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Frauenwohnen

15.12.2006: Die Wohnungsfrage aus feministischer Perspektive

  
 

Forum Wissenschaft 4/2006; Foto: Albert Renger-Patzsch

Die viel diskutierte "Dienstleistungsrichtlinie" der Europäischen Union berührt zwar das Wohnen nicht unmittelbar; die weniger virulente Diskussion über die "Sicherstellung der Dienste der Daseinsvorsorge" sollte jedoch an der Wohnungsfrage nicht vorbeigehen. Ruth Becker zeigt Gründe dafür - vor dem Hintergrund, dass sich in Wohnungen gesellschaftliche Machtverhältnisse materialisieren.

Wohnen ist eine der zentralen Voraussetzungen menschlicher Existenz - und nicht nur in Industriegesellschaften. Was allerdings eine angemessene Wohnungsversorgung ist, kann nicht generell beantwortet werden, sondern ist abhängig von den gesellschaftlichen Möglichkeiten. Auch wenn es heute kaum mehr üblich ist, möchte ich hierzu Karl Marx zitieren: "Ein Haus mag groß oder klein sein, solange die es umgebenden Häuser ebenfalls klein sind, befriedigt es alle gesellschaftlichen Ansprüche an eine Wohnung. Erhebt sich aber neben dem kleinen Haus ein Palast, und das kleine Haus schrumpft zur Hütte zusammen. Das kleine Haus beweist nun, dass sein Inhaber keine oder nur die geringsten Ansprüche zu machen hat; und es mag im Laufe der Zivilisation in die Höhe schießen noch so sehr, wenn der benachbarte Palast in gleichem oder gar in höherem Maße in die Höhe schießt, wird der Bewohner des verhältnismäßig kleinen Hauses sich immer unbehaglicher, unbefriedigter, gedrückter in seinen vier Pfählen finden."1

Mit diesem Beispiel erklärt Marx nicht nur die gesellschaftliche Bedingtheit menschlicher Bedürfnisse, sondern beschreibt gleichzeitig (ohne dies allerdings eigens zu thematisieren und vermutlich sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein), wie gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse in unsere Wohn-, Stadt- und Raumstrukturen eingeschrieben sind. Das Haus, die Stadt, die Region sind nicht nur Artefakte in einer "natürlichen" Umgebung, sondern sie sind vor allem Materialisierungen gesellschaftlicher Verhältnisse.2 Wobei diese Verhältnisse allerdings in aller Regel dafür sorgen, dass sich die Hütte, entgegen dem Beispiel von Karl Marx, gerade nicht neben dem Palast befindet, sondern weit ab davon liegt. Entsprechend wird der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Position eines Individuums und seiner Wohnsituation vom Volksmund mit dem Satz umschrieben "Sag mir, wo Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist".

Diese Zusammenhänge sind in den kapitalismuskritischen Arbeiten der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zu Architektur und Stadt ausführlich analysiert worden - ich will darauf hier nicht eingehen. Was jedoch weder Marx noch diese Arbeiten thematisieren, das sind die Verhältnisse innerhalb des Hauses bzw. der Wohnung. Die galten Marx und den kapitalismuskritischen Architektur- und Stadtplanungskritikern als jenseits des Politischen liegende Privatsphäre. Erst die feministische Perspektive entriss die familieninternen Raumnutzungsstrukturen mit ihrem Slogan "Das Private ist politisch" der tabuisierten Privatsphäre und öffnete den Blick auf die Materialisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse innerhalb der Wohnung auch in Gesellschaften ohne explizite räumliche Geschlechtertrennung.3 Warum, so ist aus feministischer Perspektive zu fragen, sind sich die Grundrisse der in den letzten 50 Jahren gebauten Wohnungen so verblüffend ähnlich, unterscheiden sich je nach sozialer Stellung des Haushalts (bzw. des Haushaltsvorstands) in ihrer Gesamtgröße, kaum aber in der eindeutigen Funktionszuweisung der einzelnen Räume und der Größenrelation dieser Räume?

