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Klaus Holzkamp

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Die Exzellenzinitiative

18.06.2012: Ungleichheit als politisches Programm

  
 

Forum Wissenschaft 2/2012; Foto: photocase.com – Indigo Blue

Die "Exzellenzinitiative" könnte tatsächlich einen Paradigmenwechsel in der deutschen Wissenschaftsgeschichte bewirken: zum Schlechteren. Torsten Bultmann befürchtet, dass durch dieses Sonderprogramm die gesellschaftlich relevante Leistungsfähigkeit der Hochschulen insgesamt eher geschwächt werde.

Im Juni 2012 fallen die Förderentscheidungen für die 2. Programmphase der Exzellenzinitiative (2012 - 2017), die sich selbst - politisch wertneutral - als ein Programm zur Förderung der universitären Spitzenforschung inszeniert. Zur Verteilung wurden dafür in einer Bund-Länder-Vereinbarung 2,7 Mrd. Euro bewilligt. Viele sehen diese Entscheidung rein sportlich und die Medien überbieten sich in Spekulationen, wer wohl diesmal auf dem Siegertreppchen steht. Die Sache scheint sich etabliert zu haben und Kritik dringt kaum noch in die Öffentlichkeit. Das mag verschiedene Gründe haben. Erstens: wenn ein seit drei Jahrzehnten strukturell unterfinanziertes Hochschulsystem einen solchen erheblichen Zusatzbetrag erhält, scheint allein dieser Sachverhalt jenseits aller Kritik zu stehen. Zweitens wird angesichts erheblicher Forschungsdesiderate mit Blick auf gesellschaftliche Schlüsselprobleme vermutlich kaum jemand etwas gegen wissenschaftliche ›Spitzenleistungen‹ einwenden wollen. Mit dieser Positivbetrachtung ist allerdings in der Regel die Annahme verknüpft, dass unterhalb der Leistungsspitzen der ›Normalbetrieb‹ der Hochschulen so weiterläuft wie bisher. Das ist jedoch mitnichten der Fall. Die Exzellenzinitiative hat vielmehr strukturumbildende und verteilungspolitische Konsequenzen für das gesamte deutsche Hochschulsystem, die man bei schärferer Analyse durchaus als problematisch bewerten kann. Davon soll im Folgenden die Rede sein.

Ursprünglicher Fehlstart

Der historische Ursprung der Exzellenzinitiative ist einem Fehlstart der SPD-Bundestagsfraktion in das Jahr 2004 zu verdanken. Diese beendete ihre Klausurtagung im Januar 2004 damit, dass der damalige Generalsekretär Olaf Scholz vor die Presse trat und verkündete, seine Partei würde gerne in Deutschland "Eliteuniversitäten wie Harvard" errichten. Der Knalleffekt in den Medien war ob dieser Ankündigung vermutlich wohl kalkuliert, steht die SPD in der Tradition der ersten Hochschulreform doch eher für die politischen Gegenbegriffe des genuin konservativen Konzeptes "Elitenförderung", für Begriffe wie "Chancengleichheit" und "soziale Öffnung der Hochschulen". Ebenso gewiss waren der anschwellende innerparteiliche Widerstand und das positive Draufsatteln der Konservativen auf diesen Vorstoß. Seitens der SPD wurde im Folgenden ständig relativiert, zurückgerudert und umdefiniert. Schließlich mündete die Sache in eine förmliche Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern (Juni 2005) über die "Exzellenzinitiative" in einem Förderumfang von 1,9 Mrd. Euro für die erste Runde (2006-2011). Das Wort selbst ist eine neologistisch-synthetische Begriffskonstruktion, um nicht dauernd "Elitenförderung" sagen zu müssen, was damals als Bezeichnung noch heftig öffentlich umstritten war.

