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Pannen und Gefahren (II)

15.07.2010: oder: Gen-Medizin auf dem Acker

  
 

Forum Wissenschaft 1/2010; Manfred Vollmer

"Grüne Gentechnik" soll den "Hunger in der Welt besiegen". Von rot-grün gemischter Gentechnik ist hier die Rede. Sie soll Krankheiten besiegen mit Medikamenten, hergestellt in gentechnisch veränderten Pflanzen. Forscherisches Herangehen, pharmaindustriellen Umgang und Risiko-Prüfungen, nicht zuletzt mögliche Auswirkungen grüner Biopharmazeutika auf die Umwelt nimmt Albrecht Kieser in den Blick.

Der Potsdamer Gentechniker Ralph Bock hat eine Erklärung für die plötzliche Wirkungslosigkeit der Durchfallerbsen. Die genetische Manipulation kann nämlich die Erbstruktur der Pflanze, ihr Genom, durcheinander bringen. Sie kann auch die komplizierten Wachstumsprozesse stören und parallel dazu die "Expression", also die Produktion des fremden Antikörpers.

Änderungen kaum erkennbar

Etwas, was man nicht unbedingt und sofort bemerkt: "Bei herkömmlichen transgenen Pflanzen, also solchen, die das Fremdgen in den Kern, in das Kerngenom einbauen, kann es in der Tat vorkommen, dass die transgenen Expressionen, wie man das nennt, nicht stabil sind. Man stellt dann fest, dass in nachfolgenden Generationen die Expression verloren geht und das Protein gar nicht mehr gemacht wird. Zumindest nicht mehr in den Mengen gemacht wird, wie man es ursprünglich hatte." Wenn Ralph Bock von "herkömmlichen" transgenen, also genveränderten Pflanzen spricht, meint er die Veränderung des Genoms, der Erbsubstanz der Pflanze. In Potsdam gehen die Forscher einen anderen Weg. Sie verändert nicht das Genom, sondern die Chloroplasten, die in der Pflanze zuständig sind für die Photosynthese, die Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie. Auch die Chloroplasten können Fremdgene aufnehmen und nach deren Bauplan entsprechende Eiweiße, z.B. Antikörper produzieren. Bei dieser Methode gebe es solch überraschende Phänomene nicht, wie sie Novoplant mit seinen Erbsen erleben musste, sagt der Potsdamer Wissenschaftler: "Das können wir weitgehend ausschließen. Das sind typische Probleme, wenn man Gene in das Kerngenom eines Organismus einbaut. Im Chloroplastengenom haben wir diese ganzen Mechanismen nicht, sodass wir uns darum auch weniger Sorgen machen müssen."

Aber dann passiert doch Eigenartiges mit dem "weitgehend" durchschauten Vorgang in Potsdam. Die genmanipulierten Tabakpflanzen wachsen ganz anders. Sie weisen eine völlig andere Zusammensetzung ihrer Eiweiße auf. 70 Prozent des Proteins besteht nämlich aus den antibakteriell wirksamen Proteinen, deren Gen man ihnen künstlich eingeschleust hatte. Ralph Bock stellt fest, dass "für das Wachstum der Pflanze ein Problem ist, wenn tatsächlich so enorme Mengen an Protein erzeugt werden. D.h. in unseren Pflanzen, die maximale Expressionsraten hatten, haben wir ein deutlich verzögertes Wachstum festgestellt. Wir werden wohl für eine praktische Anwendung diese Expressionsrate wieder etwas reduzieren, damit wir eine gesündere, besser wachsende Pflanze bekommen."

Auf solche unbeabsichtigten, aber augenfälligen Auswirkungen der Genveränderung - schlechteres Wachstum, veränderte Inhaltsbestandteile - können die Forscher reagieren. Aber wenn die Veränderungen nicht erkennbar sind? Dann weiß im Labor niemand, wonach er überhaupt suchen soll.

Die Vorsicht auch bei Gentechnikbefürwortern gegenüber genveränderten Pharmapflanzen hat mit diesen schwer erkennbaren Veränderungen zu tun, die in genmanipulierten Pflanzen ausgelöst werden und weder im Ablauf noch in den Folgen wirklich verstanden sind.

