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Klaus Holzkamp

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Gerechtigkeit für Opfer rassistischer Gewalt

01.01.2014: Juristische Verfahren als Weg der Anerkennung

  
 

Forum Wissenschaft 4/2013; Foto: stm/Photocase

Mit dem Münchener "NSU-Prozess" ist rassistische Gewalt wieder verstärkt in den öffentlichen Fokus gerückt. In der Debatte geht es nicht nur um die mutmaßlichen Täter und ihr engeres Umfeld, sondern auch um ein gesellschaftliches Klima, das den "Rassismus der Mitte" ebenso umfasst wie strukturelle Diskriminierungen, die das Handeln von Behörden und Institutionen beeinflussen - nicht zuletzt bei Polizei und Justiz. Damit konfrontiert sind vor allem die Opfer und die sie unterstützenden Beratungsstellen. Dennoch kann der Weg zum Gericht sinnvoll sein, wie Gesa Köbberling begründet - kann damit doch die Anerkennung der Opfer unterstützt werden.

Am 6. Mai 2013 wurde mit großer Medienaufmerksamkeit der sogenannte "NSU-Prozess" eröffnet, in dem die rassistischen Morde an Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kili, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat aufgeklärt werden sollen. Die Morde liegen viele Jahre zurück. Die polizeilichen Ermittlungen nach den Taten waren mangelhaft: Von rassistischen Vorannahmen geleitet, führten Ermittlungsansätze durchgängig in falsche Richtungen, vorhandene Spuren zu den TäterInnen wurden konsequent abgebrochen. Eine umfassende Aufklärung der Taten ist aus diesen Gründen nicht zu erwarten. Dennoch ist das Verfahren ungeheuer wichtig. Die Angehörigen der Ermordeten haben ein Recht darauf, dass alles unternommen wird, die Hintergründe der Morde und des Versagens der Ermittlungsbehörden aufzuklären. Es geht um eine späte Anerkennung.

Anerkennung des Leids, Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung sind weltweit Forderungen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen. Es geht zum Beispiel um die Anerkennung der Verbrechen der Apartheid in Südafrika, den Kampf gegen die Straflosigkeit und das Vergessen der Verbrechen in Chile während der Militärdiktatur, in Kambodscha oder in den Jugoslawien-Kriegen. Die juristische Aufarbeitung, die Suche nach Wahrheit und Anerkennung und damit die Entprivatisierung des Leids wird als wichtige Voraussetzung zur Heilung der Wunden beschrieben1.

Angebote der Opferberatungen

Auch in der Praxis der Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt nehmen Fragen um die juristische Aufarbeitung von Gewalttaten eine wesentliche Rolle ein. Der Bezug auf die juristische Ebene ist allerdings vielschichtig und teilweise widersprüchlich. Meine Überlegungen hierzu sind Teil eines subjektwissenschaftlichen Praxisforschungsprojektes2, welches darauf zielt, Handlungsmöglichkeiten und -begrenzungen einer Praxis herauszuarbeiten, die individuelle Unterstützungsarbeit und eine politische Veränderungsperspektive gleichzeitig umzusetzen versucht. Ich beziehe mich auf die Arbeit der Opferperspektive, die seit 1998 Opfer rechter und rassistischer Gewalt in Brandenburg unterstützt3.

Die Beratung und Unterstützung bezüglich juristischer Handlungsmöglichkeiten nach rechten und rassistischen Angriffen ist ein wesentlicher - aber keineswegs alleiniger - Bestandteil der Beratungspraxis: Nach einem rechten oder rassistischen Angriff besprechen die Beratende mit den Betroffenen, ob diese eine strafrechtliche Verfolgung wünschen und welche Interessen und Erwartungen sie im Hinblick auf ein Gerichtsverfahren haben. Sie erläutern und diskutieren mit den Ratsuchenden rechtliche Möglichkeiten, z.B. die Möglichkeit der Nebenklage. Bei Bedarf stellen Beratende Kontakt zu kompetenten AnwältInnen her und suchen ggf. nach Finanzierungsmöglichkeiten für diese. Beratende begleiten die Betroffenen (wenn gewünscht) bei der Anzeigenstellung sowie bei den Prozessterminen und kümmern sich - in manchen Fällen - um prozessbegleitende Pressearbeit. Über den gesamten Prozessverlauf bleiben Beratende mit den Betroffenen in Kontakt, um ggf. Unsicherheiten und Fragen zu klären und um sicherzustellen, dass bei allen Schritten die Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden.

