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Klaus Holzkamp

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Populismus verstehen

  
 

Forum Wissenschaft 1/2017; Ralf Geithe / fotolia.com

In der öffentlichen Diskussion wird "Populismus" häufig als negativ konnotiertes Schlagwort verwendet - oft mit einem vorwurfsvollen Impetus. Doch wenn man über Populismus diskutiert, gilt es zunächst zu klären, was denn überhaupt darunter zu verstehen ist. Eine Antwort darauf, was Populismus denn ist, erarbeiten Dirk Jörke und Veith Selk. Sie verbinden damit die Suche nach Ursachen der Erfolge populistischer Mobilisierungen und nach Auswegen aus der Demokratiekrise.

Populismus ist in aller Munde. Er wird nicht nur in der Öffentlichkeit heiß diskutiert; auch in der Sozialwissenschaft ist er mittlerweile ein vieldebattiertes Thema. Kein Zweifel, in der anhebenden Flut der Veröffentlichungen finden sich erhellende empirische und historisch-theoretische Untersuchungen.1 Viele Publikationen widmen sich indes der normativen Frage, wie der Aufstieg des Populismus zu bewerten ist. Ganz analog zur öffentlichen Meinung, wird er mehrheitlich als eine Bedrohung für die Demokratie beurteilt. Damit geht die Tendenz einher, sich von vornherein auf die Seite des vermeintlich normativ Richtigen zu stellen - und nach den Gründen für die populistische Revolte überhaupt nicht mehr zu fragen.

Jan-Werner Müller beispielsweise bezeichnet populistische Parteien im Anschluss an Richard Hofstadter als "paranoid" und ist überzeugt, dass der Populismus kein nützliches Korrektiv einer aus dem Ruder gelaufenen Demokratie darstelle, sondern die liberale Demokratie gefährde.2 In der öffentlichen Debatte findet man zahlreiche Urteile dieser Art. Die Folge hiervon ist ein moralisierender Umgang mit dem Populismus - gerade von jenen, die dem Populismus zu Recht einen übersteigerten Moralismus vorwerfen. All das trägt wenig zum Verständnis des Phänomens bei und vertieft den Graben zwischen den "guten Demokraten" und den "bösen Populisten". Ein Graben, den nicht nur populistische Politiker für ihre Zwecke auszunutzen wissen.

Im Folgenden soll es deshalb nicht um eine normative Theorie des Populismus gehen, sondern um den Versuch, seine Entstehungsgründe zu verstehen. Wir beginnen mit einer idealtypischen Bestimmung von "Populismus" (1). Anschließend umreißen wir die Ursachen des Aufstiegs populistischer Parteien und Politiker in den westlichen Demokratien (2) und plädieren abschließend dafür, den Populismus als Warnsignal in der Demokratie zu deuten. Dies setzt die Verabschiedung des liberalen und deliberativen Demokratieverständnisses voraus (3).

Was ist Populismus?

"Populismus" ist ein umkämpfter Begriff, der stark normative Konnotationen hat und häufig polemisch verwendet wird; dies mit dem Ziel den "populistischen" Gegner als einen "Volksverführer" zu diskreditieren - oder aber um sich selbst eine besondere "Volksverbundenheit" zuzuschreiben. In Deutschland überwiegt die abwertende Begriffsverwendung, die positive Selbstbeschreibung als "Populist" findet sich selten. Auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur ist die negative normative Konnotation vorherrschend. Dies führt in der sozialwissenschaftlichen Praxis zu einem Changieren zwischen wissenschaftlicher Analyse und normativer Polemik, die der Selbstvergewisserung als "gutem Demokraten" dient, der auf der richtigen Seite steht.

Der Begriff des Populismus löst affektive Reaktionen aus. Eine gleichsam "nüchterne" Verwendung des Begriffs scheint fast unmöglich zu sein. Dennoch besitzt er einen analytischen Mehrwert, den man nicht verschenken sollte. Denn er kann dabei helfen, ein Phänomen zu beschreiben, das aus der Realität moderner Demokratien nicht mehr wegzudenken ist und das auf Legitimationsprobleme der Demokratie verweist. Populismus ist nicht nur selbst ein normatives Problem, sondern auch ein Problemindikator.

