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Klaus Holzkamp

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Journalistisches Kerngeschäft: Demokratie

15.11.2009: Deutsche Tageszeitungen in der Krise

  
 

Forum Wissenschaft 4/2009; Foto: Helmut Rühl

Tageszeitungen scheint das letzte Stündlein geschlagen zu haben. Betriebswirtschaftliche und journalistische Belange geraten immer stärker miteinander ins Gehege; JournalistInnen ebenso unter Druck wie lange schon andere ArbeitnehmerInnen. Im Kampf ums Soziale und um die gesellschaftspolitische Aufgabe des Journalismus plädiert Wolfgang Storz für eine neue Rolle der JournalistInnen.

In den USA sind die Tageszeitungen im freien Fall - unter www.newspaperdeathwatch.com kann die ständig aktualisierte Totentafel eingesehen werden -, in Deutschland fallen sie etwas sanfter. Die deutschen Verleger reagieren darauf wie alle anderen Unternehmer: Sie versuchen, ihre Umsätze mit so genannten Zusatzgeschäften (wie dem Verkauf von Büchern und Filmen) zu steigern. Und vor allem sparen sie. Sie arbeiten mit Beratungsfirmen wie der Hamburger Schickler-Gruppe zusammen, die mit Hingabe zum Cent und nach klassischen betriebswirtschaftlichen Rationalisierungsmodellen Redaktionsarbeit in industrielle Fertigungsprozesse umwandelt. Die WAZ-Mediengruppe verabschiedet sich von RedakteurInnen und Lokalausgaben, Gruner + Jahr legt mehrere Wirtschafts-Magazine zusammen. Die Beispiele sind zahlreich. Die deutschen Verleger machten es schon früher und meist radikaler, als der wegen seiner hohen Rendite-Ziele so bös gescholtene und auf dem deutschen Markt und anderswo spektakulär gescheiterte britische Investor David Montgomery und sein Statthalter es bei der Berliner Zeitung je gewagt haben.

Wer der Meinung ist, eine Zeitung sei ein Wirtschaftsgut wie ein Papiertaschentuch, der kann nur zustimmen: Denn die Verleger haben Recht mit dem, was sie tun. Ihr bisheriges Geschäftsmodell ist im Prinzip tot. Vor allem die gesellschaftlich bedeutsamen Printmedien, also diejenigen, die sich der Aufgabe stellen, Bürgerinnen und Bürger verständlich, unabhängig, kritisch und vollständig über wesentliche Vorgänge in dieser Gesellschaft zu informieren, erhalten seit Jahren weniger Anzeigen, verlieren Käufer- und auch LeserInnen. Dafür gibt es viele Gründe, einer ist von besonderem Gewicht: Die interessierten BürgerInnen erhalten im Internet - auf Kosten der Printmedien - das komplette von den Print- und Online-Redaktionen erarbeitete Informations-Angebot komfortabler und schneller als in der jeweils gedruckten Ausgabe - und vor allem erhalten sie es kostenlos. Was sie bei der gedruckten Ausgabe noch hält, ist vor allem die Gewohnheit. Und diese stirbt früher als die Hoffnung, es werde doch noch alles gut werden.

Zeitung = Wirtschaftsgut?

Es gibt Indizien, dass die Versuche, die Medienkrise sich im Wortsinne zu ersparen, in einer neuen Phase sind. Die Verleger sind heute dabei, den Journalismus zu deformieren, und ihnen wird dabei geholfen. Das erste Beispiel: Die WAZ-Mediengruppe hat, um zu sparen, die Dienste der Nachrichtenagentur dpa gekündigt; übrigens unter Beifall eines nennenswerten Teils der Fach-Öffentlichkeit, der tut, als werde hier ein Moloch abgeschüttelt, der bisher die Redaktionen vom eigentlichen und guten Journalismus abgehalten hätte. Der entschiedene Versuch eines so bedeutenden Medien-Konzerns, Tageszeitungen ohne die Dienste von dpa herzustellen, hebt die bisher bekannte Sparpolitik auf ein neues und im Grundsatz gefährliches Niveau. Der Grund: Die Dienste dieser Agentur werden nach Auflage bezahlt; eine große Zeitung bezahlt mehr, eine kleine Zeitung weniger, jeder Kunde erhält jedoch dieselbe Leistung. Die reiche WAZ-Mediengruppe zieht sich bewusst aus diesem Solidar-Modell zurück, das bisher kleineren Verlagen und Zeitungen ermöglicht, eine wenigstens halbwegs leidliche nationale und internationale Berichterstattung ihrem Publikum zu bieten. Die WAZ-Geschäftsführung macht daraus auch gar kein Hehl: Es ist genau dieses Solidar-Prinzip, das ihr nicht passt, das sie zerschlagen will. Das ist aus Sicht der WAZ-Geschäftsführung betriebswirtschaftlich ebenso rational wie in sich schlüssig: Der Konzern spart einerseits Geld und schwächt andererseits zugleich die kleinen Verlage, steigert somit seine Chance, diese anschließend billiger aufkaufen zu können.

