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Prekäre Welten

08.10.2015: Neue Strategien zu Arbeitsverhältnissen an Hochschulen?

  
 

Forum Wissenschaft 3/2015; Foto: Torbz – fotolia.com

Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse in Frankfurt/M. - dies war Thema einer Tagung am 27. Juni 2015 im Frankfurter Gewerkschaftshaus, getragen unter anderem von Gewerkschaften, der Gewerkschaftszeitung Express und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dabei ging es auch um die Bekämpfung prekärer Arbeitsverhältnisse an Hochschulen. Die dort formulierten Perspektiven sind jedoch zu eng gesteckt, kritisiert Regina Schleicher.

Es fand in drei Diskussionsrunden nach einem einführenden Vortrag von Brigitte Stolz-Willig (Frankfurt University of Applied Sciences) ein ausführlicher Austausch über die "(Un)sicheren Aussichten" (Titel der Tagung) in verschiedenen Bereichen wie Hochschule, Gastronomie und Soziale Arbeit statt. Die Tagung ermöglichte vor allem in Bezug auf Situationen und Grad der gewerkschaftlichen Organisierung eine vergleichende Perspektive auf regionaler Ebene.

Brigitte Stolz-Willig wies darauf hin, dass atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse nicht das Gleiche seien und es hier geschlechtsspezifische Unterschiede gebe. Verschiedene Studien zeigten, dass zwar zunehmend Angehörige beider Geschlechter in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen seien, jedoch insgesamt Frauen stärker betroffen seien. Im industriellen Bereich, so zeigen verschiedene Studien, unter anderem des Jenaer Soziologen Klaus Dörre, hat sich in den Unternehmen das Verhältnis zwischen Stammbelegschaft und LeiharbeiterInnen deutlich in Richtung Letztere verschoben. Die in dem Vortrag aufgezeigte Perspektive der Etablierung eines neuen Normalarbeitsverhältnisses wurde zwar von den meisten TeilnehmerInnen der Tagung geteilt, verengt die Debatte jedoch etwas. Nicht alle streben ein konventionell gedachtes oder neu entworfenes Normalarbeitsverhältnis an. Zugleich gilt es in die Beobachtungen mit einzubeziehen, dass auch Protest in "atypischen" Beschäftigungsverhältnissen nicht immer auf deren Umwandlung in "typische" Beschäftigungsverhältnisse zielen muss.

Verengte Perspektive

Eine solche verengte Perspektive zeigt sich auch im Bereich der Hochschule. Mit dem Argument, für Daueraufgaben müsse es auch Dauerstellen geben, wird vor allem eine Strategie verfolgt, die, um der in eklatanter Weise angewachsenen Zahl von - zum Teil sehr kurz - befristeten Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau zu begegnen, vor allem auf Entfristung zielt. Zum einen ist es natürlich notwendig, in diesen offensichtlich hoch prekarisierten Bereich zu intervenieren: an der Uni Frankfurt sind insgesamt ca. ein Drittel der Angestellten befristet beschäftigt, darunter auch zahlreiche Beschäftigte im technisch-administrativen Bereich. Das Verhältnis zwischen befristet und unbefristet beschäftigten Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Lehrkräften für besondere Aufgaben liegt inzwischen fast bei 20 zu 1. Hinzu kommen noch die Studentischen und Wissenschaftlichen Hilfskräfte und Lehrbeauftragte, die nicht nur atypisch beschäftigt sind, sondern in hohem Maße unterbezahlt sind oder gar zu unbezahlter Arbeit herangezogen werden. Häufig stellen ehemalige Wissenschaftliche MitarbeiterInnen wegen vorheriger Arbeitsüberlastung am Lehrstuhl ihre Qualifikationsarbeit erst nach Vertragsende fertig, mit einem spöttisch so genannten "ALG-Stipendium", als BezieherInnen von Arbeitslosengeld. Doch auf dieser finanziellen Basis kommt es ebenfalls vor, dass weiter für die Universität gearbeitet wird, insbesondere in Forschungszusammenhängen, wo Projekte vor- und nachbereitet werden. Auch ist eine Fortsetzung der teilweise unhonorierten Tätigkeit als PrüferIn nach Vertragsende keine Seltenheit an den Hochschulen. All dies lässt sich nur erklären, wenn subjektive Faktoren einbezogen werden. Wie kommt es zu der Bereitschaft unterbezahlte oder unbezahlte Arbeit zu leisten? Liegt es an den Karriereversprechen und an der Hoffnung auf Anschlussstellen; liegt es an dem nach wie vor hohen symbolischen Kapital einer Tätigkeit an der Hochschule? Nicht zuletzt können auch das inhaltliche Interesse am jeweiligen Gebiet in Lehre und Forschung, eine starke Identifikation mit Inhalten eine Rolle spielen. Es müssten Instrumente entwickelt werden, die auch hierauf reagieren. Die hohe Bereitschaft zur unbezahlten Arbeit ist keinesfalls nur eine Begleiterscheinung der aktuellen Stellensituation, sondern geradezu charakteristisch für den Bereich der Hochschule.

