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Staatliche Wohnungsversorgung und kapitalistischer Wohnungsmarkt

15.05.2004: Vom DDR-Wohnungsbauprogramm zum Stadtumbauprogramm Ost

  
 

Forum Wissenschaft 2/2004; Titelbild und andere Bilder: Ch. Kurby, J. Schwertheim, J. Hartwig

In weniger als einem Jahrzehnt vollzog sich ein tief greifender Paradigmenwechsel: von niedrigen Mieten, staatlicher Wohnungsversorgung und Wohnungsmangel hin zu hohen Wohnkosten und Wohnungsüberschuss bei gleichzeitiger breiter qualitativer Verbesserung des vorhandenen Bestandes. Zugleich führten Bevölkerungsrückgang und fehlgesteuerter Bauboom zu riesigen Wohnungsleerständen, die heute das Schrumpfen der Städte als sozialen Stadtumbau erfordern. Joachim Tesch & Klaus-Jürgen Warnick über Wohnungspolitik in Ostdeutschland.

Die Entwicklung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft war nach der staatlichen Vereinigung durch drei gravierende Fehlentscheidungen bestimmt: Die Umwandlung der staatlichen Kredite der DDR in so genannte Altschulden, das Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung« und die Sonder-Abschreibung-Ost. Alle drei Maßnahmen führten zu einem sechsstelligen Milliardentransfer von Ost nach West, der noch Jahrzehnte nachwirkt. Ein wirklicher »Aufbau Ost« hätte anders ausgesehen.

Erfolge und Defizite des DDR-Wohnungsbauprogramms

Anfang der siebziger Jahre stellte die Partei- und Staatsführung der DDR die ehrgeizige Aufgabe, bis 1990 die Wohnungsfrage als soziales Problem zu lösen und initiierte dazu ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm, das trotz zunehmender volkswirtschaftlicher Engpässe bis zum Ende durchgehalten wurde.1 So entstanden rund zwei Millionen neue Wohnungen - je zur Hälfte als Ersatz und als Erweiterung des Bestandes. Eine weitere Million wurde vor allem im sanitärtechnischen Bereich umfassend modernisiert. Für 45% der privaten Haushalte verbesserten sich die Wohnverhältnisse spürbar. Dennoch reichten die gesellschaftlichen Anstrengungen nicht aus, den Wohnungsmangel zu beseitigen und den gewachsenen Ansprüchen gerecht zu werden. Vor allem durch die Konzentration der Kräfte und Mittel auf den industriellen Wohnungsbau am Rand der Städte wurde die Instandhaltung und Instandsetzung der Altbausubstanz in den Innenstädten extrem vernachlässigt. Noch 1990 hatten rund ein Drittel der Altbauwohnungen kein Bad oder WC. Das beeinträchtigte die Wohnzufriedenheit nicht weniger BürgerInnen erheblich. Aber es gab keine Obdachlosigkeit, die Mieten waren bezahlbar; außer in besonders extremen Ausnahmefällen fanden keine Zwangsräumungen statt.

Während in den siebziger Jahren der sichtbare Umschwung im Wohnungsbau einen breiten positiven Widerhall in der Bevölkerung fand, zeichnete sich im Laufe der achtziger Jahre eine wachsende Diskrepanz zwischen den euphorischen Erklärungen der SED zur Erfüllung des Wohnungsbauprogramms und der Stimmung in nennenswerten Teilen der Bevölkerung ab. Das zeigte sich nicht nur in massenhaften Eingaben, in denen während 40 Jahren DDR stets das wichtigste Thema Wohnungsprobleme waren, sondern vor allem in folgenden Erscheinungen und Fakten: Ende 1989 gab es über 770.000 registrierte, also staatlich anerkannte Wohnungsanträge, darunter rund die Hälfte von Einzelpersonen ohne eigene Wohnung.2 Die Wartelisten wurden länger statt kürzer und die »Wohnraumvergabepläne« immer umstrittener.

