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Das Ende einer Revolution

15.02.2009: Novemberrevolution 1918 und Märzstreiks 1919

  
 

Forum Wissenschaft 1/2009; Foto: Manfred Vollmer

90 Jahre her sind in diesem Jahr die entscheidenden Kämpfe der Novemberrevolution, ihre Folgen und die Ausgangsbedingungen der ersten deutschen Republik. Allein in Berlin gab es 1.000 Tote. Die Revolution ging unter in der Gewalt gegen sie. Ihr Scheitern liegt aber vor allem in den inneren Widersprüchen der Arbeiterbewegung begründet. Ralf Hoffrogge beschreibt Verläufe und (Selbst-)Verständnisse.

Das Trauma wirkt weiter. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall und neunzig Jahre nach dem Sturz des Kaiserreichs bietet die Novemberrevolution 1918/1919 immer noch Anlass für Kontroversen. Die einen sehen in ihr den Übergang zur ersten deutschen Demokratie, die anderen eine "verratene Revolution", den mit brutaler Gewalt niedergeschlagenen Versuch, den Sozialismus zu verwirklichen. Vor allem die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919 gilt bis heute als Wendepunkt der Ereignisse. Kaum noch bekannt sind dagegen die entscheidenden Kämpfe im März 1919, als ein flächendeckender Generalstreik die Sozialisierung der Großindustrien und die Verankerung des Rätesystems in der Verfassung forderte.

Ihren Ursprung hatte die Novemberrevolution im ersten Weltkrieg. Aus Protest gegen diesen Zivilisationsbruch hatten sich die linken und revolutionären Kräfte der Arbeiterbewegung in der USPD gesammelt, während die Mehrheits-SPD den Krieg unterstützte. Die USPD war jedoch in sich extrem heterogen. Einerseits fanden sich dort entschiedene Linke wie Luxemburg und Liebknecht, andererseits waren unter den tragenden Säulen der Partei auch viele der sogenannten Revisionisten, die die SPD schon in der Vorkriegszeit am liebsten in eine demokratische Reformpartei verwandelt hätten. Einziger gemeinsamer Konsens war die Ablehnung des sinnlosen Massentötens auf den Schlachtfeldern.

Die USPD als Ganzes hatte daher aus sich heraus weder den Willen noch die Kraft, eine Revolution zu organisieren. Von Beginn an bildeten sich Untergruppen in der Partei wie etwa die von Liebknecht und Luxemburg angeführte Spartakusgruppe oder das Netzwerk der "Revolutionären Betriebsobleute", dessen Sprecher Richard Müller den radikalen Gewerkschaftswiderstand vertrat.1 Während die Spartakusgruppe sich vor allem auf Demonstrationen und Flugblattpropaganda konzentrierte, die USPD in den Parlamenten gegen den Krieg agitierte, waren es einzig die Obleute, die eine in den Betrieben verankerte revolutionäre Organisation aufbauen konnten. Politisch waren sie zweifellos abhängig von den Analysen des Spartakusbundes, organisatorisch jedoch stärker in der Arbeiterklasse verwurzelt als jede andere linke Gruppierung. Drei große Massenstreiks organisierten die Obleute von 1916 bis zum Januar 1918, teilweise mit mehreren hunderttausend Beteiligten im gesamten Reichsgebiet. Diese Streiks hatten langsamer Vorarbeit bedurft. Zunächst hatten sich die Obleute nur gegen das Streikverbot in Folge des Krieges gewehrt; nicht zuletzt unter dem Eindruck der russischen Revolution wandelten sie sich zu entschiedenen Revolutionären. Erst im Laufe des Jahres 1918 wurde jedoch auch der Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter klar, dass der Friede ohne Revolution nicht zu haben war. Was jedoch danach kommen sollte - darüber herrschte Unklarheit, sogar unter den Revolutionären selbst.

