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Klaus Holzkamp

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Zwischen Arbeitszwang und Arbeitsverbot

28.07.2015: Wie das Aufenthaltsrecht den Arbeitsmarkt (de)reguliert

  
 

Forum Wissenschaft 2/2015; Foto: thomas koch / shutterstock.com

In der Debatte um Flucht und Migration spielt auch das Thema Arbeit eine wesentliche Rolle. Flüchtlinge und Migrant_innen sind Restriktionen unterworfen, die von Arbeitsverboten bis zur Arbeitspflicht reichen. Forderungen nach leichterem Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt sind inzwischen auch im herrschenden politischen Mainstream zu hören. Vorerst allerdings sind vor allem Flüchtlinge geradezu genötigt, ihren Lebensunterhalt in schwierigen und teils illegalen Arbeitsverhältnissen zu erarbeiten. Dies begünstigt die Verletzung von Arbeitnehmer_innen-Schutzrechten, wie Anna Basten und Birgitta Wodke kritisieren.1

Die Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse trifft immer mehr Menschen in Deutschland und Europa. Dabei lässt sich beobachten, dass Migrant_innen in besonderem Maße der Entwertung von Arbeitskraft ausgesetzt sind: In Deutschland beispielsweise erhalten hunderttausende Personen trotz Rechtsanspruch sehr geringen oder keinen Lohn. Viele Menschen ertragen Zwang und Gewalt im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse. Gängige Begriffe für diese Verhältnisse sind "(extreme) Arbeitsausbeutung", "Zwangsarbeit", "moderne Sklaverei" oder "Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung".2 Wenn wir - wie leider nicht alle Leute in Deutschland und Europa - davon ausgehen, dass kein Mensch Ausbeutung, psychische und physische Gewalt freiwillig dauerhaft in Kauf nimmt, müssen wir uns die Ursachen genauer anschauen. Was treibt Leute dazu, extrem ausbeuterische Arbeitsverhältnisse einzugehen und darin zu verbleiben? Welche Politik macht dies überhaupt möglich und wessen Interessen werden durch die derzeitige Migrations- und Arbeitsmarktpolitik gewahrt?

Schnittpunkt zwischen Arbeits- und Migrationsordnung

Zu diesen Fragen am Schnittpunkt zwischen Arbeits- und Migrationsordnung argumentieren wir folgendermaßen anhand von Beispielen:

  • Aufgrund ökonomischer Notwendigkeit und gesellschaftlicher Anerkennungsverhältnisse arbeiten Menschen - unabhängig von Herkunft bzw. Arbeitserlaubnis und Ausbildung bzw. "Qualifizierung".
  • Arbeitsmarkt- und migrationspolitisch begründete Arbeitsverbote und -zwänge wirken oft derart, dass Menschen auch vollkommen unbezahlte und gewaltvolle Arbeitsverhältnisse aushalten.
  • Arbeitnehmer_innen-Schutzrechte, darunter diejenigen, die durch die sogenannten Solidarsysteme gewährleistet werden könnten, gelten nicht für alle Personen.
  • Abhängig von Herkunft und Qualifikation werden Personengruppen mit (vermeintlich) unterschiedlichen Interessen konstruiert, z.B. "Deutsche Staatsbürger_innen", "EU-Büger_innen", "Drittstaats-Angehörige".
  • Diese Spaltungen liegen im Interesse konservativer/neoliberaler Wirtschaftspolitik.
  • Den menschenverachtenden Auswirkungen ist nur durch solidarische Aktion und Politik beizukommen: für freien Zugang zu Arbeit, Solidarsystemen und damit Arbeitnehmer_innen-Schutzrechten.
  • Dieser Beitrag ist zum einen durch Literatur informiert, zum anderen durch unser Erfahrungswissen aus der solidarischen Praxis in den Bereichen Beratung - Bildung - Wissenschaft - Politik am Schnittpunkt von Migration und Arbeitsrechten. Unser Einblick bleibt eingeschränkt, weil wir selbst vergleichbar große Reisefreiheit und hohe Arbeitsstandards genießen.