Hauptfaktoren des Widerspruchs zwischen rechnerischem Wohnungsüberschuss und tatsächlichem Defizit an Wohnungen waren neben der territorialen Differenziertheit vor allem der Umstand, dass viele ältere Wohnungen infolge baulicher Mängel oder/und ungenügender Ausstattung nur noch schwer oder gar nicht mehr vermietbar waren sowie die zunehmende Unterbelegung der Wohnungen. Die große, wachsende Zahl unterbelegter Wohnungen entstand durch Auszug der Kinder, Ehescheidungen, Tod von Familienangehörigen u. ä. aus ursprünglich »normal« belegten Wohnungen und wurde durch die extrem niedrigen, subventionierten Mietpreise befördert. Andererseits war Wohnraum für Familien mit Kindern knapp. So blieben trotz des quantitativ bemerkenswerten Ergebnisses in Umfang und Struktur des Wohnungsbestandes erhebliche qualitative Defizite im baulichen Zustand und in der Ausstattung des Wohnungsbestandes.

Die Defizite hängen mit einem gravierenden Fehler in der Durchführung des Wohnungsbauprogramms zusammen: Der Wohnungsbau wurde zu lange auf den Neubau am Rande der Städte konzentriert. Das führte zu strukturellen Schäden, an denen die ostdeutschen Städte noch heute kranken. Mit erheblicher Verzögerung gegenüber dem ursprünglichen Programm und den Vorschlägen der Bauwissenschaft begann erst ab Mitte der 80er Jahre die Hinwendung zum innerstädtischen Wohnungsbau. Ursachen für die Vernachlässigung der Innenstädte waren vor allem die niedrigere Produktivität durch den höheren Aufwand an handwerklicher Arbeit gegenüber dem industriellen Wohnungsbau, die einseitige Mengenorientierung des Planungs- und Abrechnungssystems und Rückstände in der Anpassung der industriellen Fertigung für vielfältigere architektonische Elemente.

Marktwirtschaft und Mietpreisentwicklung

Beim Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR zur kapitalistischen Marktwirtschaft ging es natürlich auch um die Eigentumsverhältnisse in der Wohnungswirtschaft. Die ehemaligen kommunalen Wohnungsverwaltungen wurden in selbstständige Wohnungsunternehmen umgewandelt, meist im Alleineigentum bzw. als Mehrheitseigner der Kommunen. Ein Kardinalfehler war dabei die Umwandlung der zu DDR-Zeiten gewährten zinsverbilligten Darlehen an die Wohnungsbetriebe in privatwirtschaftliche Verbindlichkeiten mit marktüblichen Zinsen - eine Entscheidung zugunsten der Banken.

Kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen, die über den Großteil der neu gebauten Wohnungen in Ostdeutschland verfügten, wurden so in erheblichem Ausmaß mit den so genannten Altschulden belastet. Da sie diese Schulden aber aus den bisherigen Mieteinnahmen nicht tilgen konnten, folgte von 1991 bis 1993, gesetzlich verordnet, eine Mieterhöhung nach der anderen. Die Mieten erhöhten sich auf Basis der neuen Grundmietenverordnungen innerhalb weniger Jahren auf etwa das siebenfache des Ausgangsniveaus: Betrug die Bruttokaltmiete in der DDR pro qm weniger als eine Mark, so lag sie 1993 durchschnittlich bei etwa sieben DM. Der Anteil der Bruttokaltmiete am Haushaltsnettoeinkommen (die Mietbelastungsquote) vervierfachte sich.

