Anmerkungen

1) Für diese Diskussion war grundlegend Alfred Sohn-Rethel: Geistige und körperliche Arbeit. Frankfurt 1970.

2) Berthold Hinz: Zur Dialektik des bürgerlichen Autonomie-Begriffs. In: Michael Müller u.a.: Autonomie der Kunst. Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie. Frankfurt 1972, S. 173-198.

3) Michael Müller: Künstlerische und materielle Produktion. Zur Autonomie der Kunst in der italienischen Renaissance. In: Ders. u.a. (Hg.): Autonomie der Kunst. Frankfurt 1972, S. 9-87. - Franz-Joachim Verspohl: Autonomie und Parteilichkeit: "Ästhetische Praxis" in der Phase des Imperialismus. In: Michael Müller u.a., loc. cit., S. 199-229.

4) Vgl. hierzu die sog. "Haushaltsdebatte" und die feministischen Interventionen zur marxistischen Kritik der Ökonomie. Vgl. Frigga Haug: Gesellschaftlich notwendige Arbeit/Arbeitszeit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 5. Hamburg 2001, Sp. 573 ff. (mit Literatur).

5) Vgl. z.B. Marion Kaplan: Freizeit-Arbeit. Geschlechterräume im deutsch-jüdischen Bürgertum 1870-1914. In: Ute Frevert (Hg.): Bürgerinnen und Bürger. Göttingen 1988, S. 157-174.


Prof. Dr. Jutta Held ist Professorin für Kunstgeschichte, zuletzt an der Universität Osnabrück. Geforscht und publiziert hat sie zur Kunst der Frühen Neuzeit, insbesondere in den romanischen Ländern (Goya, Caravaggio u.a.), zu Kunst und Kunstpolitik im 20. Jahrhundert, Kunst- und ästhetischer Theorie.

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