In der Begründung dieser einzelnen Unterstützungsangebote der Beratungsstellen lassen sich grob zwei unterschiedliche Linien ausmachen: Zum einen werden gerichtliche Verfahren als Mittel genutzt, um die Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus und "Rechtsextremismus"4 zu fördern. Die Arbeit der Beratungsstellen zielt in dieser Begründungslinie darauf, Gerichtsverhandlungen auch als politisches Mittel möglichst effektiv zu nutzen. Durch die Zusammenarbeit mit engagierten NebenklageanwältInnen und eine gute Vorbereitung der Gerichtsverfahren, können ggf. Ermittlungslücken der Polizei möglichst frühzeitig erkannt und Fälle besser aufgeklärt werden. Der rassistische und/oder rechte Hintergrund der Tat wird in den Prozessen thematisiert. Mit gerichtlich dokumentierten Fällen können wiederum gesellschaftliche Auseinandersetzungen angeregt werden.

Die zweite Begründungsebene der einzelnen Unterstützungsangebote zielt darauf, die negativen Folgen, die ein Gerichtsverfahren für die Betroffenen haben kann, abzumildern. Bei Polizei und Gericht eine Aussage zu machen, ist für viele Betroffene sehr belastend. Sie erleben hier nicht selten erneut rassistische Kommentare und Diskriminierungen von Seiten der Strafverfolgungsbehörden. Auch sind sie vor Gericht mit den Aussagen der TäterInnen und der Strategie der VerteidigerInnen konfrontiert, die darauf zielt, die Aussage der Betroffenen unglaubwürdig zu machen oder ihnen eine Mitschuld zu geben - nicht selten durch die Aktivierung derselben Bilder, die für die TäterInnen als Legitimation der Gewalt dienten. Immer wieder versuchen Angehörige der Angeklagten, die (Opfer-)ZeugInnen durch massive Präsenz im Gerichtssaal einzuschüchtern. Werden die TäterInnen nicht verurteilt, kann das als eine erneute Demütigung erlebt werden. Durch Begleitung, Informationen über rechtliche Möglichkeiten und konkreten Ablauf von Verfahren, der Organisation weiterer Unterstützung im Gerichtssaal etc. soll verhindert werden, dass die Gerichtsverhandlung zu einer erneuten Erfahrung von Ohnmacht wird.

Juristische Auseinandersetzung als Handlungsoption?

Da in vielen Fällen nicht auf den ersten Blick einsichtig ist, welche Erwartungen Betroffene (und Beratende) mit der juristischen Bearbeitung verbinden, worin mögliche Enttäuschungen über und Erwartungen an die Beratung begründet sind, soll hier der Versuch gemacht werden, Begründungszusammenhänge auszuloten. Vor dem Hintergrund welcher Prämissen-Konstellationen stellt sich vom Standpunkt der Betroffenen die juristische Auseinandersetzung als "vernünftige" Handlungsoption zur Gewinnung personaler Handlungsfähigkeit5 dar? Diese Frage kann im Rahmen des Artikels und zum jetzigen Stand meiner Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Ich gehe bei meinen Überlegungen exemplarisch von den Schilderungen eines Mannes aus, den ich zu seinen Erfahrungen befragt habe und ergänze diese kontrastierend mit Fällen, in denen andere Handlungsoptionen und Begründungszusammenhänge relevant wurden. Ich möchte darüber versuchsweise Prämissen-Gründe-Zusammenhänge herstellen.

Als A nach der Nachtschicht allein nach Hause lief, wurde er von einer Gruppe Unbekannter rassistisch beschimpft und schließlich von einem aus der Gruppe geschlagen und getreten. Er konnte sich vor weiteren Attacken schützen, indem er den betrunkenen Angreifer zu Boden stieß. Als die Polizei zum Tatort kam, war er zunächst erleichtert. Dann aber hörte er, dass die über Funk kommunizierenden BeamtInnen zur Beschreibung seiner Person das N-Wort benutzten. Er stellte Anzeige gegen den Angreifer, sowie gegen die BeamtInnen, die ihn beleidigt hatten. In den Fallakten, in die er über seine Nebenklagevertreterin Einsicht erhielt, war dokumentiert, dass die ermittelnden BeamtInnen während der Zeugenvernehmungen ebenfalls das N-Wort verwendet hatten. Die Anzeige gegen die PolizistInnen wurde schon bald von der Staatsanwaltschaft eingestellt. "And that was a very, very big slap to the face. Because I know for sure, in England you can‘t get away with this! In the United States you can‘t get away with this!" Statt dessen wurde auch gegen ihn Anklage wegen Körperverletzung erhoben, weil er den Angreifer zu Fall gebracht hatte und dieser sich durch den Sturz verletzt hatte. Das Gericht wirkte auf einen Vergleich hin. Er stimmte zu, obwohl aus seiner Sicht die hinter dem Vergleichsvorschlag liegende Interpretation die Realität völlig verkannte - schließlich handelte es sich nicht um eine Prügelei, in der "beide etwas abbekommen haben", sondern um einen rassistischen Angriff. Zu groß war für ihn das Risiko, durch eine Verurteilung seinen aufenthaltsrechtlichen Status zu gefährden.

