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Die USA und der Afghanistan-Konflikt

15.01.2002: Ölinteressen und geostrategische Hintergründe1

  
 

Forum Wissenschaft 1/2002; Titelbild: Eckart Schmidt

Der Krieg gegen Afghanistan, den die USA zur Zeit trotz Kapitulation der Taliban ungehemmt weiterführen, fügt sich so nahtlos in die Geschichte der anglo-amerikanischen kriegerischen Interventionen in ressourenreichen Regionen der Welt, dass sich die Frage aufdrängt, ob es des Anschlages auf das World Trade Center wirklich bedurft hätte, um diesen Krieg (und die folgenden) zu beginnen. Mohssen Massarat beleuchtet die jüngere Geschichte der kriegerischen Absicherung des american way of life.

Der Krieg der Vereinigten Staaten gegen die Taliban in Afghanistan ist das jüngste Glied einer Kette der inzwischen über ein halbes Jahrhundert andauernden Geschichte anglo-amerikanischer Interventionen im Nahen und Mittleren Osten und nun auch in Zentralasien. Ereignisreiche Turbulenzen wie die Niederschlagung der Demokratiebewegung im Iran Anfang der fünfziger Jahre, die Schah-Diktatur als regionale Supermacht, die islamische Revolution im Iran, das Phänomen Saddam Hussein, der islamische Fundamentalismus, die Taliban und Bin Laden - sie alle sind ohne diese Interventionsgeschichte nicht zu verstehen. Mit der ihren eigenen ökonomischen und geostrategischen Interessen entsprechenden Politik haben die Vereinigten Staaten den Völkern im Nahen und Mittleren Osten beträchtlichen Schaden zugefügt, den eigenen und westlichen Interessen jedoch nicht geschadet, ganz im Gegenteil.

Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den nationalistisch-fundamentalistischen Regimen, den beiden Golfkriegen, den gigantischen Rüstungsexporten in die Persische Golf-Region in den letzten 30 Jahren und den sinkenden Ölpreisen. Letztere gelten bekanntlich als wichtigster Stabilitätsfaktor für die florierenden Volkswirtschaften kapitalistischer Industrieländer. Der Terroranschlag auf das World Trade Center und auf das Pentagon ist eine perspektivlose und konflikteskalierende Reaktion auf die anglo-amerikanischen Interventionen. Das eigene geostrategische Handeln wird durch den globalisierten Terrorismus eingeholt, die Kette der Interventionen und Gewalteskalation schließt sich nun global. Die USA bomben und ziehen vom Mittleren Osten weiter nach Zentralasien, entlang der neuen Öl- und Gastransportrouten.

Die Welt besitzen

In den 50er Jahren waren die wichtigsten Ölquellen des Mittleren Ostens entdeckt, der Umfang, die Qualität und die natürliche Produktivität der Vorräte erforscht. Es war also schon in dieser Zeit bekannt, dass die umfangreichsten Ölvorräte mit der höchsten natürlichen Produktivität bzw. den niedrigsten Produktionskosten in der Region des Persischen Golfes lagern. Somit wurden die Anfang des Jahrhunderts an Phantasie grenzenden Vermutungen über die Dimension der in dieser Region gelagerten Vorräte bei weitem übertroffen. Um so eindringlicher müssen die Prophezeiungen der Briten Lord Fisher und Winston Churchill und vor allem des Franzosen Berenger aus den 20er Jahren in den Ohren anglo-amerikanischer Geostrategen geklungen haben, dass "derjenige, der das Erdöl besitzt (…), die Welt besitzen (wird)".2

Das Interesse der Vereinigten Staaten an der Aufrechterhaltung der asymmetrischen Machtbeziehungen im weltgesellschaftlichen Dual-System weitete sich über die Absicherung von günstigen Rahmenbedingungen für den Fortbestand des fordistischen Modells hinaus auch auf die geostrategische Bedeutung der Ölvorräte der Golfregion aus. In den 50er und 60er Jahren waren westeuropäische Staaten und Japan auf dem besten Wege, sich auf allen Wirtschaftssektoren der Welt zu ernsthaften Rivalen der Vereinigten Staaten zu entwickeln. Andererseits wurden die EG-Staaten und Japan in derselben Zeit zu den wichtigsten Ölimporteuren aus der Golfregion, so dass ihre Energieversorgung zunehmend von den reibungslosen, preisgünstigen Öllieferungen von dort abhängig wurde. Das wachsende Sicherheitsinteresse dieser Staaten hinsichtlich ihrer Ölversorgung entsprach vollends dem Interesse der Vereinigten Staaten, sich über die Kontrolle des Öls der Golfregion als unverzichtbarer Schutzschirm einer reibungslosen Ölversorgung Westeuropas anzubieten. So verschafften die USA sich auch die Option, ihre militärischen Verbündeten im westlichen Bündnis und die ökonomischen Rivalen in der Weltwirtschaft nicht nur direkt durch ihre militärische Führungsrolle, sondern auch indirekt durch die "Ölwaffe" in Schach zu halten. Wer die Kontrolle über das Öl hat, der wird, sagte Berenger ferner, "seine Mitmenschen wirtschaftlich beherrschen", der wird, erkannte nach dem Zweiten Weltkrieg George Kennan, "eine "Vetomacht" über die Alliierten, über Europa und Japan haben (…), so dass es sehr wichtig wäre, diese nicht aus der Hand zu geben". Nicht ohne Grund hatte das State Departement das Mittelost-Öl auch als "gewaltige strategische Reserve, als den größten materiellen Preis der Weltgeschichte" eingestuft.3

