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Klaus Holzkamp

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ArbeitnehmerInnenschutz oder Berufsverbot?

15.04.2002: Der Streit um die neue "Zwölf-Jahres-Frist" im Hochschulrahmengesetz

  
 

Forum Wissenschaft 2/2002; Titelbild: B. Froomer

Die 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes schlägt an den Hochschulen Wellen, vor allem wegen der Neuregelungen im Dienstrecht des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals. Während den ProfessorInnen weiterhin lebenslanger Vertrauensschutz gewährt wird, müssen sich die nicht-professoralen Angestellten auf neue Befristungsregelungen einstellen, die ihre Lebensplanung mitunter völlig über den Haufen werfen. Von "Massenentlassungen" und "Berufsverbot" ist da die Rede. Andreas Keller sieht die Sache anders.

Seit Anfang des Jahres werden die Hochschulen von einer Protestwelle gegen die neuen Vorschriften zur Befristung von Arbeitsverträgen im Hochschulrahmengesetz (HRG) erschüttert. Auf der Tagesordnung stehen Vollversammlungen des akademischen Mittelbaus, Resolutionen und Unterschriftensammlungen des wissenschaftlichen Nachwuchses, wie wir es seit den wilden Jahren der legendären Bundesassistenkonferenz um 1970 nicht mehr erlebt haben. Und doch ist manches anders als vor 30 Jahre: Im Postfach von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn liegen nahezu gleich lautende Protestresolutionen von Mittelbauversammlungen, akademischen Fachgesellschaften und FachbereichsdekanInnen einträchtig nebeneinander. Der Deutsche Hochschulverband, die konservative Standesvereinigung der UniversitätsprofessorInnen, läuft Schulter an Schulter mit der Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de ausgerechnet gegen jene Vorschriften Sturm, die, wenn nicht auf Druck, so doch in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften ins HRG aufgenommen worden sind. Was ist passiert?

Den Stein ins Rollen hat Anfang Januar 2002 der Freiburger Historiker Ulrich Herbert mit einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung gebracht.1 Herbert warnte, an den Hochschulen stünden in Folge des neuen HRG "Massenentlassungen" bevor - "eine ganze Generation hochqualifizierter Wissenschaftler" sei betroffen. Es folgte ein ganze Flut ähnlicher Beiträge in den Feuilletons und Hochschulseiten überregionaler Tageszeitungen - gelegentlich aufgelockert durch verzweifelte Erwiderungen von KoalitionspolitikerInnen.2

Herbert u.a. machten auf die Neuregelung der Vorschriften zur Befristung von Arbeitsverträgen mit wissenschaftlichem und künstlerischem Personal (§§57a bis 57f HRG) durch die 5. HRG-Novelle aufmerksam. Diese Gesetzesänderung war zwar bereits am 9. November 2001 vom Bundestag beschlossen worden, wurde aber vom Bundespräsidenten erst am 16. Februar 2002 unterzeichnet und konnte zum 23. Februar 2002 in Kraft treten.3 Dass ein beschlossenes Gesetz so lange beim Bundespräsidenten liegt, ist ungewöhnlich und hat zweifellos damit zu tun, dass es erhebliche Zweifel daran gab, ob die 5. HRG-Novelle ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Der Bundesrat hatte in seiner Sitzung vom 30. November 2001 seine Zustimmung zur Novelle verweigert. Ob die Zustimmung des Bundesrats erforderlich gewesen wäre, ist ungeklärt. Mehrere unionsregierte Bundesländer haben unterdessen eine Verfassungsklage gegen die HRG-Novelle angekündigt.4 Der Widerstand des Bundesrats und der Unionsländer hat indes nichts mit der aktuellen Auseinandersetzung um die Fristverträge zu tun. Die Bundesratsmehrheit bestand aus prinzipiellen Gründen auf der Zustimmungspflicht der HRG-Novelle; die Unionsländer können sich mit der Quasi-Abschaffung der Habilitation nicht abfinden. Keiner der beteiligten politischen Akteure, weder die Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de noch die Hochschulen haben vor Verabschiedung der 5. HRG-Novelle auf mögliche Probleme im Zusammenhang mit dem neuen Fristvertragsrecht aufmerksam gemacht.

