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Klaus Holzkamp

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Das Ende der Bildungsexpansion

15.11.2009: Zur Bildungspolitik der schwarz-gelben Koalition

  
 

Forum Wissenschaft 4/2009; Foto: Helmut Rühl

"Bildung" gehört zu den drei Signalwörtern des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung, der hierfür deutlich mehr Geld verspricht. Ein integrierendes Bildungssystem wird jedoch nicht verfolgt, wie Johanna Maiwald aufzeigt: Im neoliberalen Modell dominiert die Förderung von Herkunfts- und Konkurrenzprinzipien.

Im Bildungskapitel ihres Wahlprogramms versprach die CDU/CSU "Chancengerechtigkeit von Anfang an", um die von der Kanzlerin ausgerufene "Bildungsrepublik Deutschland" zu realisieren. Auch die FDP konzentrierte sich auf "Faire Bildungschancen für alle". Beide Parteien machten Bildung bei ihren Koalitionsverhandlungen zur Chefsache. Doch im Ergebnis packen Schwarz-Gelb die Probleme des Bildungssystems nicht an. Dort, wo sie Geld in die Hand nehmen, bauen sie soziale Hürden für mehr Bildungsbeteiligung nicht ab, bedienen dafür die einkommensstabilen und bildungsaffinen Mittelschichten, wie z.B. mit Prämien für ein ,Zukunftskonto' für Kinder. Für GeringverdienerInnen, die durch ein Studium einen Neubeginn wagen wollen, gibt es dagegen nach wie vor kein BAföG über die Altersgrenze von 30 Jahren hinaus. Geplante Stipendien für zehn Prozent der begabtesten Studierenden stärken nur weiter das Ausleseprinzip. So wird das erstmalig unter Rot-Grün entwickelte Eliteprinzip der Exzellenzinitiative für die Finanzierung von Hochschulforschung nun auch konsequenter auf die Studienfinanzierung übertragen.

CDU/CSU und FDP bauen die private Bildungsfinanzierung aus und ziehen den Staat in seiner Funktion als Vermittler unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen weiter aus der Bildungspolitik zurück. Anstelle von Rechtsansprüchen auf Bildung und breite gesellschaftliche Teilhabe stehen das konservativ-liberale Herkunfts-, Leistungs- und Konkurrenzprinzip Pate. Im Kern will schwarz-gelbe Bildungspolitik die Interessen und insbesondere auch das Selbstverständnis der bürgerlichen Mittelschichten stärken. Durchlässig soll das Bildungssystem nicht für alle sein, sondern für die, die bestimmte Voraussetzungen mitbringen. Bildung, Teilhabe und damit gesellschaftlicher Einfluss soll in Zukunft bevorzugt denjenigen ermöglicht werden, die bürgerlich-liberale Vorstellungen repräsentieren und reproduzieren. Die anderen werden tendenziell aussortiert oder zumindest nicht gefördert. Für interessierte BeobachterInnen deutet sich das Ende der Bildungsexpansion an.

Umbau der Studienfinanzierung

Bereits in der letzten Wahlperiode haben die Unionsparteien zusammen mit der SPD einer grundsätzlichen Ausweitung des BAföG eine Absage erteilt. Stattdessen sollen mehr Menschen ihr Studium mit privaten Bildungskrediten finanzieren. Dort, wo die Unionsparteien in den Ländern Studiengebühren eingeführt haben, sollen Bildungskredite angeblich als sozialer Ausgleich funktionieren. International vergleichende Studien zeigen aber deutlich auf, dass junge Menschen aus einkommensschwachen Elternhäusern wirksamer mit Hilfe von Zuschüssen die Studienaufnahme wagen, als wenn sie ihre Studiengebühren über Kredite finanziert bekommen. Die OECD plädiert vor diesem Hintergrund eindeutig für sozial begründete Stipendiensysteme.1

Von einem solchen Kurs nimmt Schwarz-Gelb weiter Abstand. Zwar beteuert die neue Regierung, die Studienanfängerquote weiter steigern zu wollen - dies aber nur noch mit einem "Dreiklang aus BAföG, Bildungsdarlehen und Stipendien"2. Die wichtigste Neuerung ist ein Stipendienprogramm, das mit monatlich 300 Euro besonders gute oder begabte Studierende fördern soll. Damit sollen insgesamt bis zu 10% der Studierenden Stipendien erhalten. Aktuell werden 2% von den Begabtenförderwerken gefördert. Die neuen Stipendien bringen gleich mehrere Probleme mit sich.

