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Klaus Holzkamp

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Forum Wissenschaft

Ein neues Kriegsbild?

15.01.2002: Acht Thesen zu einem nahezu protestfrei hingenommenen Krieg

  
 

Forum Wissenschaft 1/2002; Titelbild: Eckart Schmidt

Der Krieg gegen Afghanistan und die deutsche Beteiligung an diesem hat zwar innerhalb der grünen Regierungsabteilung einiges Hin und Her ausgelöst, aber außerhalb des Parlaments tat sich recht wenig. Die Deutschen scheinen sich bereits ans Kriegführen gewöhnt zu haben, und solange es denn weit weg stattfindet, bemerkt mensch höchstens die Jojo-spielenden Benzinpreise. Johannes M. Becker analysiert, wie es kommen konnte, dass auch in Deutschland das Kriegführen kaum noch Aufregung hervorruft.

Januar 1991: Eine Reihe von Staaten bombardiert den Irak, mit UNO-Mandat und 14 Mrd. DM Zuschuss aus Bonn. Deutschlands Nachwuchs blockiert Kreuzungen und beschmiert Häuserwände: "Kriegstreiber Kohl".

März 1999: Die NATO führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, die rosagrün geführte Bundeswehr ist in erster Front dabei. Außenminister Joseph Fischer reklamiert "Auschwitz" als historische Legitimation für die deutsche Teilname am Bomben. Der Autoverkehr der Berliner Republik passiert ungehindert weiß getünchte Häuserwände.

November/Dezember 2001: Die rosagrüne Bundesregierung drängt sich den in Afghanistan Krieg führenden USA als Junior-Partner auf. Der Kanzler desavouiert das Parlament mit der Vertrauensfrage, vorher hatten die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien bereits ihre Abgeordneten entmündigt. Endlich darf Deutschland (nach einer kräftigen Steuererhöhung zur Finanzierung des Vorhabens) Krieg führen. Die Republik bleibt (weitgehend) ruhig.

Was ist geschehen? Der Klimawechsel in Deutschland, was die zuständige soziale Bewegung anbelangt, hat wesentlich mit einem neuen Bild vom Krieg zu tun. Ich argumentiere in 8 Thesen.

"Interessen" statt "Verteidigung"

1. Die heute zu konstatierende Politik beginnt nach dem Fall der Mauer und nach dem Ende der Blockkonfrontation in ihrer bisherigen Form.

Das neue große Deutschland (in Frankreich und Großbritannien grassiert zeitweise die Rede von "Le bzw. The Grossdeutschland") fordert immer mehr Einfluss bei der Neuordnung der Erde. Erstes sichtbares Zeichen sind im Jahre 1992 die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" unter Verteidigungsminister Stoltenberg. Hier ist erstmals offiziell die Rede von der "Wahrnehmung von Interessen" im Gegensatz zu den Aussagen des Grundgesetzes: "Der Bund stellt Truppen zum Zwecke der Verteidigung auf."

Die Rede von "Interessen" und von der durch Deutschland nun, nach dem "Geschenk der Wiedervereinigung" zu übernehmenden Verantwortung löste übrigens die tiefe Legitimationskrise der Bundeswehr aus, die sich mit der Auflösung von UdSSR und Warschauer Vertragsorganisation (WVO) abgezeichnet hatte.1

2. Diese neue Anlage der Sicherheitspolitik der westlichen Staaten wird auf breitere Füße gestellt mit dem neuen NATO-Statut (verabschiedet anlässlich der 50-Jahr-Feier im Mai 1999), in dem drei wesentliche Neuerungen fixiert sind: Auch die NATO spricht nun nicht mehr von "Verteidigung" im Falle eines Angriffs auf ein Mitgliedsland, sondern von der "Wahrung von Interessen" (was ein gewaltiger Unterschied ist); das Aktionsgebiet der NATO ist fortan nicht mehr auf den nordatlantischen Raum begrenzt; die Interessen werden global wahrgenommen; die NATO agiert fortan notfalls auch ohne ein Mandat der UNO, d.h. selbstmandatiert (der Jugoslawienkrieg wird somit im Nachhinein legitimiert).

