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Kreative Muße und Protest

19.03.2015: Das Studierendenhaus an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main

  
 

Forum Wissenschaft 1/2015; Foto: Sönke Rahn / Wikimedia Commons

Mit dem Umzug eines Großteils der Frankfurter Universität sollte auch das Gebäude aufgegeben werden, in dem sich zurzeit unter anderem noch der AStA, Büros politischer Gruppen und studentischer Initiativen, das Café KOZ, eine Kita, ein Festsaal sowie verschiedene Konferenzräume, die auch von politischen Gruppen außerhalb der Uni häufig für Treffen und Veranstaltungen genutzt werden, befinden. Auf dem neuen Campus der Universität im Stadtteil Westend wird, voraussichtlich bis 2018, ein neues Studierendenhaus errichtet, das jedoch schon allein aufgrund seiner Lage einen anderen Charakter haben wird. Regina Schleicher wirft einen Blick zurück.

Es war bereits im Oktober 2011, etwas lax formuliert, im Uni-Report, Zeitung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, zu lesen: "Die Zeit des Studierendenhauses auf dem Campus Bockenheim läuft ab". Es war (und ist) nicht nur ein Ort der studentischen Selbstverwaltung - hier fanden und finden Festivals statt, Konzerte, Filmvorführungen, Diskussionsveranstaltungen und vieles mehr. Im neuen Studierendenhaus auf dem neuen Campus wird das in dieser Form nicht mehr so sein. Damit endet auch eine historische Epoche.

Der amerikanische Hochkommissar McCloy hatte Ende der 1940er Jahre auf Anregung des Bundespräsidenten Theodor Heuss 550.000 DM aus einem US-Fonds zur Verfügung gestellt. Beauftragt wurde nach einer Ausschreibung die Architektengemeinschaft der Arbeitsgemeinschaft um Otto Apel (Apel-Letocha-Rohrer-Herdt). Der für zahlreiche Gebäude der Universität nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich zeichnende Ferdinand Kramer wurde als Berater für die Inneneinrichtung, den Ankauf von Graphiken von Kokoschka, Barlach und Grieshaber einbezogen, nach Selbstaussage des Architekten mit der Sorge für ein "musisches Klima".1

Da das Geld, auch zusammen mit je 250.000 DM von Stadt und Land, bei weitem nicht reichte, stellte 1952 die beauftragte Philipp Holzmann AG die Bauarbeiten vorübergehend ein. Schließlich sorgten weitere staatliche Zuschüsse im Umfang von immerhin 2 Mio. DM für den Einbau von Fenstern und den Innenausbau. Unter Teilnahme u.a. des Bundespräsidenten Theodor Heuss und des neuen amerikanischen Hochkommissars James Bryant Conant eröffnete der damalige Rektor der Universität Max Horkheimer das Haus im Jahr 1953.

Projekt der Reeducation

Im Zentrum der Bestimmung des damals noch "Studentenhaus" genannten Gebäudes stand der Erziehungsbegriff. So hob Prorektor Rajewsky, in der Planungsphase, bei Grundsteinlegung und Richtfest (1951) noch Rektor, selbst ehemaliges Mitglied der NSDAP und des NS-Dozentenbundes, bei seiner Eröffnungsrede hervor: "Es wurde mehr und mehr klar, daß nicht nur die Aufgaben des Studiums, sondern auch die Erziehungsprobleme an der Universität gelöst werden mußten, wenn die jungen Generationen für die demokratische Entwicklung der Nation gerettet werden sollten."2 So auch Horkheimer, der in seiner Rede allen Fördererinnen und Förderern des Projekts vom US-amerikanischen Hochkommissar über den Frankfurter Oberbürgermeister bis zur Hessischen Landesregierung dankte und die Zweckbestimmung des Hauses hervorhob: Es diene der "Erziehung einer akademischen Jugend, die sich nicht bloß wissenschaftliche Verfahrungsweisen aneignet, sondern die zugleich den Umgang mit Menschen anderer Nationen, Religionen und Rassen, freiwillige Hingabe an soziale, künstlerische, sportliche Tätigkeiten, Liebe zum Denken und Forschen, zum Diskutieren, zur kreativen Muße, kurz die den Geiste der realen und tätigen Demokratie praktiziert". Demokratie wurde hier als "Ungezwungenheit im Verkehr mit sich und anderen, der Freude an persönlicher Unabhängigkeit und Selbstbehauptung" bestimmt.3