Ein Blick in das unbestrittene Standardwerk der Wohnungsbauarchitektur, den uns Kerstin Dörhöfer öffnete4, gab erste Hinweise: Die Grundrissplanung des in der Bundesrepublik Deutschland ausgebildeten Architekten beruht auf der Vorstellung einer strikten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung: Den Frauen in der Sparversion des Sozialen Wohnungsbaus die Zeilenküche und in der großzügigeren Version des Einfamilienhauses ein zusätzlicher "Hausarbeitsraum", den Männern das weit größere Wohnzimmer, im Einfamilienhaus ergänzt durch das Arbeitszimmer für den Hausherrn. Dazwischen das mittelgroße "Elternschlafzimmer" und die "Kinderzimmer", deren Zahl und Größe am stärksten mit dem Wohlstand des Haushalts variiert. Da im Sozialen Wohnungsbau zudem die Regel gilt, dass einem Haushalt maximal so viele Räume zugestanden werden, wie er Personen umfasst, bleibt, wenn die vorgesehene Funktionszuordnung der Räume nicht durchbrochen und am Konzept eines "Wohnzimmers" festgehalten wird, den Frauen außer der Küche kein eigener Raum, weshalb die von Virginia Woolf schon 1929 formulierte Forderung nach dem "Zimmer für sich allein"5 zum Leitmotiv der feministischen Architekturkritik geworden ist.

Die Größe der Wohnungen und der Zimmer wuchs in den letzten 50 Jahren erheblich - auch im Sozialen Wohnungsbau. An der Grundrissstruktur dagegen hat sich, von noch zu berichtenden Ausnahmen abgesehen, bisher nur wenig geändert. Das "Zimmer für sich allein" ist für im Sozialen Mietwohnungsbau lebende Familienfrauen weiterhin ein Traum (der höchstens dann in Erfüllung geht, wenn sie nach einer Haushaltsverkleinerung in der dann regelwidrig großen Wohnung bleiben). Folgen wir dem Argument von Karl Marx, müssen sich Familienfrauen zumindest im Sozialen Wohnungsbau trotz der deutlichen Verbesserung der durchschnittlichen Wohnungsversorgung also "immer unbehaglicher, unbefriedigter, gedrückter finden", da sich ihre persönliche Situation, gemessen an dem ihnen individuell zur Verfügung stehenden Raum, wenig geändert hat.

Die Akzeptanz der heterosexuellen Kleinfamilie bei Frauen scheint zu schwinden...

Tatsächlich scheint die Neigung von Frauen, in der traditionellen Form der heterosexuellen Kleinfamilie zu wohnen und zu leben, in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich zurückgegangen zu sein, wie die wachsende Zahl der Haushalte zeigt, in der Frauen ohne einen männlichen Partner wohnen. Dieser Trend ist übrigens weder auf die Bundesrepublik noch auf die Industriestaaten begrenzt, sondern ein weltweites Phänomen, das von Politikern und Planern in aller Regel mit Sorge betrachtet wird, werden doch von Frauen geleitete Haushalte (women-headed households) als besonders "verwundbar" (vulnerable), als die Ärmsten der Armen angesehen. Nach unterschiedlichen Schätzungen werden weltweit vermutlich rund ein Drittel aller Haushalte von Frauen geleitet, wobei der Anteil im südlichen Afrika mit über 40% besonders hoch und in Südostasien mit knapp 10% besonders niedrig ist. Die Industriestaaten liegen mit knapp 30% dazwischen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und mit Sicherheit nicht auf die Grundrissfrage zurückzuführen. Wohl aber deuten eine Reihe von Untersuchungen und Indikatoren darauf hin, dass die Zunahme der Haushalte ohne männlichen "Haushaltsvorstand" eng mit dem Geschlechterverhältnis verbunden ist - dass also die steigende Zahl von Frauenhaushalten ein Ausdruck wachsender Unzufriedenheit mit den Bedingungen des (heterosexuellen) Zusammenlebens in einem Haushalt ist. Frauen entscheiden sich, einen Haushalt ohne männlichen Partner zu führen, so Sylvia Chant auf Grund ihrer empirischen Studien in Mexiko, Costa Rica und auf den Philippinen sowie nach Auswertung der vorliegenden Literatur, wenn sie es sich zum einen ökonomisch leisten und den sozialen Druck aushalten oder sich diesem entziehen können; und wenn sie darüber hinaus feststellen (müssen), dass der aus dem Zusammenleben mit einem männlichen Partner zu erzielende finanzielle und/oder immaterielle Gewinn geringer ist, als es die Vorteile des Alleinlebens oder eines Zusammenlebens mit anderen Frauen und/oder Kindern sind. Die Gründung eines unabhängigen Haushalts ist, so Sylvia Chant auf Grund ihrer Studien, "eine Antwort auf männliche Verhaltensweisen", die zwar nicht neu sind, auf die Frauen jedoch auf Grund ihrer offenbar nicht nur in den Industrieländern gewachsenen Möglichkeiten eigener Existenzsicherung anders als früher reagieren. Eine Rolle spielt möglicherweise auch, dass Männer immer häufiger ihrer "Ernährerrolle" nicht mehr nachkommen können oder wollen.

