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Populismus

29.03.2017: Ein taugliches Konzept für Linke?

  
 

Forum Wissenschaft 1/2017; Ralf Geithe / fotolia.com

Populismus ist kein neues Phänomen. Populisten wie Trump, Marine Le Pen und Beppo Grillo haben gerade eine ungeheure Mobilisierungsfähigkeit. In anderen Ländern aber ist die Phase des Populismus fürs erste wieder am Abklingen - etwa in Griechenland und Spanien. In Deutschland erleben wir gerade den Versuch Sahra Wagenknechts populistische Politik zu machen - mit vorerst überschaubarem Ergebnis. Warum ist das so? Janis Ehling untersucht die Geschichte des Populismus.

Populismus ist immer an charismatische Personen gebunden. Der wahrscheinlich bekannteste deutsche Populist war Franz-Josef Strauß.

Der Unvollendete: Franz-Josef Strauß

Als bayerischer Ministerpräsident polterte er sich bis zur Kanzlerkandidatur 1980 für die CDU/CSU. Kanzler wurde er nicht. Das lag aber weniger an seinen Fähigkeiten. Er war ein begnadeter Populist - nur zur falschen Zeit.

Erfolgreiche populistische Politik hat einige Voraussetzungen, die 1980 noch nicht gegeben waren.

Die Mehrheit der Bevölkerung war politisch festgelegt. Die Wahlbeteiligung lag bei weit über 80% und die Bevölkerung war hoch politisiert. Die Mehrheit lehnte Strauß aus klaren politischen Überzeugungen ab - obwohl sein Konkurrent Helmut Schmidt nicht besonders beliebt war.

Erst die Erosion klassischer Parteien und politischer Milieus, erst der Wegfall klarer politischer Linien machen Populismus möglich. Das hat natürlich auch mit der Entpolitisierung und Individualisierung im Neoliberalismus zu tun. In der Gesellschaft gibt es immer weniger Menschen mit klaren Weltanschauungen und einer kohärenten (!) politischen Meinung. Politische Meinungen gibt es nach wie vor. Sie sind nur diffuser gemischt und weniger mit Großorganisationen verknüpft - oder um es mit dem großen Historiker Hobsbawm zu formulieren: "Der Niedergang der organisierten Massenpartei, klassenorientiert, ideologisch oder beides zugleich, hatte die wichtigste soziale Maschinerie zum Stillstand gebracht, die Männer und Frauen zu politisch aktiven Bürgern gemacht hatte."1

Nicht zufällig brauchte es aber erst große politische Krisen um den Populismus richtig wirkmächtig werden zu lassen. Die vorherrschenden Überzeugungen sind immer weniger vorherrschend. Der gesellschaftliche Konsens bröckelt und die Gesellschaft fragmentiert politisch. Aber auch das reicht noch nicht aus, um den Erfolg des Populismus zu erklären.

It‘s the media stupid

Die Entstehung privater Medien krempelte die Politik und insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit der Parteien gehörig um. Zur Zeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehmonopols hatten PolitikerInnen exklusive Kontakte zu JournalistInnen. Die Öffentlichkeit wurde dann informiert, wenn die Politik es für richtig hielt. Informationen über die Gesellschaft, die politischen Ereignisse und ihre Kommentierung wurden in den Parteien über eigene Zeitungen und Parteiversammlungen weitergegeben. Die Macht lag meist ganz bei den Parteien und ihren verschiedenen Ebenen.

Insbesondere in der Mediendemokratie aber können Einzelne, besonders rhetorisch Begabte mit Charisma, an der Partei vorbeispielen. Sie sind nicht auf die Partei angewiesen. Sie erlangen ihre Bedeutung in der Gesellschaft und in der Partei über die Medien. So werden einzelne bekannte PolitikerInnen ganz ohne aktuelle bedeutende Parteifunktion oder Amt als wichtige oder wichtigste SprecherInnen dieser Parteien wahrgenommen. Beispiele hierfür sind aktuell etwa Boris Palmer, Gregor Gysi, Jürgen Trittin oder Peter Gauweiler. Die heutige gesellschaftliche Situation und diese Form der Mediendemokratie machen Populismus erst richtig wirkmächtig.

