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Klaus Holzkamp

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Von Kabul nach Bagdad

15.10.2002: Chronik eines angekündigten Krieges

  
 

Forum Wissenschaft 4/2002; Titelbild: E. Schmidt

Seit US-Präsident George W. Bush der "Welt des Terrors" den Krieg erklärte und dabei insbesondere die "Achse des Bösen" als erstes Angriffsziel ins Visier nahm, ist der Beginn dieses Krieges nur noch eine Frage der Zeit. Ein Mandat der UN scheint da nur noch aus kosmetischen Gründen interessant zu sein. Die Einleitung der "dritten Phase" wird sich nur sehr schwer verhindern lassen, befürchtet Peter Strutynski, und zeichnet den us-amerikanischen Schlachtplan gegen "das Böse" nach.

Die erste Phase begann mit einem Krieg. Am 7.Oktober 2001 starteten anglo-amerikanischen Luftangriffe auf vermeintliche Terroristennester in Afghanistan. Ein wellenförmiger Krieg, der schon mehrmals "siegreich" beendet zu sein schien und doch immer weitergeht. Das erste Mal siegten die "Alliierten" mit der Eroberung der letzten großen Taliban-Bastion Kandahar am 7. Dezember, das zweite Mal mit der Inthronisation einer auf dem Petersberg bei Bonn Anfang Dezember zusammengebastelten Übergangsregierung unter Hamid Karsai am 22. Dezember, das dritte Mal mit der formellen Beendigung der Bodenoffensive "Anaconda" am 11. März 2002.

Von Erfolg zu Erfolg

Auch dazwischen und danach war der Krieg reich an Erfolgsmeldungen: die Einnahme von Masar-i-Sharif, durch Truppen der Nordallianz am 9./10. November 2001, die Erstürmung der Bergfestung Tora Bora am 16. Dezember, sowie die Gefangennahme oder Tötung diverser prominenter Taliban- oder Al-Qaida-Führer. Die Zahl der getöteten Gegner geht in die Tausende. Wäre der Krieg allein mit dem alttestamentarischen und heute dem Islam in die Schuhe geschobenen Prinzip der (Blut-)Rache begründet, so sind jedenfalls die rund 2.900 Terroropfer des 11. September mehr als gerächt, "Gerechtigkeit" in diesem Verständnis also über Gebühr hergestellt. Ganz zu schweigen von den zivilen Opfern, die bereits Anfang Dezember 2001, also nach nur zwei Monaten Krieg, ebenfalls in die Tausende gingen.1 Seither ist mehr als ein halbes Jahr vergangen - Zeit genug, um nicht nur die ein oder andere Hochzeitsgesellschaft auszulöschen (auch dies "Erfolge", wenn man die militärische Effizienzrelation "Getötete pro Bombe" betrachtet) oder aufgrund von Fehlinformationen der eigenen Aufklärung die eigenen Verbündeten zu bombardieren; auch Zeit genug, der afghanischen Bevölkerung außerhalb des ISAF-geschützten UNOtops Kabul zu demonstrieren, dass nach westlichem Verständnis doch der Krieg der Vater aller Dinge ist.