Der "Vollzugsausschuss des Arbeiterrates", in dem seit Mitte 1918 der linke Flügel der USPD, Obleute und Spartakusgruppe über eine gemeinsame Strategie diskutierten, widmete sich allein der Diskussion über den möglichen Ablauf einer Machtübernahme. Wenn Richard Müller als Sprecher der Obleute später erklärte, man habe eine "Räterepublik nach russischem Muster" angestrebt,2 so ist dies zwar Ausdruck einer Radikalität, wie sie in der Arbeiterbewegung vor 1914 an allen Ecken und Enden fehlte, aber gleichzeitig eine Leerformel, die wenig über die nachrevolutionäre Ordnung aussagte.

Natürlich sind von einer Avantgarde entworfene Reißbrettpläne für eine nachkapitalistische Gesellschaft immer illusionär, schlimmstenfalls totalitär gewesen. Auch war es für die Linke des Jahres 1918 schwierig bis unmöglich, angesichts von Zensur, Militärdiktatur und Polizeistaat eine detaillierte revolutionäre Vision gemeinsam mit der Basis zu entwickeln. Erst in der Revolution selbst konnte daher eine weitere Ausdifferenzierung der politischen Gruppen und ihrer Standpunkte erfolgen - etwa durch die Gründung der KPD zu Silvester 1918/1919. Als dieser Prozess jedoch abgeschlossen war, war auch die Revolution vorbei.

Das eigentliche Problem war, dass die Arbeiterbewegung als Ganzes vor 1914 auf eine Revolution nicht vorbereitet war. Trotz marxistischer Rhetorik gab es in der SPD des Kaiserreiches keine eigentlich revolutionäre Praxis. Eine Vermittlung zwischen tagespolitischem Kampf und sozialistischem Fernziel fand nicht statt. Erst der Krieg setzte die Frage der Revolution plötzlich und unvermittelt auf die Tagesordnung. Die Schwierigkeit, plötzlich inmitten eines Revolutionsprozesses und unter ständigen Bedrohungen durch gegenrevolutionäre Gewalt die versäumten Klärungsprozesse nachzuholen, führte letztendlich zur Niederlage. Gleichzeitig darf nicht verschwiegen werden, dass sich ein Gutteil der Bewegung längst vom sozialistischen Programm verabschiedet hatte: Das Bündnis der mehrheitssozialdemokratischen Ebert-Regierung mit den gegenrevolutionären Militärs war der entscheidende Schlag gegen die Revolution.

Räte oder Parlament

All dies war jedoch zu Anfang kaum absehbar. Am 9. November selbst dominierten die Obleute und ihre Verbündeten das Geschehen in Berlin. Die Meuterei der Flotte in Kiel hatte die Revolution ausgelöst, vollendet wurde sie durch den Aufstand der Revolutionären Obleute in den Berliner Betrieben am 9. November. Jedoch schon hier mussten die Linken ein Bündnis mit der Mehrheits-SPD akzeptieren und mit ihr eine gemeinsame Regierung bilden - der Druck der Basis verlangte "Einigkeit" und paritätische Vertretung beider Arbeiterparteien in den Gremien der Revolution.

In den Fabriken und Kasernen hatten zwar die Arbeiter, Arbeiterinnen und Soldaten in Form von Räten das Kommando übernommen, dachten aber nicht daran, sich als neue Staatsgewalt dauerhaft zu etablieren. Man vertraute darauf, dass mit dem Waffenstillstand die Kriegsfrage als Spaltungsgrund beseitigt war und die sozialistische Regierung aus USPD und SPD den Sozialismus machen würde. Sozialismus, das bedeutete in den Vorstellungen der Zeitgenossen die Sozialisierung aller als "reif" betrachteten Schlüsselindustrien, wobei man vor allem an die großen Staatsbetriebe sowie den Bergbau und die Großindustrie dachte. Der Begriff der Sozialisierung wurde dabei von den meisten wohl mit Verstaatlichung übersetzt, wobei die Räte sich allenfalls ein Kontroll- bzw. Mitbestimmungsrecht vorbehielten. Dies entsprach den sozialpolitischen Vorstellungen und Erfahrungen der Vorkriegszeit. Sozialpolitik machte der Staat von oben, auch in Partei und Gewerkschaften bestimmten die Repräsentanten die Politik, welche die Massen dann am Wahltag bestätigten. Allein die Existenz von Räten im November 1918 stellt somit einen radikalen Bruch mit den staatsgläubig-repräsentativen Praktiken und Ideen innerhalb der Sozialistischen Bewegung des Kaiserreiches dar.