In Zeiten geringer Politisierung und abnehmender Parteibindung ist die eine oder andere Form des Populismus für Parteien jedoch unverzichtbar. Der populistische Dreiklang besteht aus drei Grundregeln:

1. Alltagsverstand: Wer viele Menschen erreichen will, muss erstens populär zuspitzen und mit seinen politischen Forderungen am Alltagsverstand der Menschen ansetzen. Das schließt Vereinfachungen und emotionale Ansprache, die manchmal bewusst etwas diffus ist, ein.

2. Polarisieren - also gesellschaftliche Konfliktlinien besetzen oder sogar schaffen: Immer geht es dabei - vermeintlich oder ehrlich - um "die da unten" gegen "die da oben" und "Das Volk gegen die Elite"!

3. Krawall schlagen: Zuverlässig kommen die schrillsten Positionen und die abweichenden Meinungen in die Medien. Nicht anders lässt sich beispielsweise der Wahlsieg eines Trump oder das massive Rampenlicht für einen bereits erwähnten grünen Bürgermeister einer schwäbischen Kleinstadt erklären. Wäre dieser Boris Palmer in der CSU, hätte er kaum die mediale Präsenz.

Wer auf Formen populärer und populistischer Ansprache und Politik verzichtet, kommt medial nicht vor. Und das ist für Menschen, Gruppen und insbesondere Parteien ein Riesenproblem. Daher kommen Parteien heute an einem zumindest strategisch eingesetzten Populismus kaum vorbei. Ausnahmen gibt es noch da, wo es noch oder wieder feste politische Milieus gibt, ob bei der CSU in Oberbayern oder den Grünen in Berlin-Kreuzberg.

Aber es gibt nicht DEN Populismus. Es gibt einen wichtigen Unterschied: den zwischen Links- und Rechtspopulismus2 - auch wenn gerade dieser Punkt hoch umstritten ist. Doch es gibt gute Argumente für eine solche Unterscheidung:

Die Rechtspopulisten á la Le Pen, Trump, Petry oder Seehofer verstehen unter Volk eigentlich die Volksgemeinschaft, die gegen die andern (Ausländer, Linke, Homosexuelle - meist auch Frauen) aufgestachelt wird. Nationales Volk gegen Nationales Volk. Sie sprechen zwar für das "Volk" - sind aber meist mit den Eliten sehr eng verbandelt. Trumps Kabinett der Milliardäre, Seehofers Kontakte zur bayerischen Industrie und die hervorragenden Kontakte der AfD zu deutschen Familienunternehmen sind beredtes Zeugnis.

Die LinkspopulistInnen hingegen haben das Volksverständnis der Französischen Revolution oder der baskischen Linken. Die da unten - egal welcher Religion, Hautfarbe oder welchen Geschlechts -, die Arbeiterinnen, Lohnabhängigen, Angestellten gegen die da oben. Linkspopulismus ist inklusiv und schließt Minderheiten, Arbeitslose, Frauen und Prekäre ein.

Medien gegen Populismus

Populismus ist in Deutschland aber lagerübergreifend ein eher negativ besetzter Begriff. Ein gutes Beispiel ist der mediale Diskurs zum Populismus. Die deutschen Medien liegen meist - nicht gesteuert, sondern ganz freiwillig - auf Regierungslinie. Populismus richtet sich aber bewusst gegen diese Linie. In vielen Medien werden "radikale" Positionen in einen Topf geworfen. Dabei ist völlig egal, wieviel sie inhaltlich gemeinsam haben: die Totalitarismustheorie lässt grüßen. Doch werden eben diese geschmähten Personen in wirklich jede Talkshow eingeladen: hier beißen sich politische Linie vieler Medien und die Aufmerksamkeitsökonomie.

Sahra Wagenknecht ist ein gutes Beispiel für diesen Umgang. Einerseits wird sie von vielen Medien als Populistin und persona non grata geschmäht. Andrerseits ist sie die meist geladene Politikerin der LINKEN. In der medialen Kritik an ihr fallen Kritik am Populismus, Extremismustheorie und Antikommunismus zusammen. Diese Kritik muss man entschieden zurückweisen. Sahra Wagenknecht ist eine Linke.