Stein des Antoßes

Der Stein des Anstoßes im neuen HRG liegt in der so genannten Zwölf-Jahres-Frist in § 57b. Dort heißt es in Absatz 1 Satz 1 und 2: "Die Befristung von Arbeitsverträgen des in § 57a Abs. 1 Satz 1 genannten Personals, das nicht promoviert ist, ist bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig. Nach abgeschlossener Promotion ist eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren, im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren zulässig; die zulässige Befristungsdauer verlängert sich in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben." Diese Vorschrift gilt gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 HRG für wissenschaftliche und künstlerische MitarbeiterInnen an Hochschulen sowie - nach § 57d - an staatlichen oder überwiegend staatlich finanzierten außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Wissenschaftliche und künstlerische Hilfskräfte (mit Hochschulabschluss) dürfen maximal vier Jahre befristet beschäftigt werden; ihre Beschäftigungszeit wird auf die Höchstbefristungsdauer von zwei Mal sechs Jahren angerechnet.

Bereits der Wortlaut dieser Normen macht deutlich, dass es sich genau genommen nicht um eine Zwölf-Jahres-Frist, sondern um eine Sechs-plus-sechs-Jahres-Frist (in der Medizin um eine Sechs-plus-neun-Jahres-Frist) handelt: Wer promoviert ist und erstmals an einer Hochschule befristet beschäftigt werden soll, darf dies immer für maximal sechs (bzw. neun) Jahre - auch dann, wenn er vor seiner Promotion nach altem Recht bereits über sechs Jahre beschäftigt war, aber auch, wenn er vor seiner Promotion überhaupt noch nicht befristet beschäftigt war. Außerdem enthält die Vorschrift eine "Bonus-Regelung" für schnelle DoktorandInnen: Unterschreiten die befristeten Beschäftigungszeiten vor der Promotion sowie Promotionszeiten ohne Beschäftigung sechs Jahre, verlängert sich die Möglichkeit zur Fristbeschäftigung nach der Promotion entsprechend. Wer z.B. nach vier-jähriger Promotionszeit die Doktorwürde erlangt, für die oder den verwandelt sich die Sechs-plus-sechs-Jahres-Frist in eine Vier-plus-acht-Jahres-Frist (in der Medizin sogar: vier plus elf statt sechs plus neun). Leider macht das neue HRG keine Angaben zu der Frage, wie denn "Promotionszeiten ohne Beschäftigung" im Einzelnen zu definieren sind: Wird einfach pauschal die Zeit vom Studienabschluss bis zur Doktorprüfung berechnet, wird erst vom Zeitpunkt der Annahme als DoktorandIn durch den Fachbereich an gerechnet oder zählen überhaupt nur durch Stipendium geförderte Promotionszeiten? Fest steht nur, dass eine direkte Anrechnung von Promotionszeiten ohne Beschäftigung (wie z.B. Stipendien) ausgeschlossen ist - lediglich eine indirekte Anrechnung in Form einer Nichtanwendung der Bonusregelung ist vorgesehen.

Was passiert nun mit jenen WissenschaftlerInnen, die bereits sechs plus sechs (bzw. neun) Jahre befristet beschäftigt waren? Drohen ihnen "Massenentlassungen"? Unterliegen sie einem "Berufsverbot"?5 Mitnichten. WissenschaftlerInnen, die die Höchstbefristungsdauer nach § 57b HRG erreicht haben, können entweder weiter befristet beschäftigt werden, soweit dies das allgemeine Arbeitsrecht - insbesondere das Teilzeit- und Befristungsgesetz vom Dezember 20006 - zulässt, oder aber, was § 57b Abs. 2 HRG ausdrücklich klarstellt, in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis weiter beschäftigt werden. Im Übrigen: Zu Entlassungen berechtigt das HRG-Fristvertragsrecht gerade nicht - es geht um das Auslaufen von Fristverträgen, deren Dominanz gerade Kennzeichen der alten, heute zu reformierenden, Hochschulpersonalstruktur ist.