    Verletzlichkeit durch Verbote und Zwang

    Dass vor allem migrantische und mobile Beschäftigte extreme Ausbeutungsverhältnisse ertragen, liegt an konkreten Abhängigkeiten, die wir nachfolgend beispielhaft schildern. Sie entstehen oft aus staatlichen Vorgaben am Nexus von Arbeits- und Migrationsordnung, beispielsweise wenn lohnabhängigen Personen der Zugang zum Arbeitsmarkt verboten oder eingeschränkt wird. Des Weiteren bilden sie sich, wenn ein Vertrag von bestimmter Dauer oder ein Einkommen in bestimmter Höhe nachgewiesen werden muss, um den eigenen Aufenthalt zu verstetigen oder die Familie nachzuholen.

    Arbeitsverbot und eingeschränkte Arbeitserlaubnis

    Ayuba3 und Julio aus Nigeria befinden sich im laufenden Asylverfahren in Deutschland. Sie haben keine Arbeitserlaubnis. Von einem Subunternehmer, der im Abrissgewerbe tätig ist, werden sie und vier Kollegen vor ihrer Unterkunft für Asylsuchende angeheuert. Er verspricht einen Stundenlohn von zehn Euro. Die Männer arbeiten ungefähr neun Monate, teilweise unregelmäßig, je nach Anfrage durch den Unternehmer. Der Arbeitgeber zahlt jedoch nur Bruchteile des vereinbarten Lohnes, setzt einseitig den Lohn auf sechs Euro pro Stunde herunter, die er aber auch nicht immer zahlt. Wenn die Männer nachfragen, hält er sie hin, zahlt kleine Summen hier und da, behauptet, selbst noch kein Geld für den Auftrag erhalten zu haben.

    Ayuba und Julio versuchen mit Unterstützung des ehrenamtlichen Arbeitskreises Undokumentierte Arbeit4 von ver.di ihren Lohn einzufordern. Basierend auf dem Branchenmindestlohn stehen ihnen jeweils 3.000 beziehungsweise 3.700 Euro zu. Am Telefon erkennt der Subunternehmer nur einen Teil der ausstehenden Summe an, welche er aber verspricht zu zahlen. Nach wiederholten Anrufen und Ermahnungen durch den AK Undokumentierte Arbeit sowie Ayuba und Julio zahlt der Unternehmer beiden jeweils 300 Euro und meldet sich schließlich nicht mehr unter der angegebenen Nummer. Eine gültige Adresse, unter der er kontaktiert oder vorgeladen werden könnte, ist nicht zu finden.

    Diese Situation ist typisch, oft werden daneben die betrogenen Personen bedroht oder erfahren direkte Gewalt, wenn sie ihre Rechte gegenüber der_m Arbeitgeber_in einfordern. Die Migrationsprojekte und Beratungsstellen u.a. von Arbeit und Leben und von ver.di kennen Fälle aus allen möglichen Branchen (u.a. Hausarbeit, Bau, Hotel- und Gastronomiegewerbe). Asylsuchenden und Menschen mit dem Status einer Duldung ist es in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland gänzlich verboten zu arbeiten. Danach haben sie die Möglichkeit eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis zu bekommen - wenn in der sogenannten "Vorrangprüfung" nachgewiesen wird, dass es weder auf dem deutschen noch auf dem europäischen Arbeitsmarkt eine "erstberechtigte" Person für die spezielle Stelle gibt. In der Praxis ist es also weiterhin fast unmöglich eine angemeldete Beschäftigung zu finden. Wird die Vorrangprüfung "bestanden", muss die Arbeitserlaubnis bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Sie gilt nur für die eine spezifische Stelle.

    Erst nach eineinhalb Jahren Aufenthalt in Deutschland können Asylsuchende und Geduldete ohne diese Einschränkungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt Beschäftigung suchen.