Einen echten Erfolg kann die US-Diplomatie für sich verbuchen, der es gelungen ist, in den knapp vier Wochen zwischen dem 11. September und dem 7. Oktober eine fast weltweite Koalition zusammen zu bringen, die das Bemühen unterstützen wollte, die Drahtzieher der Terroranschläge von New York und Washington zur Rechenschaft zu ziehen. Daraus hätte man allerdings viel mehr und vor allem anderes machen können als einen Krieg. Der Aufbau internationaler Kooperationsbeziehungen von Ermittlungsbehörden, Justiz, Polizeikräften und Geldinstituten über Kultur- und Rechtssystemgrenzen hinweg und in "schwache" Staaten hinein wäre nicht nur eine Investition in die Zukunft gewesen, sondern hätte möglicherweise auch schon auf die Spur einiger hochrangiger Terroristen führen können. Mit der Option für den Krieg hat US-Präsident Bush all diese Trümpfe aus der Hand gegeben und sich der militärischen Logik anvertraut. Dass er sich zu diesem Schritt entschloss, nachdem er sogar von der Taliban-Regierung ein Angebot erhalten hatte, Osama bin Laden und sein Al-Qaida-Hauptquartier an ein drittes Land auszuliefern, lassen Zweifel hinsichtlich der Motive für den Krieg aufkommen. Obwohl heute allgemein davon ausgegangen wird, dass sich die Spitzenkräfte des Al-Qaida-Netzwerks überall in der Welt, nur nicht (mehr) in Afghanistan aufhalten, wird der Krieg in diesem Land fortgesetzt. Das Land bleibt in der Gewalt der USA. Genau das dürfte das eigentliche Ziel des Krieges gewesen sein. Die knapp vier Wochen bis zum Angriff nutzte Bush, um den Europäern zu demonstrieren, dass die USA nicht in "Cowboy"-Manier zurückschlagen würden, sondern vor der Option Krieg alle politischen Möglichkeiten auszuschöpfen gewillt seien.

Nun war bzw. ist der Afghanistan-Feldzug nur die erste Phase des US-amerikanischen andauernden "Krieges gegen den Terror". Die zweite Phase sollte darin bestehen, in ausgewählten Ländern und Regionen, in denen Unterschlüpfe für Terroristen vermutet werden, diese mit Hilfe der regulären Sicherheitskräfte der betroffenen Staaten aufzuspüren und zu bekämpfen. Dabei treten US-Militärs angeblich nur als Berater oder als Ausbilder der jeweiligen einheimischen Streitkräfte auf. Bekannt geworden ist diese Art der Kooperation aus Georgien, den Philippinen, aus Jemen und Tadschikistan. Auch wenn über die wirkliche Tätigkeit der US-Spezialeinheiten so gut wie keine Informationen erhältlich sind, so wissen wir doch wenigstens, dass sie sich dort auf längere Zeit eingerichtet haben. Dies gilt selbst für die Philippinen, deren Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo die GIs unter Umgehung der Verfassung ins Land geholt hat. Die philippinische Verfassung verbietet den Einsatz fremder Truppen auf eigenem Boden. Deshalb deklarierte Arroyo die US-Militärhilfe als Manöver. In einem CNN-Interview am 17. Januar 2002 sagte sie: "Die Leute haben vielleicht den Eindruck, diese Soldaten seien zum Kämpfen gekommen. Das ist aber nicht so, sie sind hier um gemeinsam mit unseren Männern zu trainieren." Die Operation Balitakan (Seite an Seite), wie das "Training" offiziell hieß, dauerte immerhin sieben Monate. Am 31. Juli 2002 gab das US-Verteidigungsministerium den Abzug der Truppen bekannt. Sie hätten die Ausbildung der philippinischen Anti-Terror-Einheiten erfolgreich abgeschlossen, hieß es gleichlautend aus Manila und Washington. Dass weder der philippinische "Oberschurke" Abu Sayyaf und dessen Gang niedergerungen wurden noch die sonstigen Entwicklungsprobleme des Landes, insbesondere Mindanaos auch nur ansatzweise einer Lösung zugeführt werden konnten, darüber las man in der Erklärung des Pentagon nichts.