Was in der jüngsten Debatte häufig übersehen wurde: Bereits vor der 5. HRG-Novelle unterlag die Möglichkeit zur Befristung von Arbeitsverträgen erheblichen, unter bestimmten Gesichtspunkten sogar restriktiveren, Beschränkungen. Gemäß § 57c Abs. 2 HRG alter Fassung war die Befristung eines Arbeitsvertrages mit wissenschaftlichen MitarbeiterInnen sogar auf nur fünf Jahre (in der Medizin nach § 57c Abs. 4 alter Fassung auf insgesamt acht Jahre) beschränkt. Darüber hinaus war die Befristung eines Arbeitsvertrages nur zulässig, wenn ein sachlicher Grund für die Befristung vorlag7 - nach neuem Recht ist die Angabe eines Grundes nicht mehr erforderlich. Tatsächlich gab es aber viele Möglichkeiten zur Umgehung der Fünf-Jahres-Frist im HRG alter Fassung. So eröffnete ein Arbeitgeberwechsel die Möglichkeit, weitere fünf Jahre befristet beschäftigt zu werden. Eine Beschäftigung als wissenschaftliche Hilfskraft wurde nicht auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet. Ebenso wenig eine Beschäftigung als ZeitbeamtIn - als wissenschaftlicheR AssistentIn, OberassistentIn oder HochschuldozentIn.

Einhegung des Wildwuchses

Auf diese Weise waren nahezu endlose Befristungskarrieren möglich, zum Beispiel nach folgendem Muster: nach dem Studium vier Jahre wissenschaftliche Hilfskraft, dann fünf Jahr wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Promotion, anschließend weitere fünf Jahre in einem Forschungsprojekt, danach sechs Jahre wissenschaftliche Assistentin zur Habilitation, schließlich weitere vier Jahre Hochschuldozentin. Die einzelnen Abschnitte sind nicht selten in Arbeitsverträge mit kürzeren Laufzeiten gestückelt; Unterbrechungen werden mit Unterstützung des Arbeitsamtes überbrückt - selbstverständlich ohne die Mitarbeit am Forschungsprojekt auszusetzen. Und dann? Nach den im Beispiel 24 Jahren befristeter Beschäftigung gelangte die ein halbes Leben als "Nachwuchs" definierte Wissenschaftlerin endlich auf den Olymp der alma mater und wurde zur Professorin berufen - oder aber sie stand, für die außerhochschulische Berufspraxis überqualifiziert und überspezialisiert, vor dem beruflichen Aus.

Die 24-Jahre-Befristungs-Karriere ist, zugegeben, ein zugespitztes Beispiel. Aber eben auch deshalb, weil nach jedem einzelnen dieser Kettenarbeitsverträge die weitere Zukunft ungewiss und ein Ausscheiden aus dem Wissenschaftsprozess möglich ist. Das war im Jahr 2001 der Ausgangspunkt für die 5. HRG-Novelle: eine ausufernde Praxis der Befristung von Beschäftigungsverhältnissen, in Verbindung mit einer schleichenden Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen - durch Zwangsteilzeitbeschäftigung (bei stillschweigend erwarteter Mehrarbeit in der Freizeit), durch immer kürzere Vertragslaufzeiten von nicht selten nur wenigen Monaten, durch die Ausweitung unterbezahlter und tariflich sowie sozialversicherungsrechtlich ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse (wissenschaftliche Hilfskraftstellen), zunehmend auch durch Tätigkeiten als Scheinselbstständige (Honorarkräfte und Werkverträge). Diese Entwicklung sei eine zwingende Notwendigkeit der modernen Organisation wissenschaftlicher Arbeit, die mehr und mehr auf befristeten Projekten und internationaler Mobilität beruhe, werden gerade jene nicht müde zu betonen, die als ordentlich besoldete bezahlte LebenszeitbeamtInnen mit Pensionsansprüchen bereits alle Sekuritätsbedürfnisse befriedigt haben, die sie nichtprofessoralen WissenschaftlerInnen vorenthalten möchten. Es muss in aller Regel nicht einmal umständlich begründet werden, warum sich eine Gruppe von WissenschaftlerInnen, die ProfessorInnen, den Flexibilisierungsanforderungen des modernen Wissenschaftsbetriebs ebenso vollständig entziehen kann wie sich ihnen die andere Gruppe zu unterwerfen hat.