Zu unterscheiden ist zunächst zwischen populistischen Bewegungen, Parteien und Politikern auf der einen und populistischen Stilelementen auf der anderen Seite. Zu letzteren gehören eine Gut/Böse-Rhetorik (Stichworte: "gierige Manager" oder "Bürokratenwahnsinn"), die Inszenierung von Volkstümlichkeit durch den Griff zum Bierkrug, und das rhetorische Schüren von Ängsten, etwa mit Blick auf den Terrorismus oder die organisierte Kriminalität, in deren Lichte man dann als Sicherheitsbringer - mit "klarer Kante" - erscheinen will.

Im Folgenden soll es jedoch nicht um diese Stilelemente gehen, die schon lange ein wesentlicher Teil des Kampfs um politische Unterstützung in der Öffentlichkeit sind, sondern um populistische Bewegungen, Politiker und Parteien in der Demokratie - die sich freilich stärker als die etablierten Spitzenpolitiker dieser Stilelemente bedienen und sie radikalisieren, etwa durch ihren bewusst provokativen, Konventionen brechenden Politikstil. Populismus erschöpft sich jedoch nicht in diesen Stilelementen.

Der Erfolg populistischer Politik im hier gemeinten Sinne setzt eine politische Entfremdungserfahrung voraus, die einen "populistischen Moment" erzeugt. Wie man schon länger weiß, sind die westlichen Demokratien durch eine Differenz zwischen politisch aktiver Elite und politisch passiver Bürgerschaft charakterisiert. Wird diese Differenz nicht durch Repräsentationsbeziehungen zwischen Elite und Bürgerschaft überbrückt, entsteht in Teilen der Bürgerschaft die Erfahrung einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Diese Spaltung betrifft die grundlegenden Werte, aber auch die Art und Weise, wie der Welt begegnet wird, welche Lebenschancen gesehen werden, was von der Zukunft erwartet wird. Und schließlich: wer das Sagen hat und wer nicht.

Populismus ist durch eine dünne Ideologie gekennzeichnet. Im Unterschied zu den politischen Ideologien des Sozialismus, Liberalismus und Konservatismus besitzt er per se keine politische Programmatik; er artikuliert kein spezifisches politisches Projekt. Er stellt vielmehr eine bestimmte Form der Auseinandersetzung dar, die auf eine dualistische Strukturierung des politischen Raums abzielt. Aus diesem Grund muss Populismus in der Praxis mit programmatischen Inhalten angereichert werden, um als politische Kraft identifizierbar zu sein und Unterstützung zu finden. Diese Inhalte sind immer kulturell geprägt, kontextuell variabel und sie können nahezu allen Seiten des politischen Spektrums entstammen, d.h. es kann einen Links-, Rechts-, und auch einen Populismus der Mitte geben. In Europa ist gegenwärtig freilich der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch.

Der Populismus strukturiert den politischen Raum dualistisch. Populisten berufen sich auf das "einfache Volk" bzw. den "common sense" der "ordinary people" und inszenieren sich als deren Sprachrohr. Zugleich grenzen sie sich polemisch gegen "die Elite" bzw. "das Establishment" ab. Die Unterscheidung zwischen Volk und Elite wird im Populismus moralistisch aufgeladen und mit einer Bedrohungsrhetorik versehen. Die Kernbotschaft lautet: Die böse Elite bedroht das gute Volk. Populistische Politiker und Parteien inszenieren sich als Sprachrohr des guten Volks und sie sagen der Elite symbolisch den Kampf an.

Dieser "Kampf" richtet sich auch gegen die intermediären Institutionen der repräsentativen Demokratie, vor allem gegen die Parteien und die Medien. Rhetorisch setzen sich populistische Akteure häufig für eine unmittelbare Beteiligung des Demos ein, praktisch weisen sie dieselben, zumeist sogar verstärkt, elitären Züge politischer Führung auf, die sie den etablierten politischen Kräften vorwerfen. Aus dem Grunde ist der Populismus durch eine Spannung zwischen der Forderung nach direkten Formen der Demokratie auf der einen Seite und der Bedeutsamkeit charismatischer Politiker, hierarchischer Organisationsstrukturen und der Missachtung demokratischer Verfahren gekennzeichnet. Eine Spannung, die populistische Politiker häufig durch ihre Berufung auf plebiszitäre Legitimität aufzulösen trachten.