Folgerichtig leiteten die Vereinigten Staaten ihre Golfpolitik aus einem doppelten Interessengeflecht ab: (a) dem global-ökonomischen Interesse an der Unterstützung der in der Golfregion tätigen US-Ölkonzerne und Aufrechterhaltung eines möglichst niedrigen Energiepreisniveaus; (b) dem geostrategischen Interesse an der Kontrolle des Öls der Golfregion und der dadurch zusätzlich gewonnenen politischen Macht. Trotz der US-Dominanz in der Region des Persischen Golfes bestand der anglo-amerikanische Ölimperialismus der Vorkriegsepoche auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Einst die führende Weltmacht und die führende Kraft im anglo-amerikanischen Tandem der Ausbeutung von Ölquellen der Golfregion, rutschte Großbritannien allerdings unwiderruflich in die Position des kleineren, aber verlässlichsten europäischen Verbündeten herab. Diese Rolle erfüllt es durch alle Turbulenzen der letzten Jahrzehnte im Mittleren Osten hindurch bis heute.

Nach dem Scheitern des iranischen Vorstoßes zur Überwindung des monopolistischen Ölmengen- und Preisdiktats der Ölkonzerne im Jahre 1953 sind drei Ereignisse hervorzuheben, bei denen die anglo-amerikanische Ölallianz durch Kriegsdrohung, Kriegsförderung und Kriegführung interveniert, um die weltgesellschaftlichen Machtasymmetrien in der Golfregion aufrechtzuerhalten: erstens beim Sturz der haschemitischen Monarchie im Irak 1958, zweitens nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 und während des ersten (iranisch-irakischen) Golfkriegs in den Jahren 1980-1988 sowie drittens nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak im August 1990, die in den zweiten Golfkrieg mündete.

Die Golfkriege und das Öl

Hatte der arabische Nationalismus die arabische Staatenwelt in den 50er Jahren grundlegend verändert, Monarchien, die dank britischer Intervention zwischen den Weltkriegen errichtet worden waren, beseitigt und dem direkten politischen Einfluss des Westens die Basis entzogen, so blieb im Iran diese Aufgabe einer im Mittleren und Nahen Osten tief verwurzelten grenz- und ethnienüberschreitenden islamistischen Strömung vorbehalten, die sich anschickte, in der gesamten arabisch-islamischen Welt den Nationalismus, insbesondere den arabischen Nationalismus, zurückzudrängen. 1979 beseitigte die islamische Revolution die Pahlawi-Dynastie im Iran. 18 Monate später befand sich diese Revolution mit dem Irak, dem expansivsten Verfechter des arabischen Nationalismus, auf dem Kriegsschauplatz. Der iranisch-irakische Krieg (der erste Golfkrieg) wurde zu einem der längsten, blutigsten und teuersten Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg. Ca. eine Million Menschen verloren ihr Leben bzw. wurden invalide. Die Kosten wurden für jede Kriegspartei auf 150-200 Mrd. US-Dollar geschätzt. Hinzu kommen Schäden durch die Zerstörung der Infrastruktur für den Irak in Höhe von 450 Mrd. US-Dollar und für den Iran in Höhe von 600 Mrd. US-Dollar.4

