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Klaus Holzkamp

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PPP-Irrwege

15.12.2006: Europäische Infrastruktur auf neoliberalem Kurs

  
 

Forum Wissenschaft 4/2006; Foto: Albert Renger-Patzsch

Angesichts der zunehmenden Geldnot und hohen Verschuldung der öffentlichen Haushalte gibt der Staat eine seiner klassischen Aufgaben, die Planung und Bereitstellung von Verkehrswegen, schrittweise aus der Hand und öffnet sie für privatwirtschaftliche Beteiligung. Ingo Hansen beschreibt, wie dies in der Bundesrepublik vor sich ging und geht, ebenso die Hintergründe und Folgen für die NutzerInnen.

Die Zauberformel heißt Public Private Partnership1 (PPP) und bedeutet, dass öffentliche Institutionen und Haushaltsmittel zusammen mit privaten Unternehmen und Kapital neue öffentliche Verkehrswege finanzieren, bauen und betreiben.

Privatstraßen und -eisenbahnen gibt es schon länger, z.B. in der Land- und Forstwirtschaft, dem Bergbau und der Industrie. Auch das stürmische Wachstum der Eisenbahnen2 im 19. Jahrhundert beruhte auf der Erteilung staatlicher Konzessionen, Übereignung von Land und dem Einsatz von Privatkapital. Erst nachdem die Investitionen abgeschrieben waren und der Betrieb selbst unzureichende Gewinne erwirtschaftete, wurden in der Vergangenheit viele Eisenbahnlinien aus Gründen öffentlicher Daseinsvorsorge und Militärstrategie in öffentliches Eigentum überführt.

Aktuelle politische Bedeutung erhält die Diskussion über die Privatisierung von Verkehrswegen durch den Ruf von Wirtschafts- und Interessenverbänden nach Verkauf und schnellem Ausbau von Autobahnen und Flughäfen zwecks Verbesserung der Erreichbarkeit der Wirtschaftsstandorte, Verringerung von Verkehrsstaus, Steigerung der Mobilität und Sanierung der Staatsfinanzen3. Die Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen, in denen in der Vergangenheit staatliche Monopole herrschten, ist keine auf den Verkehrssektor beschränkte Erscheinung, sondern vollzieht sich, verstärkt in den letzten 20 Jahren, auch in anderen Wirtschaftsgebieten, z.B. der Bundespost und Telekommunikation, Wasserver- und -entsorgung. Hochspannungs-Elektrizitätsnetze und Gasversorgungsleitungen sind ebenfalls auf der Basis von Konzessionen errichtet, allerdings von Beginn an (mehrheitlich) durch Privatunternehmen finanziert. Im Zuge der Deregulierungspolitik innerhalb der EU werden jedoch bestehende Netzmonopole mehr und mehr zwecks Übernahme bzw. Durchleitung für Dritte geöffnet.

Der folgende Beitrag soll helfen, eine Antwort auf die Frage zu geben, welche (Hinter-)Gründe die Privatisierung im Verkehrssektor bestimmen und welche (möglichen) Folgen diese Politik für die öffentliche Hand, die Unternehmen und Beschäftigten im Verkehr sowie die BenutzerInnen der Verkehrswege hat. Dazu wird erst ein kurzer Überblick der relevanten gesetzlichen Bestimmungen in der EU und der BR Deutschland gegeben, dann werden die ökonomischen und ideologischen Motive der Privatisierungspolitik beschrieben und verschiedene Stellungnahmen von WissenschaftlerInnen zu PPP diskutiert. Schließlich werden die Folgen dieser Politik skizziert und anhand aktueller Infrastrukturprojekte Alternativen vorgestellt.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die EU-Richtlinien 90/531 und 93/38 beinhalten Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge von Lieferungen und Bauleistungen bzw. Dienstleistungen auch im Verkehrssektor; hiermit werden europaweite Ausschreibungen ab einem bestimmten Schwellenwert (5 Mio. € für Bauaufträge bzw. 400 000 € für die Konzessionen im Linienverkehr) vorgeschrieben. Hinsichtlich der Deregulierung der staatlichen Eisenbahnnetze verfügt die EU-Richtlinie 91/440 die buchhalterische - nicht zwingend auch unternehmensrechtliche - Trennung zwischen Eisenbahninfrastrukturmanager (EIM) und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und damit die Einführung von Fahrwegbenutzungsgebühren, die Abgrenzung und Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen, die Entlastung historisch entstandener Schulden und Öffnung der Netze für Dritte.