Zunächst machen sie mit den hierfür erforderlichen öffentlichen Ausgaben dem BAföG Konkurrenz. Wer vor Augen hat, welchen Drucks es seitens der Studierendenwerke, der Gewerkschaften und Teilen der Opposition bedurfte, damit das BAföG nach jahrelangen Nullrunden 2008 zum Wintersemester erhöht werden konnte, ahnt, dass sich die Aussichten fürs BAföG noch verschlechtern werden. Etwa 144 Mio. Euro jährlich würden den Bund die neuen Stipendien für weitere 8% Studierende kosten. Zudem soll das Büchergeld der Studienförderwerke von derzeit 80 auf 300 Euro steigen, was zusätzlich rund 100 Mio. Euro kosten dürfte. Beides zusammen macht mehr als ein Drittel der derzeitigen BAföG-Zuschüsse für Studierende aus, die im aktuellen Bundeshaushalt mit 643 Mio. Euro angesetzt sind.

Überwiegend werden vermutlich die Mehrausgaben im Bereich Stipendien Studierenden aus einkommensstarken und bildungsnahen Haushalten zugute kommen. Denn wie eine aktuelle HIS-Studie zeigt, fördern Studienförderwerke zu zwei Dritteln Akademikerkinder. Bei den StudienanfängerInnen stammt nur jede zweite Person aus einem hochschulnahen Elternhaus. Junge Menschen mit niedrigem oder mittlerem sozialen Hintergrund und mit Migrationshintergrund sind hingegen unterrepräsentiert.3 Wenn man eine bessere Bildungsbeteiligung in der Bevölkerung anstrebt, liegt das eigentliche und größte Potenzial aber gerade bei bildungsfernen und finanziell schlechter gestellten Haushalten. Ein Arbeiterkind hatte im Jahr 2005 nur eine Chance von 17%, die Hochschule zu besuchen, die Chance eines Akademikerkindes lag dagegen bei 83%. Alleine die Tatsache, dass die Eltern nicht studiert haben, unabhängig von ihrer beruflichen Stellung, reduziert die Hochschulbeteiligung ihrer Kinder auf 23%.4

Um die Studierquote pro Altersjahrgang in Deutschland von derzeit 39% zu erhöhen, muss daher das BAföG im Zentrum bildungspolitischer Bemühungen stehen. Es ist ein Förderinstrument mit Rechtsanspruch und müsste elternunabhängig und zuschussbasiert ausgebaut werden. Im Koalitionsvertrag fehlen aber jegliche Vereinbarungen zu dessen Weiterentwicklung. Offenbar ist nicht einmal geplant, die Altersbeschränkung des BAföG-Bezugs bis zum 30. Lebensjahr aufzuheben. Ein Studium nach einer Phase der Berufstätigkeit aufzunehmen, wie es der Bologna-Prozess zumindest im Idealfall vorsieht, bleibt auf diese Weise für viele Menschen mit geringem Einkommen unerreichbar. DGB und BDA hatten gemeinsam vorgeschlagen, die Altersgrenze auf 35 Jahre anzuheben. Die Koalition bietet dieser Altersgruppe stattdessen einen besseren Zugang zu Bildungskrediten und damit nur die Aussicht auf abschreckende Schuldenberge an.