Die sogenannte Epigenetik untersucht diese Phänomene, ein Denkansatz, der die DNA nicht als Perlenkette von Genen sieht, bei der man beliebige einzelne Glieder austauschen oder dazufügen kann. Sondern als sich gegenseitig beeinflussendes lebendiges System, das in seinem Zusammenspiel und in seiner Interaktion mit der Umwelt grundsätzlich verändert wird, sobald eines seiner Teile ausgetauscht oder sogar ein fremdes Teil mit Gewalt hineingezwungen wird. Eines der Phänomene, die die Biologen dabei entdeckt haben, ist das sogenannte Gene-Silencing, das Stilllegen von eigenen Genen und ihrer Wirkung durch ein Fremdgen. Weitere Folgen können darin bestehen, dass die genveränderte Pflanze auch an anderer Stelle ihrer DNA modifizierte Proteine produziert. Man bezeichnet solche unbeabsichtigten Veränderungen in der genmanipulierten Pflanze als pleiotrope Effekte.

Professor Inge Broer von der Universität Rostock, die mit Pharmakartoffeln im Freiland experimentiert, hat allerdings alle Probleme im Griff, wie sie findet. In die genveränderten Kartoffeln, mit denen sie experimentiert, hat ihr Team Bakterien eingeschleust. Sie habe "noch nie" Probleme bekommen und auch keine pleiotropen Effekte erlebt. Trotzdem untersuche sie natürlich auch ihre Pflanzen nach pleiotropen Effekten. In Rostock testet ihr Team "auf substanzielle Äquivalenz", also darauf, ob die Fettsäuremuster, die Aminosäuregehalte, die Proteingehalte oder die Kohlehydratgehalte in den genveränderten Pflanzen so sind wie in der Ausgangspflanze.

Die sogenannte "substanzielle Äquivalenz" von konventionellen und genveränderten Pflanzen mag inhaltsstoffliche Veränderungen aufdecken, allerdings keine qualitativen Unterschiede im Genom beider Pflanzen. Das Wissen von der Möglichkeit pleiotroper Effekte führt eben nicht automatisch zu der Erkenntnis, an welcher Stelle welches der etwa 50.000 Gene einer Pflanze durch ein Fremdgen womöglich ausgeschaltet oder in seiner Wirkung verändert wurde. Das herauszufinden, gleicht der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen.

Welch unvorhergesehene Folgen transgene Pflanzen für die Gesundheit haben können, zeigt ein Fall aus Australien. Dort haben Forscher nach einer für die Biotechnologie ungeheuer langen Testphase von neun Jahren herausgefunden, dass eine gentechnisch veränderte Erbse Mäuse krank macht. Bei ihren Tests stellte sich heraus, dass Mäuse auf diese Erbsen mit Lungenentzündung reagieren. Wie es zu dieser Erkrankung kam, konnte nicht geklärt werden. Klar war nur, dass die Genveränderung der Erbse auf irgendeine Weise auch ihr Genom, das Zusammenspiel aller ihrer Gene, verändert und allergene bzw. krankheitserregende Prozesse bei den Tieren ausgelöst hat.1 - Solch lange Testphasen von genveränderten Pflanzen sind völlig ungewöhnlich. Inge Broer findet schon einjährige Fütterungsversuche "irrsinnig" lang: "30 Tage ist das, was Sie normalerweise für Medikamente machen. Und so ein Einjahresversuch ist schon ein irrsinniges Ding, weil Sie müssen ganz, ganz viele Tiere einsetzen, weil Ihnen sterben natürlich in einem Jahr ganz viele Mäuse, weil ein Jahr ist für Mäuse ein extrem langer Zeitraum in deren Leben."

Doch um Veränderungen im Gesamtgenom auf die Spur zu kommen, wären noch langfristigere Untersuchungen nötig. Die sind im üblichen Zulassungsverfahren der genmodifizierten Pflanzen allerdings nicht vorgesehen. In Deutschland wäre die besagte Erbse bereits nach 14-tägigen Fütterungsversuchen zugelassen worden. Hinterher aber die Verursacher einer Erkrankung auszumachen, gleicht einer zweiten Suche im Heuhaufen.