Aus dieser Vorgeschichte erklärt es sich, dass der erste Reichsrätekongress vom 16.-20. Dezember 1918 das Rätesystem als zukünftige Staatsordnung ablehnte und zur Wahl eines bürgerlichen Parlaments in Form der Nationalversammlung aufrief. Getragen wurde dieser Beschluss von den SPD-Räten, die die Mehrheit auf diesem Kongress stellten. Obwohl die USPD für die Räte agitierte und diese bereits reale Machtpositionen innehatten, stellten sie lediglich für eine Minderheit der Arbeiter und Arbeiterinnen eine reale politische Option dar. Die Mehrheit ging mit der SPD und ihrem Programm einer Nationalversammlung, das auch von den bürgerlichen Parteien vertreten wurde. Diese Gemeinsamkeit sozialdemokratischer und bürgerlicher Politikvorstellungen war nicht Ergebnis eines Verrats oder Politikwechsels, sondern resultierte ebenfalls aus der jahrelangen parlamentarischen Praxis des Kaiserreiches. Die Mehrheits-SPD konnte sich eine basisdemokratische Ordnung durch Räte oder eine Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben schlichtweg nicht vorstellen.

Aber auch auf der Linken gab es kein klares Programm: Die Rätetheorie entstand erst deutlich nach der Machtübernahme der Räte selbst. Weder die anarchosyndikalistische Theorie noch Marx' Analysen der Pariser Kommune hatten in Deutschland eine reale Massenwirkung gehabt - sie zu Vorläufern der Räte zu erklären, macht wenig Sinn. Die ersten Räte waren während der Massenstreiks 1917 und 1918 spontan entstanden, ihre Systematisierung zu einer Rätetheorie folgte erst im Frühjahr 1919. Vor allem Richard Müller und Ernst Däumig aus der Gruppe der Revolutionären Obleute prägten mit ihrer Zeitschrift "Der Arbeiter-Rat" die theoretischen Debatten der Linken. Ihre Theorie des "Reinen Rätesystems" wurde, vermischt mit anarchosyndikalistischen Vorstellungen, im Frühjahr 1919 zu einer realen, wenn auch letztlich erfolglosen Massenbewegung.

Anlass dieser Streikbewegung im März 1919 war das schwindende Vertrauen der Basis in die Arbeit der Regierung der Volksbeauftragten und der in Weimar tagenden Nationalversammlung. Wichtigster Grund für Unmut war die andauernde Verschleppung der Sozialisierung. Zudem hatte es im Dezember und Januar eine Reihe von Gewaltakten der Regierung gegen die revolutionäre Linke gegeben. Nach ersten Schusswechseln anlässlich eines gescheiterten Rechtsputsches am 6. Dezember 1918 war es am Heiligabend zu einer ausgewachsenen Schlacht im Zentrum Berlins gekommen: Regierungstruppen beschossen das Stadtschloss, in dem sich die revolutionäre Volksmarinedivision einquartiert hatte. Nur durch das Einschreiten der Berliner Bevölkerung in Form einer Massendemonstration konnte den Kämpfen Einhalt geboten werden. Infolge dieser Ereignisse verließen die USPD-Volksbeauftragten die Regierung; Sozialdemokraten, unter ihnen Gustav Noske als "Reichswehrminister", rückten nach.

Ein zweiter Eklat folgte im Januar 1919, als in Berlin der USPD-Polizeipräsident Eichhorn seines Amtes enthoben werden sollte. Ein Generalstreik war die Folge, den Teile der radikalen Linken zu einer zweiten Revolution ausweiten wollten. Doch der Aufstand war schlecht vorbereitet und kaum koordiniert. Die Bewegung blieb auf Berlin beschränkt und wurde blutig niedergeschlagen, eine Absetzung der Regierung gelang nicht. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von den Gustav Noske unterstehenden Freikorps ermordet.

Verhinderter Bürgerkrieg?