Die nachfolgenden Richtlinien4 enthalten Bestimmungen über die Vergabe von Lizenzen, Kapazitätszuteilung, Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitsnetzes bzw. Anpassungen der früheren Richtlinien bezüglich des diskriminierungsfreien Netzzugangs für lizenzierte EVU, des Transeuropäischen Eisenbahngüterverkehrsnetzes, der Nutzungsgebühren und Transparenz der Zugangsbedingungen. Diese Vorschriften sollen entsprechend den im White Paper "European transport policy for 2010: time to decide"5 genannten Zielen zur beschleunigten Entwicklung eines effizienteren Transeuropäischen Verkehrsnetzes und konkurrenzfähigen Marktes für internationalen Eisenbahnverkehr in Europa führen.

In Deutschland können seit der Verabschiedung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes (FStrPrivFinG) 1994 bestimmte Bundesfernstraßenprojekte durch private BetreiberInnen gebaut und mittels BenutzerInnenentgelten finanziert werden, z.B. Brücken, Tunnel und Gebirgspässe (FModell) sowie der Ausbau von Autobahnen i.d.R. von 4 auf 6 Fahrspuren (A-Modell). Beim F-Modell erheben BetreiberInnen die Wegegebühren selbst und verwenden sie für Refinanzierung, Betrieb, Instandhaltung und vertraglich vereinbarte Gewinnmarge, bis das investierte Kapital zurückverdient ist; die Nutzungsgebühren sind also zeitlich befristet. Demgegenüber erhalten die BetreiberInnen beim A-Modell unabhängig von der tatsächlichen Auslastung und der Höhe der vom Staat erhobenen Nutzungsentgelte eine vertraglich vereinbarte Vergütung für das Investitionsvorhaben und einen Investitionszuschuss als Ausgleich für die (bislang) nicht erhobene Pkw-Maut. Das Erlösrisiko liegt beim A-Modell vollständig beim Staat, während eine niedrigere Nutzungsintensität beim F-Modell eine Verlängerung der Laufzeit bewirkt und selbst zum Konkurs der BetreiberInnen führen könnte.

Mit der Eisenbahnreform 1994 wurde die Deutsche Bahn AG von den Altschulden befreit und das Unternehmen zunächst in eine Holding aus selbstständigen AGs für das Eisenbahnnetz, den Personenfernverkehr, Regionalverkehr und Güterverkehr überführt; dabei müssen die Nutzer der Schienenwege eine Gebühr für die Fahrplantrassen (Zugfahrten) an die Netz AG entrichten. Zugleich wurden die formalen Voraussetzungen für eine getrennte Buchführung für das Netz und die EVU sowie den Zugang von Drittunternehmen im Netz geschaffen. Ausdrückliches Ziel der Bahnreform war die Schaffung leistungsfähiger EVU, Kapazitätssteigerung, Erhöhung des Marktanteils und schließlich die Privatisierung der EVU durch Veräußerung von Aktien an der Börse.

Formal genügen die buchhalterische Trennung des Unternehmensbereiches Netz von dem EVU Deutsche Bahn und die Aufsicht über die Zulassung von EVU, Trassenvergabe und Sicherheit der Betriebsanlagen und Züge durch das Eisenbahnbundesamt den europäischen Richtlinien. Die meisten der im Bundestag vertretenen Parteien und viele VerkehrswissenschaftlerInnen halten am Ziel der Öffnung des Verkehrsmarktes für das Privatkapital und der Entstaatlichung durch Privatisierung von Eisenbahnstrecken und Linien(teil-)netzen fest.