Vor diesem Hintergrund sind politische Maßnahmen zur Einhegung des Wildwuchses an befristeten Beschäftigungsverhältnissen im Wissenschaftsbereich längst überfällig. Gewerkschaften und linke HochschulreformerInnen fordern daher seit Langem, an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen neben Qualifikationsstellen mit befristeten Verträgen endlich ausreichend Funktionsstellen mit unbefristeten Verträgen für die Erfüllung der Daueraufgaben in Forschung und Lehre bereit zu stellen.8 Die Entscheidung über einen dauerhaften Verbleib von Nachwuchskräften im Wissenschaftssystem muss möglichst früh fallen, nicht erst wie heute ab Mitte 40, sondern bereits nach der Promotion. Die Chancen auf dem außerhochschulischen Arbeitsmarkt sind zu diesem Zeitpunkt noch gut. Und nur so kann Chancengleichheit für Frauen und Männer erreicht werden, die sich nicht ausschließlich der Wissenschaft hingeben, sondern auch der Familienarbeit und Kindererziehung widmen. Die fehlende Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere ist ein wesentliches Hindernis, das in besonderem Maße Frauen von dem steinigen Weg zu einer Professur abhält, da sie häufiger als Männer die private Lebenssituation in ihre Lebensplanung einbeziehen müssen. WissenschaftlerInnen müssen jenseits von Nachwuchsqualifikation und Professur eine Perspektive haben, an Hochschulen und Forschungseinrichtungen Wissenschaft als Beruf auszuüben. Hierin liegt eine der zentralen Herausforderungen für eine Dienstrechts- und Personalstrukturreform, die die rot-grüne Bundesregierung 2001 endlich auf die Tagesordnung gesetzt, letztlich aber nur halbherzig und widersprüchlich umgesetzt hat.9

Ungleiche Lastenverteilung

An dieser Herausforderung ist die Bundesregierung schon deshalb gescheitert, weil sie auf die Einführung eines tenure track, einer kalkulierbaren Laufbahn für NachwuchswissenschaftlerInnen, verzichtet hat. Ein tenure-track-System würde geeigneten Nachwuchskräften die Perspektive eröffnen, nach Maßgabe eines Begutachtungsverfahrens von einer Funktion mit einem hohen Anteil an Qualifikationsaufgaben, z.B. einer Juniorprofessur, in eine Regelprofessur übernommen zu werden. Kommt es zu keiner Berufung oder Übernahme auf eine Professur, wären die positiv evaluierten JuniorprofessorInnen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter zu beschäftigen.10Die massive Kritik am Verzicht auf ein tenure-track-System hat SPD und Grünen wenigstens noch die Konzession abverlangt, den Landesgesetzgebern die Möglichkeit zu eröffnen, JuniorprofessorInnen ohne Stellenausschreibung auf eine Professur zu berufen (§ 45 Abs. 1 Satz 3 HRG). Diese Rahmenvorschrift ermöglicht bei entsprechender landeshochschulgesetzlicher Ausgestaltung erste Schritte in Richtung tenure track, allerdings nur in Einzelfällen: Nach wie vor werden JuniorprofessorInnen nach Ablauf ihres befristeten Beschäftigungsverhältnisse vom Zufall abhängig sein, dass gerade eine geeignete Professur frei wird; arbeitet der Zufall gegen sie, haben sie auch bei einer positiven Evaluierung keinerlei gesicherte Perspektiven für eine Weiterbeschäftigung.

Die Bundesregierung hat auch darauf verzichtet, die strukturellen Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung von Beschäftigungsverhältnissen mit wissenschaftlichen MitarbeiterInnen so zu verändern, dass der Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge gefördert wird. Es gibt weder ein Bund-Länder-Sonderprogramm für eine Anschubfinanzierung noch eine Quotenregelung, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen verpflichtet, für einen Mindestanteil ihrer Stellen unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu begründen. Es ist im Gegenteil bekannt, dass der Wissenschaftsrat bei der Evaluierung von Forschungseinrichtungen einen zu hohen Anteil an unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen negativ bewertet.

