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Klaus Holzkamp

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Gesundheitsforschung für wen?

15.08.2009: Studierende und Forschende diskutieren die gesellschaftliche Verantwortung ihrer Arbeit

  
 

Forum Wissenschaft 3/2009; Foto: Dieter Seitz

Forschung steht in starker Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Angeregt durch die große Bedeutung öffentlicher Forschung für die Arzneimittelversorgung von Entwicklungsländern, setzen sich AkademikerInnen und StudentInnen zunehmend mit der Kommerzialisierung von Gesundheitsforschung auseinander. Christian Wagner-Ahlfs berichtet über Geschichte und Stand dieser Auseinandersetzung.

Im Frühjahr 2001 schafften es Studierende der Yale University bis auf die Titelseite der New York Times. Proteste gegen die Patentpolitik ihrer Universität hatten einen Anlass mit weitreichenden Konsequenzen: Es ging um ein Aids-Medikament und dessen Preis. Günstige Aids-Medikamente könnten viele Menschenleben im besonders von Aids betroffenen Kontinent Afrika retten. D4T ist der Wirkstoff eines Medikamentes – und das Patent auf d4T gehört der Yale University. Der Protest der Studierenden zielte darauf ab, dass die Universität als Patentinhaberin Druck auf den Hersteller des Medikaments ausüben sollte. Ziel war, die Herstellung günstiger Generika in Südafrika zu ermöglichen. Der Protest war erfolgreich: Das Pharmaunternehmen Bristol Myers-Squibb (BMS), das von der Universität die weltweiten exklusiven Vermarktungsrechte erhalten hatte, verzichtete in Südafrika freiwillig auf seine Rechte und machte so den Weg zur Generika-Herstellung frei.1

Wem gehört das Medikament?

Die „Yale-Story“ wurde zum Ausgangspunkt einer wichtigen Debatte: Welchen Einfluss haben Universitäten auf die Verwendung ihrer Forschungsergebnisse? D4T war bereits in den 1960er Jahren am Detroit Institute of Cancer Research auf der Suche nach einem Krebsmedikament gefunden worden. Als in den 1980er Jahren Aids entdeckt wurde, begann eine fieberhafte Suche nach geeigneten Medikamenten zur Therapie der HIV-Infektion. An der Yale Universität besann man sich auf d4T und führte mit Finanzierung der US National Institutes of Health weitere Untersuchungen durch. 1986 wurde d4T zur Aids-Behandlung von der Yale University zum Patent angemeldet. Für die weitere Produktentwicklung erhielt das Pharmaunternehmen Bristol-Myers Squibb eine Exklusivlizenz und brachte das Medikament schließlich 1994 als Zerit® auf den Markt. Die Yale Universität erhielt als Patentinhaber eine Gewinnbeteiligung. Bald wurde offensichtlich, dass Aids vor allem für das südliche Afrika zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes wurde. Die Kosten für Aids-Medikamente waren so hoch, dass sie von medizinischen Hilfsorganisationen kaum zu bezahlen waren, geschweige denn von den Betroffenen selbst. Deshalb fragte „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) im Februar 2001 bei der Universität an, ob diese bereit sei, eine Lizenz auf d4T zu vergeben, um Herstellung und Import günstiger Generika nach Südafrika zu ermöglichen. Die Universitätsleitung verwies auf die vertragliche Bindung an die Exklusivlizenz für BMS und lehnte ab. Es kam zu Protesten der Studierenden, Unterschriftenaktionen und weiteren Aktivitäten, die schließlich zum freiwilligen Einlenken des Unternehmens führten.

Die Situation war die Folge einer forschungspolitischen Entscheidung, die zwei Jahrzehnte zuvor getroffen wurde: der Bayh-Dole Act.

Auch die deutsche Bundesregierung ist dem US-amerikanischen Vorbild gefolgt und startete 2001 die Verwertungsinitiative.2 „[Es] ist das Ziel der BMBF-Patentpolitik, dass jedes wirtschaftlich nutzbare Forschungsergebnis in Deutschland zum Patent angemeldet wird und möglichst viele gute Erfindungen kommerziell genutzt werden.“3 Für alle Hochschulen wurden Patentverwertungsagenturen oder Büros für Technologietransfer gegründet (ausführliche Analyse dieser Entwicklung s. Artikel von C. Godt in diesem Heft). Seit 2008 wird die ursprünglich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Patentverwertungsinitiative als SIGNO-Programm vom Bundesministerium für Wirtschaft weitergefördert.4 Dieses Programm soll für den „effizienten Technologietransfer zwischen Hochschulen und Unternehmen“5 sorgen.

