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Klaus Holzkamp

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Am Wanderstab die Welt durchmessen

22.05.2014: Mobilität von Studierenden als wichtiger Bestandteil europäischer Bildungspolitik

  
 

Forum Wissenschaft 1/2014; Foto: Ralf Roletschek, Fahrradtechnik und Fotografie / commons.wikimedia.org

Für studentische Vertreter*innen, wie Isabella Albert vom freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) stellen sich Fragen im Vorfeld der EU-Parlamentswahl. Seit dem Bologna-Prozess ist die Bedeutung von Bildungspolitik auf europäischer Ebene gewachsen. Neben der europaweiten Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen betrifft das vor allem die internationale Mobilität der Studierenden. Welche Erwartungen ergeben sich daraus für die Studierendenvertreter*innen an die Wahl? Wer geht überhaupt ins Ausland und was muss sich verbessern?

Was Schiller schon um 1800 in seinem Lied von der Glocke fordert, heißt heute Mobilität und steckt voller Erwartungen: Laut der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz soll jede*r zweite Studierende Auslandserfahrungen sammeln. Aus studentischer Sicht verblasst das Abenteuer Mobilität hinter einem Felsmassiv aus Finanzierungshürden.

Was heißt eigentlich mobil sein?

Studentische Mobilität hat viele Triebfedern und Auswirkungen. Diese werden von Studierendenverbänden aus ganz Europa zur Zeit im Projekt "Challenges of Student Mobility in a Cosmopolitan Europe" untersucht. Grundsätzlich lassen sich verschiedene Arten von Mobilität unterscheiden. Die häufigste und bekannteste Art mobil zu sein ist das "Semester im Ausland", sogenannte temporäre Mobilität. Daneben gibt es aber auch die abschlussbezogene Mobilität. Hierbei wird ein ganzer Studiengang im Ausland absolviert. Immer mehr Studierende nutzen aber die Zeit zwischen den Studiengängen, dabei sind zwei Motive wesentlich:

  • Der eigene Studiengang lässt sich nicht mit temporärer Mobilität verbinden und abschlussbezogene Mobilität erscheint nicht leistbar.
  • Der Wechsel vom Bachelor- in einen Masterstudiengang ist nicht ohne Zeitverzug möglich oder gewollt.

Zusätzlich lässt sich Mobilität auch danach differenzieren, was im Ausland gemacht wird: Wird das Studium fest an einer Hochschule durchgeführt oder aber handelt es sich um ein Praktikum im Ausland?

Motive für temporäre Mobilität:

Die stärksten Motive für Auslandsaufenthalte sind:

  • "neue Erfahrungen sammeln" (96%),
  • "eine andere Kultur kennen lernen" (84%),
  • "in einer fremden Situation zurechtkommen" (80%).

Erst danach kommen:

  • "Sprachkenntnisse vertiefen" (79%)
  • "berufliche Chancen verbessern" (69%).1

Die Studierenden wollen und sollen also mobil sein. Vor welchen Problemen mobile Studierende in Europa stehen und was wir Studierendenvertreter*innen vom Europäischen Parlament in der nächsten Legislatur in Sachen "mobil studieren" erwarten, lässt sich in drei Punkte gliedern.

1. Erasmus

Für den Bildungsbereich der EU wird Erasmus gern als Flagschiff ausgegeben.2 Erasmus heißt jetzt Erasmus+ und umfasst nicht mehr nur Mobilitätsprogramme für Studierende3. Erasmus+ ist für den größten Teil der Studierenden die Möglichkeit, einen temporären Auslandsaufenthalt zu finanzieren.