So ist das Projekt des Studierendenhauses eindeutig im Zusammenhang der Versuche einer reeducation zu verstehen, die sich auf universitärem Gebiet, wie Protokolle und Akten zeigen, stark gegen Verbindungen und Burschenschaften richteten. Die westdeutsche Rektorenkonferenz hatte im Oktober 1949 das Tragen von Farben verboten. Dem Treiben der Verbindungen wollte der Frankfurter Rektor erklärtermaßen nicht mit scharfen Verboten begegnen.

Die Architektur des Hauses sei, wie ein Autor in der Zeitschrift diskus, in dieser Zeit noch herausgegeben von den Freunden und Förderern der J. W. Goethe-Universität, assoziierte, wie ein Gewächshaus. Große Fenster sorgten für Helligkeit in dem Gebäudekomplex um einen Innenhof. Die Gänge im Haus erinnerten ihn an einen Kreuzgang und die sehr kleinen Büroräume gar an Klosterzellen.4 Das Haus enthielt bei Eröffnung ein Wohnheim für 130 Studierende, einen auch als Kino nutzbaren Festsaal mit 400 Plätzen, eine Mensa auch für Nicht-Studierende, eine Bibliothek und Leseräume, Klubzimmer, einen Sitzungssaal, eine Kapelle für die evangelische und katholische Studentengemeinde, Bäder, Gymnastik- und Duschräume, Büros für AStA, Studentenwerk, Beratungsstellen, die Zeitschrift diskus, die Studiobühne und den "Schnelldienst", eine Jobvermittlung für Studierende. Auch das "Studentinnen-Tagesheim" bekam Räume zugesprochen, in den Akten als "Wasch- und Frisierraum für Damen" bezeichnet.5 Im Keller wurde eine Wein- und Bierstube eingerichtet; Pläne aus einem nicht mehr notwendigen Heizkeller ein kleines Hallenbad einzurichten wurden aus Kostengründen nicht umgesetzt. Es zogen im Übrigen mit der Gothia MNV, der Rheno Moenania-Sigfrida NV, der Frankonia Straßburg und der Franz-Hitze-Gemeinschaft durchaus Verbindungen in Büroräume des Hauses ein; ein Halbjahresbericht aus dem Haus betonte, dass diese keine Farben trügen. Auch in das StudentInnenparlament waren im Übrigen einige Verbindungsmitglieder eingezogen.

Fernsehabende der "Televisions-Gemeinde", sonntägliche Schallplattenmatineen im Klubzimmer, Kulturabende, auch Feiern bis in die frühen Morgenstunden prägten das Leben im Haus. Beschwerden bezogen sich in der Anfangszeit gegen diese und auch auf die beliebten Kartenspiele Skat und 17+4, die an verschiedenen Orten im Haus gepflegt wurden. Prorektor Lehmann reagierte und forderte gar ein Kartenspielverbot.

Beiträge zur Völkerverständigung

Das Haus sollte auch ein Beitrag zur "Völkerverständigung" sein und wurde in vielen Erklärungen als "Internationales Studentenhaus" bezeichnet. Darunter wurde auch verstanden, ein anderes, positives Bild der Deutschen zu zeichnen. So auch Horkheimer: "In der Hingabe an gemeinschaftliche Arbeiten, sei es im Ringen um ein Problem in der Diskussion, sei es beim studentischen Theater oder im Filmstudio oder der Studentenzeitung, sei es beim sportlichen Spiel, werden die deutschen Vorstellungen von der zivilisatorischen Glätte und dem Rationalismus der Franzosen, von der steifen Nüchternheit des Engländers, dem angeblichen Materialismus des Amerikaners, angesichts der konkreten Individuen ebenso verschwinden wie die ausländischen Freunde erfahren werden, daß die deutschen Studenten nicht der aus Alt-Heidelberg und Werwolf gemischten Karikatur entsprechen, die noch mancherorts für wahr gehalten wird."6