Insgesamt werden weder neue Bildungspotenziale mobilisiert, noch soziale Ungleichheiten verringert. Es steht im Gegenteil zu befürchten, dass selbst das bisherige BAföG dauerhaft ausgehöhlt und die soziale Auslese gestärkt wird. Hinzu kommt eine fragwürdige ideologische Bewertungs- und Belohnungssymbolik, die das Stipendiensystem langfristig in den Köpfen zu verankern hilft. Die Bedeutung von Lern- und wissenschaftlicher Leistung wird nach dem Tauschprinzip auf einen materiellen (Gegen-)Wert hin ausgerichtet. Das ist als Anreiz und als Wertschätzung für Lernen, Neugier und Entwickeln von Fragestellungen wirtschaftsliberal eng gefasst. Zum anderen signalisieren solche Stipendien, dass grundlegende Lebensumstände durch ,Leistung' und ,Begabung' zu verbessern sind - die meisten Studierenden leiden im Studium z.B. unter Geldknappheit. Damit wird ein sozial indifferenter Begabungsbegriff auch in der Selbstbewertung und Identitätskonstruktion von Studierenden schrittweise verankert. Die Vorstellung von einer ,Bestenauslese' wird so zu einer scheinbar natürlichen Kategorie. Nach der sozialen Dimension dessen, was sich hinter gesellschaftlich anerkannter Leistung und Begabung verbirgt, werden diese Menschen dann nicht mehr fragen und kaum Anspruch auf Ausgleich erheben. Die Stipendien und Darlehen sind lediglich noch Schwundformen öffentlicher und sozial orientierter Bildungsfinanzierung und sollen in der Logik des Koalitionsvertrages nur noch private ,Leistung' und ,Eigeninitiative' flankieren.

Stipendien für Drittmitteleinwerbung

Im Zusammenwirken mit weiteren Maßnahmen ist das Stipendiensystem auch ein Baustein zur Privatisierung der Bildungsfinanzierung. Zunächst zementiert es Studiengebühren, wie sie in den schwarz-gelben Bundesländern bestehen. Schließlich war die Idee schon im FDP-Wahlprogramm zur Bundestagswahl ausbuchstabiert und NRW gilt als Vorbild. Der dortige FDP-,Innovationsminister' Pinkwart hatte die 300-Euro-Stipendien ehemals offen als Begleitinitiative zu Studiengebühren in NRW vorgestellt.

Die Erfahrung aus NRW zeigt, dass die Stipendien einseitig an bestimmte Fächergruppen gehen: 27% an Juristen, Betriebs- und VolkswirtInnen sowie in die Sozialwissenschaften, 21% in die Ingenieurwissenschaften und 8% in Naturwissenschaften und Mathematik5. Klar benachteiligt mit je 0,5% sind Sprach-, Kultur- und Kunstwissenschaften. Insgesamt ergibt sich ein ähnliches Verteilungsmuster wie bei der Drittmitteleinwerbung durch Hochschulen. Das ist auch kein Zufall. Denn die Hälfte jedes auszuzahlenden Stipendiums müssen Hochschulen zuvor aus nicht-staatlichen Quellen, etwa aus der Wirtschaft, einwerben. Erst dann bezuschussen Bund und Länder mit je 150 Euro. Macht man die Studienförderung von Interessen der Unternehmen und anderen Privatakteuren abhängig, werden diese auch bundesweit eher Fächer mit ihrem Verständnis von Praxisrelevanz bevorzugen. Die Auswahl fällt auch dann vergleichbar aus, wenn sich Geldgeber etwas subtiler nach der Reputation eines Faches richten. Das zeigt die Exzellenzinitiative und das zeigt selbst die Förderliste des dem Anspruch nach von rein akademischen Kriterien geleiteten öffentlichen Drittmittelgebers DFG. Im Falle der Stipendien, für die es keine übersichtliche Geberlandschaft gibt, wird der Erfolg für die Studierenden auch von Ressourcen ihrer Hochschulen, die sie für die Mitteleinwerbung (Fundraising) haben, abhängen. Umgekehrt wird mit dem Stipendiensystem weiterer Druck auf Hochschulen zu einer engeren Profilierung und unternehmerischer Nähe aufgebaut. Das ist alles andere als eine verlässliche Bildungspolitik. In NRW beispielsweise stammen die meisten der eingeworbenen privaten Zuschüsse von Stiftungen und Vereinen und nicht etwa aus der Wirtschaft.6