Ökonomische und ideologische Motive

Die private Finanzierung des Baus, Betriebes und der Instandhaltung von Verkehrsanlagen ist in den letzten 20 Jahren wegen der zunehmenden Finanzknappheit der öffentlichen Haushalte und des Überhangs von Ausbauprojekten des Bundesverkehrswegeplanes entstanden, die als vordringlicher Bedarf festgestellt, deren Realisierung jedoch zurückgestellt wurde. Nach dem massiv vorangetriebenen Ausbau von Bundesautobahnen und Bundesstraßen zwischen 1960 und 1980, dem Bau neuer Hochgeschwindigkeitseisenbahnstrecken und Binnenschifffahrtsstraßen (Rhein-Main-Donau-Kanal) und der Förderung des Ausbaus von S-Bahnen, U-Bahnen, Stadtbahnen und Busbahnhöfen wird nun ein wachsender Anteil der Haushaltsmittel allein für die Instandhaltung der Verkehrswege beansprucht und der Spielraum für Neuinvestitionen immer geringer.

Eine der Grundthesen der ApologetInnen der Marktwirtschaft besteht darin, dass "privatwirtschaftlich geführte Unternehmen eine produktivere Verwendung von Ressourcen erreichen können als Organisationen und Unternehmen im öffentlichen Eigentum"6. Dies hat zur Folge, dass nicht hoheitliche Funktionen des Staates in die Hände von Privatunternehmen überführt werden sollen, da Leistungen durch Konkurrenz mehrerer Anbieter zum geringsten Preis erbracht werden könnten und dadurch der gesellschaftliche Wohlfahrtsgewinn maximiert werde. Das Gewinnstreben der Privatunternehmen wird so zum Katalysator für gesellschaftliches Wohlergehen deklariert, ohne dass die direkten und indirekten Effekte, z.B. hinsichtlich der Qualität der erbrachten Leistung und der sozialen Lage der Beschäftigten, hinreichend thematisiert werden.

Der Wissenschaftliche Beirat für Verkehr beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Wohnungswesen plädiert in seinem jüngsten Gutachten für den "Übergang von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung von Verkehrsinfrastrukturen"7, d.h. für die Einführung von Kfz-Maut zur Erwirtschaftung der Kosten für den laufenden Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau von Bundesautobahnen und Bundesstraßen mit überregionaler Bedeutung und ggf. städtischen Durchgangsstraßen. Man erwartet dadurch Einspareffekte bei Entwurf, Planung und Bau, stabilere Finanzierung und bessere Anpassung der Verkehrsnachfrage an die Kapazität. Der Beirat betont, die Gesamtplanung für die Verkehrswege bleibe Staatsaufgabe, und Probleme des Umweltschutzes und der Verkehrssicherheit sollen mit Hilfe von Steuern und Vorschriften gelöst werden. Da die Kosten zur Vermeidung bzw. Behebung von Umweltbelastungen und Unfallrisiken einer effizienten Erstellung und Verkehrsabwicklung entgegenstehen, "spricht sich der Beirat klar gegen Preisregulierungen auf Grundlage von sozialen Grenzkosten aus"8, wobei "eine Verteuerung der Mobilität als Folge der Privatfinanzierung ... möglichst vermieden werden (sollte). ... Eine Anlastung der externen Kosten liegt außerhalb des unternehmerischen Interesses."9 Der Wissenschaftliche Beirat "begrüßt uneingeschränkt das Ziel, die Bahnunternehmen an die Börse zu führen, um ihre Eigenkapitalbasis zu stärken"10, äußert allerdings "Bedenken gegen eine volle Integration der DB Netz AG in den Unternehmensverbund"11.

Auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft und eine Reihe weiterer AutorInnen fordern die NutzerInnenfinanzierung beim Bau und der Instandhaltung von Verkehrswegen mit dem Schwerpunkt der Straßeninfrastruktur12. Der Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik wird damit begründet, dass die Finanzmittel der öffentlichen Hände heute und zukünftig nicht ausreichend zur Sicherung einer nachhaltigen Mobilität zur Verfügung stehen und PPP eine "wirkungsvolle Ergänzung zur öffentlichen Finanzierung dar(stellen)."13