Und wenn Caspar Weinberger, ehemals Verteidigungsminister der USA, die Ölreserven der kaspischen Staaten als vital im Interesse der USA stehend bezeichnet2, kann man über den weiteren Fortgang der Konfliktlage vielerlei Vermutungen anstellen.

3. Das Bild vom Krieg hat sich auch infolge des Vietnam-Traumas in den USA gewandelt: Die Rede vom "Chirurgischen Schlag" oder auch von der "Technologisierung der Kriegsführung" legt nahe, dass die Armeen der Industriestaaten, vor allem natürlich die der USA, heute Ziele akkurat, d.h. gerade ohne die unerwünschten Nebeneffekte treffen und zerstören können (Beide Termini kamen beim Golfkrieg gegen den Irak 1991 erstmals auf und wurden weiter kultiviert im Krieg gegen Jugoslawien 1999). Die militärische Realität sieht allerdings anders aus: So traf im vergangenen Jugoslawien-Krieg lediglich ein Drittel (!) der Hightech-Waffen ihre Ziele.3 Im Afghanistan-Krieg allerdings haben die USA bereits "Fortschritte" gemacht durch das "Echtzeit"-Bombardment: In geringen Höhen klärten unbemannte Drohnen auf - aus großen Höhen wurden dann gleichzeitig Bomben geworfen. Die Treffergenauigkeit verbesserte sich deutlich.

Die Illusion vom "Krieg mit null Toten" (fr.: "la guerre à zéro morts") bedeutet, dass man quasi ohne eigene Verluste Krieg führen kann. Die "Resultate" sind in der Tat beeindruckend: Im Golfkrieg betrugen die Verluste der UN-Truppe lediglich ca. 150 (!) Soldaten, im Jugoslawienkrieg gar nur noch wenige Dutzend. Problematisch an diesem Bild vom "Krieg mit null Toten" ist, dass er die Toten der Gegenseite, so im Irak die 300.000 Toten des zweiten Golfkrieges oder auch die Zivilopfer in Jugoslawien, ausser Acht lässt.

Anfang Dezember 2001 häuften sich die Meldungen, dass die US-Truppen in Afghanistan größere Verluste zu verzeichnen haben: angeblich bereits 500 Soldaten. Dies mag die aufgezeigte Illusion verletzen. Zum einen jedoch hatten die USA wohl nicht damit gerechnet, eigene Bodentruppen im nun vollzogenen Ausmaße einsetzen zu müssen; zum anderen halten sich die Verluste quantitativ doch in derart engen Grenzen, dass ein neues Vietnam-Trauma nicht zu erwarten ist. Im Übrigen zieht die US-Regierung derzeit offenbar Lehren aus dem partiellen Debakel der afghanischen "Nordallianz". Sie hat umfangreiche Sondierungen in Somalia und im Irak begonnen4, um lokale Oppositionsbewegungen dafür zu gewinnen, Bodenkämpfe zu führen. Auch Ausbildungskapazitäten werden eröffnet. Das Trauma des Ausblutens der eigenen Jugend fern der USA sitzt tief.

Normalisierung des Krieges

4. Die Rechtfertigungsbasis für Kriege hat sich - im globalen Maßstab - weiter gewandelt. Führte man früher offen Eroberungs- oder Kolonial-Kriege und definierte man insbesondere nach den Grauen des II. Weltkrieges Rüstung als notwendig zum Zwecke der Verteidigung (die Kriegs- hießen nun Verteidigungsminister), so führt man heute Kriege gegen "Diktatoren" von "Schurkenstaaten" und - als Gipfel - zum Wohle der Menschenrechte. Obendrein nennt man diese Kriege dann auch noch "Luftschläge". Man beachte auch die feine Nomenklatur mit Frieden erhaltenden oder Frieden schaffenden Maßnahmen. Aufrüstung und Krieg benötigt man in jedem Falle. Das Militärkontingent, das in diesen Wochen in das zuvor zerbombte Afghanistan geschickt wird, wird feinnervig "Schutztruppe" genannt.

Beim Krieg gegen den "Islamismus" hat man auch endlich wieder einmal einen "Extremismus" und einen "-ismus" im Visier, wo die übrigen "-ismen" verschwunden scheinen. Der "Schurke" erinnert also an Kommun"ismus", gar an den Befreiungskrieg gegen den Fasch"ismus".