Inzwischen haben die USA ihre politische Offensive in Südostasien auf die seit Jahren mit unterschiedlichem Erfolg agierende Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN) ausgedehnt, die sich aus mittlerweile zehn nichtpaktgebundenen Ländern der Region zusammensetzt. Bei einem zweitägigen Treffen in Brunei Ende Juli 2002 haben sich die Außenminister der ASEAN-Staaten auf ein Anti-Terror-Abkommen mit den USA geeinigt. Dieses Abkommen sieht u.a. eine engere Zusammenarbeit der Geheimdienste und den gegenseitigen Austausch von Informationen vor. Den USA wird dabei eine führende Rolle zugestanden. Im Gegenzug dazu versprach Washington technische und finanzielle Hilfe. Bedenken, die im Vorfeld der Konferenz insbesondere von Vietnam geäußert worden waren, dass mit einem solchen Abkommen das in der ASEAN sehr hoch bewertete Prinzip der Nichteinmischung untergraben werde, konnten sich nicht durchsetzen. Zwar wurde von den 10 Außenministern eine größere Rolle der Vereinten Nationen im Kampf gegen den Terror angemahnt, doch die USA bestanden darauf, dass das Abkommen einem möglichen Einsatz ihrer Soldaten in der Region nicht entgegenstehen dürfe. Schon heute befinden sich die siebte Flotte und rund 100.000 US-Soldaten in der Region.

Die dritte Phase: Krieg gegen Irak

Im Drehbuch des Pentagon schließt sich an diese "Low-intensity-conflict"-Phase als dritte Phase ein nächster großer Krieg an. Diesmal geht es gegen einen der drei "Oberschurkenstaaten", die Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002 erstmals als "Ache des Bösen" namentlich benannt hat: Nordkorea, Iran und Irak.2 Beweise für Komplizenschaften zwischen den Regierungen dieser Staaten mit Osama bin Laden gibt es nicht, darauf kommt es aber, wie der Fall Afghanistan zeigt, auch nicht an. Die offizielle Argumentation hebt inzwischen schon längst auf einen weiteren "Kriegsgrund" ab: Die "Achse des Bösen" verfüge über Massenvernichtungswaffen und entsprechende Trägersysteme oder plane ihren Bau und bedrohe damit tendenziell die USA. In einer Rede im Virginia Military Institute am 17. April 2002 wurde US-Präsident Bush deutlich: "Schließlich sieht sich die zivilisierte Welt einer ernsten Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ausgesetzt. Eine geringe Zahl geächteter Regime entwickelt und besitzt heute chemische, biologische und nukleare Waffen. Sie fertigen Raketen als Trägersysteme und kultivieren gleichzeitig ihre Kontakte zu Terrorgruppen. Durch die Bedrohung des Friedens, durch ihre verrückten Ambitionen, durch ihr destruktives Potenzial und die Unterdrückung ihres eigenen Volks stellen diese Regime eine Achse des Bösen dar, gegen die die Welt vorgehen muss." Und jeder wusste, wer gemeint war, als Bush in seiner berühmt gewordenen West-Point-Rede vor AbsolventInnen der Militärakademie am 1. Juni 2002 den augenblicklichen "Hauptschurken" dieser Welt beschrieb: "Eindämmung ist nicht möglich, wenn verrückte Diktatoren mit Massenvernichtungswaffen Raketen als Träger für diese Waffen haben oder sie insgeheim terroristischen Verbündeten zur Verfügung stellen."

Darüber, dass ein Krieg gegen den Irak unvermeidlich ist, scheint in der politischen Klasse der USA Konsens zu herrschen. Es geht nicht um das Ob, sondern nur noch um das Wie und Wann des Krieges. Viele BeobachterInnen halten einen Kriegsbeginn im Februar 2003 für wahrscheinlich.

Eine endgültige Festlegung des Kriegsbeginns, so die Einschätzung, unterliegt in erster Linie innenpolitischen Erwägungen. Die Teilwahlen zum US-Kongress im November spielen im Kalkül der Bush-Administration eine ebenso große Rolle wie die absehbare weitere Abschwächung der Binnenkonjunktur. US-Präsident Bush wird längst nicht mehr nur als Garant militärischer Stärke und Sicherheit angesehen, geschweige denn als fähiger Politiker, der die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes anpacken könnte. Die Enron-Pleite 2001 ist nicht vergessen; die Bilanzmachenschaften großer Konzerne, unter ihnen einer der Marktführer der "New Economy", WorldCom, in das neben dem Vizepräsidenten Cheney Präsident Bush persönlich verstrickt ist, sind nationales Skandalthema. Während die Außenpolitik im allgemeinen kein Thema ist, mit dem Wahlen zu gewinnen (oder zu verlieren) sind, kann sie in ihrer spezifischen "Fortsetzung" als Krieg durchaus wahlentscheidend werden. Für Wochen oder Monate würde sich das patriotische Amerika (und Amerika war immer patriotisch) hinter ihrem Präsidenten scharen im festen Glauben, einen gerechten Krieg gegen das verabscheuungswürdigste Regime der Welt zu führen.