Die schwarz-gelbe Koalition macht keinen Hehl daraus, dass sie den Anteil privater Bildungsausgaben erhöhen will. Ihr Versprechen, die Ausgaben für Bildung auf 7% und die für Forschung auf 3% des Bruttosozialprodukts anzuheben, ergänzt sie im Koalitionsvertrag um die Formulierung: "Wir werden Maßnahmen ergreifen, die es zudem Ländern, Wirtschaft und Privaten erleichtern, ihre jeweiligen Beiträge bis spätestens 2015 ebenfalls auf das 10%-Niveau anzuheben."7 Ein weiterer Baustein, der private Beiträge erhöhen wird, ist das Projekt der "Zukunftskonten". Auch das ist eine Idee der FDP, die der privaten Altersvorsorge mit der Riesterrente nachempfunden ist. Der Staat soll hierfür pro Kind ein Startguthaben von 150 Euro einrichten und Einzahlungen der Eltern bis zur Volljährigkeit mit einer Prämie unterstützen. Über das "Zukunftskonto" dürfen sich vor allem Besserverdienende freuen. Denn die Erfahrungen mit Riester zeigen, dass hiervon primär die finanzstarken Haushalte profitieren. Sozial schlechter gestellte, Arbeitslose und Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger bleiben häufig ganz außen vor, weil sie nichts zum Ansparen übrig haben.8 Letztlich wird die staatliche Förderung privaten Vermögensaufbaus die soziale Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem noch verschärfen. Und sie wird Kinder von Eltern unterstützen, die sich sowieso schon früh Gedanken um eine gute Bildung ihrer Kinder machen. Den anderen macht die Koalition ganz im liberalen Geiste das Angebot zu "Studienberatung in der Schule, die auch die vielfältigen Möglichkeiten der Studienfinanzierung umfasst". Das Problem herkunftsbedingter Bildungshürden wird nicht ansatzweise reflektiert.

Mehr Geld - wofür wirklich?

Es bleibt die spannende Frage, wie das gesamte Spektrum der Aufgaben aussieht, für die die Koalition ihre vollmundig angekündigten Mehrausgaben für Bildung nutzen will. Bis zum Jahr 2015 sollen die bundesweiten Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10% des BIP steigen. Der Bund will das Geld bereits bis 2013 aufbringen und jährlich drei Milliarden Euro mehr bereitstellen. Wie erwähnt, sollen dann bis 2015 die Bundesländer und die Wirtschaft soweit sein. Doch allein um das Ziel des Bildungsgipfels vom Oktober 2008 zu erreichen - 7% des BIP für Bildung - müssten nach Rechnungen aus dem Kanzleramt jedes Jahr bundesweit insgesamt rund 25 Milliarden mehr für Bildung ausgegeben werden. Offenbar soll der Löwenanteil der zusätzlich benötigten Milliarden von den Ländern oder Privaten kommen.

Drei Milliarden Euro jährlich mehr vom Bund klingen zunächst gar nicht schlecht. Die Bundesausgaben für Bildung machen zurzeit nur 8% des gesamten nationalen Bildungsbudgets aus und das BMBF hatte in der letzten Wahlperiode seinen Haushalt von gerade mal 7,5 auf 10 Milliarden Euro gesteigert. Bleibt abzuwarten, welcher Teil davon wirklich in die Bildung fließt. Denn die Steigerung in den letzten vier Jahren kam vor allem der Forschung im Rahmen der High-Tech-Initiative sowie diverser Kooperationsprojekte mit der Wirtschaft zugute. Aktuell könnte hier die geplante steuerliche Förderung unternehmerischer Forschungs- und Entwicklungsausgaben mit zwei Milliarden Euro zu Buche schlagen. Diesen Betrag hat Bildungsministerin Schavan im Oktober 2009 genannt.