Doch auch das reichte noch nicht aus, um die Schulden zu tilgen. Statt aber, wie von der PDS von Beginn an gefordert, den Wohnungsunternehmen die Altschulden generell zu streichen, erließ die Bundesregierung ein Moratorium, dass die Aussetzung der Tilgung bis 1995 festschrieb. Die Gesamtschuldensumme erhöhte sich in dieser Zeit jedoch von rd. 35 auf über 50 Mrd. DM. Mit dem Altschuldenhilfegesetz 1997 wurde dann ein teilweiser Erlass der Altschulden mit der Auflage zu Zwangsverkäufen von 15% der Wohnungsbestände verbunden. Da die meisten Wohnungsunte rnehmen unter finanziellem Druck standen, gingen sie auf diese Bedingungen ein. Bis Ende 1998 wurde diese Privatisierung noch mit Sonderabschreibungen steuerlich gefördert und hat, wie im Fall der AUBIS-Gruppe, zu Spekulation und Vernichtung öffentlicher Fördermittel beigetragen. Heute sind selbst ein Teil dieser privatisierten Wohnungsunternehmen bzw. Eigentümer oder ausgegründeten Genossenschaften insolvent. Daraus ergeben sich für die betroffenen Mieterinnen und Mieter oft recht weitreichende negative Folgen.

Die gravierendsten Auswirkungen der drastischen Mieterhöhungen wurden für die einkommensschwächeren Haushalte durch die Einführung eines gegenüber Westdeutschland zunächst modifizierten Sonderwohngeldes gemildert. Seit Anfang 2001 gilt in Deutschland ein einheitliches Wohngeldrecht. Die Zahl der Wohngeldempfänger ist im Osten inzwischen wieder erheblich zurückgegangen: Betrug sie im Spitzenjahr 1993 insgesamt 3,2 Millionen, so waren es im Jahre 2001 nur noch 0,8 Millionen, während sich die Zahl der Wohngeldempfänger in Westdeutschland seit 1992 immer zwischen 1,8 und 2,0 Millionen bewegte.3

Im Vergleich zu Westdeutschland hat sich die Mietbelastungsquote, gemessen als Bruttokaltmiete (einschließlich der kalten Nebenkosten) in Prozent des Haushalts-Nettoeinkommens, weiter angeglichen; insgesamt stieg sie bis zum Jahre 2002 auf 20,0% an; in den westlichen Bundesländern betrug sie 22,2%.4

Neue Eigentumsverhältnisse

Mehrere einschneidende politische Entscheidungen haben die Eigentumsverhältnisse erheblich verändert. Dies war zum einen das Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung«, das 2,1 Millionen Rückübertragungsansprüche auf Grundstücke und Immobilien zur Folge hatte und damit Millionen Ostdeutsche über Nacht um ihren Besitz brachte. Noch heute leiden unzählige Ostdeutsche unter den Folgen dieser katastrophalen Entscheidung. Der damit verbundene Verlust von Eigenkapital (bei kompletten Nachkauf nach Nichtigkeit des vormaligen Kaufvertrages, bei der Bezahlung des hälftigen Verkehrswertes nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz oder jetzt hoher Miet- und Nutzungsentgelte) hat viele Familien auf Jahrzehnte den Banken ausgeliefert und führt zu einem nachhaltigen Kaufkraftverlust.

Zum zweiten war dies die Milliardenverschleuderung durch die Sonder-Afa-Ost, die einer großen Zahl von gut verdienenden westdeutschen Kapitalanlegern sehr einfach zu noch mehr Wohlstand verhalf - verbunden mit einem unvorstellbaren Aderlass der öffentlichen Haushalte. So hat nach überschlägigen Berechnungen dieses »Jahrhundertgeschenk« für Kapitalanleger dem Fiskus Steuermindereinnahmen zwischen 75 und 100 Milliarden (!) Euro beschert, Geld, das alle SteuerzahlerInnen dieses Landes aufbringen mussten und das an anderer Stelle dringend fehlt. Und dazu war es noch eine gigantische Fehlförderung, die u. a. zu dem jetzt bestehenden Überangebot an Wohnungen beigetragen hat.