Die Maßnahmen der rot-grünen Regierung beschränken sich darauf, eine verbindliche, individuelle Höchstbefristungsdauer festzuschreiben. Das reicht nicht aus, da eine weitreichendere Veränderung von Rahmenbedingungen erforderlich wäre. Dennoch ist es grundsätzlich zu unterstützen, die Möglichkeit zur Befristung von Arbeitsverhältnissen in Hochschule und Forschung zu begrenzen. Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden umdenken müssen: Wenn sie die Kontinuität und Qualität ihrer wissenschaftlichen Arbeit sichern möchten, haben sie gefälligst für angemessene Arbeitsbedingungen zu sorgen. Erst wenn die rechtlichen Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen eingeschränkt werden, wird die Bereitschaft zur Begründung unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse zunehmen.

Unbefristete Beschäftigung ist nicht mit auf Lebenszeit begründeten Dienstverhältnissen (etwa von BeamtInnen) zu verwechseln. Selbst die Finanzierung von Forschungsprojekten mit Drittmitteln hat keineswegs zwingend die Befristung von Arbeitsverträgen zur Folge. Ebenso wenig wie ein Industriebetrieb seine MitarbeiterInnen befristet beschäftig, weil die zukünftige Auftragslage nicht vorsehbar ist, muss eine Hochschule oder eine Forschungseinrichtung ihre MitarbeiterInnen mit Fristverträgen abspeisen, weil sie keine Gewissheit über das zukünftige Drittmittelaufkommen hat. Es ist durchaus möglich, MitarbeiterInnen unbefristet zu beschäftigen und sie im Falle des Auslaufens von Projektmitteln entweder in einem anderen Projekt weiter zu beschäftigen oder ihnen, wenn es dazu keine Alternative gibt, eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Für die Betroffenen ist es zwar ebenfalls unerfreulich, wenn dieser Fall eintritt; gleichwohl haben sie eine größere Rechtssicherheit: Die Kündigung muss begründet sein und sie ist arbeitsgerichtlich überprüfbar. Vor allem darf sie erst dann ausgesprochen werden, wenn die Drittmittel wirklich ausgelaufen sind und keine anderweitige Beschäftigung möglich ist. Die Hochschulleitungen fordern dagegen maximale Flexibilität von ihren wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, wollen ihnen aber 100 Prozent des damit verbundenen Risikos aufbürden. Auch diese ungleiche Lastenverteilung ist ein Grund für die Abwanderung qualifizierter Nachwuchskräfte ins Ausland oder in die Wirtschaft.

Rückzug angetreten

Nach allgemeinem Arbeitsrecht ist das unbefristete Beschäftigungsverhältnis das Regelarbeitsverhältnis. Wird dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis im Wissenschaftsbereich umgekehrt, wird damit einer Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen insgesamt Vorschub geleistet. Die Bedenken, dass sich das neue Fristvertragsrecht negativ auf jene Nischen im etablierten Wissenschaftsbetrieb auswirken könnte, in denen kritische Wissenschaftsansätze gepflegt, in denen Frauen- und Geschlechterforschung, Friedens- und Konfliktforschung oder sozial-ökologische Forschung betrieben wird, sind ernst zu nehmen und zu prüfen - auch wenn schon das alte HRG nur unter sehr engen Voraussetzungen eine Fristbeschäftigung erlaubt hat. Dennoch wäre gerade von Wissenschaftsinstitutionen kritischer Provenienz wäre zu erwarten, dass sie Zusammenhänge zwischen Hochschuldienstrecht und Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen reflektieren und bei ihren Protestaktionen gegen das neue HRG-Befristungsrecht mitbedenken - nicht zuletzt, um sie auch gegenüber Gewerkschaften, SozialdemokratInnen oder demokratischen SozialistInnen überzeugender vortragen zu können.