Die Studien von Sylvia Chant beziehen sich zwar auf Entwicklungs- bzw. Schwellenländer, doch scheinen auch in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr Frauen zu dem Schluss zu kommen, dass die Führung eines eigenständigen Haushalts ohne (männlichen) Partner der traditionellen Partnerschaft, in der Tisch und Bett geteilt werden, vorzuziehen sei - ohne damit notwendigerweise ihre heterosexuelle Orientierung in Frage zu stellen. Indizien hierfür sind sowohl die zunehmende Zahl von Ehescheidungen, die mehrheitlich von Frauen beantragt werden, als auch der (im Vergleich zu Männern) geringere Anteil geschiedener Frauen, die wieder ein Ehe eingehen, sowie die steigende Zahl allein erziehender Frauen. Im Ergebnis leben in Deutschland gut 30% aller erwachsenen Frauen in einem eigenen Haushalt ohne männlichen Partner. Dagegen leben nur knapp 23% aller erwachsenen Männer in Haushalten ohne weibliche Partnerin.6

Qualitative Studien belegen, dass dies weniger mit fehlenden Chancen für eine (heterosexuelle) Lebenspartnerschaft als mit dem Bedürfnis nach Eigenständigkeit zu tun hat, das angesichts der herrschenden Geschlechterverhältnisse offenbar in der klassisch organisierten Partnerschaft nicht erfüllt werden kann. So kommt die Soziologin Martina Löw auf Grund ihrer qualitativen Studie über die Motivation alleinwohnender Frauen mittleren Alters zu dem Schluss, dass diese Lebensform, auch wenn sie sich zunächst "zufällig" ergeben haben mag, eine individuelle Antwort auf die nicht (mehr) akzeptierte, gesellschaftlich verankerte Geschlechterhierarchie ist.7 Die Gründung eines eigenen Hausstands, so Dorothea Krüger in ihrer Studie über geschiedene Frauen, bedeutet nicht, dass sie einer erneuten (heterosexuellen) Beziehung grundsätzlich ablehnend gegenüber stehen, wohl aber, dass sie diese mehrheitlich in getrennten Haushalten realisieren wollen.8

... doch zahlen Frauen hierfür einen hohen Preis

Allerdings zahlen Frauen (und ihre Kinder) für das Leben ohne männlichen Partner vielfach einen hohen Preis. Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung galten im Jahr 2003 mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden nach der Definition der OECD als arm, während dies "nur" für 11% der Familienhaushalte mit zwei Erwachsenen zutraf. In den Sozialhilfe-Statistiken haben Alleinerziehende mit mehr als einem Kind seit vielen Jahren die höchste Sozialhilfequote aller Bevölkerungsgruppen. Einem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge lebten 2002 knapp die Hälfte aller Kinder von Alleinerziehenden in Armut - gegenüber rund 20% der in "vollständigen" Familien aufwachsenden Kinder. Bemerkenswert hierbei ist, dass die Benachteiligung von "Frauenhaushalten" (einschließlich der Haushalte alleinlebender Frauen) in den Industriestaaten besonders gravierend ist. Zwar ist der Anteil von unter der Armutsgrenze lebenden Frauenhaushalten in den sog. Entwicklungsländern in der Regel höher als in den Industriestaaten, aber der Abstand zwischen der Armutsquote von "Frauenhaushalten" und Haushalten mit einem männlichen "Haushaltsvorstand" ist in den Industriestaaten besonders groß.9