Ein weiterer Gesichtspunkt trägt zur Kritik daran bei, sich strategisch zu sehr auf "Normalarbeitsverhältnisse" zu konzentrieren: auch Qualitätskriterien könnten ein stärkeres Gewicht haben. Dauerstellen für Daueraufgaben, zu denen zweifelsohne an der Hochschule die Lehre zählt, kann eben auch bedeuten, dass sich das Konzept eines ausgeweiteten Mittelbaus verstetigt, indem zwar entfristete, jedoch weitgehend von der Forschung entkoppelte Stellen im Mittelbau mit hohem Lehrdeputat eingeführt werden. Hiermit wird eine fatale Entwicklung vorangetrieben, die sukzessive Entwissenschaftlichung der Lehre. Lehrende, die nicht mehr forschen und sich auch nicht vermittelt in Forschungszusammenhängen bewegen, können zwar zu einer hohen Routine in Bezug auf das jeweilige "Handwerk" kommen, nicht jedoch die Studierenden an den Kern wissenschaftlichen Arbeitens heranführen und sie in Kontakt mit Forschung bringen. In vielen Fällen werden auf dem universitären Stellenmarkt reine Verwaltungs- und Koordinierungsstellen als Qualifikationsstellen in der Post-Doc-Phase verkauft, eröffnen jedoch aufgrund der Arbeitsinhalte kaum eine Perspektive in der Wissenschaft, allenfalls im Projektmanagement und Evaluationswesen. Auch hier stellt sich die Frage, ob es wünschenswert sein kann, diese Entwicklung voranzutreiben und es zugleich als gegeben zu betrachten, dass Forschung nur befristet sei.

Initiativen und Netzwerke

Die tradierte Orientierung an Normalarbeitsverhältnissen als Instrument gegen Atypisches und Prekäres passt sich auf einer realpolitischen Ebene zu stark an die schlechten Rahmenbedingungen an. Sie erscheint auf diesem Hintergrund als schematisch und kraftlos und sollte ersetzt werden durch ein Programm, das sich stärker auf die Gesamtsituation der Hochschule bezieht. Ansatzpunkte für ein solches Programm liefern nicht nur Studien, sondern auch die Forderungen der sich selbst organisierenden Betroffenen, die es an einigen Hochschulen in Deutschland gibt. Die Hochschule ist nicht mehr unbedingt ein gewerkschaftsfreier Raum und es bilden sich darüber hinaus auch nicht-gewerkschaftliche Netzwerke und Gruppen. An der Goethe-Universität hatte sich nach einem Organizing-Prozess eine GEW-Betriebsgruppe gegründet, die dem regelmäßigen Austausch und der Koordinierung der Aktivitäten in den Gremien, aber auch Protestaktionen dient. Die Studentischen und Wissenschaftlichen Hilfskräfte haben sich in einer "Hilfskraft-Initiative" zusammengeschlossen und stellen vor allem die Forderung in den Personalstand erhoben und in den Tarifvertrag der Stiftungsuniversität aufgenommen zu werden. Aus einer Selbstverpflichtungserklärung der Universität, die nach gewerkschaftlich unterstützten Protesten veröffentlicht wurde, lassen sich kleinere Zugeständnisse wie die Lockerung der Attestpflicht im Krankheitsfall herauslesen; nicht jedoch wird auf die Hauptforderung eingegangen. So endet die Selbstverpflichtungserklärung mit einer kritischen Stellungnahme der Hilfskräfte als letzter Absatz, die sich wie eine Protestnote liest: "Inhaltlich bringt die Selbstverpflichtung [...] keine reelle Verbesserung für die Hilfskräfte. Das Präsidium verpflichtet sich lediglich, das bestehende Recht einzuhalten, teilweise bleiben die weichen Forderungen der Selbstverpflichtung sogar hinter den gesetzlichen Bestimmungen zurück." (Zitat Zusatz der Selbstverpflichtungserklärung)

Auch die Zusage des Präsidiums Gelder als Zwischenfinanzierung für die Entfristung von Mittelbaustellen freizugeben, lässt sich schwer umsetzen, da hier nach dem Stellenplan vorgegangen und eine dauerhafte Finanzierung organisiert werden muss, was angesichts einer ohnehin knappen Ausstattung und nur zeitlich befristeter Finanzierungszusagen aus Hochschulpakt und QSL-Programm (QSL=Landesmittel zur Verbesserung der Qualität der Studienbedingungen und der Lehre) zunächst langwieriger Verhandlungen auf der Ebene der Fachbereiche bedarf. Man könnte bösartig dazu raten, nur die Stellen derjenigen zu entfristen, die bald in das Rentenalter kommen, damit die Finanzierung gesichert ist.

Um anschauliches Material zur Auseinandersetzung beizusteuern, sammelt die Betriebsgruppe der GEW an der Uni Frankfurt Fallbeispiele, zunächst im Themenfeld von befristet Beschäftigten mit Daueraufgaben, da hier die größten Aussichten auf eine Durchsetzung von Entfristungen bestehen. Dieses Konzept könnte jedoch noch ausgeweitet werden und Grundlage einer Studie über die Ausgestaltung von Arbeitsbiografien im universitären Kontext werden. Auf diese Weise könnte ein komplexeres Bild gezeichnet werden und zur Grundlage einer neuen Strategie werden, in der nicht nur die formalen Bedingungen geändert werden, sondern auch die Subjektivität der Atypischen und Prekären in diesem Bereich stärker zum Ausdruck kommen kann. In das Gesamtbild wären auch diejenigen aufzunehmen, die als Hilfskräfte, Lehrbeauftragte und "erwerbslose MitarbeiterInnen" Typisches im Atypischen verkörpern.


Regina Schleicher, Romanistin, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Schwerpunkte: Kulturwissenschaft; Didaktik der romanischen Sprachen; Medientheorie und -geschichte.

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