Es wurde festgelegt, dass in das Wohnheim ein Anteil ausländischer Studentinnen und Studenten einzog. Auch hier kam es, wie bereits im Februar 1953 ein Beschwerdebrief iranischer Studenten an den Rektor zeigte, zu Konflikten. Den Studenten wurde mit dem Verweis auf eine "private Feier" der Zugang zu einer Faschingsfeier verwehrt. Gegenmaßnahmen sollten ergriffen werden. Der Tutor des Hauses berichtete 1958 von entsprechenden - mehr oder weniger überzeugenden - Aktivitäten: "Bei den wöchentlichen Teeabenden ist die Einführung dieser [=der ausländischen] Studenten besonders berücksichtigt worden. Es wurden u.a. vom Tutor die deutschen Landschaften in Farbbildern dargestellt, ein Musikabend mit Schallplatten und ein Tanzabend veranstaltet. Kleinere Ausflüge wurden von den Heimbewohnern mit ihren ausländischen Gästen in die Umgebung von Frankfurt unternommen."

Auseinandersetzungen gab es auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel in Bezug auf sexuelle Freizügigkeit bzw. das, was in den 1950er Jahren darunter verstanden wurde. Im Januar 1955 erreichte ein anonymer Brief den Prorektor Lehmann, in dem von groß angelegten Orgien und einem "Männerbordell" im Wohnheim die Rede war. Das Haus gab jedoch vor allem ernsten Diskussionen über Sexualität, Ehe, Abtreibung Raum. Ebenfalls in der ersten Hälfte der 1950er Jahre fand eine Reihe von Veranstaltungen statt, die folgende Titel trugen: "Das Recht der unverheirateten Frau auf das Kind", "Abtreibung - Verbrechen, Sünde oder Privatsache?" und "Über das Unverheiratetsein". Die Abende waren mit verschiedenen ReferentInnen kontrovers gestaltet.

Erst 1971 zog die Kita in vormals als Bibliothek und Ruheraum genutzte Räume ein. Zunächst sollte es sich um eine Übergangslösung für die studentische Initiative halten, sie blieb dann und wurde zu einer festen Institution im Stadtteil, da sie nicht nur Kinder von Universitätsangehörigen aufnahm und so dem Charakteristikum des Hauses, in Teilen auch für Nicht-Studierende offen zu sein, entsprach. Antiautoritäre Erziehungskonzepte spielten hier eine wesentliche Rolle.7

Das Studierendenhaus war schon sehr früh Ort und Ausgangspunkt universitärer und später verstärkt auch nicht-universitärer, von studentischen Gruppen mitgetragener Proteste. Bereits im November 1956 reisten 450 Studierende aus Afrika und Asien aus verschiedenen Universitätsstädten an, um mit einem Schweigemarsch gegen den Suez-Krieg zu protestieren. Nach einem Verbot versammelten sich die Angereisten zusammen mit den FrankfurterInnen am Studierendenhaus bis zur gewaltsamen Auflösung durch die Polizei. Der AStA protestierte.8 Im Juni 1964 fand ein Streik wegen der Erhöhung der Mensapreise um 20 Prozent statt. Die Studierenden eröffneten auf dem Campus vor dem Haus eine eigene Mensa mit offenem Feuer.

Demonstrationen und Proteste

Ab Ende der 1960er Jahre etablierte sich das Studierendenhaus am Bockenheimer Campus als Ausgangspunkt für Demonstrationen. Nach der Erschießung von Benno Ohnesorg hatte hinter dem Gebäude ein Teach-In stattgefunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und ließ im April 1968 die Räume des AStA durchsuchen - wegen des Verdachts der Veruntreuung von Geldern in Zusammenhang mit Spenden an die Witwe Ohnesorgs.9 Bei einer weiteren Hausdurchsuchung in der Zeit des Häuserkampfs im Januar 1974 kam es zu einer Straßenschlacht zwischen Studierenden und Polizei. Wasserwerfer und Tränengas wurden eingesetzt, gewaltsam Türen auch der Wohnheimzimmer aufgebrochen. Anschließend demonstrierten Tausende auf dem Römer gegen den Polizeieinsatz. 1976 kam es zu einem "Frauen-AstA", ein AStA, in dem alle Funktionen von Frauen eingenommen wurden. Dieser erkämpfte den Frauenraum, eigentlich zwei zusammenhängende Räume, im Erdgeschoss des Hauses, die bis heute vom Frauen- und Lesbenreferat der Studierendenvertretung und von feministischen Gruppen genutzt werden.10