Wie sieht die bisherige Bilanz der deutschen Patentverwertungsinitiative aus? Eine erste Evaluierung im Auftrag des BMBF kam 2006 zu dem Schluss, dass es den Patentverwertungsagenturen „gelungen ist, das Patentbewusstsein an den Hochschulen deutlich zu steigern und die Zahl der Erfindungsmeldungen zu erhöhen“.6 Was die Zahl der Firmengründungen betrifft, sind Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer-, Helmholtz- oder Max-Planck-Institute führend. Eine genaue Erfolgsbilanz der Verwertungsinitiative steht noch aus. Aber offenbar sind die bisherigen kommerziellen Erfolge der Patentverwertung bescheiden. Obwohl viel patentiert wird – alleine für den Zeitraum 2003/2004 werden 625 deutsche Patente von medizinischen Fakultäten gezählt7 – gibt es keine aussagekräftigen Daten über erfolgreich abgeschlossene Lizenzverträge. Bei der Unterzeichnung eines solchen Vertrags mit einem Unternehmen wird in der Regel Geheimhaltung vereinbart. Mit welchen Firmen und zu welchen Bedingungen öffentliche Einrichtungen Verträge geschlossen haben, bleibt bisher im Dunkeln.

Studierende werden aktiv

Ein Muster scheint sich weltweit durchzusetzen: Öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen sollen ihre Ergebnisse patentieren und vermarkten. Die Studierenden in Yale haben mit ihrem Protest dazu klar Position bezogen und fordern, dass die Vermarktung der Forschung Menschen von deren Nutzung nicht ausschließt. Öffentliche Forschung soll der Gesellschaft dienen. Aus den Protesten in Yale heraus entwickelte sich ein Netzwerk von Gruppen und Personen, die sich an Universitäten weltweit für einen verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsergebnissen im Bereich Gesundheit einsetzen: die Universities Allied for Essential Medicines (UAEM). An inzwischen über 40 Universitäten in den USA, Kanada, Großbritannien, Italien und seit neustem auch in Deutschland thematisieren Studierende die Rolle ihrer Hochschulen bei der Lösung von Gesundheitsproblemen in armen Ländern. „Wir sind der Meinung, dass Universitäten die Möglichkeit und die Verantwortung haben, zu diesen Lösungen beizutragen“, schreiben sie in ihrer Grundsatzerklärung, dem Philadelphia Consensus Statement. Dazu stellen sie drei Forderungen auf: Der gerechte Zugang zu universitären Forschungsergebnissen solle gefördert werden; die Forschung an so genannten vernachlässigten Krankheiten solle ausgebaut werden (siehe Artikel P. Tinnemann); und Forschung solle nach ihrem Beitrag zum menschlichen Wohl beurteilt werden – also nicht nur nach der Anzahl von Patenten und Publikationen.

Viele Nobelpreisträger haben sich inzwischen in die Debatte über die gesellschaftliche Verantwortung von Forschung eingeschaltet und mit ihrer Unterzeichnung des Philadelphia Consensus Statements klar Position bezogen.

Stanford White Paper

Hochschulen haben mehrere Möglichkeiten, auf diese Forderungen zu reagieren. Ein wegweisender Schritt ist es, soziale Prinzipien in das Leitbild der Einrichtung aufzunehmen („policy“). Das haben inzwischen in den USA mehrere Universitäten getan: Die University of California hat ein Socially Responsible Licensing Program verabschiedet. Die University of Washington erklärt öffentlich, oberstes Ziel des Technologietransfers sei nicht die Maximierung von Lizenzeinnahmen, sondern die weltweite Anwendung und größtmöglicher sozialer Nutzen.

Doch Absichtserklärungen alleine reichen nicht aus. Eine Gruppe um die damalige Jura-Studentin Amy Kapczynski hatte in der Debatte um das in Yale gefundene Medikament d4T vorgeschlagen, in Zukunft Verträge zwischen Hochschulen und Pharmaunternehmen an eine Bedingung zu koppeln: Die aus Technologietransfer resultierenden Medikamente müssen auch armen Menschen zur Verfügung stehen (Equitable Access License, siehe Artikel C. Godt). Im amerikanischen Dachverband der Technologietransfer-Mitarbeiter fand die Arbeit von Kapczynski und anderer UAEM-Studierenden Unterstützung. 2003 gründete sich eine neue Arbeitsgruppe: Die Technology Managers for Global Health wollten sehen, welche der Ideen sich in der Praxis umsetzen lassen. Mit der Zeit wuchs die Erfahrung, und wesentliche Elemente eines verantwortungsvollen Umgangs mit Lizenzen wurden 2007 im Stanford White Paper umschrieben. „Mit dieser Erklärung möchten wir unsere Kollegen im akademischen Technologietransfer ermutigen, jede einzelne Lizenzmöglichkeit darauf hin zu untersuchen, wie neben den geschäftlichen Bedürfnissen auch [...] folgende Konzepte berücksichtigt werden können“, so die Patentverwertungsmanager. „Universitäten sollten sich eigene Verwertungsrechte für lizenzierte Erfindungen vorbehalten [...] Falls möglich, sollen Klauseln eingebaut werden, welche die Bedürfnisse vernachlässigter Patientengruppen oder Regionen berücksichtigen, insbesondere bei Therapeutika, Diagnostik und landwirtschaftlichen Technologien für Entwicklungsländer.“