Für A war nach der Gewalterfahrung die juristische Auseinandersetzung das zentrale Handlungsfeld. Er betonte, dass er die Unterstützung der Opferberatung in Bezug auf die Wahrnehmung rechtlicher Möglichkeiten als besonders notwendig und hilfreich empfand. Die juristische Ebene als relevantes Handlungsfeld zu akzentuieren, setzt voraus, dass auf der Ebene gesellschaftlicher Bedeutungen rechte und rassistische Gewalt als juristisches Problem verhandelt wird. Im gesellschaftlichen Diskurs um rassistische und rechte Gewalt spielen juristische Kategorien eine zentrale Rolle. Ob ein rassistischer Hintergrund öffentlich anerkannt wird, wird maßgeblich von der Bewertung von Strafverfolgungsbehörden entschieden. Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass auch Betroffene die juristische Auseinandersetzung als zentrales Handlungsfeld sehen.

Allerdings muss für die Betroffenen auch ein passendes Rechtskonzept, auf das sie sich für "ihren Fall" beziehen können, verfügbar sein. Betroffene müssen jenseits des Gefühls der eigenen Verletzung, der Überzeugung sein, dass es sich bei der Rechtsverletzung um eine handelt, für die der Staat zuständig ist. Rassismus wird in Deutschland dann zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen, wenn er mit einer Körperverletzung6 verbunden ist, die eine bestimmte Schwere hat. Für die juristische Bearbeitung rassistischer Gewalt sind handhabbare Definitionen notwendig, die bestimmen, wann etwas eine Körperverletzung ist, und wann Rassismus als Tathintergrund relevant für das Strafmaß wird. Auf den von A geschilderten Fall passen diese juristischen Kategorien gut. In vielen Fällen ist der rechte oder rassistische Angriff jedoch kein eindeutig zeitlich eingegrenztes gewalttätiges Ereignis, sondern eine Reihe von Beleidigungen und Bedrohungen; manchmal spielt Rassismus eine eskalierende Rolle, ist aber von außen in seiner Bedeutung nicht unmittelbar erkennbar. In diesen Fällen ist es für Betroffene und Beratende wenig naheliegend, den Fall juristisch zu bearbeiten.

Solche Rechtskonzepte sind selbst Gegenstand und Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Was als rassistischer Tathintergrund gewertet wird, was als Diskriminierung oder Beleidigung im juristischen Sinne gilt, unterliegt engen Grenzen und ist umkämpft. So kann es sein, dass es auf Seiten der Betroffenen ein klares Rechtskonzept gibt, aber dies nicht eingelöst wird, wie im geschilderten Fall. A beruft sich in seiner nachträglichen Reflexion auf die Rechtsprechung in den USA und England, und untermauert damit, dass sich seine Erwartung, PolizeibeamtInnen, die eine rassistische Sprache verwenden, würden sanktioniert, auf einen geteilten Bedeutungshorizont beziehen. Im Gegensatz zu anderen Fällen, ist für A nicht nur ein für seinen Fall passendes Rechtskonzept präsent. Er reflektiert die politische Bedeutung dieser Rechtskonzepte und ist bereit, dafür zu kämpfen.

Risiko: Täter-Opfer-Umkehr

Auf die Frage, was er von der juristischen Bearbeitung des Falles erwarte, sagt A, es gehe ihm zwar nicht um ein konkretes Strafmaß oder eine hohe Bestrafung, aber der Staat müsse deutlich machen, dass ein solches Verhalten nicht geduldet werde. Weiter beschreibt er, ihm sei wichtig gewesen, dass anerkannt werde, welche Folgen die Tat für ihn hatte: Nach dem Angriff habe er sich nicht mehr getraut, allein nachts durch die Straßen zu gehen. Daher konnte er seinen Job, in dem er überwiegend nachts in Schichtdienst arbeitete, nicht mehr ausüben. Für ihn war die Anerkennung wichtig, dass er an seiner finanziell prekären Situation nicht selbst schuld war.