Für den Rechtspopulismus, der gegenwärtig in West- und Osteuropa vorherrschend ist, sind zudem ein antipluralistisches Verständnis von Demokratie und ein starker, kultureller oder ethnischer Nationalismus charakteristisch. Letzteres führt dazu, dass der Übergang vom Rechtspopulismus hin zum Rechtsradikalismus in der politischen Wirklichkeit fließend ist. Aus einem Populismus in der Demokratie kann ein Populismus gegen die Demokratie werden.

Was sind die Ursachen?

In den westlichen Demokratien existiert gegenwärtig ein "populistischer Moment". Er lässt sich als Spaltung zwischen Modernisierungsgewinnern und Befürwortern von Öffnung auf der einen Seite und Modernisierungsverlierern und Befürwortern von Schließung auf der anderen Seite deuten. Während die einen die neuen Zeiten positiv bewerten und für politische, ökonomische und kulturelle Öffnung plädieren, sind die anderen den neuen Zeiten gegenüber skeptisch eingestellt. Sie präferieren die Schließung.

Vereinfacht gesagt, befinden sich auf der einen Seite jene Menschen, die die neuen Zeiten vor allem als eine Chance bewerten und als einen Fortschrittsprozess interpretieren. Sie reisen viel, sind mobil und zeigen sich Fremdem gegenüber aufgeschlossen. Sie vertreten postmaterialistische Werte und verfügen eher über hohe Bildungsabschlüsse. Auf der anderen Seite stehen jene, deren Schulbildung zumeist gering ist, die einen starken Bezug zu ihrer Region und Herkunft haben und die stärker materialistische Werte vertreten. Sie fühlen sich von den neuen Zeiten bedroht, die politischen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte bewerten sie negativ. Sie streben eine Rückkehr zu den "guten alten Zeiten" mit ihren vermeintlichen Gewissheiten an. Soziostrukturell finden sich unter ihnen zwar viele Personen aus den unteren Mittelschichten und der Arbeiterschicht, die in strukturschwachen Regionen leben. Aber bedroht fühlen sich auch Menschen, die sichere Arbeitsplätze oder Kleinunternehmen besitzen.

Hinzu kommt, dass viele Menschen unterschiedlichster sozio-ökonomischer Lage das Gefühl haben, von den politischen oder auch wirtschaftlichen Eliten nicht mehr respektiert zu werden. Dies drückt sich etwa in Redeweisen wie "die da oben" oder "politische Klasse" aus. Gestört ist damit das, was im politikwissenschaftlichen Jargon als Responsivität bezeichnet wird. Die Eliten reagieren nur noch unzureichend auf die Bedürfnisse und Interessen großer Teile der Bürgerschaft. Dies hat auf der einen Seite etwas mit der Schwierigkeit zu tun, eine heterogene und fragmentierte Bürgerschaft zu repräsentieren. In dieser Hinsicht übernehmen die Berufspolitiker eine sehr undankbare Aufgabe - und zwar als Sündenböcke. Sie sind die Adresse für Unzufriedene, die sich öffentlich Luft machen wollen. Die fehlende Responsivität hat aber auch etwas mit gegensätzlichen Wertorientierungen in der Elite und in der Bürgerschaft zu tun. Während die ökonomische und politische Elite kosmopolitische Werte bevorzugt, präferiert ein nicht geringer Teil der Bürgerschaft traditionelle Werte, etwa im Bereich der Geschlechterbeziehungen.

Die Ursachen für den Aufstieg des Populismus sind vielgestaltig. Von Bedeutung sind vor allem die fortlaufende Modernisierung der Gesellschaft samt der damit verbundenen Individualisierungs-, Differenzierungs- und Fragmentierungstendenzen; die politische, kulturelle und ökonomische Globalisierung, insbesondere die Steigerung der Interdependenz der Nationalstaaten, die auf die nationalen Kulturen und die hergebrachten Lebensformen umgestaltend einwirkt; die Erosion medialer Filter der politischen Willensbildung durch neue Medien; die Erschöpfung eines im weiten Sinne sozialdemokratischen Verteilungsmodells, das den Kapitalismus auch für abhängig Beschäftigte akzeptabel machte; und schließlich die Zunahme bürgerferner Politik, etwa durch das Anwachsen undurchsichtiger Verhandlungsregime jenseits der nationalen Öffentlichkeit und der Praxis der etablierten Parteien, den politischen "Markt" wie in einem Kartell unter sich aufzuteilen - und in den großen politischen Fragen einer Meinung zu sein.