5. Die Medien, vor allem das Fernsehen, haben eine neue Rolle in der Sicherheitspolitik inne. Bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes sind sie eher Nach-(Be-)Richter. Der Irak-Krieg der NATO jedoch läutet (maßgeblich unter der Dominanz des US-Senders CNN) eine neue Ära ein: Nun begleiten TV-Teams Kriege mit Live-Übertragungen, militärische Schläge orientieren sich an der Primetime großer Medien, deren Konzerne im Zuge der allumfassenden Konzentrationen zudem auch mit Rüstungsproduzenten verwoben sind.

Auch hier markiert Vietnam die Wende: Die Analyse des Pentagon gibt den Medien eine wesentliche Rolle beim verlorenen Krieg. Die Konsequenz: Frühes Einbinden vor allem der visuellen Medien in Kriegsvorbereitung, sehr genaues Selektieren der Nachrichtenströme (s. Jugoslawienkrieg 1999), allumfassendes Lenken medialen Vollzuges. Auch kleinräumlich ist ein Wandel zu beobachten: Minister Scharping bspw. wird seit geraumer Zeit von einem Medienunternehmen (Huntzinger in Frankfurt/M.) beraten. Nichts soll mehr dem Zufall überlassen werden. Weder soll noch je ein Militär-Minister im Wüstensand stolpernd und fallend zu filmen sein, noch sollen die Fahrradunfälle Scharpings seine politischen Gegner (wie Freunde) nachdenklich machen.

6. Die Abschaffung bzw. Aussetzung der Wehrpflicht, die in der Bundesrepublik nach den kommenden Wahlen nicht lange auf sich warten lassen wird, tut ein Übriges. Die Existenz einer Armee von Freiwilligen macht es leichter als eine Wehrpflichtigen-Armee, Truppen in einen Krieg zu schicken. Die bekannte Volksweisheit mag zwar vereinfachend sein, falsch ist sie jedenfalls nicht: "Eine Wehrpflichtarmee muss der Bevölkerung erklären, warum sie in den Krieg zieht. Eine Berufsarmee muss erklären, warum sie nicht in den Krieg zieht." So tut sich eine interventionsbereite Regierung sicherlich leichter im Umgang mit Berufssoldaten. Kriegführen und Intervenieren wird zum normalen Politikvollzug.

Die Wehrpflicht wird derzeit von der militärischen und politischen Führung vornehmlich aufrecht erhalten zum Zwecke eines besseren Zugriffs auf ein größeres Personalspektrum eines jeden Jahrgangs. Die Bundeswehr ist nämlich, im Gegensatz zu mancherlei Spekulationen auf der politischen Linken, nicht daran interessiert ein Sammelbecken Rechtsradikaler oder Marginalisierter, Arbeitsloser etc. zu werden.

7. Auch die neue (u.a. deutsche, hier von Innenminister Schily eingeführte) Strategie, Kriegsflüchtlinge "vor Ort" zu versorgen, d.h. die Krieg führenden Länder der "ersten Welt" und ihre Bevölkerung nicht mehr mit den unmittelbaren Folgen ihrer Kriege zu konfrontieren, dient vor allem dem Ziel, die Schwelle vor der bewaffneten Konfliktlösung weiter zu senken. Kamen in den frühen 90er Jahren noch 400.000 bis 500.000 Flüchtlinge aus Jugoslawien nach Deutschland, so waren es im Krieg von 1999 nur noch weit weniger als 100.000. Es gibt damit in der Bevölkerung kein "Bild vom Krieg".