Aus dem konservativen Lager meldet eine Reihe prominenter Stimmen Bedenken hinsichtlich eines zu unbedachten Losschlagens an. So z.B. Brent Scowcroft, während des zweiten Golfkriegs (1991) Sicherheitsberater des US-Präsidenten George Bush sen., die ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und Laurence Eagleburger und auch der populäre Befehlshaber der US-Truppen im Golfkrieg, General Norman Schwarzkopf. Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater unter Präsident Carter, nannte in einem Beitrag für die Washington Post im August 2002 eine Reihe von Voraussetzungen, die vor einem Angriff gegen den Irak erfüllt sein müssten: Notwendig sei erstens, dass der Präsident in einer Ansprache an die Bevölkerung seine Argumente sorgfältig darlegt und begründet, weshalb die Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen so ernst sei, dass die USA zum Handeln gezwungen sei. Zweitens müsse die US-Administration verdeutlichen, warum Abschreckung als Mittel nicht mehr genüge. Drittens empfiehlt Brzezinski, dass Präsident Bush die internationale Initiative ergreifen solle. Insbesondere sollten die USA eigene Vorschläge für umfassende Waffeninspektionen im Irak ins Spiel bringen. Falls Saddam die Inspektionen erneut ablehne, könne dies als legitimer Kriegsgrund hingestellt werden. Viertens sollten sich die USA aktiver für die Beendigung des Nahostkonflikts engagieren. Fünftens sollten sich die USA möglichst bald mit den Verbündeten und den betroffenen arabischen Staaten zu Gesprächen über eine irakische Nachkriegsordnung zusammenfinden. All diese Schritte seien geeignet, dem militärischen Vorgehen der USA international eine größere Legitimation zu verschaffen. "Wenn es denn Krieg sein soll, so muss er in einer Weise geführt werden, die die globale Hegemonie der USA legitimiert und gleichzeitig zu einem zuverlässigeren System der internationalen Sicherheit führt."

Beim Afghanistan-Krieg war der Kriegsgrund für die USA im In- und Ausland noch relativ leicht einzusehen: Die Verbindung zwischen den Attentaten vom 11. September und dem in Kabul regierenden Taliban-Regime war nicht von der Hand zu weisen und das Versprechen, Ossama bin Laden und sein Terrornetzwerk Al Qaida zerschlagen zu wollen, klang für einen Großteil der "Staatengemeinschaft" zumindest plausibel. Auch der Sicherheitsrat begab sich mit seinen Resolutionen in eine zwielichtige Position, von der aus etliche Völkerrechtsexperten den Krieg als UN-mandatiert ansahen.3 Und schließlich sorgte der Krieg selbst, der zwar vorwiegend als destruktiver Luftkrieg geführt wurde, aber mit der verbündeten "Nordallianz" rechtzeitig Bodentruppen zur Geländegewinnung zur Verfügung hatte, dafür, dass die kritischen Stimmen leiser wurden. Mit den sich eher zufällig einstellenden Erfolgen (Beendigung des Taliban-Regimes, Bildung einer Koalitionsregierung auf dem Petersberg bei Bonn, Entsendung von internationalen UN-Truppen [Isaf] zur Sicherung Kabuls, Aufbau diverser Infrastruktur- und Bildungseinrichtungen in Kabul), konnten die augenscheinlichen militärischen Misserfolge übertüncht werden.