In den 1980er und 1990er Jahren kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen AStA, Studentenwerk und Universitätsleitung, jedoch auch zwischen den NutzerInnen des Gebäudes. Heftige Streits bezogen sich 1992/93 auf den damals noch neuen Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten auf dem Campus. Im August 1993 besetzte das Kollektiv des selbstverwalteten Cafés des Studierendenhauses (KOZ) dessen Räume, um zu verhindern, dass der AStA eine Geschäftsführung einsetzte. Der (linke) AStA war empört, insbesondere nachdem die BesetzerInnen die Tür des AStA-Büros ausgehängt hatten, zeigte sie an und veranlasste die polizeiliche Räumung des KOZ.

Ein ganzer Zyklus von Aktionen und Streiks prägten diesen Zeitraum. Anfang der 1990er Jahre wurden im Rahmen eines studentischen Projekts für mehrere Monate Räume des Studierendenhauses zur Unterkunft für "Doppelflüchtlinge", wie die Flüchtlinge genannt wurden, die nach massiven Angriffen und Bedrohungen aus den neuen Bundesländern in die alten geflohen waren. In Folge einer Kampagne gegen rechtes Denken in der Frankfurter Soziologie der "k.o.-Gruppe" fand ein großer Kongress gegen rechte Umtriebe an den Universitäten statt, an dem auch, ganz im Sinne der Begründer des Hauses, auch Initiativen gegen Burschenschaften aus verschiedenen Städten teilnahmen.11

Heute ist die Frage der weiteren Nutzung des Hauses offen. 1995, noch Jahre vor der ersten Umzugsphase in das IG-Farben-Haus im Stadtteil Westend, Beginn der Geschichte des neuen Campus in Frankfurt/M., kündigte der hessische Finanzminister Weimar an, das Haus abreißen zu lassen. Hiervon ist inzwischen nicht mehr die Rede. Wohnheim und Kita werden laut der städtischen ABG Holding, die hier ein größeres Areal mit Studierendenhaus gekauft hat, im Haus bleiben. Doch von dem Verein "Offenes Haus der Kulturen", der daran interessiert ist, die Nutzung durch Gruppen und Basisinitiativen in der Stadt fortzusetzen, möchte die ABG Holding eine Monatsmiete von 60.000 Euro, die kaum aufzubringen wären. Städtische Pläne eines Kulturcampus könnten ebenfalls das Haus einbeziehen; auch die zukünftige Nutzung als ein Bürgerhaus ist im Gespräch.12

Anmerkungen

1) Die Neue Zeitung, 12.3.1953.

2) Einweihung des Studentenhauses. Ansprachen gehalten am 21. Februar 1953 beim Akademischen Festakt, Frankfurt am Main 1953: 8.

3) Einweihung des Studentenhauses: 12-13.

4) Nach AStA-Info Nr. 5, Wintersemester 91/92: 20-21.

5) Im Folgenden Universitätsarchiv Akten VII 4c, 4d, 4e.

6) Einweihung des Studentenhauses: 14.

7) AStA-Info Nr. 5, Wintersemester 91/92; Frankfurter Rundschau, 15.5.1970 und 10.7.2003; Frankfurter Neue Presse, 4.7.2003.

8) Uni-Report 5, 21.10.2011.

9) Frankfurter Rundschau, 10.7.2003.

10) Frauen-Info Wintersemester 1985/86.

11) Eigenes Archiv; Broschüre "Zugeschaut und mitgebaut. Blaupausen für die Nation", hg. v. k.o.-Gruppe 1994, 2. Aufl. 1995.

12) www.zukunft-bockenheim.de/campus.htm.


Regina Schleicher, Romanistin, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt/Main Schwerpunkte: Kulturwissenschaft; Didaktik der romanischen Sprachen; Medientheorie und -geschichte.

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