Das neue Regelwerk hätte einen Beitrag gegen die fortschreitende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsbereich leisten können - wenn die Bundesregierung nicht längst den Rückzug angetreten hätte. In Interpretationshilfen zum neuen HRG, die sich an einem Beitrag des bereits zur Vorbereitung der Gesetzesänderung als Gutachter bestellten Kölner Arbeitsrechtlers Ulrich Preis und dessen Mitarbeiter Tobias Hausch orientieren11, versucht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aufzuzeigen, dass Wissenschaftseinrichtungen auch weiterhin über die 12-Jahres-Grenze hinaus munter befristen könnten - nach Maßgabe des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. So erlaubt etwa § 14 Abs. 1 Nr. 7 dieses Gesetzes eine befristete Beschäftigung, wenn "der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind". Preis und Hausch interpretieren das Gesetz darüber hinaus dahin gehend, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch die Drittmittelfinanzierung12 sowie die Ausgestaltung eines reibungslosen Übergangs vom alten zum neuen HRG-Befristungsrecht befristete Arbeitsverträge nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz rechtfertigten. Ob sich diese juristische Interpretation auch bei den Arbeitsgerichten durchsetzen wird, ist offen.

Die Bundesregierung argumentiert mehr und mehr nach dem Motto: War alles nicht so gemeint - seht her, es gibt genug Schlupfwinkel zur Umgehung unseres Reformwerkes. Am Ende droht die Rechtslage wieder ebenso unberechenbar und intransparent zu werden, wie sie es vor der 5. HRG-Novelle war. Der erwünschte Zuwachs an unbefristeten Arbeitsverträgen wird unter diesen Umständen auf sich warten lassen, weil die Hochschulleitungen Rückendeckung für eine elegante Umschiffung des neuen Regelwerks bekommen. Hinzu kommt, dass sich KoalitionspolitikerInnen mittlerweile auch politisch vom ursprünglichen Anliegen der Neuregelung, das Befristungsunwesen an Hochschulen einzudämmen, distanzieren. Der hochschulpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Reinhard Loske denkt laut über eine Korrektur der Neuregelung nach13; der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller und deren Hochschulberichterstatter Peter Eckardt versuchen den klaren Wortlaut des neuen HRG kurzer Hand umzuinterpretieren: "Das neue Hochschulrahmenrecht begrenzt nicht die Zeit begründeter Arbeitsverträge in der Wissenschaft bei Drittmittelprojekten oder Forschungsvorhaben auf Zeit, sondern lediglich die Zeit der Qualifikation vor und nach der Promotion (…)"14 Ein so umgedeutetes HRG reduziert dessen Zielsetzung auf die Beschleunigung des Qualifikationsprozesses - nicht mehr die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, sondern die Überalterung von DoktorandInnen und ProfessorInnennachwuchs wird zum Problem deklariert.15

Überforderter Staat

Die Bundesregierung hat die Akzeptanz für ihre 5. HRG-Novelle nicht zuletzt dadurch unnötig erschwert, dass sie auf die sonst üblichen Übergangsregelungen verzichtet hat. Während die Reform der ProfessorInnenbesoldung den Betroffenen lebenslangen Vertrauensschutz gewährt, muss sich das nichtprofessorale Personal über Nacht auf neue Befristungsregelungen einstellen. So werden Lebensplanungen einer sich selbst schon verloren sehenden Generation durchkreuzt - jener Generation, der man schon immer den Eindruck vermittelt, überzählig zu sein: Sie war der "Studentenberg", den es zu untertunneln galt; ihr stehen heute die BAföG-Schulden bis zum Hals; Riesters Rentendeform wird ihr als erste an den Kragen gehen. Die rot-grüne Koalition hat sich auf diese Weise in eine strategische No-win-Situation gebracht: Sie hat die, zu deren Schutz sie das HRG novellieren wollte, gegen sich aufgebracht, aber gleichwohl jene, die von vornherein gegen jede Form der Erneuerung des Hochschuldienstrechts opponierten, nicht auf ihrer Seite. Im Gegenteil ist sie drauf und dran, große Teile des verunsicherten wissenschaftlichen Nachwuchses in die Arme des konservativen Hochschulverbandes zu treiben.