Dennoch handelt es sich um einen späten Sieg der Gegenreform. Ein klassisches Stereotyp der konservativen Kritik an der Hochschulexpansion seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist schließlich das Lamento darüber, dass die ›Massenuniversitäten‹ die gezielte Förderung von ›Eliten‹, die jede Gesellschaft doch so nötig hätte, unmöglich machen würde. In den 70er und 80er Jahren sind mehrere Anläufe, einen entsprechenden Exklusivbereich jenseits des grundständigen Normalbetriebes der Hochschulen zu institutionalisieren, gescheitert. Derartige Ansätze waren auch immer von der Vorstellung geleitet, Bildungsstandards für die ›Masse‹ - auch finanzwirksam - zu begrenzen und so einen Umverteilungsspielraum für die Besserausstattung der ›Elitenbereiche‹ zu generieren. Das besorgt jetzt nolens volens die Exzellenzinitiative (s.u.). Man kann es daher für einen Treppenwitz der Geschichte halten, dass wir einer rotgrünen Bundesregierung nicht nur den größten Niedriglohnsektor Europas, sondern auch ein exklusives Elitenförderprogramm für die Hochschulen zu verdanken haben. Möglicherweise besteht zwischen beiden Phänomenen auch ein Zusammenhang. Aber bleiben wir bei der Hochschulpolitik.

Rein technisch betrachtet ist die Exzellenzinitiative ein weiteres wettbewerbliches Antragsverfahren, in dem sich die Universitäten für drei Förderlinien bewerben können: erstens für Graduiertenschulen (1 bis 2,5 Mio. Euro pro Jahr1), zweitens für sog. Exzellenzcluster, d.h. Forschungsverbünde auch unter Einbeziehung der hochschulfreien Forschung (3 bis 8 Mio. Euro pro Jahr), drittens (auf die gesamte Hochschule bezogene) Zukunftskonzepte zum Ausbau der Spitzenforschung (ca. 10 bis 20 Mio. Euro pro Jahr). Diese dritte Förderlinie ist nicht nur die finanziell lukrativste, sondern auch der eigentliche Ritterschlag der Exzellenzinitiative. Hier können nur solche Hochschulen punkten, die auch in den ersten beiden Programmen erfolgreiche Anträge durchgebracht haben. Die Medien haben schließlich für die Sieger des dritten Programms das - aus der öffentlichen Debatte nicht mehr wegzubekommende - Prädikat "Eliteuniversität" verliehen. Davon gibt es derzeit neun: FU Berlin, Uni Göttingen, RWTH Aachen, Uni und TU München, die Unis Konstanz, Heidelberg und Freiburg sowie das Karlsruher Institut für Technologie (früher: TU Karlsruhe)

Nach offizieller politischer Verkündigung der "Exzellenzinitiative" konnte man in der öffentlichen Debatte im Wesentlichen zwei kontroverse Positionen unterscheiden. Die "offizielle" lautete etwa, es würden lediglich Leistungsunterschiede festgestellt, die ohnehin bestünden. Dafür steht etwa die Aussage Karl Max Einhäupls, bis 2006 Vorsitzender des Wissenschaftsrates, auf der Pressekonferenz des gleichnamigen Gremiums und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am 20. Januar 2006, auf welcher die Sieger der ersten Runde bekannt gegeben wurden: Es gehe um einen "lang ersehnten Paradigmenwechsel im deutschen Hochschulsystem, mit dem wir uns verabschieden von der Idee der Homogenität und uns anfreunden mit der Idee der Diversität". "Diversität" klingt natürlich postmoderner und schöner als "Hierarchisierung", was aber in Wirklichkeit gemeint ist. Formulierungen wie "Paradigmenwechsel", Abschied vom "Gleichheitsparadigma" oder man wolle die "internationale Sichtbarkeit" des deutschen Hochschulsystems steigern tauchen in allen Dokumenten des Programms als kommunikationsstrategische Leitmotive immer wieder beharrlich auf.