Mehr als 35% der mobilen Studierenden gehen für einen Master ins Ausland.4 Mit Erasmus+ können Master-Studierende ab 2014 nur noch über Kredite gefördert werden. Das trifft gerade die Studierenden, die sich im Bachelor noch kein Auslandssemester zugetraut haben. Der Master ist aufgrund der kürzeren Dauer übersichtlicher. Die Studierenden haben sich und ihrem Umfeld mit dem Bachelor bereits bewiesen, dass sie einem Studium gewachsen sind. Diese Maßnahme trifft - wie immer wenn es um Kosten geht - gerade die Studierenden mit schwächerem finanziellen Hintergrund und aus Familien ohne akademische Tradition. Also die Studierenden, die bereits einen BAföG-Kredit oder andere Studienkredite aufgenommen haben. Unter solchen Voraussetzungen möchte kaum jemand in einem Masterstudiengang eingeschrieben sein, der zwingend ein Auslandssemester vorsieht. Blickt man auf die vergangenen Verhandlungen zum EU-Haushalt zurück, können wir froh sein, dass überhaupt wieder ein großes Budget für Erasmus zur Verfügung steht. Im Sinne der Bildungsgerechtigkeit, gibt es aber Steuerungsbedarf in den Vergaberichtlinien von Erasmus. Grundlage für Erasmus+ ist auch weiterhin, dass die Mitglieder der EU ihre Finanzzusagen einhalten, damit nicht mit dem Haushaltsplan geprahlt wird und Studierende am Ende die bewilligte Förderung trotzdem nicht erhalten.5

2. Bildung als europäische Aufgabe

Erfahrungen im Ausland fördern das Verständnis für andere Kulturen und bauen Vorurteile ab. Im Gegensatz dazu stehen nationale Stimmen, die in vielen Ländern seit der Finanzkrise wieder stärker werden und einen Rückzug aus Europa fordern. So geschehen gerade in der Schweiz. Die Angst vor internationalen Mitbürger*innen wirkt sich auch auf Forschungsförderung und Erasmus aus. Umso wichtiger sind Möglichkeiten, wieder mehr positive Erfahrungen mit Europa sammeln zu können.

Die Finanzkrise in Europa hat auch direkten Einfluss auf die Mobilität in Europa: Bei klammen Kassen sparen viele Länder insbesondere an der Bildung. Das bedeutet einerseits, dass Studiengebühren eingeführt werden, um die Hochschulen zu finanzieren. Dies schreckt nicht nur inländische Studierende6 ab, sondern auch mobile. Andererseits versuchen die Länder abzuschätzen, wie sie sonst noch von Studierenden aus dem Ausland profitieren können. Ungarn ist dabei Vorreiter: Letztes Jahr wurde rückwirkend für Studienanfänger*innen ab 2011 beschlossen, dass Studierende an ungarischen Universitäten nach ihrem Studium in Ungarn bleiben und arbeiten müssen und zwar doppelt so lange wie sie studiert haben. Tun sie dies nicht, fallen hohe Studiengebühren an (studiengangsabhängig z.B. Germanistik 700 Euro, Medizin 5000 Euro pro Semester).7

Derzeit gibt es über 15.000 Studierende als Bildungsausländer*innen an ungarischen Hochschulen8. Die zuständige Ministerin wollte verhindern, dass Ungarn die (Aus-)Bildung finanziert und schließlich nicht von den "klugen Köpfen" profitiert. Neben den erheblichen Auswirkungen für ungarische Studierende und Schüler*innen9 verschließt Ungarn sich damit Studierenden aus anderen Ländern. Beispielsweise studieren bisher 50% der Studierenden, die aus Deutschland nach Ungarn gehen, dort Medizin.10 Das Medizinstudium in Ungarn war gerade wegen der Zugangsvoraussetzungen so beliebt. Viele Schüler*innen, die hier am NC scheitern, studieren Medizin in Ungarn. Die künstliche Begrenzung der Studiermöglichkeiten an deutschen Universitäten führt zu massiven Wanderungsbewegungen im Fach Medizin vor allem nach Österreich und nach Ungarn.