Auch die Wohnungspolitik trägt ihren Teil dazu bei, das selbstständige Wohnen von Frauen zu erschweren. Der Soziale Wohnungsbau hatte nach § 1 des II. Wohnungsbaugesetzes das Ziel, Wohnungen zu fördern, die "die Entfaltung eines gesunden Familienlebens ... gewährleisten". Die Wohnungsbauprogramme der Länder ließen dabei sehr deutlich erkennen, in welchen Familien ein "gesundes Familienleben" erwartet wurde - in der sogenannten "vollständigen" Familie. Wohnungen für Ein- und Zweipersonenhaushalte wurden, abgesehen von den für alte Menschen vorgesehenen Beständen, kaum gebaut, so dass insbesondere für alleinlebende Frauen (und Männer) kaum Sozialwohnungen der erlaubten Größe zur Verfügung stehen. Alleinerziehende gehören zwar seit einiger Zeit zur Zielgruppe des Sozialen Wohnungsbaus bzw. der sozialen Wohnraumförderung (die das Instrument des Sozialen Wohnungsbaus inzwischen abgelöst hat), ohne dass jedoch die bauliche Gestaltung der Wohnungen deren spezifischen Bedürfnissen Rechnung trägt. Das führt dazu, dass Alleinerziehende mit einem Kind mit Wohnungen konfrontiert sind, die für ein Ehepaar mit traditioneller Wohnkonzeption (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad) gebaut wurden. Dies lässt ihnen nur die Wahl, entweder das Schlafzimmer mit ihrem Kind zu teilen oder auf ein gemeinsames Wohnzimmer zu verzichten. Am häufigsten entscheiden sich Alleinerziehende in dieser Situation wohl für die Lösung mit der Schlafcouch ...

Dies ist von der feministischen Architekturkritik seit langem kritisiert worden. Auch fehlt es nicht an Versuchen, durch alternative Grundrisskonzepte innerhalb der im Sozialen Wohnungsbau vorgegebenen Flächennormen für den Zweipersonenhaushalt Wohnungen mit drei Zimmern zu entwickeln, die Alleinerziehende mit einem Kind der geschilderten Wahl zwischen drei unbefriedigenden Alternativen entheben. Einige dieser Konzepte sind auch umgesetzt worden - im Freistaat Bayern wird Alleinerziehenden sogar ein kleiner Flächenzuschlag gewährt, damit solche Lösungen möglich werden. Nicht selten jedoch werden diese Versuche von den Sozialämtern konterkariert. Weil die Wohnungen etwas größer und damit auch etwas teuerer werden, überschreiten sie die von den Sozialämtern als angemessen angesehenen Kosten. In einem von der örtlichen Gleichstellungsbeauftragten initiierten Projekt mit Sozialwohnungen für Alleinerziehende führte dies dazu, dass die für Alleinerziehende mit einem Kind geplanten Wohnungen an Alleinerziehende mit zwei Kindern vermietet werden mussten, da das Sozialamt nicht bereit war, für Alleinerziehende mit einem Kind die anfallenden Wohnkosten zu finanzieren. Nach den herrschenden Richtlinien waren diese - trotz Sozialwohnungsbauförderung - zu hoch, weil die Wohnfläche etwas großzügiger bemessen war. Ähnliches wurde vor kurzem aus einem Frauenwohnprojekt in Nordrhein-Westfalen berichtet, in dem für Alleinerziehende vorgesehene Sozialmietwohnungen letztlich an "vollständige" Familien vergeben wurden, weil dem Sozialamt die Kosten der Wohnung zu hoch erschienen. Es ist zu befürchten, dass vergleichbare Fälle im Zuge von Hartz IV auch außerhalb des Sozialen Wohnungsbaus vermehrt auftreten werden, zumal Alleinerziehende als eine von weiten Teilen der Vermieterschaft diskriminierte Gruppe vielfach mit überhöhten Mietforderungen konfrontiert sind, wenn sie mangels Zugang zu den preisgünstigen Beständen nicht ausweichen können.10

Wie wenig die Wohnungspolitik das selbstständige Wohnen von Frauen unterstützt, zeigt sich auch an der Gruppe der wohnungslosen Frauen. Nach den Berichten der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe werden Frauen nicht selten deshalb wohnungslos, weil sie ihre Wohnung auf Grund nicht mehr akzeptierter Konflikte mit Partnern (und Eltern) verlassen, ohne eine eigene Wohnung zu haben. Zwar gibt es inzwischen spezielle Hilfeeinrichtungen für wohnungslose Frauen, die sie davor schützen, in der Wohnungslosigkeit wieder die Gewalt zu erfahren, vor der sie geflohen sind; eine präventive, die Wohnungslosigkeit vermeidende Politik ist jedoch erst in Ansätzen erkennbar.