Neben diesen gigantischen Schäden auf beiden Seiten hat der erste Golfkrieg dem inneren Zusammenhalt der OPEC den schwersten Schlag seit ihrer Gründung versetzt. Als bedeutende Mitglieder der OPEC haben beide Kriegsparteien, um die Kriegskassen zu füllen, die bis dato als Tabu geltenden OPEC-Quotenbeschlüsse offen, permanent und massiv gebrochen, den Ölmengen-Preis-Mechanismus der OPEC faktisch außer Kraft gesetzt, die Märkte an der OPEC vorbei mit Öl zu Niedrigstpreisen überschüttet und die bereits begonnene Ölpreissenkung beschleunigt. So gesehen verwandelte sich der erste Golfkrieg in einen wichtigen Motor der Konjunkturankurbelung der Wirtschaft in den Industrieländern (a) durch umfangreiche Rüstungskäufe und (b) durch sinkende Öl- und Energiepreise.5 Je länger der Krieg also andauerte, desto mehr wurde die OPEC in ihrer 1974 und 1979 gewonnenen Ölmachtfunktion geschwächt und desto größer wurde der kurzfristige ökonomische Nutzen der Ölverbraucher im Norden. Nicht nur, aber insbesondere aus diesem Grunde ist die auffallende Gleichgültigkeit von fast allen Industriestaaten des Nordens gegenüber dem zeitweise vergessenen, obgleich blutigsten Krieg der letzten Jahrzehnte zu erklären. Im selben Zusammenhang steht auch die aktive Mitwirkung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens an der Verlängerung dieses Krieges.6 Bereits während des Krieges enthüllte die Washington Post die kriegsverlängernden Maßnahmen der Vereinigten Staaten.7 Nach den Enthüllungen im britischen Parlament Ende 1992 besteht kein Zweifel daran, dass auch Großbritannien durch geheime Lieferungen von Waffen und Informationen an beide Seiten aktiv und gezielt zur Verlängerung des Krieges beigetragen hat.

Ähnlich wie 1958 nach der erfolgreichen Revolution im Irak betrachteten die Vereinigten Staaten die islamische Revolution im Iran, die sich 20 Jahre später ereignete, als eine ernsthafte Bedrohung ihrer "lebenswichtigen" Interessen. Bereits vor dem Beginn des ersten Golfkrieges wurde die Stoßrichtung der US-Politik in der Golfregion an die Adresse der Sowjetunion und des Iran in der so genannten Carter-Doktrin neu formuliert.

"Der Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle des Persischen Golfes zu übernehmen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet. Sie wird mit allen Mitteln einschließlich militärischer Gewalt zurückgewiesen werden."8

Aufschlussreich und äußerst freizügig formulieren ein Jahr später vier den Regierungen der USA, Großbritanniens, der Bundesrepublik Deutschlands und Frankreichs nahe stehende und für die Außenpolitik zuständige Institute in einem gemeinsamen Bericht die "sicherheitspolitischen und militärischen Aufgaben des Westens” u.a. auch gegenüber der Golfregion:

"Im Falle nationaler Rivalitäten, die in der Golfregion zum Krieg führen könnten, dürfte eine westliche Einsatzflotte, die in der Lage ist, die Straße von Hormus offen zu halten, durchaus erforderlich sein. Im Falle innerer Unruhen, die westliche Interessen gefährden, sollten wir die Fähigkeit haben, auf Seiten der befreundeten Macht einzugreifen, die uns um Hilfe bittet. Auch zahlreiche andere Eventualitäten sind denkbar, in denen es auf eine schnelle Dislozierung in der Region zur Verteidigung der Ölfelder ankommen könnte."9

In der Tat befürchteten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, dass der Funke der islamischen Revolution auf Saudi-Arabien überschwappen könnte und dass dann eine radikal-islamistische Macht nach dem iranischen Muster die saudische Herrscherfamilie stürzen würde, die den Vereinigten Staaten wohlgesonnen ist. Nach diesem Szenario wären die neuen Machthaber in Saudi-Arabien zusammen mit dem Iran und dem Irak in der Lage gewesen, die Ära des anglo-amerikanischen Ölimperialismus endgültig zu beenden und die ölbasierten Ökonomien des Westens durch weitere Mengenreduzierung und Preiserhöhungen in eine neue und schwere Finanzkrise zu stürzen. Insofern war die Carter-Doktrin keine leere Drohung, sondern eine ernsthafte und von den europäischen Hauptverbündeten der USA unterstützte Initiative, der alsbald Taten folgten. Es wurde der Aufbau der Rapid Deployment Forces (RDF/Schnelle Eingreiftruppe) mit einer Stärke von inzwischen 400.000 Mann in Angriff genommen, und auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel zusammen mit den Armeen der befreundeten arabischen Regierungen Manöver abgehalten. In Saudi-Arabien selbst wurden umfangreiche infrastrukturelle und logistische Militäreinrichtungen geschaffen10 und die befreundeten arabischen Staaten zu einer "kooperativen Sicherheitspolitik" verpflichtet. Der Kern dieser Politik bestand in der militärischen Kooperation zwischen dem finanzschwachen, aber bevölkerungsreichen Ägypten und dem bevölkerungsarmen, aber finanzstarken Saudi-Arabien. Das Bündnis dieser beiden arabischen Staaten sollte die Lücke ausfüllen, die der Sturz des Schah-Regimes in der Golfstrategie der Vereinigten Staaten hinterlassen hatte.