Dürftige Argumente

Die bisherige Argumentation der US-Administration, Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen und könne diese an Terroristen weitergeben, schlägt insbesondere bei den europäischen Verbündeten nicht so recht an. Schon während des Europa-Trips des US-Präsidenten im Mai 2002 wurde das Werben des Präsidenten mit auffälliger Zurückhaltung aufgenommen. Als die Spekulationen um einen bevorstehenden US-Angriff im Juli/August an Substanz gewannen, waren PolitikerInnen aus den wichtigen europäischen Ländern gezwungen, Stellung zu beziehen. Am 5. Juli hatte die New York Times über den Inhalt eines Dokuments des Pentagon berichtet, wonach ein US-amerikanischer Angriff mit rund 250.000 Soldaten erfolgen sollte. Der Plan sah einen Angriff von drei Seiten vor (Kuwait im Süden, Jordanien im Westen und Türkei im Norden), wobei die US-Kampfflugzeuge von ihren Stützpunkten in acht Ländern einen "gewaltigen Luftkrieg entfesseln und Tausende von Zielen, einschließlich Flugplätze, Straßen und Telekommunikationsknotenpunkte, zerstören" sollten. US-Spezialeinheiten würden darüber hinaus im Hinterland irakische Depots und Waffenlager angreifen. So realistisch die Kriegsplanung war, so vage war der zeitliche Horizont der Aktion. Gleichzeitig verstärkten die USA ihre diplomatischen Bemühungen, Regierungen des arabischen Raums für ihre Anti-Saddam-Politik einzunehmen. Dabei dürften sanfter Druck ebenso im Spiel gewesen sein wie finanzielle und militärische Zugeständnisse. Washington bemühte sich besonders um Jordanien, die Türkei, Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Emirate. Letztere erhielten z.B. am 17. Juli von Washington eine Zusage von Rüstungslieferungen im Wert von 1,5 Mrd. Euro. Jordanien ließ wiederholt erklären, dass sie gegen eine US-Intervention im Irak seien. Ähnlich äußerte sich auch der Außenminister von Saudi-Arabien nach einem Treffen mit seinem iranischen Amtskollegen in Teheran Anfang August. Die Türkei soll in Verhandlungen mit dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz Mitte Juli als Gegenleistung für eine Zustimmung zum US-Angriff Militärhilfe und politische Unterstützung in der Zypern-Frage sowie im Annäherungsprozess an die EU gefordert haben. Wenige Tage später beschloss der US-Kongress, der Türkei 228 Mio. Dollar zur Verfügung zu stellen - offiziell für ihren Einsatz in Afghanistan (die Türkei leitet derzeit die UN-Sicherungstruppe Isaf), inoffiziell gilt aber der größte Teil des Geldes als "generelle Unterstützung" für die Türkei. Ob das Werben um Unterstützung von Erfolg gekrönt sein wird, ist nur schwer einzuschätzen.

Das Zeichen für mehr Aufmüpfigkeit unter den europäischen Regierungen gab letztlich das deutsch-französische Gipfeltreffen Chirac-Schröder am 30. Juli. Übereinstimmend erklärten sie, jedes militärische Vorgehen gegen Irak bedürfe einer Legitimierung durch die Vereinten Nationen, d.h. einer eindeutigen Resolution des UN-Sicherheitsrats. Eine solche Ermächtigung ist derzeit schwer vorstellbar. Außerdem erklärte der deutsche Bundeskanzler, US-Präsident Bush habe zugesichert, vor Militäraktionen die NATO-Verbündeten zu "konsultieren." Seither haben SpitzenpolitikerInnen der rot-grünen Koalition wiederholt ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht. Selbst die CDU/CSU musste angesichts der Stimmungslage in der Bevölkerung von einer ersten den Krieg befürwortenden Stellungnahme des außenpolitischen Experten des Stoiber-"Kompetenzteams" abrücken und auf vorsichtige Distanz zu den Kriegsplänen gehen. Am 16. August bezeichnete der CSU-Landesgruppensprecher im Bundestag Michael Glos einen US-Militärschlag gegen den Irak als "Abenteuer". Es bestehe keinerlei Absicht, und das könne er auch für den Kanzlerkandidaten sagen, "sich an einem militärischen Abenteuer irgendwo in der Welt zu beteiligen - schon gerade nicht in Irak."