Da Einführung und Betrieb eines Systems von Straßenbenutzungsgebühren erheblich mehr kosten als der Einzug von Mineralölsteuern und die Umstellung auf Nutzerfinanzierung aus Gründen der politischen Opportunität kostenneutral für die AutofahrerInnen erfolgen soll, müssten die Kfz- und Mineralölsteuern überproportional gesenkt werden, um die Erwirtschaftung einer "angemessenen Kapitalverzinsung" und die für Privatunternehmen im Vergleich zu staatlichen Darlehen höheren Zinsen für Bankkredite zu erwirtschaften. Die Kosten der Privatisierung von Verkehrswegen einschließlich der Transaktionskosten sind unter diesen Prämissen zweifellos deutlich höher als deren Verbleib in staatlicher Eigenregie und könnten theoretisch nur durch erhebliche Effizienzsteigerungen der Privatunternehmen kompensiert werden. Die sozialen Kosten des (Straßen-)Verkehrs (Lärmemissionen, Luftverschmutzung und Unfallkosten) werden dabei auf die SteuerzahlerInnen abgewälzt.

Folgen der Privatisierungspolitik

Seit dem Beginn der neoliberalen Reformen Anfang der 1990er Jahre sind einige umwälzende ordnungspolitische Veränderungen und größere Infrastrukturprojekte mit maßgeblicher Beteiligung von Privatkapital im Verkehrswesen verschiedener europäischer Staaten realisiert worden.

Dazu zählen z.B.:

  • die Zerschlagung und Privatisierung der Britischen Eisenbahnen,

  • die Bahnreform in Deutschland,

  • der Bau und Betrieb der Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke Amsterdam
  • - Rotterdam - Antwerpen.

    Die Umwandlung des britischen Eisenbahnnetzes in eine Aktiengesellschaft und der Verkauf der Aktien an der Börse hat nach einem kurzen Höhenflug des Aktienkurses aufgrund vorübergehender reichlicher Gewinnausschüttungen infolge hoher Einnahmen aus Trassengebühren und Kürzung der Instandhaltungsaufwendungen zu einer Steigerung der Fahrgastzahlen, katastrophalen Unfällen, Zunahme der Zugverspätungen und schließlich zum Bankrott von Railtrack geführt.14 Die Zersplitterung der Konzessionen in 25 durch private Eisenbahngesellschaften betriebene Liniennetze, drei Leasing-Unternehmen für die Züge, mehrere private Instandhaltungsunternehmen und die Finanzierung der Ausgaben des neuen nun in staatlichem Eigentum befindlichen Infrastrukturunternehmens Network Rail hat zu einem erhöhten Zuschussbedarf von mehr als £ 1,5 Mrd. pro Jahr geführt.15

    Durch die Bahnreform 1994 in Deutschland wurden die Forderungen der EU-Richtlinie 91/440 umgesetzt; darüber hinaus wurden die Umwandlung des Fahrweges, Personen- und Güterverkehrs in eigenständige privatwirtschaftliche Unternehmen (AG) sowie die Regionalisierung von Verkehrsleistungen durch die Übertragung der Verantwortlichkeiten und finanziellen Mittel an die Bundesländer und regionale Gebietskörperschaften gesetzlich festgelegt. Die Kernziele der Regierungskommission hinsichtlich einer Erhöhung des Marktanteils der Schiene am Verkehrsaufkommen und einer nachhaltigen Entlastung des Bundeshaushaltes sind nicht bzw. nur bedingt erreicht worden.16 Einschließlich der Regionalisierungsmittel in Höhe von 5 Mrd. € betragen die Bundesmittel für die DB AG und Investitionszuschüsse für Eisenbahnprojekte nach wie vor 18 Mrd. € pro Jahr!