Wiederherstellung der Kontrolle

Die "inneren Unruhen", die von den vier westlichen Instituten prognostiziert worden waren (sprich: islamische Revolution in Saudi-Arabien), sind ausgeblieben. Statt dessen kam der "Hilferuf einer befreundeten Macht" aus Kuwait, dem Nachbarland Saudi-Arabiens, nachdem die irakische Armee über Nacht dieses ölreiche Land besetzt und die Herrscherfamilie Al-Sabah zur Flucht nach Saudi-Arabien getrieben hatte. Die irakische Aktion und der Hilferuf der kuwaitischen Herrscher gehörten zu den von den vier westlichen "Denkfabriken" prognostizierten "Eventualitäten (…), in denen es auf eine schnelle Dislozierung in der Region zur Verteidigung der Ölfelder ankommen könnte".11

Zielte die irakische Aktion bei der Besetzung der ölreichen südiranischen Provinz Khusistan auf die Lostrennung der Ölressourcen aus dem antiwestlichen Lager in der Golfregion, was seinerzeit bei einem irakischen Sieg im Krieg gegen den Iran der Fall gewesen wäre, weshalb vermutlich der Westen diesen glatten Völkerrechtsbruch stillschweigend hinnahm, so zielte die irakische Besetzung Kuwaits umgekehrt darauf, beachtliche Ölressourcen aus dem mit den OECD-Staaten verbündeten Lager abzutrennen und dem direkten Zugriff des Irak zuzuführen. Der Irak verfügte dann nicht nur schlagartig über 19,2% statt bisher 9,9% der Weltölvorräte, das Gewicht des "moderaten" anglo-amerikanisch verbundenen Lagers mit Saudi-Arabien, Kuwait, VAE, die zusammen über 44,6% der Weltölreserven und 68% der Ölreserven des Mittleren Ostens verfügen und nach Kissinger trotz "ihres Fundamentalismus für uns keine Herausforderung darstellen", wäre ebenso schlagartig deutlich geschwächt, während gleichzeitig das Gewicht des antiwestlichen Lagers, mit Irak, Iran, Libyen und Algerien, erheblich gestärkt worden wäre. Aus anglo-amerikanischer Sicht drohte den Vereinigten Arabischen Emiraten und auch Saudi-Arabien ein ähnliches Schicksal wie Kuwait. Ein derartiges Bedrohungsszenario wurde zumindest unterstellt.

Durch die irakische Besetzung des ölreichen Kuwait im Sommer 1991 war jener in der Carter-Doktrin beschriebene Interventionsfall anlässlich eines "Angriffs auf die vitalen Interessen der USA" in der Golfregion eingetreten und der "Hilferuf" der mit den USA befreundeten kuwaitischen Herrscherfamilie schaffte seinerseits die moralische Legitimation, um Kuwait "mit allen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt" zurückzuerobern. Damit hatte der Irak - wie übrigens mit der Besetzung der südiranischen Provinz Khusistan im Herbst 1980 den ersten Golfkrieg - nunmehr auch den zweiten Golfkrieg eingeleitet. Die anglo-amerikanische Allianz war für eine militärische Reaktion, insbesondere seit der Ankündigung der Carter-Doktrin gut vorbereitet. Diese historische und bis in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts zurückreichende Allianz hielt allen Krisen und antiwestlichen Entwicklungen der Nachkriegsära stand und wurde ideologisch, strategisch, militärisch und ökonomisch unter der US-Dominanz immer enger verzahnt. Die Allianz reagierte auf die irakische "Provokation" in einer aus europäischen und arabischen Staaten zusammengesetzten anti-irakischen Kriegskoalition und legitimiert durch die Vereinten Nationen mit dem "wirksamsten Vernichtungsfeldzug in der Geschichte, der jemals durch Streitkräfte geführt wurde".12 Der zweite Golfkrieg hatte viele Dimensionen, Facetten und Botschaften.13 Es war eine der größten Militäraktionen nach dem Zweiten Weltkrieg, allein die USA schickten 550.000 Soldaten in die Kriegsregion. 100.000 irakische Soldaten und 200 Soldaten auf der Seite der Kriegskoalition ließen innerhalb von sechs Wochen (Januar und Februar 1991) auf dem Kriegsschauplatz ihr Leben. Die Kriegskosten allein auf der Seite der Kriegskoalition betrugen ca. 100 Mrd. US-Dollar, die zum größten Teil durch Saudi-Arabien und Kuwait getragen wurden.14