Finanzielle Hierarchien

Für die andere Position steht etwa ein scharfer Kritiker, der Darmstädter Elitensoziologe Michael Hartmann2, der mehrfach öffentlich herausgearbeitet hat, dass diese Exzellenzinitiative gerade die Leistungsunterschiede an den Universitäten produziere, die sie zu messen behauptet. Profitiert hätten davon nur solche Hochschulbereiche, die finanziell ohnehin schon erheblich besser ausgestattet waren als der Durchschnitt. Die zusätzlichen Mittel für die Sieger würden diese Ausstattung noch einmal verbessern und als self fulfilling prophecy auch zu mehr messbaren Leistungen führen, die im nachhinein die ursprüngliche Auswahlentscheidung zusätzlich legitimieren. Die Kehrseite davon: eine zunehmende ungleiche Finanzmittelausstattung und die Unterfinanzierung des überwiegenden ›nicht-exzellenten‹ Großteils des deutschen Hochschulsystems, welcher allein schon aufgrund dessen mit den Elitebereichen gar nicht mehr konkurrenzfähig ist, wird bewusst in Kauf genommen - und durch die Leistungsmetaphorik der Exzellenzinitiative zugleich ideologisch legitimiert. Manchmal schimmert dies sogar in offiziellen Bekundungen durch. So zum Beispiel Peter Gaethgens, damals Vorstandsmitglied der Europäischen Rektorenkonferenz, in einem der Exzellenzinitiative gewidmeten Artikel: "Angesichts der in Deutschland chronischen Unterfinanzierung des gesamten staatlichen Hochschulsystems, die sich auf absehbare Zeit nicht ändern wird, ist der Zwang, einen Weg stärkerer Differenzierung einzuschlagen, auf Dauer unvermeidlich." (Der Tagesspiegel 01.02.2007) Nach dieser Logik wäre das bestimmende Motiv der Exzellenzinitiative die institutionelle Entscheidung auf politisch-administrative Weise, d.h. durch selektive Geldverteilung, ein Zwei-Klassen-Hochschulsystem zu konstruieren. Mit einem fairen wissenschaftlichen Leistungsvergleich bei Annahme chancengleicher Ausgangsbedingungen hätte dies dann definitiv nichts mehr zu tun.

Die Exzellenzinitiative bedeutet in zweierlei Hinsicht einen Bruch mit der deutschen Wissenschaftstradition. Im Unterschied zum angelsächsischen Hochschulsystem, welches intern extrem hierarchisch gegliedert ist und international aufgestellte "Eliteuniversitäten" an seiner Spitze hat, kennt das deutsche keine Leistungskonkurrenz zwischen kompletten Hochschulen als Institutionen. Im Grunde schon seit der Humboldtschen Reform (1810) galten alle Universitäten als grundsätzlich gleichwertig und gleichrangig. Die eigentliche Reputation lag bei den einzelnen Lehrstühlen, zwischen denen sich die wesentliche akademische Konkurrenz vollzog. Zweifelsfrei muss man eine Tradition nicht um ihrer selbst willen schätzen und beibehalten. Die eigentliche Frage ist aber aktuell, ob eine überfällige Hochschulreform einschließlich einer zu steigernden Grundfinanzierung auf der Basis der Gleichwertigkeit stattfindet - oder ob ›Qualitätsunterschiede‹ durch zunehmend ungleiche Finanzzuteilung politisch systematisch konstruiert werden.