Bildungsprojekten hingegen hatte die Große Koalition mit der Föderalismusreform weitgehend den Riegel vorgeschoben und den Bund zur Untätigkeit verdammt. Eine Ausnahme bildet der Hochschulpakt, mit dem der Bund die Länder bei der Errichtung zusätzlicher Studienanfängerplätze bezuschusst. Ein demographisches Hoch unter den Schulabgängern und Schulabgängerinnen in den kommenden Jahren, sowie mehr AbgängerInnen nach dem achtjährigen Gymnasium haben Bund und Länder zu einer grundgesetzlichen Krücke veranlasst, mit deren Hilfe sie hier ausnahmsweise zusammenarbeiten dürfen.

So soll von den drei Bundesmilliarden offenbar ein weiterer großer Teil für die Fortführung des Hochschulpakts, der Exzellenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innovation fließen. Nachdem die Länder die Projekte im Sommer unter Finanzierungsvorbehalt gestellt hatten, heißt es nunmehr: "Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation und Exzellenzinitiative werden fortgeführt. So haben es die Regierungschefs von Bund und Ländern beschlossen."

Wenn man grob überschlägt, finden neben dem Hochschulpakt nur Extraausgaben für Forschung - Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation, steuerliche Forschungsförderung sowie die Kofinanzierung privater Bildungsausgaben für die Besten-Stipendien und Zukunftskonten Platz. Damit ist aber noch nichts getan für bessere Studienbedingungen und Betreuungsrelationen. Im Grunde brauchen wir viel mehr Studienplätze, als mit Hilfe des Hochschulpakts finanziert werden, wenn die Quote der Menschen mit Hochschulabschluss in Deutschland steigen soll.

Ein Ersatz für die in den letzten fünfzehn Jahren eingesparten 1.500 Professuren ist trotz steigender Studierendenzahlen auch nicht in Sicht. Genau genommen dürfen sich Hochschulen auch bei der Exzellenzinitiative um Mittel bewerben, die ihnen in den Jahren zuvor in der Grundfinanzierung gekürzt worden sind. Außerdem: werden die Grundlagen für mehr Hochschulabsolventen, eine breite Bildungsbeteiligung und sozial ausgewogene gesellschaftliche Teilhabe nicht bereits in der Früherziehung in den Kindertagesstätten, Grundschulen und weiterführenden Schulen gelegt? Was also ist mit weiteren Ganztagskindergärten und -schulen, was mit hochwertiger pädagogischer Ausbildung? Darüber schweigt sich der Koalitionsvertrag aus.

Bildungsföderalismus - Blockade für Bildungsgerechtigkeit

Dass die Länder diese Aufgaben ohne den Bund nur ansatzweise meistern, ist zu bezweifeln. Die Finanzministerien haben in einem Bericht an die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz im Oktober dieses Jahres deutlich gemacht, dass sie ihr 10%-Ziel lieber mit kreativen Umbuchungen bewältigen wollen, indem etwa Pensionszahlungen für Lehrer und Professoren oder der ermäßigte Umsatzsteuersatz für Bücher als Bildungsausgaben deklariert werden. Mit der von Union mit Zustimmung der FDP beschlossenen Schuldenbremse im Nacken, die sie ab sofort zum Abbau der Neuverschuldung zwingt, stehen die Länder noch zusätzlich unter Druck. Es werden wohl daher kaum spürbar mehr Mittel für bessere Bildungsangebote für mehr Menschen fließen.

Diese Tatsache interessiert die neue Regierung aber nicht. Sie will weder bei der Schuldenbremse noch der Föderalismusreform Korrekturen vornehmen. Stattdessen ist von einer "Bildungspartnerschaft" mit den Ländern die Rede. Dort, wo diese im Koalitionsvertrag zur Sprache kommt, bleibt die Konkretisierung aber leider aus. Das betrifft eine angekündigte Verbesserung der Studienqualität genauso wie die "Weiterbildungsallianz" aus Bund, Ländern und Sozialpartnern. Ähnlich verhält es sich bei verbindlichen Sprachtests für Vorschulkinder, auf die leider keine verbindlichen Förderangebote folgen. Die Vorhaben werden vermutlich auf die lange Bank geschoben.

