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Renaissance der Genossenschaften?

15.08.2008: Alternative zu finanzmarktgetriebener Unternehmenspolitik

  
 

Forum Wissenschaft 3/2008; Foto: Manfred Vollmer

Genossenschaften haben ihre frühere Bedeutung in Deutschland verloren; so schien es lange. Die Erkenntnis, dass die Dominanz des Privatunternehmens, gar eine breitflächige AG-isierung, nicht unbedingt wirtschaftliches oder gar gesellschaftliches Wohlergehen garantieren, greift in den letzten Jahren um sich. Das fördert Nachdenken, die Suche nach Alternativen und vielleicht genossenschaftlichen Aufschwung. Heinz Bierbaum verschafft einen Überblick.

Es mag etwas seltsam anmuten, Überlegungen zur Aktualität des Genossenschaftsgedankens anzustellen, spielen die Genossenschaften in der öffentlichen Debatte doch allenfalls eine marginale Rolle. Vor dem Hintergrund der zunehmenden gesellschaftskritischen Diskussion um die Art und Weise des Wirtschaftens und der Unternehmenstätigkeit ist es jedoch durchaus lohnend, den Genossenschaftsgedanken aufzugreifen und ihn wieder stärker in die politische Diskussion einzubringen.

In der Öffentlichkeit wird der genossenschaftliche Sektor wenig beachtet. Dabei ist er durchaus bedeutsam. So ist bei einer Zahl von rd. 17,6 Millionen Genossenschaftsmitgliedern rein rechnerisch jede/r fünfte Bundesbürger/in Mitglied einer Genossenschaft. Es gibt rd. 8000 Genossenschaften, wobei die meisten im Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) organisiert sind. Schwerpunkte sind die Landwirtschaft, der Einzelhandel und das Handwerk, der Kreditsektor sowie der Wohnungssektor. In der übergroßen Mehrheit handelt es sich um Fördergenossenschaften, wonach die Mitglieder ihre Selbstständigkeit behalten und nur bestimmte Funktionen gemeinsam wahrgenommen werden, wie z.B. Einkauf oder Vermarktung und Vertrieb. Die Zahl der "Vollgenossenschaften" - die Produktivgenossenschaften - ist dagegen verschwindend gering. Das ist in Ländern wie Italien, wo die Genossenschaftsbewegung deutlich stärker ist, Frankreich oder auch Spanien anders - man denke nur an den genossenschaftlichen Komplex in Mondragón. Immer wieder wird auch betont, dass Genossenschaften nach wie vor aktuell seien und wegen ihrer Prinzipien der solidarischen Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung einen wichtigen Bestandteil wirtschaftlicher Demokratie darstellten. Dennoch werden Genossenschaften in Deutschland öffentlich kaum wahrgenommen und führen im Vergleich zu anderen Ländern ein Schattendasein. Von einer breiten gesellschaftlichen Diskussion um das Genossenschaftswesen kann ernsthaft nicht die Rede sein. Ihre letzte politische Hausse hatte die Genossenschaftsbewegung vor mehr als 20 Jahren, als in Zusammenhang mit der Alternativbewegung genossenschaftliche Gedanken und die Genossenschaft als Unternehmensform wieder entdeckt wurden, so dass gar von einer "neuen Genossenschaftsbewegung" die Rede war. Gemeint waren damit die Initiativen der Selbstverwaltungswirtschaft, der sozialen Selbsthilfe, der Belegschaftsbetriebe und insbesondere auch der genossenschaftlichen Initiativen in der Wohnungswirtschaft.1 In diese Zeit fiel auch die Gründung von neuen genossenschaftlichen Organisationen wie z.B. des WohnBundes und des "Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V." . Seitdem ist es relativ still um die Genossenschaftsbewegung geworden, auch wenn der Genossenschaftsgedanke immer wieder einmal aufflackert.