Kampfansage an die UNO

Die Rede des US-Präsidenten vor der UN-Generalversammlung am 12. September stellt eine wichtige Zäsur in den Kriegsvorbereitungen dar. Sie war der geschickteste diplomatische Schachzug in Bushs bisheriger Amtszeit, gelang ihm doch zweierlei: Einmal wurde die inneramerikanische Kritik, soweit sie sich gegen einen möglichen Alleingang der USA wandte, entwaffnet. Bush bat ja ausdrücklich um ein Engagement der Vereinten Nationen und plädierte für ein internationales Vorgehen gegen den Irak. Zum anderen besänftigte er die europäischen Regierungen, denen der Unilateralismus der USA schon lange ein Dorn im Auge gewesen war. Mit der Einbindung des UN-Sicherheitsrats, so schien es, würde den internationalen Organisationen und dem Völkerrecht wieder mehr Gewicht verliehen. Und als Draufgabe kündigte Bush an, die USA wollten der UNESCO (UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) wieder beitreten, die sie Mitte der 80er Jahre wegen angeblicher Linkslastigkeit verlassen hatten.

Vorausgegangen war die Eröffnungsrede des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, der sich im ersten Teil seiner Rede mit den Grundlagen der Vereinten Nationen auseinandersetzte. Er erinnerte eindringlich an die Konstruktion der Staatengemeinschaft als einer "multilateralen" Weltordnung, die - entsprechend der UN-Charta - auf dem Prinzip der Unabhängigkeit, Souveränität und Gleichheit aller Staaten beruhe. Insofern könne nur "multilaterales Handeln" den Herausforderungen der Gegenwart gerecht werden: "Nur durch multilaterales Handeln können wir den Menschen in den Entwicklungsländern die Chance geben, dem Elend der Armut, Ignoranz und Krankheit zu entkommen. Nur durch multilaterales Handeln können wir uns vor saurem Regen oder der globalen Erwärmung schützen, vor der Verbreitung von HIV/Aids, dem illegalen Drogenhandel, oder dem abscheulichen Menschenhandel. Dies gilt umso mehr für den Schutz vor Terrorismus." Und es war vor allem den USA ins Stammbuch geschrieben, was Kofi Annan zur Einhaltung des Völkerrechts und zur Respektierung der Beschlüsse der internationalen Institutionen sagte. Außer dem Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta "gibt es keinen Ersatz für die einzigartige Legitimation durch die Vereinten Nationen, wenn Staaten entscheiden Gewalt anzuwenden, um mit umfassenderen Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit fertig zu werden. Die Mitgliedsstaaten legen großen Wert auf diese Rechtmäßigkeit und die internationalen Rechtsgrundsätze."