Permanente Intervention

8. Die US-Regierung hat die Terroranschläge zum "Krieg" gegen die USA und gegen die "Zivilisation" erklärt. Sie verdeutlichte in diesem Zusammenhang wiederholt, dass sie von einem langen "Feldzug" gegen den Terrorismus ausgeht, der sich auch nicht auf Afghanistan beschränken wird. Verschiedene - den internationalen Terrorismus vermeintlich fördernde - Staaten wurden genannt, in denen die Intervention weitergeführt werden könnte: Irak, Somalia, Sudan usw. Anfang Dezember 2001 war die Rede von etwa 50 Staaten, die sich im Visier der USA befänden. Die Regierung Bush hat mit ihrer Rede vom "Krieg" gegen die USA und dem notwendigerweise langen Abwehrkampf eine Legitimationsgrundlage zu schaffen versucht für eine Politik der permanenten Intervention. Auch eine neue Welle der Aufrüstung (u.a. National Missile Defence System5) ist hiermit verbunden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb in diesem Zusammenhang über die plötzliche Renaissance des Gedenkens an Pearl Harbor und seine Veteranen in den USA: "Pearl Harbor muss derweil als leuchtendes Beispiel dienen, als Rezept, wie ein Trauma nicht nur zu überwinden ist, sondern durch den aufopfernden Einsatz der gesamten Nation auf viele Jahre hin patriotische Zinsen abwirft."6

Fazit: Das "neue Kriegsbild" bedeutet im Wesentlichen, dass wir es - funktioniert das Vorhaben - im Massenbewusstsein gar nicht mehr mit "Kriegen" zu tun haben, sondern mit einer besonderen, durch die neuen Unsicherheiten der internationalen Gesellschaft erforderten Form der Sicherheitspolitik. Sicherheitspolitik wird hier freilich, und das ist der Sinn des Ganzen, auf Militärpolitik reduziert. Die mächtigen und reichen Staaten der Erde wollen vor allem auf die wachsenden sozialen Probleme nicht mehr politisch, sondern mit permanenter Intervention reagieren.

Die Europäische Union schickt sich an, eigene, d.h. von den USA unabhängige, Interventionskapazitäten aufzubauen. Und: Die Bundesrepublik Deutschland passt mit ihrer gerade vollzogenen und durch den Mazedonien- und Afghanistan-Einsatz gleichsam gekrönten Wende von einer (Tendenz zur) Zivillogik7 hin zur Militärlogik gut in diese neue sicherheitspolitische Welt. Die "Enttabusierung des Militärischen" (Bundeskanzler Schröder) ist weitgehend vollzogen.

All dies gilt es mit klarem Kopf zu analysieren und die verbleibenden Kräfte zur Gegenwehr zu sammeln.


Anmerkungen

1) S. hierzu: J.M. Becker: Militär und Legitimation. Eine vergleichende Studie zur Sicherheitspolitik Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland. Marburg (IAFA) 1997

2) junge Welt vom 11.12.01

3) Die NATO selbst sprach von 50-60 % Treffergenauigkeit.

4) junge Welt vom 12.12.01

5) Beim NMD werden die Terroranschläge lediglich zum Anlass eines gigantischen Rüstungsprojekts genommen. Dieses dient in Wirklichkeit der Absicherung einer weltumfassenden Interventionsfähigkeit der USA.

6) Jordan Mejias in der FAZ vom 10.12.2001

7) Einige Überlegungen zu den Hintergründen dieser latent zivilisatorischen, teilweise pazifistischen Haltung weiter Kreise der Bundesrepublik in den ersten Nachkriegsjahrzehnten: Zum Ersten ist sie zu schulden dem kollektiven Gedenken an die Greuel und Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, der ja seinen Ursprung im faschistischen Deutschland hatte; zum Zweiten mündete dieser Krieg bekanntlich in eine Desavouierung alles Militärischen und eine streitkräftefreie Zäsur von immerhin einem Jahrzehnt, an das sich dann eine gewisse sicherheitspolitische Sonderrolle der Bundesrepublik anschloss, eingeschlossen Rüstungsbeschränkungen infolge des WEU-Vertrages; schließlich sollten die Folgen der Hartnäckigkeit der sozialen Bewegungen gegen die Remilitarisierung, gegen die drohende Atombewaffnung, gegen die Raketenstationierung, gegen den Golfkrieg etc. (s.o.) nicht unterschätzt werden. Immerhin resultierte aus den letztgenannten Bewegungen auch der Aufstieg der GRÜNEN als starker friedenspolitischer Partei - bis zu ihrem Regierungseintritt im Herbst 1998. Dann wurden ebendiese GRÜNEN zum zentralen Faktor des Auseinanderbrechens der Friedensbewegung.


PD Dr. Johannes Maria Becker lehrt Politikwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und an der Fachhochschule für Technik in Reutlingen

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