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Klaus Holzkamp

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Bildungsreform und -proteste in Spanien

  
 

Forum Wissenschaft 1/2014; Foto: Ralf Roletschek, Fahrradtechnik und Fotografie / commons.wikimedia.org

In den letzten Jahren hatte die konservative spanische Regierung mit Kürzungen und Reformvorschlägen große und - unter Beteiligung von Kindergärten, Schulen und Hochschulen - übergreifende Protestbewegungen im Bildungsbereich provoziert. Hunderttausende LehrerInnen und SchülerInnen nahmen beispielsweise im Oktober 2013 an Großdemonstrationen teil. Wir dokumentieren die Forderungen der spanischen Studierendengewerkschaft mit einführenden Erläuterungen von Regina Schleicher.

Die Proteste richteten sich gegen Kürzungen des Bildungshaushalts um 20%, drei Milliarden Euro. Bereits im Mai 2012 hatte gegen den Sparkurs ein Bildungsstreik stattgefunden, an dem sich sehr stark StudentInnen und HochschuldozentInnen beteiligten und der als der größte Bildungsprotest seit dem Ende der Franco-Diktatur angesehen werden kann. Die Protestierenden trugen gelbe und grüne T-Shirts - weswegen sie auch "camisetas verdes" genannt werden - mit Protestbotschaften. Immer wieder wurde die Forderung nach einer "educación digna", einer würdigen Bildung erhoben.1

Das Paket von Kürzungsmaßnahmen sieht die massive Vergrößerung von Schulklassen (in der Oberstufe von 30 bis 47 SchülerInnen pro Klasse), die Streichung von, nach Einschätzung der Gewerkschaften, ca. 30.000 LehrerInnenstellen und besonderer pädagogischer Maßnahmen wie Förderkurse sowie Gehaltskürzungen vor. An den staatlichen Hochschulen sollen die Studiengebühren von 1.000 Euro auf 1.500 pro Studienjahr2 erhöht, Forschungsgelder gestrichen und Stipendien gekürzt werden.

Besonders für Empörung im schulischen Bereich sorgte, dass nur an öffentlichen Schulen gekürzt werden soll, nicht jedoch bei den staatlichen Subventionen für Privatschulen. Neben den Kürzungen sieht das Gesetz hier u.a. vor, dass der Religionsunterricht mit versetzungsrelevanten Noten stärker gewichtet wird, nach jedem Bildungsabschnitt (Grundschule, Mittelstufe, Abitur) eine Abschlussprüfung stattfindet und die Schülerschaft ab dem 14. Lebensjahr entsprechend ihrer beruflichen Orientierung in verschiedene Zweige aufgeteilt wird. Zugleich wird das unter der sozialistischen Regierung eingeführte Fach Staatsbürgerkunde wieder abgeschafft; Eltern, SchülerInnen und Lehrkräften werden ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten im Schulrat schlicht genommen.

Nachdem es im Parlament verabschiedet worden war, kam das Gesetz, das sich im Übrigen "Gesetz zur Verbesserung der Qualität im Bildungswesen" (Ley Orgánica para la Mejora de la Calidad Educativa = LOMCE) nennt, im November 2013 in den Senat, der ebenfalls zustimmte.3 Die Proteste halten seitdem an.

Übersetzt und eingeführt von Regina Schleicher, aus: Sindicato de Estudiantes o. J.: No al pacto educativo.,Madrid: 13; www.sindicatodeestudiantes.net/index.php/documentos.

Quellen:

Tageszeitung El Pais

www.sindicatodeestudiantes.net/

Anmerkungen

1) El Pais, 20.11.2013.

2) Die Studiengebühren erhöhen sich drastisch, wenn eine Prüfung nicht bestanden wurde und eine Wiederholung notwendig wird. Die durch das Gesetz gestärkten privaten Hochschulen verlangen ca. 6.000 Euro jährlich.

3) Ebd.


Dr. Regina Schleicher, Romanistin, arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Sprachen und Literaturen an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und befasst sich mit Empirischer Bildungsforschung, Fremdsprachendidaktik sowie Antisemitismus- und Rassismusstudien.


Wir dokumentieren im Folgenden, leicht gekürzt, den Forderungskatalog der Studierendengewerkschaft (Sindicato de Estudiantes):

1.) Gegen die Privatisierung der Bildung. Öffentliche Gelder für Öffentliche Bildungseinrichtungen. Für eine vollständig öffentliche und kostenlose Bildung und ausreichend Plätze bereits für die 0-6-Jährigen. Nein zur Privatisierung dieses Bereichs, wie sie besonders in den von der PP [die spanische Regierungspartei] regierten Kommunen stattfindet [...].