    Geflüchtete mit einem Aufenthaltstitel in einem anderen europäischen Land haben i.d.R. keinen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.5

    Das heißt, in der Realität ist es für Geflüchtete nahezu unmöglich, eine legale Beschäftigung auszuüben. Die meisten Menschen wollen und müssen aber arbeiten, um zu überleben, um ihre Familien zu unterstützen und um nicht krank zu werden. Arbeit ist wichtiger Teil gesellschaftlicher Anerkennung. Dies zwingt Personen mitunter, bewusst schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung einzugehen. Sie arbeiten undokumentiert, nicht weil - wie gerne behauptet wird - sie keine Steuern zahlen möchten (dieses Interesse findet sich eher auf der Arbeitgeber_innen-Seite), sondern weil sie keine Wahl haben. Die Vorstellung, sie durch Arbeitsverbote daran hindern zu können, ist irreal. Was Arbeitsverbote tatsächlich bewirken, ist, dass geflüchtete Personen einem höheren Risiko ausgesetzt sind, in besonders ausbeuterische Arbeits- und Lebensverhältnisse zu geraten, aus denen heraus sie nur schwer ihre Rechte einfordern können.

    Die Situation von EU-Bürger_innen

    Für Personen mit der Staatsbürgerschaft eines EU-Landes, die nach Deutschland kommen, sind die Verletzlichkeiten auf dem Arbeitsmarkt anders gelagert. Für viele Länder wurde die Freizügigkeit über Jahre hinweg eingeschränkt, das heißt sozialversicherungspflichtige Jobs waren größtenteils versagt, während (Schein-)Selbstständigkeit, Leiharbeit, Saisonarbeit und andere Formen der super-prekären Beschäftigung erlaubt waren. Während sich rumänische und bulgarische Staatsbürger_innen inzwischen reguläre Anstellungen suchen können, ist nun für kroatische Staatsbürger_innen die Freizügigkeit eingeschränkt.6 Daneben steht ihnen und auch allen anderen seit Dezember 2014 für die Arbeitssuche eine verkürzte Zeit7 zur Verfügung. Finden sie keine Arbeit, soll ihnen verstärkt ihre Freizügigkeit aberkannt, d.h. sie sollen abgeschoben werden. In den vergangenen Jahren gewähren daneben Jobcenter sehr restriktiv Zugang zu Sozialleistungen. Auch wenn dieser Ausschluss von EU-Bürger_innen von Sozialleistungen und von der europäischen Freizügigkeit noch nicht in Zement gegossen ist - auf verschiedenen Ebenen stehen die Gesetzgebung und die Praxis der deutschen Jobcenter vor Gericht - wirkt er ganz praktisch: Furcht vor Abschiebung und ökonomische Notwendigkeit zwingen Leute, jede Art von Arbeit anzunehmen, die sich bietet. Das wissen Vermittlungs- und Verleihfirmen, Vorarbeiter_innen und Arbeitgeber_innen auszunutzen. Oft müssen sie keine direkten Zwangsmittel anwenden, um Leute unbezahlt für sich arbeiten zu lassen.

    Ein Beispiel: Acht Personen aus Bulgarien arbeiten als Leiharbeiter_innen für eine Getränkefirma. Nachdem sie während zwei bzw. drei Monaten nur die Hälfte des vereinbarten Lohns erhalten, wenden sie sich an eine Beratungsstelle des XENOS-Projektes Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung.8 Daraufhin kündigt der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag mit der Begründung "Arbeitsverweigerung". Damit sie die rechtswidrige Kündigung unterschreiben, übt der Arbeitgeber Druck auf die Kolleg_innen aus. In der Beratung berichten sie auch, dass der Arbeitgeber ohne ihre Vollmacht Konten in ihrem Namen eröffnete, Kontokarten und Unterlagen jedoch einbehielt. Die Beraterin begleitet die mittellosen Kollegen zum Jobcenter, um SGBII-Leistungen zu beantragen. Dort nimmt eine Sachbearbeiterin die Anträge an, um die Ansprüche zu prüfen. Ein anderer weigert sich jedoch so lange, bis die Beraterin den Abteilungsleiter hinzuzieht. Der Sachbearbeiter argumentiert, die Dauer der Beschäftigung reiche für die Leistungen nicht aus und die Kündigung wegen "Arbeitsverweigerung" sei selbstverschuldet. Während die Beraterin auf dem Gang wartet, hört sie zufällig mit, wie sich Sachbearbeiter_innen über die Ratsuchenden, mit denen sie gekommen ist, auslassen: Die Bulgar_innen seien nur in Deutschland, um Sozialleistungen zu bekommen.