Der Krieg wurde angeblich geführt, um Kuwait zu befreien, die Demokratisierung in diesem Land einzuleiten und Saddam Hussein im Irak zu stürzen. Die Vereinten Nationen legitimierten unter massivem Druck der USA und der NATO die militärische Intervention der anti-irakischen Kriegskoalition. Heute, acht Jahre nach dem zweiten Golfkrieg, besteht kein Zweifel darüber, dass das entscheidende Kriegsziel in Wahrheit die Rückführung der kuwaitischen Ölreserven in das westliche Lager, die Wiederherstellung der anglo-amerikanischen Kontrolle über die umfangreichsten Ölreserven der Welt und die Aufrechterhaltung der "störungsfreien Energieversorgung" der OECD-Staaten war, was auch ohne Abstriche durchgesetzt wurde. Dagegen ist heute weder von einem Sturz des irakischen Regimes noch von den Menschenrechten in Kuwait die Rede. Vielmehr sorgt die Fortexistenz des irakischen Regimes für einen Zustand des Misstrauens und des Wettrüstens in der Region, die bewährte Politik Großbritanniens von Spalten und Regieren kommt zur vollen Geltung. Solange das irakische Regime weiterbesteht, ließe sich auch die militärische Präsenz der USA in Saudi-Arabien und Kuwait innenpolitisch legitimieren. Umgekehrt stärken militärische Bedrohungen des Iraks die Legitimation des irakischen Diktators und verlängern dessen Herrschaft: Die gegenseitigen Provokationen, die Beeinträchtigung der Umsetzung der US-Beschlüsse zur Vernichtung der irakischen Massenvernichtungsmittel einerseits und die militärische Reaktion der anglo-amerikanischen Allianz auf die irakische Provokation andererseits. Die Operation Wüsten-Fuchs Ende Dezember 1998 war das schwerwiegendste dieser Art von Katz-und-Maus-Spiel. Das Regime von Saddam Hussein erweist sich so als ein wichtiger Stabilitätsfaktor anglo-amerikanischer Geostrategie in der Region des Persischen Golfes, wie umgekehrt anhaltende militärische Aktionen der Allianz gegen Irak Saddam Husseins Herrschaft stabiler machten. Eine unheilige Allianz von Kriegsparteien hat sich etabliert, die absehbar bestehen bleiben dürfte.15 Die Voraussage des Franzosen Berenger aus den zwanziger Jahren, dass "derjenige, der das Erdöl besitzt, die Welt besitzen (wird)", behält auch gegen Ende dieses Jahrhunderts seine Gültigkeit und wird heute fast genau so gesehen wie damals: "Welche Großmacht auch immer die Kontrolle über die Energieressourcen in der Golfregion erringt, sie wird dadurch im großen Ausmaß auch die Entwicklung der Welt beherrschen. Ein dritter Weltkrieg, sollte er stattfinden, würde wahrscheinlich um die Energiequellen in der Golfregion geführt werden."

Dies sagte der US-amerikanische Energieminister James Schlesinger während der Carter-Administration, ein Jahr vor der Besetzung Kuwaits durch den Irak, im September 1989 auf der Weltenergiekonferenz in Montreal.16 Lee Hamilton, Vorsitzender des Unterausschusses für Europa und den Nahen Osten im US-Repräsentantenhaus, gestand vor dem Beginn des Krieges: "Der Grund für unseren Einsatz am Golf ist viel alltäglicher: Geld und Öl - und wer die Kontrolle darüber ausübt. Wir wollen natürlich auch einen Aggressor in die Schranken weisen."17

Grundsätzlicher und offener als Hamilton formulierte der amtierende US-Präsident George Bush den Anspruch Amerikas auf den Zugriff auf die Ölvorräte des Persischen Golfes: "Unsere Wirtschaft, unsere Lebensart, unsere Freiheit und die Freiheit befreundeter Länder auf der ganzen Welt, alles würde leiden, wenn die Kontrolle über die großen Ölreserven der Welt in die Hände Saddam Husseins fielen."18