Das zweite Beispiel: Große Verlage wie beispielsweise der Hamburger Verlag Bauer kündigen den Vertriebs-Grossisten oder setzen sie finanziell sehr stark unter Druck. Damit gefährden sie bewusst das heutige Vertriebssystem, das bisher dafür sorgt, dass alle BürgerInnen auch Zeitungen und Magazine mit geringen Auflagen und geringer Finanzkraft bundesweit am Kiosk kaufen können. Bisher galt der Grundkonsens: Das deutsche Grosso-System arbeitet nach den Kriterien der Neutralität und der Unabhängigkeit. Von 71 Grossisten, die heute etwa 120.000 Verkaufsstellen versorgen, sind 61 Grossisten verlagsunabhängig, so Michael Haller, Professor für Journalistik in Leipzig. Seine Einschätzung der jüngsten Ereignisse: Die Vertriebs-Verhältnisse seien auch in Deutschland nicht perfekt. Jedoch: "Gleichwohl waren sich bis zum vergangenen Herbst alle Beteiligten darin einig, dass die Informationszugangsfreiheit des Bürgers zu sichern ist. Durch Bauers Kündigungen und den enormen Preisdruck der Großverlage ist dieser Grundkonsens in Frage gestellt." Die Folge sei, so Haller: "Die Pressevielfalt wird schrumpfen, auf Kosten der innovativen und geistreichen Publizistik, die stets im Kleinen beginnt."

Das dritte Beispiel: Die verantwortlichen JournalistInnen des WAZ-Konzerns reklamieren für sich stolz das Urheberrecht an der Idee, der Nachrichtenagentur dpa zu kündigen. Das vierte Beispiel: Der wichtigste Chefredakteur der WAZ-Mediengruppe ist vor einiger Zeit zugleich Mitglied der Geschäftsleitung geworden, die der Geschäftsführung direkt zuarbeitet. Und das fünfte Beispiel: Der neue Chefredakteur der Westfälischen Rundschau - er muss die eben skizzierte Politik qua Amt mittragen -, war bis in diesem Frühjahr Bundesvorsitzender der Journalisten-Gewerkschaft dju. Noch Anfang Februar bekräftigt er in einem Interview: Er werde Vorsitzender bleiben, ver.di stütze seine Haltung. Wer dies kritisiere, der wolle Gewerkschaften wohl "zu einer Organisation von vermeintlich zu kurz Gekommenen" machen. Er könne keine Interessenkollisionen zwischen seiner Tätigkeit als Chefredakteur und seinem Amt als Gewerkschaftsvorsitzender sehen. Vielleicht wird ja bald auch ein leitender Angestellter des Daimler-Konzerns Vorsitzender der IG Metall.

JournalistInnen im Verlagsauftrag

Diese Beispiele zeigen nicht nur, wie rigoros die gesellschaftlich so angesehenen deutschen Verleger sparen, sondern sie verdeutlichen auch, wie bundesweit bedeutsame JournalistInnen beim Versuch, der Krise der Zeitungen mit den Regeln der Betriebswirtschaft zu begegnen, förmlich aus der Rolle fallen, so dass nicht mehr klar ist, wer welche Verantwortung hat und wer welche Interessen vertritt. "Zu viele Chefredakteure tun so, als ob sie Verlagsmanager wären." Diese Worte stammen von Bernd Ziesemer, Chefredakteur des Handelsblatts. Wenn schon er, einer der Marktradikalen unter den deutschen Journalisten, dies sagt, dann ist die Lage womöglich wirklich ernst.