    Die einzelnen AGs wurden von Beginn an über eine Holding durch den Vorstand gesteuert, sind kürzlich wieder aufgelöst und in der DB AG verschmolzen worden. Bahnvorstand Mehdorn hält an dem vertikalen Verbund von Netzinfrastruktur und Betrieb und an der durch die Bahnreform selbst nicht geforderte Privatisierung durch den geplanten Verkauf von Aktien des Unternehmens an der Börse fest, um durch privates Kapital das Wachstum in den internationalen Verkehrsmärkten finanzieren zu können17. Für den Erwerb des Logistikkonzerns Stinnes, der Spedition Schenker und des US-Unternehmens Bax wurden bereits einige Milliarden € aufgewendet, um einen ansehnlichen Unternehmensgewinn zu erwirtschaften, der die Voraussetzung für den erfolgreichen Verkauf von Aktien an der Börse ist. Durch die Einbindung eines renditeorientierten Investors würde der Druck auf die Rentabilität des Netzes weiter steigen, während es dem Bund "noch schwerer als heute (fiele), seinem Verfassungsauftrag der Daseinsvorsorge nachzukommen"18. Die Privatisierungspläne der Bahn AG werden trotz der negativen Erfahrungen mit dem vormaligen EIM Railtrack in England nicht nur vom Bahnvorstand und dem BDI19, sondern auch von der alten und neuen Bundesregierung unterstützt. Demgegenüber fordern die Verbraucherzentrale, der Verkehrsclub Deutschland und der Fahrgastverband Pro Bahn in einem gemeinsamen Positionspapier: "Das Schienennetz muss in öffentlicher Hand bleiben".

    Die Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke von Antwerpen über Rotterdam nach Amsterdam (HSL-Zuid) besteht aus zwei je 50 km langen Teilstrecken, die in Rotterdam und Amsterdam in das bestehende Streckennetz übergehen. Die Neubaustrecken sind nach angelsächsischem PPP-Vorbild20 in sieben verschiedene Design & Construct-Verträge für den Unterbau, einen Design-Build-Finance-Maintain-Vertrag für Gleise und betriebstechnische Anlagen und einen Vertrag für den Betrieb der Strecken durch Hochgeschwindigkeitszüge aufgeteilt worden. Während die Kosten für die sieben getrennten Verträge für bestimmte Teilstrecken bzgl. des konstruktiven Unterbaus aufgrund der aktuellen Marktlage 32% höher als veranschlagt waren21, werden die gesamten Kosten für die Gleisanlagen und betriebstechnische Ausrüstung durch das von Siemens geführte Konsortium vorfinanziert und erst nach der Abnahme für eine Dauer von 25 Jahren eine Vergütung von gut 100 Millionen € pro Jahr für die Abnutzung, Instandhaltung und Finanzierung der Anlagen gezahlt.22 Falls die vertraglich vereinbarte Verfügbarkeit der Gleisanlage nicht mindestens 99,46% beträgt, wird die Vergütung je nach der tatsächlichen Verfügbarkeit und Sauberhaltung der Anlagen gekürzt.

    Das PPP-Modell für die Hochgeschwindigkeitsstrecke in den Niederlanden hat bislang - ohne Berücksichtigung der Kosten für die Gleise und betriebstechnische Ausrüstung - zu mehr als doppelt so hohen Kosten als geplant geführt, die z.T. auf politischen Forderungen nach besserer Umweltverträglichkeit und mehr Sicherheit gegenüber den Folgen von Tunnelbränden beruhen. Die Konzession des Zugbetriebes auf der niederländischen Hochgeschwindigkeitsstrecke wurde nach internationaler Ausschreibung an das Konsortium der niederländischen Eisenbahnen NS und der Fluggesellschaft KLM zu einem Preis von 148 Millionen € pro Jahr über eine Laufzeit von 15 Jahren vergeben. Der Konzessionsvertrag für den Betrieb enthält konkrete Leistungsklauseln hinsichtlich der Pünktlichkeit, Platzverfügbarkeit etc. Die daraus resultierenden staatlichen Einnahmen von ca. 100 Millionen € pro Jahr sollen die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Vorfinanzierung und Instandhaltung der Anlagen abdecken.

    Nachhaltigkeit als Alternative

    Die Verkehrsinfrastruktur ermöglicht die Mobilität von Personen und Gütern zwecks Entfaltung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Aktivitäten und ist eine Grundvoraussetzung für die gesellschaftliche Entwicklung. Die Verkehrswege und der Verkehr selbst belasten jedoch gleichzeitig die Umwelt durch Flächenverbrauch, Barrierewirkung, Luftverschmutzung, Geräuschemissionen; sie verbrauchen fossile Energiereserven und verursachen erhebliche materielle, physische und psychische Schäden, insbesondere als Folge von Unfällen. Verkehr und Umwelt stehen, wie andere gesellschaftliche Probleme, in einem dialektischen Verhältnis und erfordern eine nachhaltige Lösung, die vor allem zur Verbesserung der Lebensbedingungen beiträgt.