Die Wirkung des Januaraufstandes war katastrophal. Die Linke hatte zwei ihrer wichtigsten Köpfe verloren. Die Niederlage demoralisierte Berlin als Zentrum der Revolution auf Monate hinaus. Kurz darauf wurde in München auch Kurt Eisner, die große Integrationsfigur der Revolution in Bayern, ermordet. Einerseits schwächte der Januaraufstand die revolutionäre Linke entscheidend, andererseits öffnete er vielen die Augen darüber, wie weit die Regierung Ebert zu gehen bereit war.

Im Mainstream der Geschichtsschreibung wird Eberts Allianz mit den Generälen meist verteidigt. Zur Verhinderung eines Bürgerkrieges und im Interesse der Stabilisierung der Demokratie sei dieses seltsame Bündnis aus monarchistischen Freikorps und sozialdemokratischer Partei notwendig gewesen. Wenig beachtet wird dabei, daß auch die Radikale Linke für die Demokratie kämpfte - sie hatte nur andere Vorstellungen davon. Für USPD und die junge KPD waren die Überführung der Großindustrie in öffentliches Eigentum und die Kontrolle der Gesamtwirtschaft durch gewählte Arbeiterräte notwendige Voraussetzungen einer sozialistischen Demokratie. Allein die Unternehmer sollten vom Wahlrecht ausgeschlossen werden - das war der Inhalt der Formel "Diktatur des Proletariats", die damals nicht nur bei der KPD, sondern auch im Programm der USPD enthalten war. Wenn auch die sozialistischen Vorstellungen der Linken umstritten und im Einzelnen unklar waren - die Diktatur einer Partei oder gar einer Einzelperson wurde abgelehnt.

Das eigentlich Seltsame am Argument der "Verhinderung des Bürgerkrieges" ist jedoch die Tatsache, dass der Bürgerkrieg längst im Gange war. Und die von der SPD-Regierung befehligten Freikorps waren diejenigen, die ihn nicht verhinderten, sondern beständig eskalierten. Bereits zum Weihnachtsabend 1918 war die übergroße Mehrheit des Feldheeres in die Heimat abgereist, die Bewegung der Soldatenräte schlagartig zusammengefallen. Abgesehen von vereinzelten linken Formationen wie der Volksmarinedivision und der Republikanischen Soldatenwehr blieben nun nur noch diejenigen übrig, die kein Zuhause hatten und Gefallen am Krieg gefunden hatten: bezahlte Söldner, Kaisertreue und Monarchisten, Anhänger der Völkischen Bewegung und der großdeutschen Idee. Vielen hatte man im Falle eines Sieges Siedlungsland im Osten versprochen, ihr Hass auf die vermeintlichen Verräter in der Heimat kannte keine Grenzen - sie fanden genug Gelegenheit, ihn auszutoben.

Die Märzstreiks 1919 waren einer der Höhepunkte dieses deutschen Bürgerkrieges, der sich im Grunde bis zur Niederschlagung des Hamburger Aufstandes der KPD im Jahre 1923 hinzog. Anders als der Januaraufstand waren die Märzstreiks eine überregionale Bewegung und daher weitaus gefährlicher für die Regierung. Im Ruhrgebiet, Mitteldeutschland und Berlin forderten Massenstreiks die Anerkennung der Arbeiterräte und die unmittelbare Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Die Nationalversammlung in Weimar war vom Generalstreik geradezu umzingelt und handlungsunfähig. Im Ruhrgebiet begannen die Bergleute damit, die Sozialisierung der Gruben in die eigene Hand zu nehmen. Der Sechsstundentag wurde eingeführt und von den Syndikalisten über die KPD bis hin zur Basis der SPD beteiligten sich alle Fraktionen an der "wilden Sozialisierung" einer ganzen Industrie.