In ähnlicher Weise begründen auch andere Betroffene die Bedeutung, die Gerichtsverhandlungen für sie haben: Durch die Gerichtsverhandlung sollen auch Nichtbeteiligte erfahren, dass es den Angriff gegeben habe. Eine besondere Rolle spielt die Anerkennung des rechten oder rassistischen Tathintergrundes durch Gerichte für die Betroffenen auch darum, weil Betroffenen von den TäterInnen und/oder im lokalen Diskurs oft vorgeworfen wird, den Angriff selbst verschuldet zu haben.

Diese Erwartungen oder Hoffnungen der Betroffenen auf Anerkennung werden in der Realität nur selten erfüllt. So spielt für viele RichterInnen die Feststellung des Tathintergrundes nur eine sehr untergeordnete Rolle. Im Strafverfahren werden Betroffene vor allem als ZeugInnen gesehen, die kritisch befragt werden, um zu einer Urteilsfindung zu kommen. Die Anerkennung der Subjektivität der Betroffenen gilt hier als störend. Oft bleibt das Strafmaß - auch aufgrund von Errungenschaften wie dem Rehabilitationsgedanken im Jugendstrafrecht oder der Unschuldsvermutung - hinter den Erwartungen der Opfer zurück. Die aus Sicht der Betroffenen oft ungenügende Auseinandersetzung der Gerichte mit der Tat hängt auch mit dem sehr limitierten Verständnis von rassistischer Gewalt im juristischen Diskurs zusammen und hat nicht zuletzt mit institutionellem Rassismus zu tun, der weder vor der Polizei noch vor Gerichten halt macht. So sind Betroffene im Rahmen der Strafverfolgung oft weiterer rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Für die Betroffenen wirken Gerichtsverhandlungen nicht selten schwerer als der Angriff selbst.

Diese negativen Erfahrungen sind wesentliche Gründe, die von Betroffenen genannt werden, kein Strafverfahren zu wollen: "Am Ende glauben eh immer alle den Tätern", "die Polizei wird nur versuchen, uns was anzuhängen" oder "Viele meiner Freunde haben versucht, etwas anzuzeigen, aber es ist nie etwas heraus gekommen. Das nützt nichts" sind typische Aussagen mit denen Betroffene - durchaus nachvollziehbar - begründen, nicht Zeit und Nerven in die Strafverfolgung investieren zu wollen. Doch die - vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung - erwarteten Erfolgsaussichten sind nicht in allen Fällen die relevanten Prämissen einer Entscheidung für oder gegen eine juristische Bearbeitung der Gewalterfahrung. Im beschriebenen Fall wurden die Erwartungen von A an die strafrechtliche Verfolgung bitter enttäuscht. Statt das Unrecht anzuerkennen, wiederholte die Polizei mit rassistischen Bezeichnungen die Positionierung von A als "der Andere" und das Gericht konstruierte eine Täter-Opfer-Umkehr. Dennoch betont A, dass er immer wieder versuchen werde, auf juristischem Weg für seine Rechte einzutreten.

Wege der Intervention

Trotz enttäuschter Erwartungen bleibt die juristische Bearbeitung für Betroffene zentral, weil das juristische Feld den gesellschaftlichen Diskurs um rechte und rassistische Gewalt bestimmt. Der Fokus der Opferberatungsstellen auf dieses Feld ist allerdings nicht nur aufgrund der unklaren Konsequenzen (Anerkennung oder erneute Demütigung) für die einzelnen Betroffenen ambivalent. Auch läuft der Fokus auf juristische Dimensionen Gefahr, ein eingeschränktes Verständnis rechter und rassistischer Gewalt zu reproduzieren und zu verfestigen. Dies steht im Widerspruch zu dem Anliegen der Opferberatungsstellen, durch die Perspektive der Betroffenen zu einem vollständigeren Verständnis von rechter und rassistischer Gewalt beizutragen. Lohnenswert ist es sicherlich, über weitere Ansätze nachzudenken, wie gesellschaftliche Anerkennung jenseits juristischer Rechtsprechung hergestellt werden und dazu beigetragen werden kann, das Thema wieder verstärkt politisch, statt ausschließlich juristisch zu verhandeln. Sei es z.B. durch Medienberichterstattung und Kampagnen oder das Führen einer Chronologie, die sich bewusst nicht an juristischen Kategorien orientiert. Möglicherweise ließe sich auch der Gedanke einer Wahrheitskommission auf rechte und rassistische Gewalt übertragen.