Im Umkehrschluss dieser Aussage würden alle glücklich sein, sich frei fühlen, ihren Lebensstil beibehalten können, wenn die Kontrolle über die großen Ölreserven der Welt wie bisher bloß bei den Vereinigten Staaten bliebe. Das Leid, von dem George Bush aber spricht, ist der Verzicht auf den verschwenderischen Energiekonsum und die Freiheit, von der die Rede ist, ist die Freiheit zur Aufrechterhaltung dieses Konsummusters, letztlich zur Fortsetzung des Krieges gegen die Natur durch hemmungslose Naturausbeutung und durch Veränderung des ökologischen Gleichgewichts. Am Persischen Golf - und nicht nur dort - werden Kriege gegen Menschen geführt, damit der Krieg gegen die Natur fortgesetzt werden kann; so kann sich der Kreis im System wieder schließen. "Das, was das amerikanische Volk aus dem Golfkrieg gelernt hat, ist, dass es wesentlich leichter und wesentlich lustiger ist, den Leuten im Vorderen Orient in den Hintern zu treten, als Opfer zu bringen und die Abhängigkeit Amerikas im Hinblick auf das importierte Öl zu begrenzen. (…) Diejenigen, die mich gut kennen, werden verstehen, dass ich es niemals wagen würde, einen Ausdruck zu verwenden, wie eben von mir getan, wenn dieser nicht auch auf höchster Regierungsebene so akzeptiert würde."19

Zentralasien und das Öl

Noch stärkere Aufmerksamkeit als den afrikanischen Ölstaaten wird inzwischen den mittelasiatischen Staaten am Kaspischen Meer gewidmet, da die in dieser Region entdeckten bzw. vermuteten Öl- und Gasvorräte die zweitgrößten Vorräte nach den Öl- und Gasreserven des Persischen Golfes darstellen sollen. In dieser Region prallen die Interessen der OECD-Staaten und die russischen Interessen aufeinander. Hinzu kommen Ölinteressen Chinas sowie die Interessen der regionalen Staaten Iran und Türkei. Zwischen diesen Staaten ist ein heftiger Konkurrenzkampf um das Öl im Kaspischen Meer und das Gas in Turkmenistan, der an "die Rivalitäten des 19. Jahrhunderts, als Großbritannien und das russische Zarenreich um die Vorherrschaft in Zentralasien kämpften", erinnert.20

Die Öl- und Gasregion Kaspisches Meer stellt für die OECD-Staaten eine hervorragende Option zur Verringerung ihrer Abhängigkeit vom Persischen Golf und zur Diversifizierung des Angebots von fossilen Energien sowie eine zusätzliche Erhöhung des Überproduktionswettbewerbs dar. In diesem Kontext hat der transkaukasische Raum eine enorme geopolitische Bedeutung gewonnen. Die OECD-Staaten betrachten das Gebiet als Brücke zwischen dem Kaspischen Meer, Zentralasien und den Weltmeeren (über das Schwarze Meer und das Mittelmeer), die es ermöglicht, den Iran und Russland zu umgehen.

Die US-Regierung verfolgt mit erheblichem diplomatischen und wirtschaftlichen Aufwand die Strategie, die ehemaligen Sowjetrepubliken politisch wie wirtschaftlich von Russland zu lösen, um die Entstehung einer neuen Union unter russischem Einfluss zu verhindern: "Sollte es Moskau gelingen, die Oberherrschaft am Kaspischen Meer zu erlangen", schreibt im Frühjahr 1997 der ehemalige US-Verteidigungsminister Weinberger, "so wäre dieser Sieg vielleicht bedeutsamer als die NATO-Erweiterung für den Westen".21

Ist das Kaspische Meer für die USA und die übrigen OECD-Staaten einerseits und Russland andererseits wegen dessen gigantischen Energieressourcen strategisch sehr wichtig, so gewinnt die gesamte umliegende Region wegen der Öl- bzw. Gas-Transportrouten ihre strategische Bedeutung. Während die USA/OECD-Staaten den Transportrouten westlich des Kaspischen Meeres durch Aserbaidschan, Armenien, Georgien bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan bzw. östlich des Kaspischen Meeres durch Turkmenistan, Afghanistan und Pakistan zum Arabischen Meer/Indischen Ozean den Vorzug geben, um den Iran und Russland zu umgehen, plädiert der Iran für die Nord-Iran-Route durch die Türkei, Russland für Transportrouten, die direkt über Grosny oder auf dem Umweg zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk führen.