Doch die Streiks waren zeitlich und räumlich nicht koordiniert. Während sie in einer Region gerade an Schwung gewannen, begannen sie andernorts bereits zu bröckeln. Sie zwangen die Regierung zwar zu verbalen Konzessionen, konnten jedoch später einzeln niedergeschlagen werden. Das war ein Dilemma der Linken. Während die Regierung zentral Entscheidungen fällte und eine disziplinierte Truppe zur Verfügung hatte, besaß die Revolution kein organisatorisches Zentrum und auch keine bewaffnete Macht zu ihrer Verteidigung. Die Revolution war aus einer Friedensbewegung entstanden, für einen Bürgerkrieg war die Mehrheit ihrer Anhängerinnen und Anhänger nicht zu haben. Zu den Waffen griffen sie immer erst dann, wenn sie bereits mit dem Rücken zur Wand standen. Ähnlich war es mit den Märzstreiks. Und während die Nationalversammlung die Anerkennung der Räte in der Verfassung zumindest in Aussicht stellte, zeigte die Regierung keinerlei Kompromissbereitschaft. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit der Regierung und Oberbefehlshaber Noske sah sich die Vollversammlung der Berliner Arbeiterräte am 8. März letztlich gezwungen, den Streik ohne Erfüllung der Forderungen abzubrechen; anderswo verlief es ähnlich.

Trotz der faktischen Niederlage der Linken führten die Regierungstruppen die Kämpfe auch nach Streikabbruch fort. Wie schon im Januar wollte man von Verhandlungen nichts wissen und war auf die physische Vernichtung des Gegners aus. Mehrere Tage lang wurden die von bewaffneten Arbeitern verteidigten Ostbezirke Berlins belagert und beschossen, Noske und seine Truppen scheuten sich auch nicht, dabei schwere Artillerie in Wohngebieten einzusetzen. Über tausend Tote fielen allein in Berlin diesem Rachefeldzug zum Opfer. Die Volksmarinedivision, aber auch der linke Flügel der "Republikanischen Soldatenwehr" wurden in diesen Kämpfen vollständig aufgerieben. Damit waren die letzten republikanischen Truppen in der Hauptstadt vernichtet. Es ist kein Zufall, daß am 6. März 1919, während in Berlin die Kämpfe tobten, die Weimarer Nationalversammlung ein Gesetz zur Bildung einer vorläufigen Reichswehr verabschiedete. Es sah ein Heer mit klassischer Disziplin ohne Soldatenräte vor und legalisierte faktisch die Freikorps. Zeitgleich mit der Vernichtung der republikanischen Truppen wurden damit die rechtsradikalen Verbände als Armee des neuen Staates institutionalisiert - ein schwerer Geburtsfehler, der entscheidend zum Untergang der Weimarer Republik beitrug.

- und was blieb

Eine Errungenschaft der Märzstreiks war der Räteparagraph § 165 in der Weimarer Verfassung. Er war jedoch weit von der Idee des "Reinen Rätesystems" entfernt und sah einer Kooperation von Unternehmern und Arbeitern vor, Korporatismus statt Sozialismus. Seine Ausgestaltung im Betriebsrätegesetz vom Februar 1920 fasste die Rechte der Räte noch einmal enger, übrig blieben Belegschaftsvertretungen ohne reale Kontrollrechte. Die Niederlage der Märzstreiks war also entscheidend für den Kampf um die Verfassung der Republik. Im Gegensatz zum Januaraufstand und den späteren lokalen Räterepubliken fand sich hier eine breite Bewegung aus der Mitte der arbeitenden Bevölkerung zusammen, um das Ruder der Revolution noch einmal herumzureißen - und scheiterte. Als Errungenschaften des 9. November blieben die Errichtung der ersten Demokratie in Deutschland, einschließlich des Frauenwahlrechts, auf sozialem Gebiet die Betriebsräte und der Achtstundentag. Sämtlich demokratische Erfolge, jedoch durchgesetzt gegen eine Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, die für eine radikalere, eine sozialistische Demokratie gekämpft hatte.

Anmerkungen

1) Vgl. Ralf Hoffrogge, Richard Müller - Der Mann hinter der Novemberrevolution, Berlin 2008.

2) Richard Müller, Vom Kaiserreich zur Republik, Wien 1924, S.175.


Ralf Hoffrogge studierte Geschichte, Politik und Psychologie an der Freien Universität Berlin und an der Washington University in St. Louis (USA). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Geschichte des Nationalsozialismus sowie Globalisierung und Bildungspolitik.

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