    An diesem Beispiel wird deutlich, wie perfide Kampagnen und Gesetzesänderungen sind, die Zuwanderer_innen von Sozialleistungen ausschließen. Gezielt wird der falsche Eindruck erweckt, dass massenhaft Personen nur nach Deutschland kämen, um sich von "unseren Sozialversicherungsbeiträgen" ein schönes Leben zu machen. Wurde zur Durchsetzung der Hartz-Gesetze erfolgreich die Angst vor "Sozialschmarotzer_innen" geschürt, werden nun wie in den 1990ern wieder rassistische Ressentiments mobilisiert, um den Ausschluss und die Kürzung von Sozialleistungen für Menschen aus dem Ausland zu rechtfertigen.

    Gesellschaftliche Funktion von Arbeit und Solidarsystemen

    In seiner Funktion als Solidarsystem soll der Sozialstaat jede_n Einzelne_n vor den Risiken der Erwerbslosigkeit schützen sowie auch alle Lohnabhängigen - gesamtgesellschaftlich - vor der Entwertung von Arbeitskraft. Fällt eine Vielzahl von Personen aus diesem System heraus, funktioniert es nicht mehr.

    Nun werden Menschen jedoch entlang von Herkunft und Qualifikation in "Gruppen" mit unterschiedlichen Zugängen zu Arbeit und Solidarsystemen eingeteilt. "EU-Bürger_innen", "Deutsche Staatsbürger_innen", sogenannte "Drittstaatler_innen": In den Diskursen und Zugängen zu Rechten und Ressourcen werden sie als natürlich gegebene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen dargestellt. Doch bestehen diese Gruppen erst durch ihre unterschiedlichen Rechte, Handlungs- und Bewegungsspielräume. Dabei ist die Spaltung von Arbeitnehmer_innen in Menschen mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen im Sinne neoliberal-kapitalistischer Wirtschaft. Denn wo Arbeitnehmer_innen sich nicht mehr solidarisch verhalten (können), bricht sich die Entwertung von Arbeitskraft ungebremst Bahn. Sie läuft weiter bis hin zu Arbeitsverhältnissen, aus denen Menschen sich selbst nicht mehr befreien können. Und vieles deutet darauf hin, dass Personen in Zwangsverhältnissen oftmals nicht als Opfer von Rechtsverletzungen wahrgenommen werden, sondern als Täter_innen. Migrant_innen, die zu schlechten Bedingungen und geringer Bezahlung arbeiten, werden oft als Konkurrenz und "Lohndrücker" dargestellt und strafverfolgt. So erleben sie oft erneute Diskriminierung, Stigmatisierung und Rechtsverletzung.9

    Gesellschaftliche Rahmenbedingungen - wer profitiert (bewusst oder unbewusst)?

    Selbstverständlich entstehen die oben beschriebenen Arbeitsverhältnisse nicht im luftleeren Raum. Es gibt all jene, die davon profitieren und die akzeptieren, dass diejenigen, die vermeintlich nicht dazugehören, die schlechtere Arbeit erledigen, die allerdings oft völlig grundlegend ist. Viele wollen oder müssen billig essen (gehen), die Eltern pflegen lassen, unliebsame Hausarbeit abgeben. Und viele fragen nicht danach, wer ihre Büros, Hotelzimmer und öffentlichen Räume sauber hält. Es wirken all die (gefühlten, aber nicht weniger realen) Zwänge und Diskurse, die Menschen davon abhalten, sich gegen solche Verhältnisse zu wehren.

    Die entstehende Wechselwirkung kommt konservativen und neoliberalen politischen und ökonomischen Kräften zugute: Die Verbote im Arbeitsbereich hemmen das tatsächliche Ankommen und die Möglichkeit zu bleiben. Die beschriebenen Ausschlüsse von Arbeitnehmer_innen-Schutzrechten produzieren äußerst billige Arbeitskräfte. Die prekäre Lebenslage der Betroffenen erschwert ihnen zudem die politische Organisierung, was ebenfalls im Sinne derjenigen ist, die von der billigen Arbeitskraft profitieren.