Noch längst ist eine endgültige Entscheidung nicht getroffen, und schon toben überall auf den möglichen Öltransportrouten blutige Kriege und es entstehen unheilige politisch-militärische Allianzen, die die gesamte Region in ein neues Pulverfass verwandeln könnten. Der russische Vernichtungskrieg gegen Tschetschenien und der armenisch-aserbaidschanische Krieg in Nagorni-Karabach können jederzeit wieder aufbrechen. In Georgien herrscht Bürgerkrieg und die Ölroute in der Türkei liegt in Kurdistan, wo der Krieg gegen die Kurden nach wie vor im Gange ist. Die USA paktierten in Afghanistan mit den Taliban, den fundamentalistischsten aller islamistischen Strömungen, und hievten diese mit pakistanischer Hilfe an die Macht, in der Hoffnung, für die geplanten Pipelineprojekte politisch "stabile" Verhältnisse vorzufinden und den Zugriff zu den turkmenischen Gasvorräten abzusichern. Flankierend sind überall in der Region westliche und russische Geheimdienste am Werk, die hinter den Kulissen ihr Unwesen treiben und Konflikte schüren, um daraus für die eigene strategische Position politisches Kapital zu schlagen.22 Zur Inwertsetzung der riesigen fossilen Energievorräte des Kaspischen Meeres wollen die OECD-Staaten und die westlichen Ölkonzerne offenbar nicht länger kostbare Zeit verstreichen lassen. Voller Ungeduld haben sie bereits mit umfangreichen Investitionen begonnen. Allein 1996 flossen 2,5 Mrd. US-Dollar in die Öl- und Gasgebiete rund um das Kaspische Meer, 1997 waren es bereits 5 Mrd. US-Dollar.23

Im Wettrüsten und in den Kriegen im Mittleren Osten kulminieren auf vielfache Weise die ökonomischen und ökologischen Folgen einer realen Entwicklung, die den Zustand der fortdauernden Versorgung des Nordens mit Öl zu Dumpingpreisen auf fatale Weise zementiert. Durch das Wettrüsten wird ein bedeutender Teil der Petro-Dollars der Golfstaaten für destruktive Zwecke ausgegeben und in den Norden "recycelt". Die zahlreichen Kriege im Nahen Osten und die beiden großen Golfkriege verursachten nicht nur unermessliche Schäden an Menschen, an den von Menschen geschaffenen materiellen Gütern und an der Umwelt auf der Erdoberfläche, sondern sie führten auch zur beschleunigten Ausbeutung von knappen Ölressourcen und damit zur ökologischen Zerstörung unter der Erdoberfläche, zur Verschärfung der Ölüberproduktion und folglich zu Dumpingpreisen. Man kann mit Fug und Recht von einer Spirale der ökonomischen und ökologischen Zerstörung sprechen, in der sich die Staaten des Mittleren und Nahen Ostens seit über vier Jahrzehnten bewegen (vgl. Abbildung).

Den kaum quantifizierbaren menschlichen, materiellen und kulturellen Schäden in dieser Region des Südens stehen kurzfristige ökonomische Vorteile für die Industriestaaten und den militärisch-industriellen Komplex des Nordens in Form von Öl zu Dumpingpreisen und Waffenexporten gegenüber, auf die diese offenbar nicht bereit sind, freiwillig zu verzichten. Im Mittleren und Nahen Osten werden Kriege gegen Menschen und Natur geführt, damit der Norden auch weiterhin seinen ungehemmten Krieg gegen die Natur in Form von verschwenderischem Konsum, Energieverbrauch und Schadstoffemissionen führen kann.


Anmerkungen

1) Der Beitrag enthält in weiten Teilen Auszüge aus dem neunten Kapitel "Krieg um Öl am Ende des Jahrhunderts" meines Buches "Das Dilemma der ökologischen Steuerreform. Plädoyer für eine nachhaltige Klimapolitik durch Mengenregulierung und neue politische Allianzen", Metropolis Verlag 2000. Das Buch analysiert die sozial und ökologisch zerstörerischen Mechanismen der gegenwärtigen Weltenergieversorgung und zeigt auch Auswege aus der Sackgasse.

2) Berenger, zitiert nach Denny, Ludwell: Ölquellen, Kriegsquellen. Zürich und Leipzig 1930, S.15

3) Chomsky, Noam/Beinin, Joel u.a.: Die neue Weltordnung und der Golfkrieg, Grafenau 1992, S.33

4) Kronberger, Hans: Blut für Öl. Der Kampf um die Ressourcen, Wien 1988, S.122

5) Vgl. Massarrat, Mohssen: Der Gottesstaat auf dem Kriegsschauplatz, in: Peripherie 29/1988, S.45-84.