Der aktuelle Stand

Die Zahl der Genossenschaften beträgt heute in Deutschland nur noch rund 7.700 und ist damit innerhalb von 25 Jahren um mehr als 30% zurückgegangen. Auf der anderen Seite ist allerdings auch von einer neuen Dynamik bei der Entwicklung der Genossenschaften die Rede. So kommt eine Untersuchung über die Neugründung von Genossenschaften in Deutschland 2000 bis 2006 des Wissenschaftszentrums Berlin zu dem Ergebnis, dass "trotz der in den letzten Jahrzehnten sinkenden Anzahl von Genossenschaften [...] ein reges Gründungsgeschehen festzustellen (ist)".2 Die meisten Neugründungen gab es mit großem Abstand im Bereich Wohnungswesen. Die Untersuchung hebt hervor, dass sich Genossenschaften in den Bereichen Gesundheitswesen, Beratung, Kommunale Aufgaben, Soziales und Umwelt und Energie neu etabliert haben. Als besonders interessant werden die Sozialgenossenschaften eingeschätzt, worunter u.a. Arbeitslosengenossenschaften und Genossenschaften in sozialen Brennpunkten zählen, die als eine Reaktion auf die sich verschärfenden sozialen Probleme angesehen werden können. Begünstigt wird dies durch die Neufassung des Genossenschaftsgesetzes von 2006,3 das neben Erleichterungen bei der Gründung und der Prüfung von Genossenschaften auch ausdrücklich die Erweiterung der möglichen Zwecksetzungen auf soziale und kulturelle Belange vorsieht. Gleichzeitig stellt die Studie aber auch fest, dass es nach wie vor eine Reihe von Hürden gibt, die die Gründung von Genossenschaften erschweren. Dazu zählen Prüfungsanforderungen, die relativ hohen Kosten und die Verwaltungsvorschriften. Genossenschaftliche Unternehmensgründungen werden vor allem dadurch behindert, dass die Genossenschaft als Unternehmensform doch recht unbekannt ist. Deshalb sei die gesellschaftliche Verankerung der Genossenschaftsidee eine besonders wichtige Aufgabe. In dieses Bild passt, dass die Belegschaftsinitiative der ehemaligen "Bike Systems" in Nordhausen, wo nach dem Zusammenbruch des Unternehmens die Fahrradwerker in kollektiver Selbsthilfe weiter produzierten, sich nicht in Form einer Genossenschaft, sondern in einer GmbH organisiert hat.

So sind es nicht so sehr die eher verwaltungstechnischen Hindernisse, die die Genossenschaftsentwicklung behindern. Solange die Genossenschaftsidee selbst keine gesellschaftliche Wirksamkeit entfaltet, so lange wird es auch keinen wirklichen Aufschwung der Genossenschaften geben. Der Gedanke der kollektiven Selbsthilfe, der ja den Kern der Genossenschaft ausmacht, ist trotz der neuen Initiativen wie den Sozialgenossenschaften deutlich zurückgegangen. Stattdessen dominiert die Kultur des privaten Unternehmens und des Einzelunternehmers. Dahinter steckt "das ideologische Bild, dass nur ,die Unternehmer' in der Wirtschaft etwas befördern und deshalb allein förderungswürdig sind."4 Ein typisches und zugleich bizarres Beispiel dafür ist die "Ich-AG". Die an sich völlig unsinnige Wortwahl soll an die Eigeninitiative appellieren und nimmt sich dabei ausgerechnet die Form des privaten Unternehmens, bei der die Trennung von Anteilseignern und Geschäftstätigkeit am weitesten auseinanderfällt, zum Vorbild. Auf der genossenschaftlichen Seite hat dies denn auch zu einer auch nicht gerade glücklichen Entgegensetzung mit der "Wir-eG" geführt.

Nun kommen aber gegenwärtig gerade die Kultur des privaten Unternehmens und die Unternehmertätigkeit selbst erheblich in die Diskussion. Unternehmerische Tätigkeit wird zunehmend kritischer gesehen. In die Kritik sind besonders die Unternehmen geraten, die ohne wirtschaftliche Not mit einem Federstrich Tausende von Arbeitsplätzen vernichten, um ihre Rendite noch weiter zu steigern. Dafür ist die verfügte Schließung des Nokia-Werkes in Bochum ein beredtes Beispiel. Vorgehensweise und Praxis von Finanzinvestoren haben eine breite gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Unternehmen und ihren Belegschaften ausgelöst, wobei für die Finanzinvestoren der plakative Ausdruck der "Heuschrecken" kreiert wurde. Stark in die Kritik geraten sind auch die überhöhten Managergehälter, die keinen Bezug mehr zur Realität erkennen lassen. All dies hat dazu geführt, dass die Haltung gegenüber der Praxis unternehmerischer Politik insgesamt kritischer geworden ist. Dies stellt eine Chance dar, über unternehmerische Tätigkeit und die Aufgabe von Unternehmen neu nachzudenken und dabei auch möglicherweise die Genossenschaftsidee zu beleben.