Gerade die linken Parteien, Bewegungen und Gruppen müssen sich fragen, was sie zur Entstehung des "populistischen Moments" beigetragen haben. Sie hatten jedenfalls ihren Anteil an der starken Moralisierung der Öffentlichkeit, die eine Artikulation einiger politischer Konflikte verhinderte und die nun in Form des Populismus herausgefordert wird. Wer moralisiert, der beschreibt eine Meinung, Gruppe oder Person als nicht achtungswürdig. Demokratischer Streit setzt voraus, dass dieses Mittel der Auseinandersetzung sparsam eingesetzt wird. Wie sich anhand des nahezu inflationären Vorwurfs von Rassismus zeigen ließe, haben Teile der Linken dieses Gebot verletzt. Zudem wurde die Frage ökonomischer Ausbeutung von vielen Linken lange entweder nur stiefmütterlich oder aber klientelistisch verengt behandelt. Im durchaus normativ überzeugenden Eifer kultureller Deutungskämpfe und identitätspolitischer Auseinandersetzungen um Diversität, Anti-Diskriminierung und Toleranzgebote ging das Bewusstsein verloren, dass der Kampf gegen ökonomische Ausbeutung eine zentrale Aufgabe der Linken ist. Bei "Toleranz" handelt es sich historisch gesehen um ein zentrales Schlagwort des Liberalismus; heute gilt es als Leitbegriff der Linken.

Durch ihre Hinwendung zu einem kulturellen Liberalismus haben große Teile der Linken den Liberalismus insgesamt gestärkt und zu einer Vermählung des ökonomischen Liberalismus mit dem kulturellen Liberalismus beigetragen. Dadurch ging insbesondere den linken Parteien der Teil des Elektorats verloren, den man als unzufriedene Links-Konservative bezeichnen kann. Wähler, die für Umverteilung und zugleich für Schließung sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich so einige rechtspopulistische Parteien in Zukunft programmatisch stärker in Richtung einer Art neo-nationalistischer, kulturell illiberaler Sozialdemokratie entwickeln werden, wie es gegenwärtig schon in Frankreich, Schweden und Finnland zu beobachten ist. Kurzum: Der neue Rechtspopulismus ist auch eine Reaktion auf einen hegemonial gewordenen Liberalismus.

Der Populismus ist ein Warnsignal

Der Kern der Demokratie besteht darin, dass die Herrschaftsunterworfenen der Herrschaftsausübung - wie vermittelt auch immer - zustimmen, und zwar nicht nur potentiell, sondern tatsächlich, und sei es durch die Wahl einer Oppositionspartei. In einem "populistischen Moment" wird diese Form der Zustimmung verweigert. Daher ist es verkürzt, den Populismus lediglich als pathologisch, als einen antimodernistischen Affekt zu denunzieren, wie dies in vielen der jüngeren Veröffentlichungen geschieht. Demgegenüber gilt es, das im Populismus zum Ausdruck kommende Unbehagen an der derzeitigen Demokratie ernst zu nehmen.

Es ist in den vergangenen Jahren zu einer kosmopolitischen Überdehnung gekommen, die weniger demokratisch als liberal gewesen ist. Sowohl der ökonomische, als auch der politische und nicht zuletzt der kulturelle Kosmopolitismus haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten die westlichen Demokratien rapide verändert. Diese Veränderung ist auch das Ergebnis nicht intendierten sozialen Wandels, aber in großen Teilen ist sie durch politische Entscheidungen bewusst herbeigeführt worden. Wie auch immer man diese Veränderungen bewerten mag, konzedieren muss man wohl: ein beträchtlicher Teil der Bürger und Bürgerinnen lehnt sie ab. Für politische Ordnungen, die sich als Demokratien beschreiben, muss das zum Problem werden.