Andreas Bauer vom Umweltinstitut München hat seine Diplomarbeit über Pharmapflanzen geschrieben2 und beklagt, dass eine Risikoforschung künstlicher Arzneipflanzen praktisch nicht existiert. Wer aber nicht systematisch nach Risiken suche, finde auch keine. Es sei eine absolute Ausnahme, dass die Forscher in Australien derart sorgfältig eine Genomveränderung und ihre Folgen geprüft haben. Was unbedingt nötig sei, denn "da reichen eben ganz kleine Modifikationen, die unter dem Radar, mit dem man in den Zulassungsverfahren üblicherweise sucht, einfach hindurchschlüpfen." - Unbeabsichtigte und unerklärbare pleiotrope Folgen von Genmanipulationen haben wahrscheinlich schon zahlreiche Versuche zu einem vorzeitigen Ende gebracht, PMPs herzustellen. Nicht nur die bei der Firma Novoplant.

Allergie-Erzeugung?

Aber unabhängig von diesem zentralen, weil bislang nicht beherrschten - Kritiker der Gentechnik sagen: grundsätzlich nicht beherrschbaren - Problem existieren auch auf der nächsten Stufe der Produktion von PMPs große Schwierigkeiten. Nämlich die mögliche Allergenität der Antikörper festzustellen, die dem Menschen oder dem Tier ja von außen zugeführt werden sollen. Antikörper sind Eiweiße. Und jedes von außen zugeführte Eiweiß kann allergene Wirkungen haben.

Siegfried Throm vom Verband forschender Arzneimittelhersteller steht den Pharmapflanzen, den PMPs, im Prinzip positiv gegenüber. Dennoch hält er fest: "Bei jeder Gabe eines Eiweißstoffes, den der Körper nicht kennt, auch bei solchen Eiweißstoffen, die er kennt, die ihm aber auf völlig anderem Wege verabreicht werden, besteht die Möglichkeit, dass er mit einer Immunreaktion reagiert. D.h., dass er sie als fremd erkennt und abwehren möchte. Das muss deshalb in jedem Einzelfall ausführlich geprüft werden, und wenn so was auftritt, muss das Präparat auch sofort abgesetzt werden."

Die Firmen und Institute, die an PMPs arbeiten, sehen das Problem durchaus. Michael Kleine, dessen Kieler Unternehmen antibakteriell wirksame Eiweiße aus den Bakterien der Schuppenflechte herstellen will, mag sich von dieser Problematik allerdings nicht bremsen lassen: "Grundsätzlich muss man natürlich diese Dinge abprüfen. Was die allergene Komponente anbelangt, gehen wir aber nicht unbedingt davon aus, dass unser Antikörper allergen wirkt, weil er ja ein körpereigenes Molekül ist. D.h. dass es also selbst vom Menschen produziert wird, sodass wir davon ausgehen, dass es sich dabei um ein sehr verträgliches Molekül handelt, gerade im antibiotischen Bereich."

Auch Dieter Falkenburg von Novoplant hat sich damals mit dem Problem der Allergenität seiner Durchfallerbsen auseinandergesetzt: "Dass der Antikörper im Tier allergen wirken könnte, ist natürlich eine Möglichkeit. Aber die Lebensspanne der Tiere ist relativ kurz, das ist der eine Punkt. Allergien müssen sich auch ausbilden, d.h. es dauert lange. Und wir haben jetzt bei 14 Tagen bis maximal drei Wochen Fütterung keine Effekte gesehen. Nicht erhöhte oder veränderte Blutwerte oder irgendwas, was auf Allergien hindeutet." Dieter Falkenburg hielt längere Untersuchungen nicht für nötig. Die künftigen Brathähnchen leben ja nur 14 Tage, so sein Hinweis, in solch kurzer Zeit würden sie keine Allergie ausbilden. Auch ein Unternehmen, das die Erbsen auf den Markt bringen will, sei zu längeren Studien nicht verpflichtet.