Zum dritten war dies die ab 1996 veränderte Eigenheimzulage. Die Eigenheimzulage beschleunigte den Wegzug zahlungskräftiger ostdeutscher Mieterhaushalte in das »eigene Heim im Grünen«. Dieser erfolgte zu einem erheblichen Teil wiederum am Rand und im Umland der Städte statt in deren Innern - analog den vielen Einkaufszentren und Gewerbegebieten auf der grünen Wiese - und setzte damit eine Tendenz des DDR-Wohnungsbaus fort.

Sowohl die Sonderabschreibungen und die nachfolgende Investitionszulage (die endlich auch die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in Anspruch nehmen konnten) als auch die 1996 eingeführte Eigenheimzulage lösten einen erheblichen Bauboom im Osten aus.

Dieser Boom war einerseits bedingt durch den aufgestauten Wunsch vieler Ostdeutscher nach dem eigenem Ein- bzw. Zweifamilienhaus im Grünen; in der DDR wurden jährlich kaum mehr als 10.000 solcher Eigenheime errichtet. Dieser Faktor wirkte in den Folgejahren fort, so dass seit Anfang der 90er Jahre mehr als 400.000 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern entstanden. Insgesamt sind im Zeitraum 1991-2003 etwa eine Million Wohnungen in Ostdeutschland neu gebaut worden. Die staatliche Wohnungsbauförderung war in jenen Jahren auch bei Mehrfamilienhäusern zunächst auf den Neubau statt vorrangig auf die Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestandes ausgerichtet. Diese Tendenz wird erst seit 2000 umgekehrt.

Zum vierten war dies die Übertragung der ehemals volkseigenen Wohnungsbestände an die Kommunen. Die mit staatlicher Förderung der DDR gebauten Wohnungen hat die Bundesrepublik nicht als Sozialwohnungen übernommen. Sie wurden per Gesetz als »frei finanziert« eingestuft und damit, abgefedert über zwei Zwischenstufen, der Mietpreisbildung nach dem Miethöhegesetz unterworfen. Die staatlich geförderten, zinsverbilligten Darlehen der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen wurden als Altschulden westdeutschen Privatbanken übereignet und damit in privatwirtschaftliche Bankkredite mit marktüblichem Zins umgewandelt. Der Zins stieg damit von 4 auf 9-10%. Die Bedienung dieser so genannten Altschulden belastet die ostdeutsche Wohnungswirtschaft bis heute nachhaltig, besonders in Wohnungsunternehmen mit hohen Leerständen.

Vom gesamten Wohnungsbestand in der DDR waren 1989 ca. 59% volkseigen bzw. genossenschaftlich und 41% privat.5 Inzwischen weist der GdW, dem nahezu alle genossenschaftlichen und kommunalen Wohnungsunternehmen angehören, für 1998 noch 44% und für 2002 nur noch 33% des ostdeutschen Wohnungsbestandes als von ihm bewirtschaftet aus.6

Im Ergebnis des Bevölkerungsrückgangs und der staatlichen Fehlentscheidungen in der Wohnungsbauförderung gibt es in den ostdeutschen Bundesländern seit längerem flächendeckend Wohnungsüberschüsse, die sich in dramatischen Leerständen niederschlagen. Diese gefährden sowohl die Wohnungsunternehmen als regional wichtige wirtschaftliche Unternehmen als auch die Städte und Gemeinden in ihrer weiteren Entwicklung.

Stadtumbauprogramm Ost

Nach dem Bau-Boom der ersten Jahre nach der Wende machte sich Ernüchterung breit. Massenhaft leer stehende Wohnungen, vor allem in den Städten und devastierten Industrieregionen der ostdeutschen Länder, sowie verfallende Häuser, überflüssige Straßen und verlassene Stadtquartiere haben einen völligen Wechsel in der Stadtentwicklungspolitik unumgänglich gemacht. StädteplanerInnen plädieren dafür, die Schrumpfung nicht nur negativ, sondern als Chance zur Gestaltung der Städte zu sehen.