Und weil JournalistInnen über Rollen purzeln, sie nicht wahrnehmen, gilt anderes bereits als selbstverständlich: Beispielsweise, dass der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns in seiner Welt Leitartikel über die Bedeutung des Profits schreibt. Dass Berichterstattungen von Springer-Medien über das Thema Mindestlohn und die Sanierung von Opel direkt oder indirekt interessengeleitet sind. Auch andere mächtige Verleger geben ihren Mitarbeitern gerne geistige Orientierung: Der alte Patriarch Alfred Neven-DuMont verkündete vor einigen Monaten so nebenbei, seine Frankfurter Rundschau müsse in die Mitte rücken - wohin? -, wolle sie Erfolg haben. Und der junge Patriarch Jacob Augstein, der jüngst die linke Wochenzeitung Freitag kaufte, hat die Rollenteilung auch aufgehoben: Autor, Redakteur, Besitzer und Geldgeber, er ist alles in einem. Und zu guter Letzt: Es spielt eine Partei-Holding über ihre zahllosen Beteiligungen eine unappetitlich starke Rolle im deutschen Verlegerwesen.

Dass diese Verleger auch für viele JournalistInnen als angesehene Anker in dieser anspruchsvollen demokratischen Medienwelt gelten, zeigt, dass wir es nicht nur mit einer wirtschaftlichen Krise, sondern auch mit einer krisenhaften geistigen Verwirrung zu tun haben.

Nun können diese Anmerkungen in die Mülltonne geworfen werden - wenn die Medien als Wirtschaftsgut angesehen werden. Wer jedoch unverändert davon ausgeht, dass sie janusköpfig, dass sie wenigstens gleichermaßen wirtschaftliches und öffentliches Gut sind, der muss versuchen, auch in seinen eigenen von Sparrunden und Entlassungen geprägten Krisenzeiten diesem Anspruch gerecht zu werden. Konkret: So wie andere Unternehmen sich dem Anspruch stellen müssen, die Frage der Rendite mit den Ansprüchen des Sozialen und des Ökologischen auszutarieren, so müssen Medien-Unternehmen die Frage der Rendite mit den Ansprüchen des Sozialen und der Demokratie austarieren. Wer sich diesem Anspruch nicht praktisch stellt, der wird zwangsläufig vom Sanierer eines Medien-Unternehmens zum Abdecker des Qualitätsjournalismus.

Die JournalistInnen und ihre Gewerkschaften sind inzwischen seit Jahren im Kampf um Arbeitsbedingungen und um Arbeitsplätze. Dieser Kampf ist existenziell. Deshalb sind sie seit Jahren verstrickt in Debatten und Handeln um betriebswirtschaftlich gangbare Wege aus der Krise. Und deshalb lassen sie sich auch darin verstricken. Newsdesk, Print last, Print first, Format klein, mehr Online und weniger Print, der sekündliche Take oder die ausgeruhte lange Analyse oder beides, Format groß oder Tabloid, lange Texte oder kurze, Bilder groß oder klein, Grafiken oder noch mehr Grafiken, viele Zwischenzeilen oder keine, Politik als Unterhaltung statt Politik? Die Frage, an der sich diese Diskussionen ausrichten, lautet: Wie erreiche ich die Aufmerksamkeit meiner Konsumenten?

Die Frage lautet nicht: Versorge ich - lokal, regional, national, international - mein Publikum aus gesellschaftspolitisch interessierten BürgerInnen ausreichend, und was kann ich tun, um aus der großen Schar an KonsumentInnen mehr BürgerInnen als bisher für mich als Publikum zu gewinnen? Und weil die Frage so eben nicht gestellt wird, weil es um die KonsumentInnen und nicht um die politischen (Staats-)BürgerInnen geht, deshalb drehen sich diese handwerklichen Diskussionen in sich schlüssig nicht um die Stichworte: Kontrolle der Mächtigen, publizistische Unabhängigkeit, die vierte Gewalt im Staat, Verständlichkeit, das gesellschaftlich Belangvolle von Belanglosem unterscheiden, Politik unterhaltsam darstellen, aber als Politik darstellen, der Einfluss von PR. Diese Stichworte spielen keine Rolle, weil sie betriebswirtschaftlich irrelevant sind.

Das heißt: Das Thema der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Journalismus liegt brach. In dieser Gesellschaft können mit leichter Hand Zeitungen zusammengelegt werden. Sagte jemand, "Warum brauchen wir eigentlich in den Regalen der Supermärkte 30 Leberwurstsorten - lasst sie uns auf 25 verringern", dann stellten sich Bataillone gegen diesen angeblichen Versuch, die Freiheit der KonsumentInnen zu untergraben und die Planwirtschaft wiedereinzuführen.