Das trifft leider zu. Aber die Beschränkung auf kurzfristige Untersuchungen verhindert wichtige Erkenntnisgewinne. Z.B., ob die Brathähnchen, die Durchfallerbsen zu fressen bekommen, die zugeführten Antikörper - und damit ein potenziell allergenes Potenzial - wirklich verdauen und nicht möglicherweise in ihrem Körper ablagern. Und welche Folgen das für diejenigen hätte, die solche Hähnchen verzehren.3

Der Potsdamer Gentechniker Ralph Bock plädiert für Sorgfalt. Aber das sei im Einzelnen Sache der Pharmaindustrie, wenn sie sich einer gentechnisch veränderten Pharmapflanze annehmen würde: "Ich würde sagen, man muss die Einzelfallprüfung vornehmen. An sich kann man das für kein Eiweiß, für kein Protein, für kein Arzneimittel welcher Art auch immer vorhersagen heutzutage. Ob Nebenwirkungen auftreten, ja oder nein, kann man leider nur in klinischen Studien herausfinden."

Ob an dieser Schwelle die Einführung von PMPs scheitert, ist bisher nicht entschieden. Zwar werden seit 20 Jahren weltweit mehr als 400 genveränderte Pflanzen zu Arzneimittelpflanzen umgepolt. Möhren gegen Husten, Bananen gegen Polio, Kartoffeln gegen Cholera, Erbsen gegen Durchfall, Tabak oder Mais gegen Krebs, gegen Aids oder gegen Malaria. Zugelassen als Medikament wurde aber noch kein einziger in Genpflanzen produzierter Wirkstoff. Seit Jahren wird ein gutes Dutzend klinisch getestet, hauptsächlich in den USA. Ergebnisse der Tests liegen noch nicht vor. Natürlich auch nicht aus Deutschland. Denn hier sollen erst in diesem Jahr die ersten zwei künstlichen Medizinpflanzen in die klinische Testphase kommen.

Neben dem Antikrebs-Tabak von Bayer sind es die genveränderten Kartoffeln des Kieler Unternehmens von Michael Kleine. Seine Firma würde, wenn die Tests erfolgreich sind, die Kartoffeln gerne im Freiland anbauen. Sonst sei die Vermarktung ökonomisch nicht erfolgreich zu machen.

Umwelt-Kontamination?

Wenn tatsächlich irgendwann die klinischen Prüfungen positiv verlaufen sollten, wäre die letzte Hürde bei der Herstellung von PMPs erreicht - und das letzte, vielleicht größte Problem wäre zu klären. Das Problem der möglichen Kontamination der Umwelt durch gentechnisch veränderte Medizinpflanzen nämlich. Auch Befürworter dieser Technik wie z.B. Margret Engelhard von der Europäischen Akademie in Ahrweiler sehen hier Gefahren. Sie leitet dort die Arbeitsgruppe "Pharming" und zeichnet verantwortlich für eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Untersuchungsbericht zu diesem Thema: "Wenn man die Pharmapflanzen im offenen Feld anbaut, wird man über kurz oder lang nicht verhindern können, dass ..." - hier stockt die Biologin kurz im Interview und korrigiert sich dann einschränkend: "... oder die EURscheinlichkeit ist zumindest da, dass es über kurz oder lang zu einer Gendrift kommt oder einer Vermischung des Saatgutes mit z.B. Lebensmittel- oder Futtermittelpflanzen. Man muss sich klar sein, dass die Pharmapflanzen eventuell irgendwann in der Futtermittelkette oder in der Natur landen. Und dieses Risiko muss man sich genau angucken. Ist es ein Gen oder ein Protein, das ich in meiner Lebensmittelkette akzeptieren kann, das also nicht schädlich ist? Oder ist es ein Protein, wo man Gesundheitsschäden oder Schäden auf Tiere und Insekten sieht oder auf die Umwelt sieht? Und da haben wir festgestellt, dass es dazu doch sehr geringes Wissen über die Auswirkungen von Biopharmazeutika auf die Umwelt gibt, die in Pflanzen hergestellt werden. Da sind wir einfach noch nicht so weit, um das abschließend zu beurteilen."