Die Zahl der EinwohnerInnen der östlichen Bundesländer einschließlich Ostberlin ist seit dem Fall der Mauer rückläufig. Nach einer sprunghaften Abwanderung von etwa einer halben Million EinwohnerInnen 1989/1990 verringerte sich ihre Zahl kontinuierlich, neben der Abwanderung bedingt durch die Halbierung der Geburtenrate. Insgesamt sind es seitdem im Osten mehr als 1,5 Mio. (ca. 10%) EinwohnerInnen weniger geworden, während die EinwohnerInnenzahl Westdeutschlands im gleichen Zeitraum um mehr als drei Millionen anwuchs.

Für den Umgang mit dem Leerstand ist nicht nur seine Gesamtzahl von etwa 1,3 Mio. Wohnungen, sondern vor allem auch seine Struktur entscheidend. Während es einer breiten Öffentlichkeit - verstärkt durch mediale Desinformationen - zunächst so erschien, als ob das Hauptproblem die industriell errichteten Geschossbauten in den Großsiedlungen an den Stadträndern (volkstümlich: die Plattenbauten) seien, zeigen die folgenden Zahlen ein anderes Bild:
Anteile des Wohnungsleerstandes am jeweiligen Bestand 1998 in Prozent1
Ein- und Zweifamilienhäuser 7,1
Klein- u. vorstädtische Geschosswohnungen 24,5
Innerstädtische Geschosswohnungen 32,0
DDR-Wohnungsbauten 8,4
Neugebaute Geschosswohnungen 15,4
Gesamt 13,2
1) Bericht der Kommission Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern. Im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Nov. 2000. Quelle: www.bmvbw.de , S. 18

Aus der Sicht der Stadtentwicklung ist der extrem hohe Leerstand in den innerstädtischen Wohngebäuden das Hauptproblem - und zwar nach wie vor. Wenn zwischenzeitlich auch der Leerstand in den DDR-Wohnbauten zugenommen und in den älteren sowie neuen Geschosswohnungen abgenommen hat: die Proportionen sind nur verschoben, aber nicht umgekehrt worden.

Im Jahre 2001 wurde deshalb von Bund und Ländern ein Stadtumbau-Programm Ost7 auf den Weg gebracht. Es sieht die Förderung des innerstädtischen Altbaus und erhaltenswerter Wohnquartiere sowie den Abriss von 350.000 Wohnungen und die Aufwertung der vom Rückbau betroffenen Stadtgebiete vor. Das Programm soll bis 2009 abgeschlossen sein. Um die weitere Abwanderung ins Umland einzuschränken, wäre außerdem die generelle Abschaffung der Eigenheimzulage notwendig.

Trotz des im letzten Jahr in Gang gekommenen Abrisses - rd. 35.000 Wohnungen, vor allem bei kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen - wurden, wie es so schön heißt »vom Markt genommen« - konnte die Leerstandsentwicklung zwar gedämpft, jedoch nicht gänzlich gestoppt werden. Selbst im »Boom-Town« Leipzig kletterte der Leerstand bei der städtischen Wohnungs- und Baugesellschaft in den Jahren 2001 bis 2003 weiter von 29 auf 33,5%. Jede weitere Verzögerung beim Abriss, so der einhellige Tenor, vergrößert die Kosten und die Probleme der Städte. Das Stadtumbauprogramm und auch die Stadtentwicklungskonzepte müssen angepasst und fortgeschrieben werden.

Für die Wohnungsunternehmen verursachen dauerhaft leer stehende Wohnungen hohe Verluste durch Mietausfall, Erhalt und Sicherung dieser Gebäude. Das Leerziehen allein ist deshalb keine Lösung. Denn sogar auf die leer stehenden Wohnungen müssen Altschulden bedient werden, obwohl aus ihnen keine Mieteinnahmen erzielt werden. Erst nach Abriss ist durch eine Härtefallregelung der Altschuldenerlass möglich. Doch die Antragsfrist ist Ende 2003 ausgelaufen, und viele Wohnungsunternehmen konnten die notwendigen Kriterien für den Erlass nicht erfüllen.