Frauenwohnprojekte sind eine Antwort auf die Krise der heterosexuellen Kleinfamilie

Ziel einer feministischen Wohnungspolitik ist es demgegenüber, die Bedürfnisse von Frauen nach selbstständigem Wohnen, nach einer Aufkündigung des im kleinfamilialen Wohnen eingebetteten heterosexuellen Wohnmodells zu unterstützen und auch jenen Frauen das selbstständige Wohnen zu ermöglichen, die, nicht zuletzt auf Grund der vielfältigen Benachteiligung von Frauen bei der Einkommenserzielung, sich dies unter den gegebenen Marktbedingungen nicht leisten können.

Die Aufhebung der Sozialen Wohnraumförderungen, die beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen gerade plant, ist hierzu sicherlich der falsche Weg. Denn damit werden nicht nur manche individuellen Lösungen erschwert, die trotz aller Probleme derzeit im Sozialen Wohnungsbau noch möglich sind. Die Aufhebung der Sozialen Wohnraumförderung wird auch die Umsetzung jener Projekte weiter erschweren bzw. unmöglich machen, die in den letzten Jahren, meist mit Hilfe von Sozialwohnungsbaumitteln, unter dem Label "Frauenwohnprojekt" entstanden sind.

Frauenwohnprojekte sind der Versuch, der umfassenden heterosexuellen bzw. heterosozialen Orientierung unserer Gesellschaft, die das heterosexuelle Paar zur "normalen" Form der Vergemeinschaftung macht, eine Alternative entgegenzusetzen, eine Form der Vergemeinschaftung jenseits der Paarorientierung und außerhalb der heterosexuellen Norm. Wohlgemerkt, die neueren Frauenwohnprojekte sind von ihrem Selbstverständnis her keine lesbischen Gemeinschaften11, auch wenn lesbische Frauen vermutlich in allen Projekten beteiligt sind. Sondern es geht den beteiligten Frauen um eine Form des gleichberechtigten, solidarischen Zusammenlebens, die in einer geschlechterhierarchischen Gesellschaft in heterosexuellen Paarbeziehungen offensichtlich nur schwer zu verwirklichen ist. Im Zentrum der Projektidee steht dabei das, was die Schwerter "Beginen"12 als Motto für ihren Förderverein gewählt haben: "Gemeinschaftlich leben, eigenständig wohnen". Gesucht wird ein ausgewogenes Verhältnis von Gemeinschaftlichkeit und Privatheit, also Wohnbedingungen, die gemeinsame Aktivitäten und gegenseitige Unterstützung möglich machen, aber ebenso Rückzugsmöglichkeiten bieten. Wohnungen für Wohngemeinschaften sind in den neueren Frauenwohnprojekten eher die Ausnahme. In aller Regel überwiegen in den Projekten die Ein-Personen-Wohnungen, größere Wohnungen sind für Alleinerziehende gedacht.

Zumindest in ihren Zielsetzungen streben die Projekte eine Offenheit gegenüber allen Frauen13 an: Alte und Junge, Einheimische und Migrantinnen, Frauen mit und ohne Kinder, Frauen in unterschiedlichen Einkommens- und Lebenssituationen, mit unterschiedlichen Fähigkeiten, unterschiedlicher sexueller Orientierung. Insbesondere soll ein geringes Einkommen kein Hindernis sein, ebenso wenig wie eine Behinderung bzw. "Andersbefähigung". Wichtig ist vielen Projekten darüber hinaus eine Integration in die Nachbarschaft. Teilweise werden hierzu Einrichtungen des Projekts für die Nachbarschaft geöffnet.

