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Klaus Holzkamp

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Zum Zusammenhang von Behinderung und Armut

  
 

Forum Wissenschaft 1/2013; Foto: photocase.com – maspi

Das Risiko, in Armut zu leben, betrifft verschiedene gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich stark. Mitglieder sogenannter sozialer Randgruppen erleben Benachteiligungen und Ausschlüsse aus unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Damit verbunden steigt ihr Armutsrisiko. Doch inwiefern bedingen sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und Einkommensarmut gegenseitig? Konstantin Bender hat 2010 in einem Beitrag zur Sozialberichterstattung den Zusammenhang von Behinderung und Armut untersucht und fasst seine Ergebnisse zusammen.

Wenn man sich in den Sozialwissenschaften dem Zusammenhang von Behinderung und Armut nähert, so erfolgt dies nicht ohne vorherige, grundsätzliche Überlegungen. Genauer: Es stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang und der Richtung der beiden sozialen Phänomene - Behinderung und Armut. Es empfiehlt sich die Frage nach Ursache und Wirkung zu stellen, auch und gerade im Hinblick auf hieraus resultierende gesellschaftliche Maßnahmen. Hierbei geht die Ursache der Wirkung stets zeitlich voraus.

In Bezug auf die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Behinderung und Armut gibt, haben sich in den vergangenen Jahren in der Gesundheitssoziologie zwei unterschiedliche Richtungen herausgebildet. Dies ist auf der einen Seite die Selektions- oder Drifthypothese, welche davon ausgeht, dass Armut krank macht. Auf der anderen Seite besagt die sog. Kausationshypothese, dass Krankheit arm macht. Aufgrund der etablierten Definition von Behinderung, welche besagt, dass eine Behinderung dann vorliegt, wenn die "körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist" (Sozialgesetzbuch IX), erscheint es angemessen, diese beiden Thesen grundsätzlich für die weiteren Untersuchungen zu verwenden.

Krankheit macht arm

Eine abschließende Entscheidung für eine der beiden Thesen aus Querschnittsdaten (Momentaufnahmen) zu treffen, ist nicht möglich. Allerdings scheint sich aus empirischer Sicht die Kausationshypothese (Krankheit macht arm) eher zu bestätigen.

Anhand der bei Bender1 verwendeten Datengrundlage, dem 2005er Mikrozensus lassen sich Menschen mit Behinderungen anhand der jeweils am stärksten besetzten Gruppen wie folgt charakterisieren: Menschen mit Behinderungen waren zu 54 Prozent männlichen Geschlechts. 77 Prozent von ihnen wiesen mindestens einen Grad der Behinderung von 50 Prozent auf. 73 Prozent der Menschen mit Behinderungen waren 55 Jahre oder älter. 60 Prozent von ihnen wiesen einen Hauptschulabschluss bzw. eine betriebliche Ausbildung auf. Sie finanzierten sich zum überwiegenden Teil aus eigenständiger Erwerbsarbeit oder hieraus ableitbaren Leistungen, wie Versorgungs- und Rentenansprüchen (83 Prozent).

Diese deskriptiven Befunde sind auf Grund der Altersstruktur als relativ stabil anzusehen. Auf Grund von Problemen bei der Datenerhebung von Menschen mit Behinderungen in der amtlichen Statistik gibt es keine validen Daten über Armutsquoten von Menschen mit Behinderungen (vgl. Armuts- und Reichtumsbericht des Landes Rheinland-Pfalz DS 13/4060). Daher muss - will man etwas über Armutsquoten von Menschen mit Behinderungen sagen - man sich mit Indizien behelfen. Wie beispielsweise dem, dass im 2005er Mikrozensus in der Gruppe der 25-45jährigen in der BRD nur 52 Prozent der Menschen mit Behinderungen gegenüber 73 Prozent der Menschen ohne Behinderungen ihren Lebensunterhalt aus eigenständiger Erwerbsarbeit bezogen. Etwa 1/3 der Menschen mit Behinderungen aus dieser Altersgruppe erwirtschaftete ein Haushalts-Netto-Einkommen von unter 700 Euro und galt damit 2005 als arm.

Allerdings lassen sich allein aufgrund solcher durchschnittlichen Angaben keine Aussagen über Armutsrisiken treffen. Untersucht man die Gruppe der Menschen mit Behinderung hinsichtlich Einkommensarmut, so fällt beispielsweise auf, dass Frauen mit einer Behinderung in Ostdeutschland und ohne Bildungsabschluss stets das höchste Armutsrisiko tragen. Armut entsteht also offenbar aus dem gleichzeitigen Zusammenwirken von mehreren, sich negativ auswirkenden Individualmerkmalen, wie zum Beispiel Behinderung, Alter, Geschlecht und ob man in Ost- oder Westdeutschland wohnt. Damit zeigt sich, dass es unvorteilhafte Kombinationen und die damit einhergehenden gesellschaftlich vermittelten Nachteile sind, die das Armutsrisiko entscheidend bestimmen. Dies ist bei Menschen mit und ohne Behinderungen identisch.

Stagnation der Integration

Um diesen allgemeinen negativen Entwicklungen entgegenzuwirken, bedarf es Zeit und politischen Willens. Ein Anzeichen dafür, dass dieser zumindest grundsätzlich besteht, könnte daran erkennbar sein, dass die BRD die UN-Behindertenrechtskonvention 2008 als einfaches Bundesgesetz verabschiedet hat. In der UN-Konvention wird einerseits die Abschaffung von Sonder- und Förderschulen gefordert (Art. 24) ebenso wie die Abschaffung von Sonderarbeitswelten (Art. 27). Ein Abschieben soll somit verhindert werden. Allerdings muss dieses wichtige und sinnvolle Werkzeug auch genutzt und vor allem lokal umgesetzt werden. Die Problematik besteht hierbei - auf kommunaler Ebene - oft auf dem Gebiet des Problembewusstseins und schließlich in finanzieller Hinsicht. So wird häufig argumentiert, dass es Werkstätten für Behinderte gibt und damit die Menschen mit Behinderungen versorgt seien. Ähnliches gilt auch für die nicht zum Null-Tarif zu habende Umgestaltung von inklusiven Schulen. Hier wird entweder argumentiert, dass Sonder- oder auch Förderschwerpunktschulen ein gleichwertiger Teil des allgemeinen Schulsystems seien und damit keine Anstrengungen zu unternehmen seien. Oder, und dies ebenso abwegig, es wird versucht Kinder mit Behinderungen ohne eine Erhöhung der Personalausstattung oder Herabsetzung der Klassenmesszahlen in Allgemeinbildende Schulen zu integrieren. Nichts von beidem entspricht jedoch den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention.

Anmerkung

1) Konstantin Bender, 2010: Der Zusammenhang von Behinderung und Armut. Ein Beitrag zur Sozialberichterstattung, Marburg.


Konstantin Bender hat Soziologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz studiert. Das Hauptaugenmerk seiner Arbeit liegt auf der Bedeutung von Bildung als einem universellen Menschenrecht. Er engagiert sich in LINKEn-politischen Kontexten und ist Mitglied des Beirats des BdWi.

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