    Die Vorhaltung der Verkehrsinfrastruktur ist eine Grundvoraussetzung gesellschaftlicher Reproduktion. Die Verkehrswege dienen, abgesehen von Privatstraßen und Industriebahnen, der Allgemeinheit. Daher sollten diese grundsätzlich in öffentlichem Eigentum verbleiben und die Verfügungsgewalt staatlicher Kontrolle unterliegen. Die Privatisierung der Verkehrsinfrastruktur erschwert die Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen und ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll, z.B. wenn der Verkehrsbedarf dauerhaft hoch ist, die Verkehrsverbindung einen nachhaltigen gesellschaftlichen Nutzen erbringt, eine (vollständige) staatliche Finanzierung nicht möglich ist und das investierte Kapital einschließlich der sozialen Kosten durch Nutzungsgebühren zurückverdient werden kann.

    Der gesellschaftliche Nutzen der angebotenen Verkehrskapazität ist im Fall einer gleichmäßigen, hohen Auslastung unter weitgehender Vermeidung von Störungen am höchsten. Es ist daher volkswirtschaftliche Verschwendung, Investitionen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verkehrsanlagen zu tätigen, die nur für den Bedarf während kurzer Spitzenzeiten benötigt werden und die restliche Zeit überflüssig sind. Eine höhere Auslastung der Kapazität und der Verkehrswege erfordert eine großräumige, zeitabhängige Lenkung der starken Verkehrsströme und eine lokale Beeinflussung der Fahrzeuggeschwindigkeiten. Es ist unverantwortlich und darüber hinaus illusorisch, staufreien Straßenverkehr zu propagieren, da dies in übersättigten Netzen nicht allein durch bessere Verkehrsinformation, sondern nur in Verbindung mit einem massiven Netzausbau zu erreichen ist. Dies hätte eine weitere Zerstörung historisch gewachsener Siedlungsstrukturen und Steigerung der Umweltbelastungen zur Folge. Stattdessen stehen Regierung und Staat vielmehr vor der schwierigen Aufgabe, die individuellen Mobilitätsbedürfnisse mittels Zugangsbeschränkungen, Nutzungsgebühren und dynamischer Verkehrsleittechnik so zu steuern, dass strukturelle Überlastungen der Verkehrsanlagen vermieden und die Verkehrsströme auf möglichst sichere, energiesparsame Verkehrsarten und umweltschonende Wegverbindungen verlagert sowie zeitlich optimal gestaffelt werden.

    Der Betrieb von Linien des öffentlichen Personenverkehrs muss nicht durch Verkehrsunternehmen in kommunalem oder staatlichem Eigentum erfolgen. Linienkonzessionen auf der Grundlage belastbarer Leistungs- und Qualitätskriterien an private Busunternehmen haben sich in der Vergangenheit bewährt und sind auch im schienengebundenen öffentlichen Verkehr möglich, sofern die Bedingungen zur sozialverträglichen Übernahme des Personals und zur Restwertabschreibung vorhandener Fahrzeuge und Werkstätten für den Fall des Wechsels der Konzessionsinhabers geregelt werden. Die bislang in öffentlichem Eigentum befindlichen Verkehrsbetriebe können mittels öffentlicher Ausschreibungs- und Vergabeverfahren und Wettbewerbs zur Steigerung der Effektivität und Wirtschaftlichkeit veranlasst werden.

    Eine vertikale Trennung der DB AG in selbstständige Unternehmen für die Netzinfrastruktur und den Eisenbahnbetrieb wäre kontraproduktiv, da diese die technisch bedingte enge Verzahnung zwischen den Gleis-, Stromversorgungs- und Signalanlagen einerseits und dem Fahrplan und den Zügen andererseits auflösen und zu einer suboptimalen Nutzung der Bahninfrastruktur sowie zusätzlichen Transaktionskosten führen würde.