Im Jahr 2002 gab es den ersten Verunreinigungsskandal mit Pharmapflanzen in den USA. Die Firma ProdiGene hatte Pharma-Mais auf einem Versuchsfeld angebaut. Etliche genveränderte Maiskörner waren liegen geblieben und keimten im Folgejahr auf dem Feld, auf dem jetzt Soja wuchs. Die Sojaernte, durchsetzt mit Pharmamais, war in ein Silo der Lebens- und Futtermittelindustrie gelangt und hatte die dort gelagerten 13.500 Tonnen Soja unbrauchbar gemacht. Nur durch Zufall war staatlichen Inspektoren die Kontamination aufgefallen. Die gesamte Soja-Tonnage musste vernichtet werden, die Firma ProdiGene zahlte 2,7 Millionen Dollar Strafe.

Das Umweltinstitut München warnt also nicht ohne Grund, dass die "plant made pharmaceuticals" zu einer gefährlichen Verschmutzungsquelle für Lebensmittelpflanzen und Nahrungsmittel werden können. Andreas Bauer, bis 2009 Mitarbeiter des Instituts: "Die grundsätzliche Fähigkeit von Pflanzen, sich wieder zu generieren, das kriegt man aus der ganzen Gentechnik, aus dem Anbau, aus der Forschung nicht raus. Das ist ein Teil der Risikobewertung: Was passiert, wenn uns dieser Organismus von dieser Stelle entwischt? Durch Säugetiere, dadurch, dass ein Mensch das klaut, dadurch, dass der Pollen fliegt, dass er von Insekten verschleppt wird, dadurch, dass beim Transport Körner vom LKW fallen. Was passiert dann? Insofern stellt sich gerade die Frage bei Pharmapflanzen in einem besonderen Licht dar. Wir haben vermehrungsfähige Medikamente im Freiland!"

Michael Kleine, dessen Kieler Unternehmen mit der dortigen Uniklinik zusammenarbeitet, hofft trotzdem: "Man muss natürlich sehen, dass man die Produktion dieser Pflanzen, die für die Produktion von pharmazeutischen Wirkstoffen genutzt werden, separiert von der Produktion der Pflanzen für die Ernährung. Ich denke aber, dass das leistbar ist, dass man hier verschiedene Wege gehen kann, dass man hier ein Monitoring einführen kann, um zu verhindern, dass eine Vermischung der Produkte stattfindet."

Aber auch der Geschäftsführer im Verband forschender Arzneimittelhersteller "VfA", Siegfried Throm, warnt vor den Gefahren einer Freilandproduktion von PMPs: "Wollen wir wirklich eine Vermischung von Arzneimitteln mit Nahrungsmitteln haben? Wir denken, dass man hier sehr vorsichtig sein sollte, und würden es lieber sehen, wenn man andere Pflanzen, die auch nicht so viel weniger erforscht sind, aber die nicht als Nahrungsmittel dienen, z.B. die Tabakpflanze, bevorzugen würde."

Diesen Weg geht z.B. Bayer mit seiner Tochter Icon Genetics in Halle. Doch auch bei Tabak gibt es Übertragungswege auf andere Nachtschattengewächse wie z.B. Tomaten oder Kartoffeln, befürchten die Kritiker. Sie machen bereits mobil, wenn Forschungsunternehmen Freilandversuche mit PMPs anmelden. Wie im Falle der Durchfallerbsen von Novoplant oder der Cholerakartoffeln von Frau Broer. Sie weisen, unabhängig von den einzelnen Problemen der Freilassung, darauf hin, mit den gentechnisch veränderten Pharmapflanzen könne ein neuer umwelt- und menschengefährdender Sektor der an Skandalen ohnehin nicht armen Agro- und Chemieindustrie entstehen.

Der Widerstand gegen PMPs hat die Branche auf die Idee gebracht, mit ihren Pflanzen in den nicht nur preiswerteren, sondern möglicherweise auch widerstandsärmeren Süden der Erde auszuweichen.