Zweitens erhält mit der Exzellenzinitiative eine neuartige Logik der Forschungsförderung Einzug in das deutsche System, die es bisher in dieser Form nicht gab. Zunächst: die Verteilung der Exzellenzmittel folgt - wenig überraschend - weitgehend proportional der Drittmittelkonzentration an deutschen Universitäten (s.u.): je mehr Drittmittel eine Uni in der zurückliegenden Zeit bekam, umso höher ihre Erfolgschance in der Exzellenzinitiative. Antragsberechtigt in traditionellen Förderprogrammen des sog. Drittmittelsektors sind allerdings einzelne WissenschaftlerInnen. Erfolge der jeweiligen Projekte werden folglich auch primär der individuellen akademischen Reputation zugerechnet. Antragsberechtigt in der Exzellenzinitiative sind ausschließliche ganze Institutionen, nämlich Universitäten vertreten durch ihre Leitung. Man darf vermuten, dass diese Neuerung vor allen Dingen den Zweck verfolgt, Erfolge in der Exzellenzinitiative auch für die Prestigesteigerung der jeweiligen Uni, kurz: für die Vermehrung ihres symbolischen Kapitals zu nutzen. Für einen Kritiker dieser Förderlogik wie den Bamberger Soziologen Richard Münch rangiert diese Motivation einer symbolischen Aufwertung einzelner Universitätsstandorte - in den Dokumenten der Exzellenzinitiative ständig als "Erhöhung der internationalen Sichtbarkeit" beschworen - vorrangig vor jedem Interesse an wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt: "Man kann die Kür von ›Eliteuniversitäten‹ auch als den Versuch werten, Marken zu kreieren, die sich in Zukunft gewinnbringend auf dem Bildungs- und Forschungsmarkt positionieren lassen."3 So ließe sich ebenso die - an sich nahe liegende - Frage beantworten, warum man die 1,9 Mrd. Euro des ersten Förderzyklus der Exzellenzinitiative nicht genommen hat, um damit etwa das Budget der DFG, der größten Drittmittelförderorganisation, zu erhöhen. Das hätte etwa dieser ermöglicht, ihre ständig steigende Ablehnungsquote bei einer wachsenden Zahl von Anträgen zu reduzieren. Die Antwort: In einem solchen Fall wären die Zusatzfinanzen in der ›normalen‹ Forschungsförderung versickert und hätten nicht die mit der Verleihung der Prädikate "Exzellenz" und "Elite" gestützten symbolischen Absetzungseffekte vom Hochschulnormalbetrieb untermalen können. Symbolhaltig auch die Höhe der Hürden bis zum Erfolg. Nach Angaben der DFG und des Wissenschaftsrates betrug die Bewilligungsquote bezogen auf die Gesamtzahl der in der Exzellenzinitiative eingereichten Antragsskizzen 11 Prozent. Hinter dieser Zahl verbirgt sich eine erhebliche Vergeudung von Ressourcen nicht allein des Verwaltungs-, sondern auch des wissenschaftlichen Personals der beteiligten Hochschulen, welches in den jeweiligen den Rektoraten und Präsidien zugeordneten Strategiekommissionen Anträge entwickelte. Hier bestätigt sich noch einmal die Kritik auch aus anderen Anlässen, dass der Übergang zu einer stärker ›wettbewerblichen‹ Hochschulfinanzierung bei gleich bleibend schlechter Personalausstattung der Hochschulen immer größere Arbeitsressourcen in den Bereichen Antragswesen, Marketing und Leistungsdokumentation bindet, die dann den grundständigen Aufgaben der Hochschulen fehlen: "Es wächst das Verwaltungspersonal und es schrumpfen Forschung und Lehre."4