Auch die Verantwortlichen in Dänemark hatten das Gefühl, über die Maßen ausländische Studierende aufzunehmen. Mehr Schwed*innen, Finn*innen und Norweger*innen als das Land verkraften wollte, studieren in Dänemark und ziehen danach wieder zurück in ihre Heimatländer. Seit 2009 zahlen die vier Länder sich untereinander laut "Nordic Agreement" eine Entschädigung von jeweils fast 3000 Euro11, wenn ihre Bürger*innen in einem der anderen Länder studieren12. Kann dies als Vorbild für Europa taugen?

3. Europäischer Ausgleichsfonds?

Wir brauchen nicht nur Stipendien für mobile Studierende, sondern auch eine Lösung, wie alle Europäer*innen von ihren Hochschulen profitieren. Es muss möglich sein, qualitativ hochwertige Bildung anzubieten ohne die (finanziellen) Zugangsbeschränkungen in die Höhe zu treiben. Staaten, die Hochschulbildung finanzieren, können dies nicht allein für einen Teil von Europa. Länder, die von den Absolvent*innen profitieren, müssen sich an den Kosten der Ausbildung beteiligen. Dies darf nicht auf dem Rücken der Studierenden geschehen. Die Zulassungshürden für Studierende zu Studiengängen sind eine künstliche Beschränkung, die entsteht, wenn man nur im Interesse einer Hochschule oder eines (Bundes-)Landes denkt. Egal wo Studierende ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben und unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund sind Studierende zum Studium zuzulassen. Wir erwarten eine europäische Lösung, die es wirklich allen ermöglicht, am Wunschort zu studieren. Die Begrenzung der Studienplätze und Studiengebühren machen Bildung zu einem Privileg für die Wenigen, die es sich leisten können.

Incomings

Außer den bisher betrachteten Outgoings gehört auch die Betrachtung der Incomings zu den Facetten der Mobilität. Deutschland ist in Europa nach England und Frankreich das beliebteste Zielland. Westeuropäer*innen sind an deutschen Hochschulen häufig in den Kulturwissenschaften eingeschrieben. Studierende aus Asien und Afrika hingegen hauptsächlich in Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften.13

Diese Studierenden bereichern den Alltag an unseren Hochschulen und fördern den kulturellen Austausch zuhause, wenn diese Studierenden von den Hochschulen in geeigneter Weise aufgenommen und nicht in eigene Studiengänge separiert werden. Selbst wenn die Hälfte unserer Studierenden irgendwann ins Ausland geht, wird es in der anderen Hälfte immer noch Studierende geben, die den interkulturellen Austausch suchen und gerne mit ihren internationalen Kommiliton*innen hier studieren und leben. Auch so werden Vorurteile abgebaut und ein gegenseitiges Verständnis wächst.

Studiengebühren für EU-Ausländer*innen?

Die finanzielle Situation an den Hochschulen ist gelinde gesagt ausbaufähig und warum - so liest man in deutschen und internationalen Zeitungen immer häufiger - sollte man diese desolate Situation nicht mit Studiengebühren von EU-Ausländer*innen ausbessern? Diese würden nur von unseren Hochschulen profitieren und sollten doch dafür zahlen.

Selbst wenn man innerhalb dieser wirtschaftlichen Logik bleibt, lässt sich dem mit den Ergebnissen einer Studie vom November 2013 begegnen, die den Nutzen dieser Austauschstudierenden jenseits von kultureller Vielfalt abschätzt: 12.994 Euro kostet ein Studienplatz für einen internationalen Studierenden, aber jede*r von diesen Studierenden hat auch jährliche Konsumausgaben von 8.000 Euro. Zusätzlich zahlt jede*r internationale Studierende 2.500 Euro Steuern im Jahr. Bleiben die internationalen Absolvent*innen in Deutschland, erhöhen sich ihr Konsum und ihre Steuerzahlungen erheblich. Bleiben 30% der internationalen Studierenden 5 Jahre in Deutschland, so rechnet die Studie vor, hat sich - aus Sicht der deutschen Steuerzahler*innen - ein Studienplatz für internationale Studierende finanziell gelohnt. Laut Stifterverband blieben 2011 tatsächlich 31% der internationalen Studierenden in der Republik. Wenn sich nun noch Bund und Land bei der Hochschulfinanzierung einigen, könnte diese Rechnung aufgehen.

