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Klaus Holzkamp

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Bildung im digitalen Zeitalter

12.02.2015: Online statt Präsenzvorlesungen?

  
 

Forum Wissenschaft 4/2014; Foto: Rawpixel / shutterstock.com

Die Lehre hat das digitale Zeitalter erreicht. So wie das Handy nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist, so kann man sich die Universitäten inzwischen kaum ohne E-Learning vorstellen. Vorlesungen werden mit Power Point-Präsentationen begleitet und gefilmt. Mit dem Internet hat sich ein Teil der Lehre zunehmend in den virtuellen Raum verlagert. Angefangen von Wikis über Teleteaching bis hin zu dem neu aufkommenden Trend der Massive Open Online Courses - kurz MOOCs. Sarah Bioly fragt: Ist das der Anfang einer Bildungsrevolution?

Vor rund 60 Jahren schrieben SchülerInnen noch auf Schiefertafeln, heute nutzen sie Tablets und Laptops. Nina W., Lehramtstudentin im 14. Semester an der LMU München, erzählt: "Es ist eine ungeheure Erleichterung Texte nicht mehr ausdrucken zu müssen. Statt dem Skript auf Papier, hat man es jetzt elektronisch in der Tasche. Und wenn man etwas nicht verstanden hat, kann man schnell im Internet nachschauen."1 Dafür bietet das Netz einen großen Pool an Open Educational Ressources (OER) - frei zugängliche Seiten, wie beispielsweise Wikis. Diese gibt es inzwischen an mehr als einem Drittel der deutschen Hochschulen. Die Idee dahinter: Unterschiedliches Wissen wird gesammelt, online gestellt und somit anderen weitergegeben. Jeder kann zur Entstehung dieser kollektiven Intelligenz direkt am Webbrowser mitwirken. Er kann Einträge ergänzen, korrigieren oder neue aufsetzen.

"Vor allem zur Prüfungsvorbereitung ist das Internet hilfreich," erklärt Nina W.: "Eine enorme Erleichterung bringen dabei die online gestellten Power Point Präsentationen und die abgefilmten Vorlesungen der Universitäten."2 Wozu dann noch den weiten Weg zur Hochschule fahren? 80 Prozent der Studierenden gehen trotzdem regelmäßig zur Uni. Die Interaktion untereinander ist eben nur dort "live" möglich.

Das Internet bietet aber auch gerade die Basis für mehr Kommunikation in der Präsenzlehre. In Flipped Classrooms bereiten sich die Studierenden mit Online-Vorträgen auf die Seminare vor. Dadurch wird im Unterricht selbst mehr Raum geschaffen für Fragen, Erklärungen und Diskussion.

Das Netz als Vernetzung

Macht aber die zusätzliche Existenz von Diskussionsforen Universitäten nicht überflüssig? In Learning Communities kann man über verschiedenen Themen diskutieren. Selbst Hochschulen bieten solche Plattformen an. Der Dozent wird also nicht im Seminar, sondern online kontaktiert und kann so noch offene Fragen beantworten. Allerdings werden auch die elektronischen Lerngruppen als Ergänzung, nicht als Ersatz gesehen.

Meistens wird die Kommunikation durch das Internet nur dann genutzt, wenn der persönliche Kontakt nicht möglich ist. Also bei der geographischen Trennung von Lehrkräften und Studierenden oder bei einem Online-Vortrag im Internet.

Studieren im virtuellen Hörsaal

Studieren kann man auch "live" im Internet. In virtuellen Hörsälen ist der Dozent allen TeilnehmerInnen zur selben Zeit in Bild und Ton präsent. Die Studierenden melden sich per Mausklick, so dass der Kursleiter ihnen das Wort erteilen kann. Neben Chats und einem E-Mail-Austausch ist so mittels Webcam und Headset die Kommunikation möglich. Die Teilnahme an Seminaren geht dann bequem von zu Hause aus. Kombiniert mit den Learning Communities wird so durch die Hörsäle ein virtuelles Studentenleben erschaffen.

Gerade im Fernunterricht gleichen die virtuellen Hörsäle den mangelnden persönlichen Kontakt untereinander aus. Dafür wird allerdings ein Teil der Flexibilität eingebüßt. Auch im virtuellen Hörsaal wird schließlich die Anwesenheitspflicht vorausgesetzt.

Verlagert sich die Lehre also in den virtuellen Raum, ist auch eine zunehmende umfangreiche technische Bildung der TeilnehmerInnen sowie des Dozenten notwendig. Mit den aufwachsenden Generationen als "Digital Natives" ist durchaus eine höhere Nutzung von digitalen Medien denkbar.

Eine neue Form der Lehre

Im Internet findet man bereits Vorlesungen - weltweit und zum Nulltarif! Die Bildungsreform des 21. Jahrhunderts? Es wurde prophezeit, dass MOOCs den langen utopischen Traum von demokratischer Bildung realisieren würden, so David Robinson, Senior-Berater von Educational International.3 Distanzprobleme und Studiengebühren sollten eliminiert werden. Anstatt die schweren Hochschultüren aufzustoßen, öffnet man nun mit einem Mausklick Online-Vorträge.