6) Der Krieg und dessen Fortdauer hatten auch den wichtigen Effekt der Eindämmung der islamischen Revolution bei gleichzeitiger Schwächung des arabischen Nationalismus und der Umlenkung der gegen Israel gerichteten arabisch-islamischen Bedrohungspotenziale auf das innerarabisch-islamische Spannungsfeld.

7) Frankfurter Rundschau vom 16.11.1985; 29.11.1985; 21.1.1986

8) Präsident Carters Erklärung "State of the Union”, 23. Januar 1980

9) Kaiser, Karl/Lord, Winston/de Montbrial, Thierry/Watt, David: Die Sicherheit des Westens: Neue Dimensionen und Aufgaben, Bonn 1981, S.39 (Die engl. Fassung "WESTERN SECURITY: What has changed? What should be done?" wurde gleichzeitig durch Council of Foreign Relations/New York veröffentlicht).

10) Die Kosten dieser Einrichtungen wurden freilich Saudi-Arabien überlassen, das laut SIPRI zwischen 1980-1988 181,55 Mrd. US-Dollar für Waffenimporte und Unterhaltung der Militäreinrichtungen des Landes ausgegeben hat. Dass damit Saudi-Arabien in derselben Zeit doppelt so viel für die "Verteidigung" ausgegeben hat wie der Irak, dessen Ausgaben 91,4 Mrd. US-Dollar betrugen (SIPRI Yearbook, Oxford 1990, S.187), ohne im Geringsten in der Lage zu sein, selbstständig eine mögliche irakische Bedrohung abzuwenden, legt die begründete Vermutung nahe, dass die kostspieligen militärischen Einrichtungen des Landes nur komplementär zu der US-Armee funktionstüchtig sind und wahrscheinlich im Wesentlichen die infrastrukturelle und logistische Basis der schnellen Eingreiftruppe der USA darstellen.

11) Kaiser u.a. , a.a.O., S.39

12) Schmähling, Elmar: Moralische und rechtliche Aspekte des Golfkrieges und Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, in: Stein, Georg: Nachgedanken zum Golfkrieg, Heidelberg, S.73-96, S.83

13) Die Ereignisse, die verschiedenen ökonomischen, ökologischen, politischen, kulturellen, ethnischen, völkerrechtlichen, regionalen und internationalen Dimensionen und Folgen des zweiten Golfkrieges wurden inzwischen in zahlreichen Beiträgen und Monographien gründlich und kritisch aufgearbeitet. Vgl.: Salinger Pierre/Laurent, Eric: Krieg am Golf. Das Geheimdossier, München/Wien 1991; Ruf, Werner (Hrsg.): Vom kalten Krieg zur heißen Ordnung? Der Golfkrieg - Hintergründe und Perspektiven, Münster 1991; Chomsky/Beinin a.a.O.; Schönberger, Klaus/Koestler, Claus: Der "freie" Westen, der "vernünftige" Krieg, seine "linken" Liebhaber und ihr okzidentaler Rassismus, Marbach 1992 und vor allem die Beiträge von Johan Galtung, Elmar Schmähling, Reinhard Schulze, Michael Müller, Ekkehart Krippendorf und Mohssen Massarrat in Stein, Georg (Hrsg.): Nachgedanken zum Golfkrieg, Heidelberg

14) Kronberger, a.a.O., S.124

15) Ausführlicher zur Analyse der unheiligen Allianz und friedenspolitische Alternativen s. Massarrat, Mohssen: Die unheilige Allianz mit dem irakischen Diktator, in Wissenschaft und Frieden 1/99, S.17-21

16) zit. nach Michael Müller, die tageszeitung vom 13. August 1991

17) Der Spiegel 34/1990, S.119 f

18) zit. nach Yergin, Daniel: Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht, Frankfurt/M 1991, S.95

19) Der ehemalige US-Energieminister James Schlesinger auf dem 15. Kongress des Weltenergiebeirates im September 1992 in Madrid ; zit. nach Sarkis, Nicolas, 1993: L’inquiétante baisse des revenus du pétrole, in: Le monde diplomatique, No 467/Feb. 1993, Paris

20) Cheterian, Viken: Kaukasische Pipelinenetze und politische Knotenpunkte, in: Le Monde Diplomatique vom Oktober 1997 (deutsche Ausgabe), S.21

21) International Herald Tribune 10./11. Mai 1997, zitiert nach Cheterian, a.a.O.

22) Vgl. dazu Cheterian, a.a.O., S.20 und Kronberger, a.a.O., S.41ff

23) Kronberger, a.a.O., S.143


Prof. Dr. Mohssen Massarat ist Politikwissenschaftler am Fachbereich Sozialwissenschaft der Universität Osnabrück

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