Die großen Prinzipien der Vereinten Nationen schrumpften in der anschließenden Rede des US-Präsidenten auf einen Multilateralismus von US-Gnaden. Einen großen Teil seiner Rede widmete Bush der Auflistung der Verstöße des Irak gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Dies betrifft die Nichteinhaltung von Abrüstungsvereinbarungen, die heimlichen Bemühungen Bagdads, biologische und chemische Massenvernichtungswaffen herzustellen oder an nuklearwaffenfähiges Material heranzukommen, sowie die ständigen schweren Verletzungen von Menschenrechten, die Unterdrückung des ganzen Volkes. Von den Vereinten Nationen verlangt Bush, sich die eingeschlagene Irak-Politik der USA zu eigen zu machen. Eine andere Wahl habe die UN nicht: "Wir werden mit dem UN-Sicherheitsrat an den notwendigen Resolutionen arbeiten. Aber über die Absichten der Vereinigten Staaten sollten keine Zweifel bestehen. Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates werden umgesetzt, den gerechtfertigten Forderungen nach Frieden und Sicherheit muss Folge geleistet werden - oder ein Vorgehen gegen den Irak wird unvermeidlich." Eine solche Kampfansage an die höchste Instanz der Staatengemeinschaft ist einzigartig in der Geschichte der UN. Die einzige Supermacht dieser Erde diktiert dem Rest der Welt, in diesem Fall dem UN-Sicherheitsrat, was er zu tun und zu lassen hat. Beugt sich die Staatengemeinschaft diesem Diktat, dann kann auch nach den Spielregeln des "Multilateralismus" verfahren werden. Beugt sie sich nicht, dann ist es damit ein für allemal vorbei: "Die ganze Welt steht nun vor einer Prüfung und die Vereinten Nationen vor einem schwierigen und entscheidenden Augenblick. Müssen Resolutionen des Sicherheitsrats befolgt und umgesetzt oder dürfen sie folgenlos beiseite geschoben werden? Werden die Vereinten Nationen ihrem Gründungszweck gerecht oder werden sie bedeutungslos?"

Nur wenige Tage nach der Bush-Rede vor der UN-Generalversammlung legte der US-Präsident nach. Er veröffentlichte am 20. September eine neue "Nationale Sicherheitsstrategie", in der mit der Betonung des Rechts auf einen Präventivkrieg ("preemptive strike") eine Rückbildung des Völkerrechts auf den Stand vormoderner Epochen vorgenommen wird. Die alten Präventionsrezepte aus der Zeit des Kalten Krieges, die auf Abschreckung und Eindämmung des Gegners abzielten und damit Krieg vermeidende Strategien waren, verlören heute ihre Wirksamkeit. Die neuartige Verbindung von Terrorismus und Technologie, so lautet die Lageeinschätzung, verlange von der freien Welt effektivere präventive Maßnahmen - nicht nur, aber eben auch militärischer Art. Denn Abwarten könne tödlich sein. Völkerrechtlich bedeutet dies einen Sprung zurück nicht nur in die Zeit vor den Kellogg-Pakt zur Ächtung des Krieges (1928), sondern im Grunde genommen vor den Westfälischen Frieden von 1648.