Dennoch bleibt die juristische Ebene - unter einer politischen sowie psychosozialen Perspektive - ein wesentliches Feld: Solange die Rechte Betroffener rassistischer und rechter Gewalt nicht nur von den Gewalttätern verletzt, sondern auch durch staatliche Strukturen und institutionellen Rassismus in Strafverfolgungsbehörden in Frage gestellt werden, ist der Kampf um Rechte und Anerkennung (auch) auf diesem Feld fundamental. Rassistische Gewalt vermittelt die Botschaft "Du gehörst nicht dazu". Vor diesem Hintergrund hat der Bezug auf das Justizsystem auch die Bedeutung, als BürgerIn mit Rechten anerkannt zu werden. Dabei von Opferberatungsstellen und JuristInnen unterstützt zu werden ist für Betroffene wie A subjektiv und politisch zentral - jenseits der Erfolgsaussichten im einzelnen Fall. So kann eine Beratungspraxis, die - um Demütigungen zu vermeiden - bei schlechter Beweislage aus juristischer Sicht von einer offensiven Prozessführung und Pressearbeit abrät und statt dessen darauf setzt, Betroffene möglichst unbeschadet durch den Prozess zu begleiten, am Interesse der Betroffenen vorbeigehen. Die Gerichte als Feld der Auseinandersetzung mit rechter und rassistischer Gewalt zu sehen, heißt für die Opferberatungsstellen, den rechtlichen Rahmen sowohl als Mittel, als auch als Gegenstand der Intervention zu begreifen. Mit dem Versuch, auf juristischer Ebene für Gerechtigkeit zu kämpfen, ist die Hoffnung verbunden, dass sich das Gericht als gesellschaftliche Instanz gegen Rassismus und Rechtsextremismus positioniert, und damit TäterInnen den Boden entzieht. Zugleich muss jedoch institutioneller Rassismus innerhalb des Justizapparates und die Rolle, die Strafverfolgungsbehörden zur Aufrechterhaltung der rassistischen Ordnung spielen, analysiert und bekämpft werden. Wie die in diesen Spannungsfeldern liegenden Handlungsmöglichkeiten jeweils von Betroffenen akzentuiert werden, kann allerdings nur im Einzelfall geklärt werden.

Anmerkungen

1 Vgl. Anne Jung (Hg.) 2005: Im Inneren der Globalisierung. Psychosoziale Arbeit in Gewaltkontexten, Frankfurt [Main].

2 Dieses wird als Promotionsprojekt von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt.

3 Diese Beratungsstelle kenne ich aus eigener beruflicher Praxis gut. Sehr ähnlich arbeitende Beratungsstellen gibt es in allen ostdeutschen Bundesländern. Seit einigen Jahren werden auch in Westdeutschland Beratungsangebote aufgebaut, wobei die Ausstattungen, Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen zum Teil sehr unterschiedlich sind. Einen vielschichtigen Einblick in die Arbeit der Opferperspektive sowie in die Entstehungshintergründe findet man in der kürzlich erschienen Publikation des Vereins: Opferperspektive e.V. (Hg.) 2013: Rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt. An der Seite der Betroffenen beraten, informieren, intervenieren, Münster.

4 Der Begriff "Rechtsextremismus" ist problematisch, weil ihm das Hufeisenmodell zur Darstellung politischer Lager zugrunde liegt, in dem es links und rechts der demokratischen Mitte extreme, verfassungsrechtlich bedenkliche Ränder gebe. Diese Einteilung ist willkürlich, indem das aktuell hegemoniale politische Lager als Mitte gesetzt wird und jenseits inhaltlicher Bestimmung Abweichungen kriminalisiert werden können. Als Überbegriff für eine politische Ideologie und Bewegung, gegen die sich die Praxis der Beratungsstellen richtet, hat sich der Begriff in der sozialwissenschaftlichen Debatte jedoch weitgehend durchgesetzt.

5 Vgl. Klaus Holzkamp 1985: Grundlegung der Psychologie. Studienausg. Frankfurt/Main, New York.

6 Rassistische Beleidigungen und Diskriminierungen werden im Gegensatz zu gefährlichen Körperverletzungen nur behandelt, wenn Betroffene aktiv die juristische Auseinandersetzung anstreben.

Gesa Köbberling ist Diplompsychologin. Sie promoviert an der FU Berlin zum Verhältnis politischer und psychosozialer Dimensionen in der Beratung von Opfern rechter und rassistischer Gewalt.

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