Die Idee: Bildung soll für jeden zugänglich sein - unabhängig von sozialem Status, Nationalität oder Wohnort. Vor drei Jahren hielt Sebastian Thrun, Gründer der privaten Online-Akademie "Udacity", das Web-Seminar "künstliche Intelligenz". 160.000 Studenten und Studentinnen verfolgten die Worte des Professors über das Internet mit. Die Geburtsstunde der MOOCs.

cMOOCs oder xMOOCs?

Zum Konzept gehört auch die Vernetzung von Studierenden untereinander. Vor allem cMOOCs (connectivism MOOCs) legen den Schwerpunkt auf die eigenverantwortliche Organisation in Lerngruppen. Als Impuls werden anfangs Videos und Texte als Ressourcen zur Verfügung gestellt. Das Fortbestehen des Kurses liegt allerdings allein in der Hand der Teilnehmenden. Sie können das Material erweitern, kommentieren oder diskutieren.

Unter die klassischen xMOOCs (extension MOOCs) fallen dagegen Online-Videos und Vorträge. Mit einer Prüfung in Form eines Quiz oder einer - von anderen Studierenden - korrigierten Hausarbeit erinnern sie an Lehrveranstaltungen von Hochschulen. Auch das Zertifikat nach erfolgreichem Abschluss des Kurses weist eine gewisse Ähnlichkeit zum Charakter der Universitäten auf.<X>

Trotzdem sind Studierende nicht die typischen Teilnehmer der MOOCs. Attraktivität üben die Online-Kurse vor allem auf die gebildeten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus, denn MOOCs lassen sich flexibel an ihre Zeitpläne anpassen.

@ZU3 = Die angekündigte Bildungsrevolution - eine Illusion?

Hinter den Hymnen über MOOCs verbergen sich hohe Abbruchraten von rund 90 Prozent. Wo liegen die Gründe, wenn durch die Flexibilität doch gerade das Gegenteil erreicht werden soll? BefürworterInnen der Online-Kurse finden die Antworten in den Absichten und Zielen der Teilnehmenden. Viele sehen die ersten Vorträge als Schnupperkurse in verschiedenen Themenbereichen. Andere streben einen Abschluss mit Zertifikat gar nicht an.

KritikerInnen hingegen geben die Schuld der mangelnden Qualität von MOOCs. Die Online-Kurse ermöglichen zwar eine unbegrenzte Zahl an Teilnehmenden mit der Intention, Bildung einer breiten Masse zugänglich zu machen. Dass die breite Masse aber kein einheitliches Vorwissen besitzt, wird im Rahmen der angebotenen Bildung ignoriert. Schon allein die englische Sprache in den Online-Vorträgen kann ein unüberwindbares Hindernis darstellen. Anstatt die Schere zwischen Entwicklungs- und Industrieländern zu schließen läuft man Gefahr, ein weiteres Auseinanderdriften auszulösen. Regionale Bildungsstandards können eben nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen werden.

Das Fernstudium als eine Summe von MOOCs?

Die Nutzung von digitalen Medien zur Vermittlung von Lehrinhalten - wie etwa MOOCs oder das durch Medien unterstützende E-Learning - wird von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) durchaus befürwortet, allerdings bedürfe es noch zusätzlichen Feintunings.4 Eine mögliche Weiterentwicklung ist die Bestrebung Sebastian Thruns, einen kompletten Online-Informatikstudiengang zu entwickeln. Ähnlich wie im klassischen Fernstudium wäre dann eine Anwesenheit vor Ort nicht mehr nötig.

Neben dieser Parallele gibt es aber auch deutliche Unterschiede. Wichtigster Punkt: Die Qualität. "Ein Fernstudium bietet ein ganzheitliches Konzept, einschließlich der Betreuung der Lernenden, und führt zu einem anerkannten Abschluss"5, betont Johanna Maiwald, Referentin für Strategie und politische Kommunikation an der FernUniversität in Hagen. Wenn nicht nur hoch motivierte Studierende als Zielgruppe gelten sollen, müssen ergänzende Elemente eingeführt werden. Dass einige pädagogische Fragen über die Effizienz von MOOCs noch ungeklärt sind, sieht David Robinson ebenso. Zum Beispiel gibt es gar keine oder nur geringe Interaktion mit den Lehrenden.6

Auch Sebastian Thrun erweiterte seine Kurse durch ein Mentoren-Programm und eine 24-Stunden-Hotline. Dieses sogenannte Premium-Paket muss aber gegen Bezahlung dazu gebucht werden.

MOOCs als Sparinstrument

An diesem Punkt wird das Grundproblem sichtbar: Die Herstellung von MOOCs benötigt Zeit und Geld, soll aber jedem kostenlos zugänglich sein. AkademikerInnen beschweren sich über die Forderungen, Kurse ohne Entschädigung des Zeitaufwands zu produzieren - bislang gibt es keine Anrechnung auf das Lehrgehalt. Auf der anderen Seite soll Bildung frei sein, damit sie nicht nur Privilegierten offen steht. Es besteht somit die Gefahr, zwei Arten von Universitäten zu kreieren: Eine, in der Studierende eine eigene Lehrkraftberatung und individuelle Unterstützung bekommen und eine, in der Vorträge nur über das Internet zugänglich sind. In der San Jose State University verweigerten Professoren die Aufnahme eines Philosophie-Online-Kurses in ihr Lernprogramm, um nicht als Katalysator für ein mehrstufiges Bildungssystem zu fungieren.