Dröhnende Hochleistungsrhetorik

Eine genauere Analyse der Finanzströme aus der ersten Förderrunde der Exzellenzinitiative bestätigt exakt die Kritik von Hartmann. Laut Statistischem Bundesamt erhielten die deutschen Hochschulen 2008 4,85 Mrd. Euro an Drittmitteln, die mittlerweile 25 Prozent ihres Gesamtbudgets umfassen (1993: 14 Prozent). Diese Zusatzfinanzen verteilen sich allerdings nicht gleichmäßig über das Hochschulsystem. Über 60 Prozent dieser Mittel konzentrieren sich auf eine in ihrer Zusammensetzung relativ stabile Spitzengruppe von 20 Universitäten bei einer Gesamtzahl von knapp über 100. DFG und Wissenschaftsrat werten es als Erfolg, dass diese Top-20-Liga auch 70 Prozent der Exzellenzfinanzen unter sich aufteilen. An der Spitze der Spitze nimmt dieser Konzentrationseffekt noch einmal zu: die ersten vier Hochschulen des DFG-Förderrankings - die beiden Münchener Universitäten, die RWTH Aachen und die Universität Heidelberg - erhielten alleine mit 650 Mio. Euro ein Drittel des gesamten Exzellenzbudgets. Dass alle vier in der dritten Förderlinie auch zu "Eliteuniversitäten" erhoben wurden (und es in der 2. Programmphase vermutlich wieder werden), liegt in der Logik des Vorganges einer offenbar bewusst in Kauf genommenen Verteilung nach dem Matthäus-Prinzip. Im Zeitraum ca. der letzten 20-30 Jahre lässt sich zudem Folgendes beobachten: In dem Maße, wie finanzielle Zuwächse nur noch in der Projektforschung erwirtschaftet werden konnten, befördert dies seitens der Hochschulleitungen auch eine tendenzielle Umverteilung und Konzentration der verbleibenden Grundausstattungsmittel, die eigentlich für die flächendeckende Gewährleistung der gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen vorgesehen sind, in die Infrastruktur der als ›forschungsstark‹ betrachteten Fachbereiche mit dem größten Drittmittelpotential, weil die Einwerbung von Forschungsaufträgen eine bestimmte Mindestausstattung voraussetzt und um so ein für die Förderer ›attraktives‹ Umfeld zu schaffen. Das Geld fehlt dann natürlich an anderer Stelle schmerzlich, vorrangig in den Sozial- und Geisteswissenschaften, insbesondere in der LehrerInnenausbildung. Die Studienbedingungen hier verschlechtern sich, die wissenschaftlichen Arbeitsverhältnisse werden tendenziell prekär. Diese verteilungspolitischen Effekte werden von der Exzelleninitiative wenn auch nicht verursacht, so doch verstärkt. Das bestätigen auch Indizien, dass an den geförderten Hochschulen die Exzellenzbereiche auch auf Ressourcen des restlichen ›Normalbetriebes‹ zugreifen. So wurde festgestellt, dass in den exzellenzgeförderten Graduiertenkollegs auch reguläres Lehrpersonal, finanziert aus Mitteln des Grundhaushaltes, eingesetzt und die Arbeitsleistung in einer rechtlichen Grauzone auf die gesetzliche Lehrkapazität angerechnet wird, die folglich dem regulären Studienbetrieb in gleicher Größe fehlt. Ein ähnlicher Effekt ergibt sich daraus, dass ein Teil der mit Exzellenzmitteln ausgeschriebenen Forschungsprofessuren für hochschulinterne BewerberInnen reserviert wurde - mit dem Versprechen, für den fünfjährigen Förderzeitraum von Lehrverpflichtungen und Verwaltungsaufgaben entbunden zu sein. In der Regel wird dieser Kapazitätsabbau innerhalb des Normalbetriebes nicht durch neue wissenschaftliche Arbeitsplätze kompensiert, sondern eher durch Mehrbelastung des verbliebenen Personals und prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Die Kehrseite der dröhnenden Hochleistungsrhetorik der Exzellenzinitiative ist also eine tendenzielle Verschlechterung der materiellen wissenschaftlichen Leistungsbedingungen in der Breite des Hochschulsystems. Das wäre nicht einmal dann gerechtfertigt, wenn dieser Leistungsabbau durch eine Leistungssteigerung in den Exzellenzbereichen kompensiert würde. Schließlich können die Studierenden und die überwiegende Mehrheit des wissenschaftlichen Personals nicht völlig unverschuldet für die brachiale Durchsetzung dieser neuartigen Wissenschaftsförderlogik mit einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen bestraft werden. Allerdings scheint nicht einmal die Behauptung zu stimmen, dass durch Exzellenzpolitik die Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems in auch nur irgendeinem gesellschaftlich relevanten Sinne gesteigert würde. Ergänzend zur Kritik an der bildungsökonomischen Fehlsteuerung hat sich in den letzten Jahren auch eine fundierte wissenschaftssoziologische Kritik entwickelt, die eher davon überzeugt ist, dass durch Elitenförderung, konkret: durch Überinvestition an wenigen Hochschulstandorten und Unterinvestition an vielen Standorten die Zahl miteinander um Erkenntnisfortschritt produktiv konkurrenzfähiger - und von der materiellen Ausstattung her überhaupt arbeitsfähiger - WissenschaftlerInnen und damit zugleich die Erneuerungsrate des Wissens reduziert wird.5 Wissenschaftliche Evolution setzt Vielfalt der Ansätze und breite Gestreutheit der wissenschaftlichen Leistungsträger über das ganze System voraus. Exzellenzpolitik fördert demgegenüber mehrfache Ausschlussmechanismen und zugleich Monopolbildung: Ausschlüsse von symbolischer Anerkennung und materiellen Ressourcen werden ergänzt durch die monopolartige Definitionsmacht der Exzellenzstandorte über "wissenschaftliche Relevanz"; im Regelfall: der jeweilige Mainstream. Unkonventionelle Ansätze, Querdenker und Dissidenten, die wissenschaftsgeschichtlich für wirkliche Innovation immer bedeutender waren als dieser, haben es entsprechend schwerer.