Lediglich in der Früherziehung versucht die Koalition eine eigene Initiative. So sollen Bildungsbündnisse aus Kinder- und Jugendhilfe, Eltern, Schulen und Arbeitsförderung sogenannte "Bildungsschecks" für benachteiligte Kinder und Jugendliche erhalten. Dem liegt die begrüßenswerte Idee zugrunde, dass sich vor Ort am besten die Bedarfe an Zusatzangeboten für Bildung und Erziehung ermitteln lassen. Doch angesichts der Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen droht ein Bürokratiemonster. Statt ein integrierendes Bildungssystem aus einem Guss zu schaffen, wird nur der Flickenteppich unverbundener Förderinstrumente vergrößert. Zudem belohnt dieser Ansatz eher bereits funktionierende Strukturen und hat das besondere Engagement einzelner Menschen und Einrichtungen im Blick. Mittelstandslagen und städtische Ballungsräume sind da im Vorteil. Benachteiligten Kindern helfen die Bildungsgutscheine ohne individuellen Rechtsanspruch und verbindliche Zielvereinbarungen von Bund und Ländern häufig nicht.

Die Koalition übt sich in föderaler Schizophrenie. Gegen die Bundesförderung von Ganztagsschulen hatten einstmals CDU-geführte Länder erfolgreich Einspruch eingelegt. Ein bisschen Reinregieren mit Bildungsgutscheinen geht jetzt aber doch? Ebenso funktioniert es offenbar, mit Stipendien den Ländern eine Struktur der Studienfinanzierung aufzudrücken.

Eine gewisse Logik hat dieses Verhalten schon. Die bürgerlichen Parteien haben sich selbst ihre Handlungsgrundlagen entzogen. Schwer zu reformierende bundesweite Gesetzeswerke wie z.B. das Hochschulrahmengesetz wurden einfach ausgehebelt. Den Ländern sind finanzielle Mittel für eigene Gestaltungsakzente genommen. Damit steigt der Handlungsdruck für die Mobilisierung privater Mittel und die solvente Bundesebene kann durch finanzielle Anreize von langer Hand Umstrukturierungen im Hoheitsgebiet der Länder vornehmen. Für die sozialen Reibungsverluste der Reformen ist anschließend keine Regierungsebene so richtig verantwortlich. Ganz im Sinne konservativ-liberaler Vorstellungen kann die öffentliche Hand ihre finanzielle Verantwortung aber immer weiter an die Wirtschaft und an die Familien abgeben. Studiengebühren und Bildungssparen auf der einen Seite des neoliberalen Bildungsmodells setzt die FDP in ihrem Wahlprogramm konsequent den Eigenvermögensaufbau der Hochschulen zur Seite. Wenn sich zudem Konkurrenz und Ausgrenzung als ,Leistungsprinzip' im Bildungssystem etablieren, könnten die Stimmen, die auf sozialen Ausgleich setzen, immer schwächer werden.

Anmerkungen

1) Vgl. OECD, 2008: Bildung auf einen Blick.

2) WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode - Entwurf, S.56.

3) Hochschul-Informations-System GmbH, 2009: Das soziale Profil in der Begabtenförderung.

4) 18. Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks, S.66.

5) Vgl. Iost, Oliver: Stipendien für 10% der Studierenden? Auf www.studis-online.de . Zugriff am 23.10.09

6) Ebd.

7) WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode - Entwurf, S.51.

8) BMBF (2007): Wirtschaftliche und sozialpolitische Bedeutung des Weiterbildungssparens.



Johanna Maiwald ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro von MdB Petra Sitte, Arbeitskreis Bildung und Forschung der Bundestagsfraktion der Partei Die LINKE.

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