Der Stand der Dinge

In der Rede vor der UN-Generalversammlung hatte Kofi Annan den Irak aufgefordert, die UN-Resolutionen einzuhalten und die Waffeninspekteure wieder ins Land zu lassen. Für diesen Fall stellte er sogar die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak in Aussicht. Zur Überraschung vieler BeobachterInnen ging die irakische Führung nur wenige Tage später auf diese Forderung ein und erklärte, sie würde den UN-Waffeninspekteuren die Rückkehr "ohne Bedingungen" erlauben. In dem Brief an Kofi Annan begründete Außenminister Nadschi Sabri diese Entscheidung damit, dass seine Regierung "auf Ihren Appell und ebenso auf die Appelle des Generalsekretärs der Arabischen Liga sowie arabischer, islamischer und anderer befreundeter Länder reagiert" habe. Es ist klar, dass Bagdad die Drohgebärden der USA in dem Zusammenhang nicht erwähnt, obwohl diese natürlich eine Rolle spielten. Wer indessen geglaubt hätte, Washington würde sich auf dieses Angebot einlassen - so wie es zunächst fast alle Regierungen taten - hat die Ernsthaftigkeit unterschätzt, mit der die Bush-Administration das "Projekt Irak" verfolgt. Es geht nicht um die Entwaffnung des Irak, es geht nicht um die Abwendung einer vermeintlichen Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen, und es geht auch nicht um den Schutz von Menschenrechten oder um die Herstellung demokratischer Verhältnisse im Land, sondern es geht letztlich um die Kontrolle einer Region, die für die Versorgung der Menschheit mit Primärenergie von zentraler Bedeutung ist. Während ein Großteil der europäischen Staaten einschließlich Deutschland dasselbe Ziel besser mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln meint verfolgen zu können, setzen die USA auf die Karte der Konfrontation bis hin zum "Präventiv"-Krieg. Beiden gemeinsam ist das fehlende Verständnis für die grundlegenden ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme in einer sich globalisierenden Gesellschaft. Zu deren "Lösung" bedient man sich zunehmend militärischer Mittel. Was in diesem Prozess der Militarisierung - sollte er nicht umgekehrt werden - auf der Strecke bleibt, sind die Prinzipien des Völkerrechts und ihre institutionellen Strukturen. Geht in der internationalen Politik das Faustrecht des Stärkeren wieder vor die Stärke des Rechts, dann hat die militärisch überlegene Macht zweifellos die meisten strategischen Vorteile in der Hand. Ein schwacher Trost ist da die Verheißung von Immanuel Wallerstein,4 wonach die USA nur noch zehn Jahre für den unabwendbaren Abstieg als einer entscheidenden Macht in der Weltpolitik zu erwarten haben. Schon heute sei es so, dass die USA lediglich auf militärischem Gebiet eine Weltmacht darstellen, ökonomisch seien sie es längst nicht mehr. Für Wallerstein stellt sich deshalb nicht mehr die Frage, "ob die US-Hegemonie schwindet, sondern ob die Vereinigten Staaten einen Weg finden in Würde abzudanken, mit einem Minimum an Schaden für die Welt und für sie selbst." Nun hat es solche Schwanengesänge auf die Weltmacht USA schon des öfteren gegeben. Mit dem Krieg gegen den Irak demonstrieren die USA zunächst einmal ihre imperiale Ausnahmestellung in der Welt - mit all den verheerenden Folgen für die betroffenen Menschen, die Nahost-Region, das Völkerrecht und die künftigen internationalen Beziehungen. Da vor dieser Perspektive vielen Staaten graut, besteht noch ein Funken Hoffnung, die US-Administration auf den Pfad der Tugend zurück zu bringen. Der kontinentaleuropäische Widerstand gegen den Krieg hat auch schon seine Spuren hinterlassen. Zwar hat der US-Kongress am 10. Oktober 2002 eine gemeinsame Resolution verabschiedet, die den US-Präsidenten fast bedingungslos zum Krieg gegen Irak ermächtigt.5 Verglichen mit der einsamen Gegenstimme der Abgeordneten Barbara Lee vor einem Jahr, als es um den Krieg gegen Afghanistan ging, können sich dieses Mal die 133 Gegenstimmen im Repräsentantenhaus und die 23 Gegenstimmen im Senat durchaus sehen lassen. Sie spiegeln auch den zunehmenden Protest in der Gesellschaft wider, der sich wie schon lange nicht mehr in großen Demonstrationen und in viel beachteten Meinungsäußerungen prominenter WissenschaftlerInnen, SchriftstellerInnen und KünstlerInnen ausdrückt. Dieser Protest dürfte auch hier notwendig sein, um die neuaufgelegte Bundesregierung in ihrem Nein zu diesem Krieg zu bestärken.

Anmerkungen

1) vgl. die Auswertung verschiedener Quellen von Marc Herold (www.uni-kassel.de/fb10/regionen/Afghanistan/opfer.html )

2) Diese sowie die weiteren Reden, denen Zitate entnommen wurden, sind zu finden unter: www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/USA.html .

3) zur Widerlegung dieser Auffassung vgl. Friedens-Memorandum 2002

4) Immanuel Wallerstein (2002): The Eagle Has Crash Landed. In: Foreign Policy, Juli/August 2002 (ww.foreignpolicy.com/issue_julyaug_2002/wallerstein.html )

5) Ermächtigungsresolution zur Anwendung militärischer Gewalt gegen den Irak 2002 (ww.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Irak/resolution114.html )


Dr. Peter Strutynski ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamthochschule Kassel. Außerdem ist er Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.

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