Sahra Wagenknecht beansprucht als eine der wenigen PolitikerInnen der politischen Linken, die Abgehängten und Unzufriedenen - auch explizit AfD-WählerInnen - zurückzugewinnen. Das ist erstmal ein bitter notwendiges Anliegen. Die LinkspopulistInnen in Griechenland und Spanien haben gezeigt, dass diese Politik gerade unter ArbeiterInnen, Angestellten und Erwerbslosen sehr erfolgreich sein kann. Ein Bündnis von Mitte-Unten gegen die herrschende neoliberale Politik braucht eine starke Zuspitzung. Linkspopulismus kann diese Zuspitzung und damit Repolitisierung bewirken.3 Doch Linkspopulismus soll linke Positionen gegen Rechte stärken und hier setzt die Kritik an Sahra Wagenknechts Populismus an.

Linke Migrations- und Sicherheitspolitik

Die Fraktionsvorsitzende der Linken besetzt Themen, die innerlinks eher verwaist sind, und das garantiert Aufmerksamkeit: Probleme der Migrations- und Sicherheitspolitik. In der Sicherheitspolitik weist sie immer wieder darauf hin, dass Sicherheit auch eine soziale Frage ist.4 In der Migrationspolitik kritisiert sie zurecht die fehlende Unterfütterung des "Wir schaffen das". Die Integration der Ankommenden wird vielfach finanziell völlig überforderten Kommunen und Ehrenamtlichen überlassen. Die Ankommenden geraten so in Konkurrenz um Wohnungen, Sozialleistungen und Arbeitsplätze. Diese Politik ist unhaltbar und schürt Ressentiments. Kritik an diesen Zuständen sollte daher nicht der Rechten überlassen werden.

Aber darüber hinaus ergeht sich Sahra Wagenknecht oft in Andeutungen. Sie verteidigt stets das Grundrecht auf Asyl und hat im Bundestag immer so abgestimmt. Was meint sie dann aber mit ihrer Kritik an Merkel wegen der "unkontrollierten Grenzöffnungen"? Was soll "Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt" aber anderes bedeuten als eine Infragestellung des Asylrechts?

Eine solche Infragestellung wäre in Deutschland mit seiner Geschichte der Verfolgung von Juden, Linken, Sinti und Roma undenkbar (und sollte es sein).

Probleme populistischer Politik

Was Sahra Wagenknecht aber genau meint, lässt sie offen - ein klassisch populistisches Moment. Das führt zu zwei Problemen:

1. In einer Mitglieder- und Programmpartei führen solche Unklarheiten schnell zu Streit (gerade auch in einer "Bündnispartei" wie der LINKEN). Populismus in einer linken Mitgliederpartei ist solange kein Problem, wie die gewünschte Polarisierung die eigenen Leute (und möglichst viele andere) gegen die Neoliberalen und die Rechten mobilisiert. Führt die populistische Zuspitzung aber zu einer Zuspitzung innerhalb des eigenen Lagers wirkt Populismus außerordentlich destruktiv.

a) Möglicherweise knüpft die Fraktionsvorsitzende an die Tradition kommunistischer Parteien an, die sich hin- und wieder taktisch an nichtlinke Positionen anbiedern. In diesem Fall kann die Partei beschließen, was sie will (wie es unmissverständlich in punkto Gastrecht und Grenzkontrollen sowohl in Fraktion und Parteivorstand mit jeweils 90%-Mehrheit passiert ist) - die Fraktionsvorsitzende ist davon unabhängig. Ihre Stärke rührt aus ihrer medialen Präsenz und ihrer Bekanntheit in der Bevölkerung (und daran kann wiederum die Partei nicht vorbei). Die innerparteiliche Demokratie ist so weitgehend ausgehebelt. Dieses Problem zeigt sich anhand von medialen Persönlichkeiten in anderen Fragen und anderen Parteien ebenso.

b) Viele ihrer AnhängerInnen kennen in der Auseinandersetzung nur für und wider Sahra. Populismus lebt meist von Akklamation (Beifall oder nicht) und nicht von inhaltlicher gemeinsamer Diskussion. Jede Kritik wird so schnell zu "Verrat", "in den Rücken fallen" - das ist für den demokratischen Wettstreit eher suboptimal. Diese Art des Populismus unterscheidet sich diametral von den Phänomenen Sanders und Corbyn. Beide wiesen immer wieder darauf hin, dass sie allein keine Veränderungen erreichen können. Für linke Gesellschaftsveränderung braucht es eine breite linke Massenbewegung. Sie lösten damit eine - in der jüngeren Zeit beispiellose - Mobilisierung aus.