    Durch den geplanten Verkauf von bis zu 49% des Aktienkapitals der DB AG an der Börse würden Anteile des Eisenbahnanlagevermögens an Privatinvestoren veräußert und der Einfluss der Bundesregierung auf die Unternehmensführung geschwächt. Private Investoren erhielten dadurch Zugriff auf die Struktur des Eisenbahnnetzes und -betriebes, wodurch der Erhalt bestehender Strecken und Bahnhöfe von Renditeerwartungen der Aktionäre abhängig gemacht und das Vermögen zur Deckung von Verbindlichkeiten für die angestrebte internationale Expansion des Unternehmens verwendet werden könnte. Investitionszuschüsse der öffentlichen Hand für den Netzausbau könnten so privatisiert und eventuelle Verluste aus anderen Projekten, z.B. Unternehmensaufkäufen und Betriebskonzessionen im Ausland, auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Die teilweise Privatisierung der DB AG würde zwar eine vorübergehende Senkung von Bundeszuschüssen möglich machen, jedoch mittelfristig das Risiko des Staates erhöhen, z.B. wenn die Instandhaltungsaufwendungen zum Zweck kurzfristiger Gewinnerhöhung vermindert werden.

    Der Ruf nach einem Ausbau neuer Verkehrsverbindungen beruht häufig auf vordergründigen Motiven von PolitikerInnen, Unternehmen und Verbänden, denen die eigenen Wahlchancen, privaten Gewinne bzw. Partikularinteressen mehr am Herzen liegen als die Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen sowie der sparsame Einsatz öffentlicher Gelder. Eine nachhaltige Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur erfordert eine auf wissenschaftliche Methoden gestützte Schätzung und objektive Beurteilung der (volks-)wirtschaftlichen Kosten und Nutzen von Verkehrsinfrastrukturprojekten.

    Viele PPP-Projekte basieren vor allem auf dem Interesse privater Unternehmen, mit begrenztem Einsatz von Privatkapital möglichst hohe Zuschüsse der öffentlichen Hand zu mobilisieren und das eigene Geschäft zu fördern. Die Ernsthaftigkeit des Interesses von Privatanlegern am Ausbau der Verkehrsinfrastruktur kann relativ einfach anhand der Bereitschaft der privaten Partner zur Verzinsung auch des durch die öffentliche Hand eingebrachten Kapitalanteils geprüft werden. Entweder ein Verkehrsprojekt kann vollständig durch Privatkapital und Nutzungsgebühren finanziert werden - oder der private Investor erklärt sich bereit, Zuschüsse der öffentlichen Hand anteilig aus den erwarteten Mauteinnahmen zu vergüten. Wenn keine dieser Bedingungen gegeben ist, sollte die öffentliche Hand sich nicht auf ein PPP-Projekt einlassen. Die NutzerInnen kostbarer neuer Verkehrsanlagen sollten, auch wenn diese ausschließlich durch öffentliche Mittel finanziert werden, mittels extra Gebühren bzw. höherer Fahrpreise zur (teilweisen) Amortisierung von öffentlichen Investitionen herangezogen werden. Die Akzeptanz neuer Verkehrswege kann anhand der Zahlungsbereitschaft für den Vorteil kürzerer Fahrzeiten und/oder der Steigerung des Reisekomforts überprüft werden.

    Fazit

    Die Privatisierung von (Teilen der) Verkehrsinfrastruktur bzw. der DB AG ist kein geeignetes Mittel für eine nachhaltige Verkehrspolitik. Investitionsvorhaben zum Ausbau des Verkehrsnetzes, die überwiegend zu Lasten öffentlicher Haushalte getätigt werden, jedoch keine ausreichende Verkehrsnachfrage erzeugen und nur mäßig genutzt werden, können auch durch PPP nicht wirtschaftlich werden. Die Regierung sollte sich daher nicht durch vollmundige Versprechungen der Privatisierungsbefürworter dazu verleiten lassen, das öffentliche Eigentum und die Verfügungsgewalt über die Verkehrsinfrastruktur aus der Hand zu geben. Solange die Kapazität der Verkehrsinfrastruktur über längere Zeiträume als wenige Spitzenstunden nicht hinreichend ausgelastet ist, sind öffentliche Investitionen allein für solche Verkehrsprojekte zu befürworten, die die Lebens- und Umweltbedingungen vieler Bürger nachhaltig verbessern. Die vorwiegend politisch und/oder privatwirtschaftlich motivierten (PPP-)Projekte, die hohe Risiken für die öffentliche Hand beinhalten, sollten daher bis zum schlüssigen Nachweis des Gegenteils lieber zurückgestellt werden.