Die Härtefallregelung für die Entlastung von Altschulden ist unzureichend. Hier ist ein weitergehender Erlass, wie ihn die PDS als einzige Partei seit Jahren in Bund und Ländern fordert, unverzichtbar. Denn der Umbau ist für die Wohnungsunternehmen ohne Abrisszuschuss und vollständige Altschuldenentlastung unmöglich. Eine Vorfinanzierung über Banken wird angesichts der Liquiditätsprobleme der Wohnungsunternehmen immer schwieriger. Daher wird der Ruf nach Landes- und Bundesbürgschaften immer lauter. Denn der langfristige, der demografischen Entwicklung angepasste soziale Stadtumbau ist nicht allein Angelegenheit der Wohnungsunternehmen, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch wenn die Investitionen nicht in dem bisherigen Ausmaß fortgeführt werden können, so ist und bleibt die Wohnungswirtschaft außerdem ein wichtiger, stabilisierender und in manchen Regionen der einzige Wirtschaftsfaktor.

Fazit: Für den Stadtumbau ist ein langer Atem erforderlich. Das Stadtumbau-Programm Ost muss weitergeführt, von bürokratischen Hürden entschlackt und finanziell solider ausgestattet werden. Bund und Länder haben zwar den Handlungsbedarf erkannt und mit dem Stadtumbauprogramm Ost Maßnahmen beschlossen, die in die richtige Richtung weisen. Die Umsetzung erfolgt jedoch - gegenüber der erheblichen Fehlallokation von Fördermitteln für Neubau und Erweiterung bis Ende der neunziger Jahre - mit erheblicher Verzögerung und nach wie vor unzureichenden Mitteln.

Stagnierende und schrumpfende Wohnungsmärkte sind allerdings kein alleiniges Phänomen Ostdeutschlands. Im Zuge der demografischen Alterung und der damit einhergehende Rückgang der Bevölkerung ist in den nächsten Jahrzehnten in vielen Regionen der Bundesrepublik mit einer insgesamt sinkenden Wohnungsnachfrage zu rechnen.

Da unter kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen eine länderübergreifende Regionalstruktur- und Wirtschaftsplanung praktisch nicht durchsetzbar ist, wird auch die Siedlungsentwicklung regional zunehmend ungleicher verlaufen. Dies gilt nicht nur großräumig zwischen Ost und West, sondern auch zwischen wirtschaftlichen Ballungsräumen und Regionen, die durch Schrumpfung und wirtschaftliche Stagnation gekennzeichnet sind. So wird der Stadtumbau eine der schwierigsten Aufgabe der Zukunft bleiben.


Anmerkungen

1) Siehe Tesch, Joachim: Der Wohnungsbau in der DDR 1971-1990. Ergebnisse und Defizite eines Programms in kontroversen Sichten. Berlin 2001

2) Ostwald, Werner: Raumordnungsreport 90 - Daten und Fakten zur Lage in den ostdeutschen Ländern. Berlin: Verlag Die Wirtschaft GmbH 1990. S. 106ff.

3) Wohngeld- und Mietenbericht 2002 der Bundesregierung. Bundestags-Drucksache 15/2200, S. 30

4) Ebenda. S. 21. Dort ist auch zu sehen, dass die Mietbelastung der Haushalte mit niedrigem Einkommen wesentlich höher ist.

5) Nach: Statistisches Jahrbuch der DDR 1990. S. 201

6) GdW Zahlenspiegel kompakt: www.gdw.de

7) Siehe Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, www.bmvbw.de

Prof. Dr. Joachim Tesch, Leipzig, arbeitet als Wirtschaftswissenschaftler mit den Arbeitsschwerpunkten Bauwirtschaft und Wohnungspolitik Klaus-Jürgen Warnick, Potsdam, ist Mitglied des Landtages Brandenburg und wohnungspolitischer Sprecher der PDS-Fraktion

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