    Versuche der Neuordnung? Geflüchtete als "Potenzial" für die deutsche Wirtschaft

    Gleichzeitig mit diesen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Einschränkungen gibt es immer wieder Anstöße, die vermeintlich in eine andere Richtung weisen. Der Arbeitsmarktzugang für "qualifizierte Flüchtlinge" soll erleichtert werden, um deren "wirtschaftliches Potenzial zu nutzen". So z.B. im Rahmen des Modellprojekts "Jeder Mensch hat Potenzial - Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern"10 des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und der Bundesagentur für Arbeit. Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer möchte das "Arbeitskräftepotenzial unter Flüchtlingen" besser nutzen.11 Die politischen Parteien diskutieren Vorschläge zu einem Punktesystem nach dem Beispiel Kanadas, in dem die Chance zur Einwanderung durch die Vergabe von Punkten bestimmt wird. Ein solches System soll es erlauben, die Einwanderung je nach Bedarf an Arbeitskräften zu steuern.12 Selbst die Antwort der progressiveren Kräfte auf rassistische Kampagnen bleibt der ökonomistischen Logik verhaftet und beweist immer wieder durch verschiedene Rechnungen, wie viel Migrant_innen volkswirtschaftlich leisten.

    Doch die selektive Öffnung des Arbeitsmarktes ändert nichts an der gesellschaftlichen Ausgrenzung aller anderen, die die Kriterien nicht erfüllen. Abgesehen davon, dass diese Herangehensweise die Bedürfnisse der Wirtschaft in den Vordergrund stellt und nicht die Bedürfnisse und Rechte der geflüchteten Personen, birgt sie keine Lösung für die sogenannte "Flüchtlingskrise".

    Fazit

    Anhand von Fallbeispielen haben wir die besonderen Zwänge aufgezeigt, denen viele migrantische und mobile Lohnabhängige auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterliegen. Aus aufenthaltsrechtlichen Einschränkungen und Verboten und sozialrechtlichen Ausschlüssen entstehen Abhängigkeiten, die Arbeitgeber_innen, Vermittler_innen und Konsument_innen nutzen, um schlechte Arbeitsbedingungen auch gegen den Willen der betroffenen Personen durchzusetzen.

    Der Zugang zu Arbeitsmarkt und Solidarsystemen bedeutet nicht nur wirtschaftliche Absicherung, sondern auch Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe. Das Vorenthalten dieses legalen Zugangs verweigert den Betroffenen die Möglichkeit auf ein menschenwürdiges und soziales Leben; es verhindert aber nicht, dass sie arbeiten. Arbeitsverbote schließen nicht von Arbeit aus, sie schließen von Rechten aus und von den Möglichkeiten, Rechte durchzusetzen. Die tatsächliche Wirkung von Arbeitsverboten sowie dem Ausschluss aus Solidarsystemen ist daher vielmehr die Ausgrenzung bestimmter Personen aus der Gesellschaft.

    Diese Ausgrenzung und ihre Effekte sind politisch gewollt, sie entsprechen konservativem, rassistischem und neoliberalem Gedankengut. Bestimmte Menschen sollen nicht Teil unserer Gesellschaft sein, sie sollen daran gehindert werden, hier anzukommen und sich eine Existenz aufzubauen. Die prekäre Situation, die für diese Menschen hergestellt wird, nützt indes denjenigen, die von billiger Arbeit profitieren.

    Ökonomistische Ansätze, die beispielsweise das "wirtschaftliche Potenzial" von Personen mit Fluchterfahrung in den Vordergrund stellen, werden nicht verhindern, dass Menschen sich gezwungen sehen oder wünschen, in Europa nach Alternativen zu suchen - und zwar unabhängig von Herkunftsland und Qualifizierung. Solange sie von Arbeit und Solidarsystemen ausgeschlossen sind, werden sie in extrem ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gedrängt.