Neue Bedingungen

Ohne Zweifel hat sich in den letzten Jahren die Unternehmenspolitik erheblich verändert. Bekanntester Ausdruck davon ist das vermehrte Auftreten von Finanzinvestoren. Unter ihrem Einfluss wird die Unternehmenspolitik verändert und strikt auf Rendite getrimmt - oft genug mit verheerenden Folgen für die Beschäftigten und für die Standorte. Die Übernahme von Unternehmen durch Finanzinvestoren und ihre Aktivitäten sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter verbirgt sich eine grundlegende Veränderung in der Konzeption des Unternehmens. Gemeint ist der "Shareholder-Value"-Ansatz, der sich in hohem Maße in der Unternehmenspolitik durchgesetzt hat. Dieser Ansatz beinhaltet eine eindeutige Ausrichtung der Unternehmenspolitik an den Interessen der Aktionäre oder allgemeiner der Anteilseigner. Die Konsequenz ist eine Strategie der drastischen Kostenreduzierung mit dem Ziel möglichst hoher Rendite in möglichst kurzer Frist. Neu ist nun nicht das Streben nach höchstmöglichem Profit, ein charakteristisches Merkmal aller kapitalistischer Unternehmen, sondern die Sichtweise des Unternehmens. Denn dies wird in erster Linie als eine Finanzanlage mit Anspruch auf Mindestverzinsung angesehen, wonach der Wert für die Anteilseigner erst dann gesteigert wird, wenn diese Mindestverzinsung überschritten wird. Damit wird das Unternehmen auf eine Finanzanlage wie jede andere reduziert und der dahinter liegende Wertschöpfungsprozess ausgeblendet. Die Unternehmenspolitik wird wesentlich vom Kapital- und Finanzmarkt beeinflusst und steht damit in engem Zusammenhang mit der finanzmarktbestimmten Globalisierung. Der "Shareholder-Value"-Ansatz und die zunehmende Finanzmarktorientierung der Unternehmenspolitik sind nicht ohne Kritik geblieben. Dies gilt nicht nur für die Vertretungen der Beschäftigten und die Gewerkschaften, die naturgemäß mit diesem Ansatz kritisch umgehen, sondern auch für die Politik und Vertreter der Wirtschaft selbst, werden doch auch die Gefahren dieser Ausrichtung für die Unternehmenspolitik selbst immer deutlicher. Mit diesem Ansatz lässt sich letztlich eine längerfristig angelegte und nachhaltige Unternehmensentwicklung nicht vereinbaren.

Gleichzeitig muss diese Entwicklung Anlass sein, über Unternehmenspolitik und Eigentümerstrukturen ganz grundsätzlich nachzudenken. Die Konzeption des "Stakeholder-Value", die der Konzeption des "Shareholder-Value" oft entgegengesetzt wird, reicht nicht aus. Zwar wird damit zu Recht auf die Rolle der anderen mit dem Unternehmen verbundenen und für seinen Erfolg wesentlichen Gruppen wie Beschäftigte, Kunden usw. hingewiesen, doch wird das strukturbestimmende Spannungsverhältnis von Kapital und Arbeit ignoriert. In der Entwicklung einer notwendigen Alternative in der Unternehmenskonzeption und -politik muss man weiter gehen. Notwendig ist eine Unternehmenskonzeption, bei der das Unternehmen als Wertschöpfungsprozess mit der Arbeit und den Beschäftigten als zentralem Ansatzpunkt begriffen wird und die Unternehmenspolitik unter Nutzung der endogenen Potenziale langfristig angelegt ist. Die Beteiligung der Beschäftigten an der Unternehmenspolitik und an den Unternehmensprozessen hat dabei einen zentralen Stellenwert.

Chancen auf anderes?