So überlegt es auch das europäische Forschungsprojekt "PharmaPlanta"4, das die EU über fünf Jahre mit insgesamt 12 Millionen Euro finanziert. "PharmaPlanta" koordiniert die Forschung und Entwicklung medizinisch wirksam gemachter Pflanzen von 39 europäischen Institutionen und Unternehmen. In Deutschland hat das Fraunhofer-Institut aus Aachen die Federführung, das IPK in Gatersleben arbeitet ebenso mit bei "PharmaPlanta" wie das Max-Planck-Institut in Potsdam. Der einzige außereuropäische Kooperationspartner des Projekts sitzt in Südafrika. Er hat nach Einschätzung von Andreas Bauer eine ganz bestimmte Aufgabe: "Das Outsourcen von Risiken in die Dritte Welt oder in Schwellenländer oder Entwicklungsländer, auf jeden Fall in den globalen Süden, das scheint im Falle des Pharmaplanta-Konsortiums institutionalisiert. Es gibt 39 Projektbeteiligte, eine beteiligte Institution befindet sich in Südafrika. Die soll die Teile der Forschung an den Pflanzen vornehmen, die in Europa praktisch nicht durchsetzbar sind. Das ist auf jeden Fall ein Ausweichen vor der Debatte in Europa."

Die Verfechter des "biological" oder "molecular pharming", der durch Gentechnik medizinisch wirksam gemachten Pflanzen, sehen das ähnlich. Allerdings positiv gewendet. Michael Kleine von der Kieler Firma Planton sieht im "Outsourcen" der Freilandproduktion eine Chance: "Natürlich, die Überlegung diskutieren wir auch. Ich sehe schon, dass die Möglichkeit, das hier in unserem Land durchzuführen, allein wegen der Feldzerstörungen kaum gegeben ist. Gerade wir, als relativ kleines Unternehmen, können uns das nicht leisten, dass tatsächlich irgendwo bei einem Freilandversuch das Feld zerstört werden würde. Das wäre für uns eine Katastrophe. Deshalb denke ich, dass Alternativen des Anbaus im Ausland eine sinnvolle Sache sind. Andere Länder haben diese regulatorischen Behinderungen, die Anmeldung von Feldversuchen usw., nicht, und deshalb kann man dort wohl besser produzieren."

Andreas Bauer weiß bereits von Beispielen. So weicht Meresthem-Therapeutics, der größte Player in Europa, das sich darauf spezialisiert hat, ein Mukoviszidose-Medikament in transgenem Mais zu erzeugen, nach Chile aus. Die kanadische Pharmapflanzenfirma Symbiosis, die sich darauf spezialisiert hat, Insulin in der Färberdistel zu erzeugen, geht für die Freisetzungsversuche nach Südamerika.

Auch das Internet wird in diesem Sinne eingesetzt. Auf ihrer Homepage fordert ein Konsortium von Gentechnik-Firmen Landwirte aus allen Ländern auf, Anbauflächen für die Aussaat von gentechnisch veränderten Pharmapflanzen bereitzustellen und ihr Angebot für etwaige Interessenten auf der eingerichteten Website zu präsentieren. Über 100 Landwirte bieten dort bereits ihre Äcker an5 - ob in der Hoffnung, in ein großes Geschäft einzusteigen oder sich als Pionier einer besseren Zukunft zu sehen, erschließt sich aus der Liste nicht.

Anmerkungen

1) www.gentechnologie.ch/papiere/fs_erbsen.pdf ; www.keine-gentechnik.de/dossiers/alles-sicher-oder-was.html

2) www.umweltinstitut.org/download/diplomarbeit_bauer_transgene_pharmapflanzen.pdf

3) S.a. www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21517/1.html

4) www.pharma-planta.org/

5) www.molecularfarming.com/stats.html .



Albrecht Kieser ist Sozialwissenschaftler. Er arbeitet seit 1995 im Rheinischen JournalistInnenbüro und ist als freiberuflicher Autor tätig, hauptsächlich für den Hörfunk. - Der erste Teil seines Beitrags erschien in Forum Wissenschaft 4/2009.

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