    Anmerkungen

    1) Suchanek, D.K., PPP InfrastructureHamburg: Deutscher Verkehrs-Verlag, H. 1, 2005 und H. 1+2, 2006; www.ppp-bund.de; www.ppp-plattform.de

    2) Wolf, W., Eisenbahn und Autowahn, Hamburg/Zürich: Rasch und Röhrig, 1986, S.33-43, 52-58

    3) 100 Milliarden aus Verkauf der Autobahnen, FAZ 17.10. 2005

    4) Vinois, J.-A; Creation of a European railway area against the background of the White Paper on European Transport Policy, Rail International, May 2002, S.2-9; europa.eu.int/comm/transport/rail/package COM (2001)370

    5) European Commission, White Paper, 2001, Luxemburg, ISBN 92-894-0341-1

    6) Sterzenbach, R., Lohnkutscher in Hessen, FAZ 18.03.2006, S.13

    7) Aberle, G. et al., Privatfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur, Internationales Verkehrswesen (57) 7+8, 2005, S.303-310

    8) ebd., S.303

    9) ebd., S.307

    10) ebd., S.310

    11) ebd., S.310

    12) Haase, R., Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und ihre Finanzierung - Verkehrsbeherrschung durch nutzerfinanzierte Verkehrswege, in: Stopka, U, Pällmann, W. (Hrsg.) Für eine neue deutsche Verkehrspolitik. Mobilität braucht Kommunikation, Edition Internationales Verkehrswesen, Hamburg: Deutscher Verkehrs-Verlag, 2005, S.161-172

    13) ebd., S.161

    14) Freeman, R. & Shaw, J. (eds.), All Change. British Railway Privatisation, London: McGraw-Hill; Wolmar, C., Broken Rails. How Privatisation Wrecked Britain's Railways, London: Aurum Press, 2001; Krönig, J., Insel der Katastrophen, Zeit 8.3.2001, S.14; Schöller, O., Zu den Folgen einer neoliberalen Deregulierungsstrategie, Internationales Verkehrswesen (55) 1+2, 2003, S.26-30

    15) Böttger, C., Das Insolvenzverfahren der Railtrack, Internationales Verkehrswesen (54) 6, 2002, S.273-277; Office of the Rail Regulator, Interim Review of Track Charges, October 2003; Railway Gazette International, September 2003, p. 553-553

    16) Pällmann, W., Zehn Jahre Bahnreform: Bilanz und Ausblick, Internationales Verkehrswesen (56) 4, 2004, S.127-133

    17) Hedderich, H., Weichen für privates Kapital stellen, Internationales Verkehrswesen (56) 10, 2004, S.470; Die Deutsche Bahn ist 2005 fit für die Börse, FAZ 21.06.2004

    18) Schwenn, K., Die Kardinalfrage, FAZ 13.05.2006

    19) Pällmann, a.a.O., S.130; FAZ 23.10.2004; ZEIT 1.12.2005

    20) Das niederländische Verkehrsministerium schaltete den Consultant Booz, Allen & Hamilton dafür ein.

    21) Tweede Kamer der Staten Generaal, Untersuchung von Infrastrukturprojekten (in Niederländisch), Sitzungsjahr 2004-2005, 29 283, Den Haag, 2004, Tabelle 2.2, S.17

    22) Bent, M et al., HSL-Zuid, Railvolution (6) 1, 2006, S.58-63


    Prof. Dr.-Ing. Ingo Hansen ist Hochschullehrer an der niederländischen Technischen Universiteit Delft. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Entwurf von Verkehrsanlagen, Öffentlicher Personenverkehr und Eisenbahnbetriebswissenschaft.

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