Die vorherrschende liberale und deliberative Demokratietheorie verfügt indes nicht über die konzeptionellen Mittel, um auf die populistische Herausforderung zu reagieren. Sie begegnet dem Populismus bloß ablehnend und bestätigt ihn damit, und zwar, indem sie die populistische Politik als unterkomplex, unsachlich und irrational denunziert und ihr ein Politikmodell entgegenstellt, das sehr weit von den tatsächlichen politischen Praktiken entfernt ist und sich dadurch als Ideologie entlarvt.

Ihr Politikmodell geht mit zwei Annahmen einher, die verstärkt als Fiktionen bewusst werden. Die erste Annahme ist die Fiktion der politischen Gleichheit, der zufolge in der Demokratie die Norm politischer Gleichheit nicht nur gelte, sondern auch realisiert sei. Die zweite Annahme ist die Fiktion der politischen Rationalität; sie besagt, dass politische Entscheidungen in der Demokratie vernünftig und sachlich gefällt werden. Beide Annahmen sind offenkundige Fiktionen, die die politische Wirklichkeit in westlichen Demokratien sehr verzerrt darstellen. Gleichwohl bilden sie das Fundament der vorherrschenden Theorie der Demokratie.

Vor diesem Hintergrund deutet die liberale und deliberative Demokratietheorie den Populismus als unterkomplex und freiheitsgefährdend. Sie lässt sich geradezu als Antithese zum Populismus verstehen und viele Beiträge zum Populismus sind von ihr inspiriert. Infolge dessen bleiben sie bei einer moralischen Verurteilung stehen, tragen wenig zum Verständnis des Phänomens bei und machen sich selbst angreifbar. Ihre moralische Ausgrenzung des Populismus nach dem Motto "spiel nicht mit den Schmuddelkindern" bestätigt und intensiviert den Populismus sogar noch - vor allem, da diese Ausgrenzung selbst als eine sachliche und vernünftige maskiert wird.

Damit wird zum einen die populistische gut/böse-Unterscheidung reproduziert; hier die guten Demokraten, dort die bösen Populisten; insofern ist der gegenwärtigen Demokratietheorie, aber auch der medialen Auseinandersetzung mit dem Populismus selbst, ein populistischer Zug eingeschrieben. Zum anderen werden dadurch populistische Reaktionsweisen zusätzlich verstärkt. Wenn man sich unter Bezug auf demokratische Werte in die Schmuddelecke gestellt sieht, als undemokratisch, schlecht, irrational, unsachlich usw. beschrieben wird, dürfte dies den Hass auf die liberale Demokratie und ihre Repräsentanten eher bestärken.

Aber wie soll man auf den Populismus reagieren? Aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit des Populismus und seiner Offenheit für unterschiedliche Inhalte lassen sich zwar keine allgemeinen Aussagen über "den" Populismus in all seinen Ausprägungen treffen. Gleichwohl liegt dem gegenwärtigen Aufstieg des Populismus ein allgemeines Problem zugrunde. Er muss mithin als Indikator interpretiert werden, der die nachlassende Integrationskraft der westlichen Demokratie anzeigt. Und er sollte den Eliten als Warnung gelten, die Versprechen der Demokratie wieder ernster zu nehmen. Auf Seiten der Linken sollte er vor allem dazu führen, wieder stärker ökonomische und politische Herrschaft zu thematisieren.

Anmerkungen

1) Siehe etwa Hanspeter Kriesi / Pappas Takis 2015: European Populism in the Shadow of the Great Recession, Colchester und Karin Priester 2012: Rechter und linker Populismus: Annäherung an ein Chamäleon, Frankfurt am Main und New York. Für einen Überblick über jüngere Publikationen siehe Dirk Jörke 2017: "Vom Verdammen zum Verstehen? Neuerscheinungen zum Populismus", in: Neue politische Literatur 62 (1).

2) Jan-Werner Müller 2016: Was ist Populismus?, Berlin.

Dirk Jörke ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Darmstadt. Forschungsschwerpunkte: Demokratietheorie, Populismus und Geschichte des politischen Denkens. Dr. Veith Selk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt, Arbeitsgebiet: Politische Theorie und Ideengeschichte.

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