Die Kritik der Gebührenforderung muss freilich viel grundsätzlicher ausfallen. Die Jenaer Erklärung des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren, die auch von fzs und BdWi getragen wird, stellt hierzu fest: "Rentabilität, Verwertbarkeit und Konkurrenz sind zentrale Triebfedern, die das Bildungssystem maßgeblich beeinträchtigen". Es bleibt bei der Forderung "Freie Bildung für alle!". Studiengebühren - egal in welcher Form und egal für wen - sind damit nicht vereinbar.

Die Grenzen Europas

Wenn wir nicht nur eine finanzielle Gemeinschaft in der EU sein wollen, sondern auch eine kulturelle, brauchen wir (auch) den Austausch junger Menschen. Den Nutzen von Europa und Demokratie lernen wir nur so zu schätzen.

Die Erleichterungen an den Grenzen innerhalb der EU dürfen nicht zu härteren EU-Außengrenzen führen. Möchte die EU z.B. für ihre Ostpartnerschaftsländer als Vorbild für parlamentarische Demokratie gelten, muss dies erfahrbar für deren Bürger*innen sein. Gerade junge Menschen, die in der EU studieren und anschließend in ihre Heimatländer zurückkehren (ca. 69%, s.o.) können den demokratischen Gedanken dort weiter verbreiten.

Zur Entwicklungszusammenarbeit gehört auch, junge Menschen auszubilden, die am besten wissen, wie sie in ihrem Heimatland aktiv werden können. Der europäische Hochschulraum darf sich nicht über die Grenzen nach Außen definieren.

Anmerkungen

1) Burkhardt et al. 2013: DAAD Wissenschaft Weltoffen; Bielefeld; hg. v. DAAD und HIS-HE.

2) www.lebenslanges-lernen.eu/erasmus_3.html.

3) Einige andere Programme sind in Erasmus aufgegangen, es ist jetzt ein allgemeines Programm zur Mobilität von jungen Menschen z.B. auch im Sport und in der Ausbildung.

4) Siehe Fn 1.

5) Vgl. www.spiegel.de/unispiegel/studium/erasmus-geld-fuer-studentenaustausch-programm-wird-knapp-a-859366.html.

6) C. Heine et al. 2008: "Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten", in: HIS Forum Hochschule der HIS Hochschul-Informations-System GmbH, Hannover.

7) www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/bildungsreform-in-ungarn-regierung-orban-laesst-abiturienten-fliehen-a-834190.html; Ausführlich zu den bildungspolitischen Entwicklungen in Ungarn: István Grajczjár: Vorwärts in die Vergangenheit, in: BdWi-Studienheft 9 "Wissenschaft von Rechts", Marburg 2014: 35-37.

8) Nur Abschlussbezogene Mobilität.

9) Die hier aus Platzgründen nicht beleuchtet werden können.

10) Siehe Fn 1.

11) 22.000 Dänische Kronen.

12) Articel 7 Nordic Agreement z.B: www.norden.org/en/about-nordic-co-operation/agreements/treaties-and-agreements/education-and-research/agreement-concluded-by-denmark-finland-iceland-norway-and-sweden-on-admission-to-higher-education.

13) Siehe Fn 1.


Isabella Albert ist Mitglied der Ausschüsse Studienreform und Internationales des freien zusammenschlusses der studentInnenschaften (fzs). Sie vertritt die Studierenden außerdem im Akkreditierungsrat. In Aachen studiert Isabella Biotechnologie und Physikingenieurwesen.

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