Für Übergangsregelungen ist es auch nach Inkrafttreten des geänderten HRG noch nicht zu spät. Im April soll das HRG ohnehin erneut novelliert werden. Aus diesem Grund hat die PDS-Bundestagsfraktion im Rahmen ihres Alternativentwurfs für eine 6. HRG-Novelle einen Vorschlag für die nachträgliche Aufnahme einer Übergangsbestimmung zur 5. HRG-Novelle in den Bundestag eingebracht, um den Vertrauensschutz von Betroffenen wieder herzustellen.16 Auf die Befristungshöchstdauer von 12 Jahren dürften Zeiten aus Beschäftigungsverhältnissen vor Inkrafttreten des neuen Rechts nur eingeschränkt angerechnet werden: Für Beschäftigungszeiten bis zur Promotion darf keine Anrechnung erfolgen, soweit es sich um eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft gehandelt hat; für Beschäftigungszeiten nach der Promotion darf überhaupt keine Anrechung erfolgen. Darüber hinaus hat die PDS im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt.17 Die Fraktion möchte von der Bundesregierung wissen, in welchem Umfang WissenschaftlerInnen von den neuen Vorschriften betroffen sind, wie sich das neue Recht auf die Hochschulen und Forschungseinrichtungen auswirken wird. Der Bundesregierung liegen 30 Fragen vor, aus deren Beantwortung sich auch ergeben wird, auf welcher Datengrundlage sich ihre wissenschaftspolitischen Maßnahmen und Argumentationen vollziehen.

Die Auseinandersetzungen um die neuen HRG-Befristungsregeln machen jedoch vor allem eines deutlich: Der Staat ist mit der detaillierten Regulierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen Personals überfordert. 1985 ist er aus seiner Rolle als Arbeitgeber und Tarifpartner in die Rolle des Gesetzgebers geschlüpft und hat die Modalitäten der Befristung von Arbeitsverträgen wissenschaftlicher MitarbeiterInnen einseitig oktroyiert: durch das Hochschulzeitvertragsgesetz, das die Aufnahme der §§ 57a ff. ins HRG zur Folge hatte.18 Mit einem Federstrich im Bundesgesetzblatt wurden geltende Tarifverträge zur Makulatur.

Das größte Versäumnis der rot-grünen Bundesregierung ist, diesen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie nicht korrigiert zu haben. Eine wissenschaftsadäquate Ausgestaltung von Beschäftigungsbedingungen und ein tragfähiger Interessenausgleich könnten am besten durch eine kollektivvertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erreicht werden. Rot-Grün und Schwarz-Gelb widersetzen sich seit 15 Jahren ausgerechnet dort einer konsequenten Entstaatlichung, wo sie von Gewerkschaften gefordert wird. In ihrem Entwurf für eine 6. HRG-Novelle fordert die PDS daher auch einen Rückzug des Staates aus der einseitigen Regulierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen Personals: Wie in anderen Branchen muss dies auch im Wissenschaftsbereich wieder zur Sache der Tarifpartner werden. Der Gesetzgeber sollte daher zumindest, solange er vor einer Streichung der §§ 57a bis 57f HRG zurückschreckt, eine Öffnung der Tarifsperre in § 57a HRG normieren: Arbeitgeber und Gewerkschaften sollten das Recht haben, die Befristungsvorschriften abweichend vom HRG in einem Wissenschaftstarifvertrag oder im Rahmen des BAT zu regeln.19


Anmerkungen

1) Ulrich Herbert: Die Posse, An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft, in: Süddeutsche Zeitung, 9.1.02.

2) Etwa Edelgard Bulmahn: Flexibilität braucht keine Schlupflöcher, Zurück zu den Fakten - Klarstellung zum neuen Befristungsrecht für Hochschulangehörige, in: Süddeutsche Zeitung, 26.1.02.

3) Bundesgesetzblatt 2002, Teil I, S. 693 ff.

4) Dies ist schon deshalb kurios, weil wir es bei der 4. HRG-Novelle 1998 mit der umgekehrten Konstellation zu tun hatten: Die CDU/CSU-FDP-Regierung verabschiedete das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrats; die SPD-Länder erwogen einen Gang nach Karlsruhe, der allein deshalb ausblieb, weil SPD und Grüne wenig später die Bundestagswahl gewannen.

5) Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Auf die freie Wildbahn geschickt, in: <A>Die Zeit<A*> 6/2002: "Über Nacht sind daher Tausende von Privatdozenten, Assistenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern von diesem faktisch verhängten Berufsverbot betroffen (…)"

6) Bundesgesetzblatt 2000, Teil I, S. 1966 ff.

7) Gleichzeitig enthielt aber § 57b Abs. 2 HRG alter Fassung eine exemplarische Aufzählung zulässiger sachlicher Gründe, die so weit reichend und unbestimmt war, dass praktisch in jedem Einzelfall eine Befristung gerechtfertigt war. Die durch die HRG-Novelle von 1985 außer Kraft gesetzte Sonderregelung 2y zum Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) war demgegenüber präziser und - für die befristenden Arbeitgeber - riskanter, sodass in einigen Fällen wissenschaftliche MitarbeiterInnen erfolgreich auf Entfristung ihrer unbefristeten Arbeitsverträge klagen konnten.

8) Zu Konzepten für eine Reform der Hochschulpersonalstruktur vgl.: Andreas Keller: Ein uneingelöstes Vermächtnis, Konzeptionen zur Reform der Personalstruktur an Hochschulen seit 1968, in: hochschule ost 3-4/2000, S. 15-29.

9) Vgl. ausführlich: Torsten Bultmann/Andreas Keller: Die verkorkste Jahrhundertreform, Zur Bewertung des 5. HRG-Änderungsgesetzes, in: Forum Wissenschaft 4/2001, S. 53-56.

10) So etwa der Änderungsantrag der PDS zur 5. HRG-Novelle: Bundestags-Drucksache 14/7394.

11) Ulrich Preis/Tobias Hausch: Die Neuordnung der befristeten Arbeitsverhältnisse im Hochschulbereich, im Internet abzurufen unter: www.uni-koeln.de/jur-fak/instsozr/aktuell/hrg.htm (soll in Kürze in der Neuen Juristischen Wochenschrift erscheinen). Vgl.: Thomas Dieterich/Ulrich Preis: Befristete Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung, Konzept einer Neuregelung im Hochschulrahmengesetz, Köln 2001.

12) Zumindest dann, "wenn festgestellt werden kann, dass sich Drittmittelgeber und Arbeitgeber gerade mit den Verhältnissen dieser Stelle und der dort zu erledigenden Aufgabe befasst haben." Eine "allgemeine Unsicherheit über das Weiterlaufen von Drittmitteln" reiche hingegen nicht aus, um ein befristetes Beschäftigungsverhältnis zu begründen.

13) Christian Füller: Grüne lassen Bulmahn allein, in: taz, 20.02.02.

14) Peter Eckardt/Michael Müller: Eine Hochschule ist keine Fabrik, Weil Wissenschaftspolitik nicht realitätsfremd sein darf, müssen wir Übergangsregelungen prüfen, in: Süddeutsche Zeitung, 5.3.02.

15) Ähnlich argumentiert Gerhard Neuweiler: Endlich eine Reform, die dieses Prädikat verdient, in: Frankfurter Rundschau, 26.02.02. Vgl. dagegen noch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, a.a.O.: "Institutsleiter und Hochschulverwaltungen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder in drittmittelfinanzierten Zeitverträgen beschäftigen, ohne ihnen im Rahmen einer Personalentwicklung entweder die Chance einer unbefristeten Anstellung, oder - rechtzeitig - einer Qualifizierung für andere berufliche Tätigkeiten zu eröffnen, geben damit kein Zeichen von Flexibilität, sondern von fehlendem Bewusstsein ihrer sozialen Verantwortung ab."

16) Bundestags-Drucksache 14/8295.

17) Bundestags-Drucksache 14/8421.

18) Bundesgesetzblatt 1985, Teil I, S. 1065 ff.

19) Die bereits in § 57a Abs. 1 Satz 3 HRG normierte Öffnungsklausel lässt dies genau nicht zu, da sie den Tarifpartner lediglich "für bestimmte Fachrichtungen und Forschungsbereiche", nicht aber in der Fläche abweichende Vereinbarungen erlaubt.


Dr. Andreas Keller ist Politologe, Referent für Wissenschaftspolitik bei der PDS-Bundestagsfraktion und Mitglied im BdWi-Bundesvorstand

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