Auch wenn es keine bauliche Grundform für Frauenwohnprojekte gibt, so sind doch einige bauliche Elemente fast immer anzutreffen. Da gibt es zunächst den oder die Gemeinschaftsräume für Veranstaltungen und Feste, eventuell kombiniert mit einer Gästewohnung oder zumindest einer Übernachtungsmöglichkeit für Besucherinnen. Soweit baulich möglich, werden auch die Verkehrsflächen so ausgebildet, dass sie Kommunikationsmöglichkeiten bieten (z.B. Laubengänge, gegliederte Baukörper, die einen offenen oder geschlossenen Innenhof bilden). Angestrebt wird meist auch eine Integration gewerblicher Räume für freiberuflich tätige Frauen oder für Frauenprojekte, was aber bisher eher in kleinerem Maßstab gelungen ist. Wichtig ist den Projekten auch ein barrierefreier Zugang, weshalb zwei- bis dreigeschossige Gebäude mit Aufzügen erschlossen werden - ein angesichts der nicht unerheblichen Betriebskosten nicht zu unterschätzender Ausdruck gelebter Solidarität.14 Angestrebt wird in den Projekten nicht zuletzt die Berücksichtigung ökologischer Standards.

Auch wenn die beteiligten Frauen in den Frauenwohnprojekten eine Mischung von Alt und Jung, "Einheimischen" und Migrantinnen, Frauen mit und ohne Kinder, Frauen unterschiedlicher sexueller Orientierungen usw. anstreben, so führen doch zwei Faktoren zu einem Überwiegen älterer Frauen jenseits der Familienphase. Wie dargestellt, haben vor allem geschiedene und verwitwete Frauen häufig nicht die Absicht, wieder gemeinsam mit einem Mann einen Haushalt zu gründen. Vor diesem Hintergrund ist das Leben in einer Frauengemeinschaft eine dauerhaft attraktive Alternative zum isolierten Wohnen in einem Einpersonenhaushalt, wegen der Gemeinschaft und auch wegen der gegenseitigen Unterstützung, die für ältere Frauen möglicherweise bedeutender ist als für jüngere Frauen15 - mit Ausnahme der Frauen mit Kindern, für die die (gegenseitige) Unterstützung zur unabdingbaren Voraussetzung für die Bewältigung des Alltags werden kann. Wenn trotzdem bisher vergleichsweise wenige allein erziehende Frauen in den Beginenprojekten leben16, so hängt dies neben den bereits geschilderten Problemen mit der Höhe der Wohnkosten nicht zuletzt mit den extrem langen Vorbereitungszeiten der Projekte zusammen, die nur für Frauen in vergleichsweise gesicherten und akzeptablen Wohnverhältnissen tragbar sind. Alleinerziehende haben dagegen oft einen unmittelbar drängenden Wohnungsbedarf, der eine solch lange Wartezeit nicht erlaubt.

Die Wohnrealität von Frauenin der Bundesrepublik - der Politik weit voraus

Zwar lebt nur eine verschwindende Minderheit von Frauen in der Bundesrepublik in solchen Frauenwohnprojekten. Doch zeigt die breite Resonanz, die die Projekte inzwischen in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren, wie sehr diese Idee auf ein Bedürfnis trifft, das von der herrschenden, auf das kleinfamiliale Wohnen gerichteten Wohnungspolitik nicht befriedigt wird. Unter diesen Voraussetzungen ist es möglicherweise gut, dass die EU-Richtlinie zur Daseinsvorsorge keine Aussage zum Wohnen enthält - sie wäre vermutlich hoffnungslos veraltet. Das enthebt die Politik allerdings nicht der Verpflichtung, die grundgesetzlich garantierte Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der Wohnungspolitik umzusetzen. Dazu gehört unbestreitbar vor allem die Ermöglichung aller von Frauen gewählten Lebens- und Wohnformen auch außerhalb heterosexueller Paarkonstellationen - nicht im Sinne der in soziologischen Texten oft beschworenen Vielfalt, die meist als Beliebigkeit missverstanden wird, sondern zur Unterstützung von Lebensformen jenseits der in den bestehenden baulich-räumlichen Strukturen eingeschriebenen hierarchischen Geschlechterordnung.

Anmerkungen

1) Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital, MEW Band 6, Berlin (DDR) 19, S.411f.

2) Siehe dazu Martina Löw, 2001: Raumsoziologie, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1506, Frankfurt/M., und Gabriele Sturm, 2000: Wege zum Raum. Opladen, Leske und Budrich.

3) Für den islamischen Kontext mit expliziter räumlicher Geschlechtertrennung hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu den Kontext von Gesellschaft und Raum in seiner Studie über das kabylische Haus herausgearbeitet. Siehe Pierre Bourdieu, 2005: Die männliche Herrschaft. Frankfurt/M.