    Dies verletzt die Rechte und Würde der Betroffenen und macht darüber hinaus die sogenannten "Solidarsysteme" wirkungslos: Als Schutz der Lohnabhängigen funktionieren sie nur, wenn tatsächlich alle Betroffenen dadurch abgesichert sind. Arbeitnehmer_innen und Gewerkschaften dürfen eine Logik der Spaltung nicht übernehmen. Die Entwertung von (migrantischer) Arbeitskraft ist ein Angriff auf uns alle; ihr kann nur durch solidarische Kämpfe entgegnet werden.

    Anmerkungen

    1) Ein Teil dieses Artikels erschien unter dem Titel "Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung - wo stehen wir?" in: Welcome to Germany IV, Heimatkunde - Migrationspolitisches Portal der Heinrich Böll Stiftung, 2014.

    2) Auch wenn sprachliche und die hier beschriebenen Probleme eng zusammenhängen, verweisen wir für die Diskussion der Begrifflichkeiten, beispielsweise zu "Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung" (§233 StGB) auf Eva Bahl / Marina Ginal 2012: "Von Opfern, Tätern und Helfer(innen) - Das humanistische Narrativ und seine repressiven Konsequenzen im Europäischen Migrationsregime", in: Netzwerk MiRa (Hg.): Kritische Migrationsforschung? Da kann ja jedeR kommen, Online-Publokation: 201-217.

    3) Namen wurden geändert.

    4) Der Arbeitskreis Undokumentierte Arbeit in Berlin berät und unterstützt Kolleg_innen, die ohne gültige Dokumentation gearbeitet haben. Er ist Teil des Netzwerkes Migration und Arbeit MigrAr. URL:www.aktiv-gegen-diskriminierung.info/blog/verdi-ak-undokumentierte-arbeit, 11.05.2015.

    5) Vgl. Asma Sarraj-Herzberg, "Arbeitsverbot für Geflüchtete", 29. September 2014, heimatkunde.boell.de/2014/09/29/arbeitsverbot-fuer-gefluechtete(5.5.2015).

    6) Für Kroatien gilt die eingeschränkte Freizügigkeit voraussichtlich bis 30. Juni 2020.

    7) EU-Bürger_innen dürfen sich drei Monate lang zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Nach Ablauf der drei Monate kann die Ausländerbehörde verlangen, dass die Aussicht auf Arbeitsaufnahme nachgewiesen wird. Siehe auch: Ronald Reimann: "Aufenthaltsrecht und Sozialleistungen für Unionsbürger und -bürgerinnen sowie ihre Familienangehörigen": 3; www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Reimann_ FreizuegG_Feb_2015.pdf(11.05.2015).

    8) Das von Arbeit und Leben Berlin e.V. koordinierte Projekt mit unterschiedlichen Netzwerkpartnern ist dem Aufbau von Unterstützungsstrukturen verschrieben für Personen, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses Opfer von Zwang und Täuschung werden. URL: www.buendnis-gegen-menschenhandel.de(11.05.2015).

    9) Siehe auch: Basten und Wodke 2014: "Arbeitsausbeutung und Menschenhandel als Folgen von Diskriminierung", in Gegenblende, 6.1.2014. www.gegenblende.de/++co++bf254fba-77b9-11e3-9d79-52540066f352(3.5.2015).

    10) BAMF: www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2014/20140403-mensch-potenzial.html(30.4.2015).

    11) Reuters: de.reuters.com/article/domesticNews/idDEKBN0N00U820150409(30.4.2015).

    12) Zeit online, 3.3.2015: www.zeit.de/politik/deutschland/2015-03/thomas-oppermann-einwanderungsgesetz-spd-punktesystem(30.4.2015).


    Anna Basten ist Sozial- und Politikwissenschaftlerin und arbeitet freiberuflich in Projekten zu Migration und Geschlechtergerechtigkeit. Zudem engagiert sie sich ehrenamtlich im Arbeitskreis Undokumentierte Arbeit bei ver.di (Berlin). Birgitta Wodke hat Politikwissenschaft, Literatur und Anthropologie in Berlin und Buenos Aires studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Arbeit und Leben Berlin e.V. im XENOS-Projekt "Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung" und koordiniert das transnationale Netzwerkprojekt "UnionMigrantNet" des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Deutschland. Freiberuflich bietet sie Seminare für politische Bildung an.

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