Nichtsdestotrotz kann auch die vage - bestenfalls missverständliche - populistische Ansprache kurzfristig großen Erfolg haben. Darauf spekulieren ihre engsten Anhänger (die keine Jubeltruppen, sondern langjährige aktive Programmparteimitglieder sind).

Populismus und innerparteiliche Demokratie einer Mitgliederpartei sind daher nur bedingt vereinbar.

2. Wie an der "linkspopulistischen" Partei Podemos in Spanien gut zu sehen ist, werden Streits um Inhalte in populistischen Parteien schnell zum Riesenproblem. Gerade weil Populismus so unscharf ist, bindet er Menschen nur kurz - etwa für eine Stimmabgabe oder einen Wahlkampf. Für längeres Engagement braucht es aber eine tiefer gehende politische Bildung und ein klareres politisches Verständnis und Ziel. Populismus und populistische Parteien sind aber auf Personen zugespitzt - die man ablehnt oder denen man zustimmt. Diskussionen sind nicht vorgesehen. Daher spitzen sich Konflikte in populistisch agierenden Parteien leicht anhand von Personen zu - in Führungsgruppen wie bei Podemos zwischen Iglesias und Errejon. Podemos brachte das fast an den Rand der Spaltung. Das Beispiel Podemos zeigt daher sehr gut die Stärken und Schwächen des Linkspopulismus. Innerhalb kürzester Zeit mobilisierte der charismatische Parteiführer Iglesias ganze Massen. In Kürze gründeten sich 1.000 Basisgruppen und die Partei kam in Umfragewerten auf mehr als 20%. Doch das Charisma der Leitfiguren kann rasch verblassen und die populistische Mobilisierung verpufft. Heute sind viele Gruppen verschwunden und die Basis schaut auf die Konflikte der Führungsgruppe. Demokratische Mechanismen zur Lösung der Konflikte sind völlig unterentwickelt.5

Linkspopulistische Mobilisierungen können meist nur eine kurze Zeit tragen. Die Risiken für diesen Erfolg sind nicht zu unterschätzen. Hier setzt linke Kärrnerarbeit an: Es ist völlig richtig, ArbeiterInnen und Teile heutiger AfD-WählerInnen zurückgewinnen zu wollen. Doch seit Eribon rätselt DIE LINKE, wie das gehen kann. Hier lohnt ein Blick in die Ergebnisse langjähriger Parteienforschung:

Männliche Akademiker sind unter den Eintritten in Parteien die Spitzengruppe. Sie treten aber auch am schnellsten wieder aus. Frauen und Genossen mit Haupt- und Realschulabschluss (oder beides) treten weniger ein, aber auch noch viel weniger aus. Zugespitzt: ArbeiterInnen, Angestellte und Frauen (oder beides) sind weniger wankelmütig als Akademiker. Und sie treten aufgrund persönlicher Kontakte, gemeinsamer politischer Erfahrungen und wegen des Soziallebens einer Partei ein und bleiben dort. Sie sind weniger ämterorientiert und weniger wankelmütig. Es braucht also viel mehr als nur Populismus, um ArbeiterInnen zu binden.

Populismus kann daher maximal strategisch und auf kurze Sicht die Lösung für die Schwäche der Linken sein. Eine längerfristige Lösung ist davon keinesfalls zu erwarten!

Anmerkungen

1) Eric Hobsbawm 1995: Das Zeitalter der Extreme, München / Wien: 715.

2) Zu den Argumenten der KritikerInnen haben Dieter Boris und Ingar Solty / Alban Werner ausführlich Stellung genommen: www.academia.edu/25603685/Ingar_Solty_and_Alban_Werner_Der_indiskrete_Charme_des_Linkspopulismus_The_Indiscreet_Charme_of_Left-Wing_Populism_ (Letzter Zugriff: 11.2.2017).

3) Dazu Nancy Fraser: www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/februar/fuer-eine-neue-linke-oder-das-ende-des-progressiven-neoliberalismus.

4) Ausführlich dazu Ingar Solty: www.zeitschrift-luxemburg.de/sicherheit-ein-heisses-eisen-fuer-die-linke/.

5) Raul Zelik 2015: Mit PODEMOS zur demokratischen Revolution? Krise und Aufbruch in Spanien, Berlin.

Janis Ehling, Berlin, Politikwissenschaftler, Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes DIE LINKE.SDS (und Mitglied im Parteivorstand).

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