2.) Rückzug der Bildungskonzepte. Gegen die Privatisierung und Abwertung der Öffentlichen Schulen. Kein Euro für private und halbprivate Schulen. Für die Integration des ganzen Bildungssystems in einem einzigen öffentlichen Netz, das für Qualität, Demokratie und Wissenschaftlichkeit sorgt.

3.) Religion raus aus den Klassenzimmern. Aufhebung des Abkommens mit dem Vatikan, speziell der Bestimmungen, die sich auf das Bildungssystem beziehen. Religion ist als persönliche Wahl zu respektieren; die öffentlichen Haushalte dürfen jedoch weder der Förderung religiöser Indoktrinierung dienen noch der Einführung nicht-wissenschaftlicher Inhalte in das Bildungssystem.

4.) Verbesserung der Berufsausbildung mit einer Garantie von ausreichenden Plätzen an öffentlichen Bildungseinrichtungen für alle, die sich für eine Berufsausbildung entscheiden, einer Qualität der akademischen Inhalte und der Einführung bezahlter Praktika unter der Aufsicht der Gewerkschaftszentralen und StudierendenvertreterInnen. Nein zur aktuellen Reform, die den existierenden Studienabschluss abwertet und einen großen Schritt rückwärts im Bildungsbereich bedeutet.

5.) Nein zur Selektierung. Kein Sieb beim Eintritt in die Universität in Form eines Auswahlverfahrens. Diese überflüssige Prüfung trägt nur dazu bei, dass mehrere Zehntausende junger Menschen am Studieren gehindert werden und somit ihr Zugang zu einer würdigen Arbeit und würdigen Lebensverhältnissen erschwert wird.

6.) Sofortiger Rückzug des Bologna-Plans. Für die unverzügliche Eröffnung einer Verhandlungsrunde mit ProfessorInnen, technisch-administrativen MitarbeiterInnen, StudentInnen und Gewerkschaften für die Ausarbeitung einer Universitätsreform, die eine staatliche, gebührenfreie Universität mit Qualität und ohne künstliche Zugangshürden ermöglicht.

7.) Nein zur Privatisierung der Ausbildungszentren für Lehrkräfte. Fehlende Studienplätze an den staatlichen Hochschulen für diesen Bereich bewirken, dass private Hochschulen diese Situation ausnutzen und mit überhöhten Gebühren Plätze anbieten und Bildung so zu einem Geschäft machen. Wir von der Gewerkschaft der StudentInnen fordern vom Ministerium, dass unverzüglich ausreichend Plätze geschaffen werden, um der Nachfrage vollständig gerecht zu werden.

8.) Für eine Politik der Stipendien, die uns wirklich an Europa angleicht. Die Angleichung an Europa ist eines der Hauptargumente, mit dem die Regierung die Umsetzung des Bologna-Plans verteidigt, trotzdem liegt der europäische Durchschnitt der StipendiatInnen bei 40%, während in Spanien jämmerliche 14% erreicht werden.

9.) Für die Verteidigung der demokratischen Rechte der StudentInnen. Reale Anerkennung unseres Streikrechts, das im alten Bildungsgesetz vorgesehen war, in allen Studienzentren, ebenso wie die Garantie des Versammlungsrechts und der Meinungsfreiheit, einschließlich des Rechts auf Versammlung während Vorlesungszeiten im ganzen Staat, wie es bereits in Andalusien und der Extremadura existiert. Keine Sanktionen für die Ausübung unserer grundlegendsten Rechte.

10.) Für einen radikalen Investitionsplan in der Öffentlichen Bildung mit dem Ziel 7% des BIPs zu erreichen. Diskreditieren wir die Idee als falsch, dass es kein Geld für soziale Verbesserungen gäbe. Während die Regierung Zehntausende Millionen Euro verschenkt, um Banken zu retten und ihre Profitrechnung beizubehalten, nehmen wir am Verfall von Grundrechten wie dem Recht auf Gesundheit und öffentliche Bildung aus Geldmangel teil. Berücksichtigen wir, dass ausreichend Geld für ihre Verbesserung vorhanden ist, indem eine Investition von 7% des BIPs erreicht wird.

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