Ein Dilemma, dessen Lösung in den Aufgabenbereich des Staates fällt. Allerdings hängt die Gefahr, dass Regierungen in MOOCs eine willkommene Chance zur Personalreduktion und somit Kostenersparnis sehen, als Damoklesschwert über den Hochschulen. Kommerzielle Anbieter besitzen bereits einen vorhandenen Businessplan. Sie überzeugen Regierungen, dass die Kosten von Bildung zu hoch sind um sie selbst zu tragen. Dann bieten sie die Lösung an: Die offizielle Erlaubnis, lizensierte Verträge mit Bildungsinstitutionen zur Entwicklung und Bereitstellung von Online-Kursen gegen Bezahlung einzugehen. Mit 100.000 Studierenden oder mehr in einem Kurs muss man nur eine relativ bescheidene Gebühr berechnen, um Profit zu generieren. Viele PolitikerInnen sehen Online-Kurse als willkommene Lösung, um staatlicher Geldnot zu begegnen. Doch MOOCs als Sparinstrument angesichts der Schuldenbremse würde für die Bildung einen enormen Rückschritt an Qualität bedeuten.

MOOCs

- Ja oder Nein?

"Massive Open Online Courses bereichern durchaus die Bildungslandschaft", das ist für Johanna Maiwald klar. Aber auch, dass "eine Fernuniversität noch einmal etwas ganz anderes ist."7 Auch David Robinson ist der Meinung, MOOCs als potentielle Ergänzung, nicht als Ersatz von bewährten Lehr- und Lernpraktiken zu sehen.8

Außerdem sind noch viele Fragen ungeklärt: Sollen bei der universitären Nutzung private oder hochschulinterne Angebote verwendet werden? Wird es Credit Points für die Teilnahme an Online-Kursen geben? Wie können Plagiate und Identitätsbetrug vermieden werden?

Die angekündigte Bildungsrevolution hat sich auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben. MOOCs haben dafür den Anstoß geliefert und E-Learning wieder mehr in den Fokus gerückt.

Anmerkungen

1) Interview der Autorin mit Nina Waetke, geführt am 20.10.2014.

2) Ebenda.

3) Interview der Autorin mit David Robinson, geführt am 08.07.2014.

4) Hochschulrektorenkonferenz: Beschluss des 127. HRK-Senats am 24.6.2014, <a href = "http://www.hrk.de/positionen/gesamtliste-beschluesse/position/convention/hrk-positionspapier-zu-moocs-im-kontext-der-digitalen-lehre/ ">www.hrk.de/positionen/gesamtliste-beschluesse/position/convention/hrk-positionspapier-zu-moocs-im-kontext-der-digitalen-lehre/(18.11.2014)

5) Interview der Autorin mit Johanna Maiwald, geführt am 07.07.2014.

6) Interview der Autorin mit David Robinson, geführt am 08.07.2014.

7) Interview der Autorin mit Johanna Maiwald, geführt am 07.07.2014.

8) Interview der Autorin mit David Robinson, geführt am 08.07.2014.


Qualität ist teuer. Das zeigt das Förderprogramm an der TUM. Mit 250.000 Euro wurden bisher drei hochwertige MOOCs durchgeführt und zwei weitere werden aktuell erstellt. Dabei ist sowohl die pädagogisch-didaktische Beratung und technische Unterstützung bei deren Produktion miteingeschlossen.

Lohnt sich der Aufwand zur Erstellung von MOOCs bei solchen Zahlen überhaupt? Die Rückmeldungen der Beteiligten bejahen die Frage. Die Lehre wird reflektiert und neue innovative Ideen werden entwickelt. Gerade seit Studiengänge durch den Bachelor weniger flexibel geworden sind, kann das E-Learning wieder einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung bringen.

Zum anderen kann das entwickelte digitale Lehrmaterial auch in der grundständigen Lehre eingesetzt werden. Zwei Professoren an der TUM nutzen ihre Videos bereits in einem Flipped Classroom-Szenario. Die Anrechnung der erbrachten Leistungen in MOOCs ist allerdings auch an der TUM noch in der Diskussion.

Elvira Schulze, Beraterin bei der Erstellung von MOOCs, betont, dass im Grunde keine negativen Erfahrungen zu verzeichnen sind. Sowohl die Resonanz der Studierenden wie der Professoren war durchwegs positiv. Vor allem die gute Kommunikation der MOOC-TeilnehmerInnen untereinander empfand Elvira Schulze als Erfolg.1

Anmerkung

1) Interview der Autorin mit Elvira Schulze, geführt am 03.11.2014.


Sarah Bioly studiert an der LMU München Philosophie und Soziologie.

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