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Klaus Holzkamp

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McDonaldisierung

15.11.2007: Kritische Wissenschaft fällt Bologna zum Opfer

Es sind nicht nur Einzelfälle: die Blockaden gegen linke WissenschaftlerInnen vor Lehrstühlen oder gleich die komplette Streichung von Lehrstühlen. „Wettbewerbs“-Ziele und Uni-Präsidenten-Diktate mustern breiter aus. Karl-Heinz Heinemann spottet über die Kontraproduktivität dieses „Leuchtturm“-Verständnisses.

Die „Graduate School of North American Studies“ am John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin wurde im Exzellenzwettbewerb ausgezeichnet. Eine exzellente Graduate school und ein paar exzellente Exzellenzcluster braucht eine Universität, um insgesamt zu einer der neun Exzellenzen unter den deutschen Universitäten geadelt zu werden.

Exzellente Hochschulen bieten nicht einfach nur mehr vom Gleichen, sondern etwas Besonderes, was andere nicht haben, sollte man meinen. Aber wahrscheinlich kommt es mehr auf die glattere Hochglanz-Oberfläche an als auf ein erkennbares und einmaliges Angebot. Und FU-Präsident Dieter Lenzen hatte seine Vermutung, was das gewünschte Hochglanz-Exzellenz-Bild stören könnte: Ein Juniorprofessor am JFK-Institut nämlich, der über die Maßen links sein soll – Albert Scharenberg. Der sollte auf Vorschlag der Berufungskommission, nach sorgfältiger und inzwischen vielfach dokumentierter Auswahl, als bester Kandidat eine Juniorprofessur für nordamerikanische Politik an eben jenem Institut bekommen. Seit Januar blockiert der Uni-Präsident diese Berufung. Scharenberg ist Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik und Mitglied im Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung, einer linken Zeitschrift und einer linken Stiftung also. Große Aufregung über die Obstruktion des Präsidenten am Institut, nicht nur, weil er das Urteil der Fachkollegen in den Wind schlägt, sondern auch, weil der Juniorprofessor in der Lehre fehlt. Vollversammlungen beschließen Protestresolutionen, doch Lenzen verweigert sich der Diskussion. Über 100 ProfessorInnen aus aller Welt kritisieren ihn in einem offenen Brief: Es sei verheerend für die Freie Universität, wenn sich der Eindruck verfestigte, hier würden Professuren nach politischer Opportunität besetzt, heißt es darin.

Scharenberg ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass kritische Gesellschaftswissenschaftler an deutschen Hochschulen unter Druck geraten. In Marburg verhindert der Präsident der Universität, Volker Nienhaus, die Besetzung eines Lehrstuhls am Institut für Politikwissenschaft. Es geht um die Nachfolge für Frank Deppe. Der vor einem Jahr emeritierte Politikwissenschaftler war der letzte Vertreter der dort von Wolfgang Abendroth begründeten Schule marxistischer Politikwissenschaft. Als Dieter Plehwe, ein in Berlin lehrender Deppe-Schüler, auf der Berufungsliste stand, erschien es dem Präsidenten plötzlich sinnvoll, den Lehrstuhl ganz zu streichen. – An der Universität Bremen werden die Lehrstühle für Behindertenpädagogik von vier auf zwei zusammengestrichen. Dort vertraten Georg Feuser und Wolfgang Jantzen einen gegen die Aussonderung und Stigmatisierung von Behinderten gerichteten Ansatz. Er findet international viel Beachtung; in Deutschland war er einmalig in Bremen vertreten.

Zweckdienlich?

Es ist nicht neu, dass man versucht, missliebige „linke“ Wissenschaftler aus den Hochschulen herauszukicken. Neu ist aber, dass diese „Bereinigungen“ von den mit neuer Machtfülle ausgestatteten Präsidenten durchgesetzt werden. Als Chefs von auf Effizienz bedachten Unternehmen setzen sie ihre Vorstellung der Produktpalette ihres Betriebs durch – und sie suchen sich das dafür passende Personal aus.

Die unternehmerische Hochschule hat keinen Platz mehr für Orchideen, deren Pflege viel kostet und die vermeintlich keinen Markt haben. Fächer wie die Jugendbuchforschung in Frankfurt haben mit drei Professuren einfach zu wenig Lehrkapazität, um einen vollständigen Bachelor- und Masterstudiengang anzubieten. In Göttingen wird demnächst der letzte Alt-Amerikanist das Licht ausknipsen – in den „reformierten“ Bachelor-Studiengängen ist sein Fach nicht mehr vorgesehen.

Aber wäre es nicht ein „Alleinstellungsmerkmal“, wie es heute marketing-sprachlich heißt, wenn man in Marburg die Abendroth-Schule und in Bremen die materialistische Behindertenpädagogik hätte? Schließlich gibt es noch genug Studierende, die eine Wissenschaft „nachfragen“, die ihnen einen distanzierten Blick auf die Realität und einen kritischen Zugang zur eigenen beruflichen Praxis ermöglicht. Doch mit massivem Druck von oben wird allmählich das heute vorherrschende Verständnis von einem Bachelorstudium durchgesetzt, nämlich sich in kurzer Zeit „fit“ machen zu lassen für eine eng umgrenzte Berufsfunktion. Und das gelingt nur, indem Alternativen einfach ausgeschlossen werden.

In Ländern, die schon länger einen Markt für Ausbildungsdienstleistungen haben, wie in den USA oder Großbritannien, leistet man sich noch ausgewiesene MarxistInnen als bunte Blumen an der Kette eines rein zweckdienlichen Studiums, weil sie die Erkennbarkeit und Sichtbarkeit der Hochschule erhöhen. Marxistische Historiker, Linguisten oder Ökonomen (weibliche und männliche) sind ein Angebot, das eine Nachfrage bei den Studierenden hat. Hierzulande ist es den allmächtigen Unipräsidenten herzlich egal, was Studierende nachfragen. Da interessiert sie mehr, was die in ihren Hochschulräten sitzenden Banker- und KommunalpolitikerInnen wollen, was das Ministerium will und womit sie die Gutachter beim Exzellenzwettbewerb beeindrucken können. Das entlarvt die Marktrhetorik von Studierenden als „KundInnen“ als pure Ideologie für die Durchsetzung von Studiengebühren.

Die neue – unternehmerische – Freiheit der Hochschulen soll mehr Wettbewerb, mehr Profil, Differenzierung und Unterscheidbarkeit in die deutsche Hochschullandschaft bringen, die bisher angeblich nur glanzloses Mittelmaß verkörpert hat. Exzellente Leuchttürme sollen aus der Masse mediokrer Hochschulen herausragen. Doch die neu entstehenden Exzellenz-Leuchttürme werfen ihren Strahl alle nur noch in eine Richtung. Das nun in Eigenverantwortung der Hochschulen gemanagte Studienangebot wird in einem Maße uniformiert, wie es die rigideste Ministerialbürokratie vorher nicht vermocht hatte. Der Markt produziert nicht Buntheit und Vielfalt, sondern einen mediokren Einheitsbrei – die McDonaldisierung im Namen von Wettbewerb und Bologna.


Karl-Heinz Heinemann, Diplom-Soziologe. Er arbeitet in Köln als freiberuflicher Bildungsjournalist vor allem über schul- und hochschulpolitische Themen für Tageszeitungen und Rundfunkanstalten.

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