Bisher sind es noch vergleichsweise wenige Universitäten, die solche Prinzipien in die Praxis umsetzen. Weit gediehen ist bespielsweise das Socially Responsible Licencing Program der University of California (Berkeley).8 Eine Vielzahl an Projekten arbeitet mit unterschiedlichsten Ansätzen: In manchen Fällen verzichtet die Universität auf Lizenzgebühren, um nicht-gewinnorientierte Einrichtungen bei der Produktentwicklung zu unterstützen. In anderen Fällen werden je nach Region exklusive oder nicht-exklusive Lizenzen vergeben. Solche Modelle gelten nicht nur für den Bereich Arzneimittelforschung, sondern auch für Technologien anderer gesundheitsrelevanter Bereiche, etwa die Wasseraufbereitung.

Deutschland 2009

Die Debatte hat inzwischen auch Europa erreicht. 2009 hat die University of Edinburgh als erste europäische Universität erklärt, in Verträgen mit Pharmaunternehmen eine Versorgung von Entwicklungsländern zum Herstellungspreis vorzuschreiben.

In Deutschland setzt sich seit 2008 ein Kooperationsprojekt für neue Lizenzmodelle im Technologietransfer ein. Die Charité Universitätsmedizin Berlin, das Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen und die Nichtregierungsorganisation BUKO Pharma-Kampagne arbeiten unter der Überschrift „med4all – Wissenschaft im öffentlichen Interesse“ zur gesundheits-, forschungs- und entwicklungspolitischen Bedeutung von öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen. Im April 2009 fand in Berlin hierzu bereits die erste internationale Konferenz mit Akteuren aus Forschung, Regierung, Politik, Industrie und Zivilgesellschaft statt, um neueste Forschungsergebnisse, praktische Erfahrungen und zukunftsweisende Konzepte auszutauschen. Ebenfalls im Frühjahr 2009 haben sich Studierende aus mehreren Universitäten Deutschlands als Netzwerk „InfA – Innovation für alle“ der internationalen UAEM-Bewegung angeschlossen, um die gesellschaftliche Verantwortung an ihren Hochschulen zum Thema zu machen. Aktuelle Anknüpfungspunkte an außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind die Lizenzierung eines Tuberkulose-Impfstoffs des Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und eines ebenfalls für die Tuberkulosebekämpfung interessanten Antibiotikums des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e.V. Hans-Knoll-Institut in Jena.

Patentierung und Technologietransfer sind an deutschen Hochschulen noch ein relativ junges Phänomen. Aber es ist höchste Zeit, die zentrale Frage zu stellen: Wie können wir sicherstellen, dass Innovationen für möglichst viele Menschen verfügbar gemacht werden?

Anmerkungen

1) A. J. Stevens, A.E. Effort, Les Nouvelles XLIII June 2008, 85-101.

2) C. Godt, Eigentum an Information, Mohr Siebeck (Tübingen 2007), S.166 ff.

3) Lage der Forschung in Deutschland. Deutscher Bundestag Drucksache 15/4793 vom 31.1.2005. dip21.bundestag.de/dip21/btd/15/047/1504793.pdf

4) Förderrichtlinie zur Fortführung der Verwertungsoffensive – Verwertungsförderung 2. 11. 2007 (Bundesanzeiger 10. 11. 2007, 210, S.7967-7968).

5) www.signo-deutschland.de (Abruf 16.6.2009).

6) Kienbaum Management Consultants GmbH, Weiterentwicklung von Kriterien sowie Datenerhebung auf der Basis der Kriterien und Datenauswertung bezüglich der Kompetenz und Leistungsfähigkeit der Patent- und Verwertungsagenturen. Abschlussbericht 2006 (im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung).

7) BMBF Landkarte Hochschulmedizin (Stand der Auswertung: April 2008). www.landkarte-hochschulmedizin.de (Abruf 29.5.2009).

8) ipira.berkeley.edu/docs/sociallyresponsible10-05.pdf


Dr. rer. nat. Christian Wagner-Ahlfs ist Chemiker und arbeitet als Projektmanager bei der BUKO Pharma-Kampagne, einer Nichtregierungsorganisation in Bielefeld. Arbeitsbereiche sind Arzneimittelversorgung für Entwicklungsländer, Patente und Arzneimittelinformation. Er ist im Vorstand von Health Action International HAI Europe, arbeitete als Koordinator der HAI global, war bei den Verhandlungen der Weltgesundheitsorganisation zur Verbesserung der weltweiten Arzneimittelversorgung aktiv und koordiniert derzeit das Projekt „Equitable Licensing“ mit ZERP Bremen und Charité Berlin.

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