Ein sachlicher Grund, diese Fehlsteuerung auch in die 2. Programmphase der Exzellenzinitiative zu übertragen, existiert nicht. Eine alternative Möglichkeit wäre, die dafür bewilligten Steuergelder (2,7 Mrd. Euro) einzusetzen, um an allen deutschen Universitäten innerhalb des Förderzeitraumes das wissenschaftliche Personal in einem rechnerisch möglichen Umfang von 5 Mio. Euro jährlich aufzustocken, und zwar in den Bereichen, wo es am meisten fehlt. Damit wäre die strukturelle Unterfinanzierung zwar noch nicht beseitigt, aber zumindest gemildert. Die Studienbedingungen würden überall verbessert und der gesellschaftliche Nutzen dieser Verwendungsart wäre weitaus höher.

Anmerkungen

1) Alle Zahlenangaben, soweit nicht anders vermerkt, sind Dokumenten des Wissenschaftsrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Exzellenzinitiative entnommen. Die Ausschreibungstexte und programmatischen Erklärungen dazu finden sich u.a.: www.wissenschaftsrat.de/arbeitsbereiche-arbeitsprogramm/exzellenzinitiative/ .

2) Vgl.: Michael Hartmann 2006: "Die Exzellenzinitiative. Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Hochschulpolitik", in: Leviathan 34/4: 447-465; Michael Hartmann 2011: "Leistung oder ›Matthäus-Prinzip‹ - die hierarchische Differenzierung der deutschen Universitäten durch die Exzellenzinitiative", in: Marisol Sandoval u.a. (Hg.): Bildung MACHT Gesellschaft, Münster: 163-185.

3) Richard Münch 2009: Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co, Frankfurt a. M.: 162.

4) Richard Münch 2011: Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschulreform, Berlin: 71.

5) Münch 2011; insbes.: 201, 254, 315. Hinzu kommt auch das Kriterium des ebenso in der Wissenschaftsförderung nachweisbaren abnehmenden Grenznutzens: mit schierer Größe und Bestausstattung von Einrichtungen wächst nicht analog die Leistung. Ab einer bestimmten mittleren Größenordnung des Personaleinsatzes nimmt "mit jeder weiteren Investition der Publikations- bzw. Patentertrag pro eingesetztem Personal kontinuierlich ab[...]" (Münch 2011: 308).


Torsten Bultmann (politischer Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - BdWi) Der Beitrag ist erstmalig erschienen in der vom Netzwerk Gesellschaftsethik e.V. herausgegebenen online-Zeitschrift Denk-doch-mal 2-2012 unter dem Schwerpunkt "Was hält die Gesellschaft zusammen?". Wir bedanken uns bei Herausgebern und Redaktion und empfehlen deren Projekt zugleich weiter: www.denk-doch-mal.de/ .

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