Kernfrage Produktqualität

Was könnte getan werden, um einerseits den Kampf um das Soziale zu führen, ohne andererseits den um den gesellschaftspolitischen Charakter des Journalismus zu vernachlässigen? Die JournalistInnen und ihre Gewerkschaften müssten sich bewusst werden, dass sie weder ,normale' ArbeitnehmerInnen noch ,normale' Gewerkschaften sind: Für sie kann sich nicht nur wie für ,den' Opel-Arbeiter, Opel-Betriebsrat und für die IG Metall ganz selbstverständlich alles um die Sicherheit der Arbeit und die Entlohnung drehen. Sie haben eine Verantwortung für ihr Produkt, wie sie ,der' Opel-Arbeiter nie haben kann, wird und nie haben will. JournalistInnen produzieren ein geistiges Produkt von höchstem öffentlichen Belang. Das heißt, die JournalistInnen und mit ihnen ihre Gewerkschaften besinnen sich auf ihre eigentliche Rolle und kümmern sich zuallererst um ihr System und die Produkte des Journalismus.

Diese Feststellung ist nicht banal, sondern von grundlegender Bedeutung: Denn das bedeutet, dass Inhalt, Form und Qualität der journalistischen Arbeit im absoluten Vordergrund stehen und nicht die Verteilung - gedruckt oder digital, sms oder online - und auch nicht die Finanzierung. Das müssen andere klären. Das ist leicht gesagt und in den Ohren von vielen Betroffenen dumm dahergeredet: Denn was hat ein Redakteur von diesem Geschwätz, dessen Arbeitsplatz auf der Kippe steht? Trotzdem: Es muss sich jemand in der Hauptsache - und nicht nur so nebenbei wie bisher - um den öffentlich bedeutsamen journalistischen Kern kümmern. Und das müssen möglichst viele MedienwissenschaftlerInnen, Medien-Gewerkschaften und JournalistInnen selbst sein - und als ihre BündnispartnerInnen möglichst große Teile der Öffentlichkeit. Dann lautet die entscheidende Frage nicht: Wie sind die Print-Medien der Verleger zu retten? Sondern die Kern-Frage lautet: Wie ist der Qualitätsjournalismus zu retten? Egal in welcher Form, in welchem Gefäß er verbreitet wird!

Vermutlich beginnt für die JournalistInnen der Weg aus der Krise damit, dass die einzelnen Akteure sich auf ihre jeweilige Aufgabe und Kern-Kompetenz besinnen. Die Kern-Kompetenz der JournalistInnen ist es, das, was an Wichtigem und Aktuellem passiert in der Gesellschaft und der Welt in ausreichend großer Distanz zu den Mächtigen und Verantwortlichen kompetent, kritisch, verständlich, möglichst unterhaltend und umfassend zu berichten und zu analysieren. Und diese geistigen Werke sollten möglichst kostengünstig verbreitet und von möglichst vielen BürgerInnen zur Kenntnis genommen werden. Wie dies gehen soll, darüber bedarf es einer öffentlichen Debatte, denn der Journalismus ist eine öffentliche Angelegenheit. Fest steht nur: So wie jetzt geht es nicht mehr lange gut.

Wie könnte es weitergehen? Indem der Journalist / die Journalistin neue Rollen annimmt. Es gehört zu seiner und ihrer Aufgabe, kritische und aufklärerische Berichterstattung zu mehren. Das Internet macht jeden Konsumenten potenziell zu einem Produzenten. Das ist für jeden Journalisten, der um jeden Preis seine Deutungsburg und seine Rolle als gatekeeper erhalten will, ein Desaster. Aber: Was kann einer Demokratie besseres widerfahren als die Demokratisierung der veröffentlichen Meinung? Und: qualifizierter Journalismus steht vor einer guten Zukunft. Noch nie hatte er so viele Vertriebswege zur Verfügung, darunter mit dem Internet einen, der ihm erlaubt, mit einem Minimum an materiellem Aufwand ein Maximum an Verbreitung zu erreichen. Und das Bedürfnis nach Orientierung, verlässlicher Einordnung und Erklärung ist so groß wie selten zuvor, steigt doch täglich die Menge an leicht verfügbarem Wissen und hinkt doch dessen Verarbeitung immer mehr hinterher. Es geht also unter anderem um eine Offensive in Sachen Medienkompetenz: ein langweiliges Thema, beschworen in jeder Sonntagsrede und doch von grundlegender Bedeutung. Und eine große Aufgabe für ausgebildete JournalistInnen, für die Profis, die angehenden Barfuß- und Bürger-JournalistInnen zu schulen. Mit anderen Worten: Der klassische Journalismus nimmt die Aufgabe an, seine Fertigkeiten in dieser Gesellschaft zu vervielfältigen. Und er nutzt seine Fertigkeiten, um wiederum in seinen Medien das Wissen seines Publikums einzufangen und aufzubereiten.