4) Kerstin Dörhöfer, 1987: Der "männliche Blick" in Bau, Entwurf und Lehre. In: Kerstin Dörhöfer/Ulla Terlinden (Hrsg.): Verbaute Räume. Auswirkungen von Architektur und Städtebau auf das Leben von Frauen. Köln: Pahl-Rugenstein, S.115-130.

5) Virginia Woolf, 1978: Ein Zimmer für sich allein, Berlin, Gerhardt-Verlag. Original: "A room of one's own". © Quentin Bell und Angelica Garnett.

6) Errechnet aus: Statistisches Bundesamt (2006): Leben in Deutschland. Haushalte, Familien, Gesundheit - Ergebnisse des Mikrozensus 2005. www.destatis.de/presse/deutsch/pk/2006/mikrozensus_2005i.pdf Zugriff September 2006.

7) Martina Löw, 1994: Raum ergreifen. Alleinwohnende Frauen zwischen Arbeit, sozialen Beziehungen und der Kultur des Selbst. Bielefeld: Kleine.

8) Dorothea Krüger, 1990: Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft. Pfaffenweiler, Centaurus.

9) Nach den Zahlen der Vereinten Nationen waren 1999 in Afrika 36,9% der von Männern und 45,8% der von Frauen geführten Haushalte arm. In den Industriestaaten waren es dagegen 10,6% zu 25,3%.

10) Wie eine Reihe von Mietspiegeluntersuchungen gezeigt haben, verlangen - abgesehen vom Sozialen Wohnungsbau - vor allem Teile der privaten Vermieter, die nur wenige Wohnungen besitzen und vielfach selbst in dem Gebäude wohnen, vergleichsweise günstige Mieten. Gleichzeitig haben diese Vermieter jedoch eine besonders hohe Selektivität bei der Entscheidung, an wen sie vermieten, so dass benachteiligte Gruppen in der Regel zu diesem Markt keinen Zugang haben.

11) Darin unterscheiden sie sich von den ersten Frauenwohnprojekten der zweiten Frauenbewegung.

12) Ein Teil der Frauenwohnprojekte knüpft an der Tradition der mittelalterlichen Beginen an.

13) Die häufig gestellte Frage, "Wie haltet ihr es mit den Männern?", beantworten die Projekte unterschiedlich. Am häufigsten ist eine Regelung, die Männer als Gäste, nicht aber als Mieter akzeptiert, d.h. sie bekommen keinen Mietvertrag.

14) Die Dortmunder Beginen brachten z.B. in ihrem von einer Investorengruppe als Mietwohnungsbau erstellten Projekt ca. 20.000 € auf (über eine Leihgemeinschaft), um die vom Investor nicht vorgesehene Erschließung des Kellers mit dem Aufzug zu finanzieren.

15) Wie weit diese Unterstützung gehen kann und ob sie auch Pflegeleistungen einschließt, dazu sind die Vorstellungen in den einzelnen Projekten recht unterschiedlich. Dass Nachbarinnen in erheblichem Maß auf freiwilliger Basis Pflegeleistungen übernehmen, wird kaum angenommen, wohl aber werden Konzepte diskutiert, dass solche Leistungen mit Unterstützung der Bewohnerinnen organisiert oder von einzelnen Bewohnerinnen mit entsprechender Qualifikation professionell übernommen werden.

16) Allerdings gibt es, meist von Gleichstellungsbeauftragten initiiert, eine Reihe von Wohnprojekten für Alleinerziehende, in der Regel kombiniert mit Wohnungen für "vollständige" Familien, um "eine Ghettobildung zu vermeiden". Wohnen in einem Gebiet nur "vollständige" Familien, wird das dagegen nicht als Ghetto angesehen. Siehe dazu: Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) (Hg.) (1996): Wohnsituation Alleinerziehender III. Ergebnisse des Forschungsfeldes "Wohnsituation Alleinerziehender und alleinstehender Schwangerer in Notlage" des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus. Materialien zur Raumentwicklung Heft 98, Bonn.


Professorin Dr. Ruth Becker leitet an der Universität Dortmund das Fachgebiet Frauenforschung und Wohnungswesen in der Raumplanung und ist Sprecherin des Netzwerks Frauenforschung NRW.

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