Unternehmenspolitik muss sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden und nachhaltig angelegt sein, also der gesellschaftlichen Entwicklung dienen. In diesem Zusammenhang erhält der Genossenschaftsgedanke eine neue Relevanz. Durch solidarischen Zusammenschluss Stärke zu gewinnen und die soziale Lage aus eigener Kraft zu verbessern, ist der Grundgedanke der Genossenschaft. Ihre wesentlichen Merkmale liegen

  • in der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses,
  • in der offenen Mitgliedschaft,
  • im demokratischen Prinzip,
  • in der Solidarität der Mitglieder und
  • in der Förderung der Mitglieder durch gemeinsamen Geschäftsbetrieb.
  • Damit unterscheidet sich die genossenschaftliche Unternehmensform in wesentlichen Punkten von kapitalistischen Unternehmen. Die Erzielung von Gewinn ist nicht Selbstzweck, sondern Grundlage zur Erreichung der Ziele der Mitglieder. Damit wird zugleich ein Zusammenhang von unternehmerischer Tätigkeit und gesellschaftlicher Entwicklung hergestellt. Natürlich schließt dies Entwicklungen nicht aus, wonach sich die Gewinnerzielung verselbstständigt und damit die Genossenschaft zu einem dem Profitstreben unterworfenen kapitalistischen Unternehmen wird. Mit dem "Oppenheimerschen Transformationsgesetz" ist diese Gefahr schon sehr früh in der Genossenschaftsbewegung selbst gesehen und diskutiert worden. Dennoch, Genossenschaften sind nicht einfach eine andere Rechtsform für wirtschaftliche Tätigkeit, sondern wollen das Wirtschaften gemeinschaftlich organisieren und damit die Trennung von Arbeit und Kapital überwinden.5

    Von besonderer Bedeutung ist das wirtschaftsdemokratische Element der Genossenschaften. Denn damit stehen die Genossenschaften für eine andere Kultur des Wirtschaftens, bei der nicht der Kapitalanleger, sondern die Mitglieder und damit gegebenenfalls die Produzenten selbst im Mittelpunkt stehen. Versteht man die gegenwärtigen Initiativen zur Mitarbeiterbeteiligung nicht nur als Beteiligung am Unternehmenserfolg oder am Kapital, sondern umfassend auch als Beteiligung an der Unternehmenspolitik, dann läge es eigentlich nahe, gerade auch genossenschaftliche Formen stärker in den Vordergrund zu stellen.

    Unabhängig von der Rechtsform der Genossenschaft, die trotz der Reform von 2006 offensichtlich immer noch Schwierigkeiten bereitet und/oder einfach ziemlich unbekannt ist, lohnt es doch in jedem Fall, die mit der Genossenschaft verbundene andere Form des Wirtschaftens stärker in die gesellschaftliche Debatte um Unternehmens- und Wirtschaftspolitik einzubringen. Genossenschaftliches Wirtschaften ist Bestandteil einer Wirtschaft, bei der die gesellschaftliche Zielsetzung, also die Interessen der Menschen und damit die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen, im Vordergrund stehen. Damit aber Genossenschaften nicht nur statistisch einen relevanten Faktor darstellen, ist es notwendig, den Genossenschaftsgedanken wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern. Notwendig ist also eine Repolitisierung der Genossenschaften, bei der ihre solidarische und wirtschaftsdemokratische Dimension stärker zum Tragen kommt. Denn der Grundgedanke der Genossenschaften, Wirtschaft solidarisch zu gestalten, die Beteiligten einzubeziehen und sozialen Zielsetzungen zu dienen, ist höchst aktuell und stellt damit ein Element im Rahmen einer Alternative zur finanzmarktgetriebenen Unternehmenspolitik dar.

    Anmerkungen

    1) S. dazu Heinz Bierbaum/Marlo Riege: Selbsthilfe, Genossenschaften, Vergesellschaftung; Hamburg 1989

    2) Mareike Alschert/Eckhard Priller (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung): Zur Neugründung von Genossenschaften in Deutschland 2000-2006 - eine Analyse zu den Ressourcen und Potentialen, Juli 2007

    3) Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts vom 14.08.2006, BGBl. I, S. 1911

    4) Burchard Bösche: Zurück zu Schulze-Delitzsch! Notwendige Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Selbsthilfe; Hamburg 2007

    5) Vgl. Jan Kunert: Alte Idee mit neuen Aufgaben. Zur Arbeit des Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V.; November 2007.


    Prof. Dr. Heinz Bierbaum ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücken. Er leitet das INFO-Institut in Saarbrücken (Institut für Organisationsentwicklung und Unternehmenspolitik). Seine Arbeitsgebiete: Unternehmens- und Wirtschaftspolitik, Gewerkschaften und Mitbestimmung sowie Beschäftigungspolitik.

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