Der Journalist darf sich seine Rolle als gatekeeper nicht erst abringen lassen, sondern er muss sie souverän aufgeben, bevor die Entmachtung droht. Er muss sich in die Mitte der Gesellschaft begeben und darf sich nicht in seine Deutungsburg zurückziehen und sich hinter ihr verschanzen und sie verteidigen - dass ist aber das, was er heute in Sorge um seinen Status und seinen Arbeitsplatz. macht.

Investitionen in die Demokratie

Die Medienwirtschaft muss umgekrempelt werden. In einem Land, in dem immer noch jede popelige Umgehungsstraße zum großen Ereignis wird, sollte endlich Platz für die Erkenntnis sein, dass Investitionen des Staates in den Journalismus und die Verbreitung seiner Produkte Investitionen in die Infrastruktur dieser Demokratie sind und damit wichtiger als jede Abwrackprämie.

Weil es um die Demokratie geht, deshalb muss der Staat helfen. Und weil der Staat dabei die Demokratie mehren und nicht mindern darf, deshalb darf er nur indirekt handeln. Sonst gefährdet er die Unabhängigkeit des Journalismus und aus dem Guten, das er bewirken soll, wird im Tun und unter der Hand etwas Schlechtes.

Es kann also nur um die indirekte Förderung der Unternehmen gehen, die gesellschaftlich bedeutsame Medien herstellen und sich dieser Aufgabe auch bewusst stellen. Es ist das Ziel, zuerst die kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern und nicht die großen. Und es ist das Ziel, die Unternehmensformen zu vervielfältigen: von Stiftungen über Genossenschaften bis zu Mitarbeiter-Unternehmen. Und die Hilfe wird nur gewährt, wenn die Unternehmen Bedingungen akzeptieren, die der Demokratie gemäß sind: Redaktionsstatut, hohe Transparenz, begrenzte Renditeziele. Mit anderen Worten: Die Form des Unternehmens (zivilisiert, mitbestimmt, marktwirtschaftlich) muss zu seinem Inhalt (pathetisch gesprochen: der ständigen Arbeit am Fundament dieser Demokratie) passen. Heute fallen Form und Inhalt mehr denn je auseinander. Die Krise ist also eine Einladung, um an der Vereinbarkeit von Form und Inhalt zu arbeiten.

Und zu guter Letzt noch etwas sehr Konkretes: Es will mir nicht in den Kopf - bereits seit Jahren nicht - dass die IG Metall, die GEW, Ver.di, die IG BCE, die weiteren Einzel-Gewerkschaften, der DGB, der djv, vielleicht noch das eine oder andere Institut, der eine oder andere aufklärerische Mäzen, warum also diese eben aufgelistete Macht mit ihren zahlreichen Kommunikations-Etats es nicht schafft, jährlich die zwei bis fünf Millionen Euro und die dazu gehörende Toleranz und Gelassenheit aufzubringen, um im besten Sinne eine unabhängige öffentliche aufklärerische Online-Tageszeitung mit 20 bis 40 RedakteurInnen zu finanzieren. Mit der Mobilisierung von weiterem fachlichen und wissenschaftlichen Sachverstand wäre mit ihr der Anspruch verbunden, nach allen Regeln journalistischen Handwerks und journalistischer Kunst ein Vorbild-Produkt herzustellen. Ein Vorbild-Produkt, das mithilft, Maßstäbe zu setzen, das mithilft, die Grenzen in dieser massenmedialen Welt zugunsten derjenigen zu verrücken, für welche Qualität und öffentlicher Charakter von Medien nicht nur Beiwerk sind.


Dr. Wolfgang Storz war u.a. Chefredakteur von "metall", dem Mitgliedermagazin der IG Metall und bis Mitte 2006 Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau". Heute ist er als freier Publizist und Kommunikationsberater tätig.

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